In Bremen konnten Nazihooligans im vergangenen Jahr anscheinend machen, was sie wollten. Eine Plakataktion versuchte vor den gewalttätigen Zeitgenossen in der Hansestadt zu warnen.
Redaktion FgN

Rückblick auf 2015: Rassistische Mobilsierungen vs. Willkommenskultur für Geflüchtete

Anfang 2015 spaltete sich die Gruppe "Hooligans gegen Salafisten" und zeigt sich seitdem in Zerfallserscheinungen. Ungebrochen scheint die rassistische Mobilisierung der *Gida-Bewegung, in der ausgehend von Dresden zahlreiche Fußballfans organisiert sind. Über allem leuchtet wie ein Stern jedoch die neue Willkommenskultur für Geflüchtete in Vereinen, Fankurven und Verbänden.

Von der Redaktion

Ende des Jahres – Zeit um Bilanz zu ziehen. Für das Engagement gegen Nazis und rechte Ideologien war 2015 ein gutes Jahr. In Sachsen-Anhalt verlor ein Nazi-Club seine Lizenz, die rechten "Hooligans Elbflorenz" aus Dresden wurden als kriminelle Vereinigung verboten, die "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) zerlegten sich selbst, bei den FARE Aktionswochen im Oktober fanden über 2.000 Aktionen gegen Diskriminierung statt und Willkommenskultur für Flüchtlinge wird nicht mehr nur bei Sankt Pauli groß geschrieben. Als Wehrmutstropfen bleiben der anhaltende Mobilisierungserfolg der rassistischen *Gida-Bewegung, das ungestrafte Agieren von Nazi-Hooligans in Bremen und die anhaltende Homophobie im deutschen Fußball, wie die neue Studie von Christoph Rohlwing zu Homosexualität im deutschen Profifußball belegt.

Von HoGeSa zu Pegida

Am 25.Oktober versammelten sich knapp 1.000 Menschen zur Kundgebung "Köln 2.0" um den ersten Geburtstag von HoGeSa zu feiern. Anders als im Jahr zuvor fand sich so ein trauriger Haufen zusammen, dem 20.000 GegendemonstrantInnen die Stirn boten und strenge Versammlungsauflagen das erhoffte Revival vermiesten. Immerhin war Köln anders als der "Tag der Patrioten" in Hamburg, zu dem ebenso zahlreiche rechte Hooligans mobilisierten, nicht verboten worden. Anmelder Dominik Roeseler (Pro NRW) versuchte so auch das Beste aus Kundgebung in Köln zu machen und beschwor einen gemeinsamen Familiengeist – den zahlreiche BesucherInnen der Veranstaltung nicht teilen wollten und versuchten, die Kundgebung vorzeitig zu verlassen. Auch bei Veranstaltungen der Spaltprodukte "Gemeinsam Stark Deutschland" (GSD) und dem inzwischen wieder aufgelösten "Bündnis Deutscher Hooligans" kamen jeweils nur wenige Teilnehmende. Mit gerade einmal 400 Menschen erreichte GSD in Ludwigshafen beim "Jahrestag der überparteilichen Islamkritik" mit dem bekannten Anmelder Dominik Roeseler sein Maximum. Mehr als 1.000 DemonstrantInnen stellten sich dem entgegen.

Es bleibt zu verzeichnen, dass die rechten Hooligans den Schulterschluss mit organisierten Neonazis trotzdem weiter suchen. Lebensgefährlich wurde das für einen Mann aus der Wuppertaler Antifa-Szene, der von zwei HoGeSa-Anhängern mit Messerstichen verletzt wurde, im Krankenhaus aber gerettet werden konnte. Und auch bei den zahlreichen rassistischen *Gida-Bewegungen treffen die Hooligans auf offen Arme. Im Ursprungsort Dresden stellen Fußballfans der Kategorie C weiter einen festen Kernen der montäglichen Märsche, in Leipzig wird Legida aus dem rechtsoffenen Fußballumfeld organisiert. Auch in anderen Städten wie Düsseldorf bleiben gewaltbereite Fußballfans fester Bestandteil rassistischer Demonstrationen. Und in manchen Stadien wird das Klima für antirassistische Fußballfans getragen vom Erfolg der Rechten auf der Straße rauer.

Immerhin fällte im Januar der Bundesgerichtshof mit dem Verbot der rechten "Hooligans Elbflorenz" aus Dresden als kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 ein Präzedenzurteil, nach dem sich einige rechte Hooligangruppen wie "Standarte Bremen" vorsorglich selbst auflösten. Trotzdem können die Sicherheitsorgane die Gruppen für vergangene Straftaten weiter zur Verantwortung ziehen und auch Überwachungsmaßnahmen installieren.

Bremen: Nazi-Hooligans auf freiem Fuß, linker Ultra wieder in U-Haft

Wenig Gebrauch davon scheinen jedoch die Bremer Sicherheitsbehörden zu machen. Im Frühjahr nahmen die Angriffe von Nazis und Hooligans auf linke Werder Fans in der Hansestadt wieder zu. Nach dem Heimspiel gegen den Hamburger SV ereigneten sich regelrechte Jagdszenen, die Polizei reagierte kopflos und trieb die linken Fußballfans schließlich in die Richtung der rechten Hooligans zurück. Vor einer bei Hooligans beliebten Fußballkneipe eskalierte die Situation schließlich in gewalttätigen Auseinandersetzungen. Im Nachgang kam es zu einer Festnahme – gegen einen jungen linken Werder-Fan, der bis 12. November in Untersuchungshaft saß. Und fünf Wochen später wieder festgenommen wurde, obwohl er sich wie sein Anwalt Horst Wesemann schreibt, "penibel an die Auflagen" hielt. Die Staatsanwaltschaft hatte Berufung gegen die Aufhebung der Untersuchungshaft eingelegt. Zu Ermittlungen gegen bekannte rechte Hooligans und Gewalttäter wie "Kategorie C" Sänger Hannes Ostendorf ist bis jetzt nichts bekannt. Diese riefen wiederholt ungehindert mittel Steckbriefen zu Selbstjustiz gegen vermeintliche "Antifa - Ultras - Gewalttäter" wie Fanprojektmitarbeiter Daniel Behm oder Journalistin Andrea Röpke auf.

Flüchtlinge Willkommen heißen

Erfreulich bleibt das Szene- und Liga-übergreifende Engagement für Asylsuchende und gegen Rassismus im deutschen Fußball. Anders als *Gida-Mobilisierungserfolge und rechte Parolen vermuten lassen, sind Fans, Vereine und Verbände ausnehmend solidarisch mit den nach Deutschland Geflohenen. In Potsdam-Babelsberg und München wurden unabhängig voneinander Flüchtlingsteams gegründet, die im laufenden Liga-Betrieb antreten und erfolgreichen spielen. Vereinsübergreifend werden jedes Wochenende Hunderte Eintrittskarten für Asylsuchende zur Verfügung gestellt, die gemeinsam mit dem eingesessenen Fans Spiele beim VfL Bochum, Werder Bremen, Borussia Dortmund, VfB Oldenburg oder Dynamo Dresden besuchen. Während der diesjährigen FARE Aktionswochen setzten die meisten Fanszenen mit ihren Aktionen die Idee von "Refugees Welcome" ganz praktisch um, organisierten Fußballturniere, Kochabende, sammelten Spenden und veranstalteten Benefizkonzerte. In einem Fußball, dessen Teams seit den frühen 1990er Jahren positiv von Migration geprägt sind, ist es für viele Fans einfach eine Selbstverständlichkeit, sich auch Flüchtlingen gegenüber offen zu zeigen. Sogar die Deutschen Fußballverbände DFB und DFL legten gemeinsam mit der Bundesregierung ein finanzstarkes Programm auf, um Asylsuchende Willkommen zu heiße; der DFB erleichtert laufend die Integration in die örtlichen Fußballvereine. Abseits von Korruptionsvorwürfen und einer gekauften WM 2006 ist das Programm jedenfalls auch ein Verdient von Wolfgang Niersbach.

Als die BILD Zeitung ebenfalls auf den Zug aufspringen wollte und eine Willkommens-Kampagne mit den deutschen Profivereinen und der DFL auflegte, erteilten allerdings zahlreiche Vereine und noch mehr Fanszenen eine Absage. Nachdem das Boulevardblatt in den vergangenen Jahren immer wieder mit rassistischen Schlagzeilen eine Stimmung der ganz anderen Art schürte, sollten die 36 Bundesliga-Mannschaften an den Trikotärmeln Badges der durch die BILD gestifteten "Wir helfen" Kampagne tragen. Als erster Club sagte der FC Sankt Pauli die Teilnahme ab – neun Zweitligisten und zwei Erstligisten stellen sich auf die Seite des FCP. Anstatt einer gelungenen BILD-Kampagne prägten an dem Fußballwochenende im September zahlreiche "BILD not welcome" Banner die Stadien und die Fanszenen hielten dazu Transparente hoch, um Flüchtlinge Willkommen zu heißen.

Es wird sich zeigen, wie es im Fußballjahr 2016 weiter geht. In eigener Sache sei noch einmal erwähnt, dass dieses Jahr die erste Broschüre von Fussball-gegen-nazis.de erschien, die das langjährige Engagement gegen Nazis und rechte Ideologie im Fußball zusammenfasst und würdigt. Sie kann hier herunter geladen oder als kostenfreie Printausgabe bestellt werden – solange der Vorrat reicht.

drucken