Mitte März ging Wuppertal als "Hauptstadt des Hasses" durch die Schlagzeilen - Anhänger von HoGeSa schlossen sich einer Pegida-Demonstration an, sprengten diese aber nach kurzer Zeit.
Felix Huesmann

Messerattacke durch rechte Hooligans in Wuppertal

In Wuppertal griffen rechte Hooligans Besucher des Autonomen Zentrums an und verletzten eine Person mit Messerstichen lebensgefährlich. Der Mann liegt weiter im Koma. Die Angreifer sollen im Vorfeld der Attacke mit rechten Parolen und "HoGeSa"-Rufen provoziert haben.

Update 12.05.2015: In einem offenen Brief weisen die Opferberatung Rheinland und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Düsseldorf auf die fragwürdige Arbeit der Polizei im Fall des lebensgefährlichen Angriffs auf einen 53jährigen Mann in der Nähe des Autonomen Zentrums (AZ) Wuppertal hin: „Wir befürchten, dass im Zusammenhang mit der Tat eine Kriminalisierung der Hilfeleistenden im AZ und eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet." Der Brief im Wortlaut am Ende des Artikels.

Von Felix Huesmann, Erstveröffentlichung bei Vice.com

Samstagnacht vor zwei Wochen (11. April), gegen 01Uhr. Drei Männer tauchen vor dem Wuppertaler Autonomen Zentrum auf und provozieren die Besucher mit "HoGeSa"-Sprüchen. Wenig später kommt es zum Angriff: Einer der Männer sticht einem 53-jährigen AZ-Besucher mehrfach in den Rücken und verletzt ihn lebensgefährlich. Selbst zwei Wochen später liegt das Opfer weiter im künstlichen Koma. Nachdem die Täter erst unerkannt fliehen konnten, sitzt einer von ihnen mittlerweile in Untersuchungshaft.

Dazu, was nach dem Angriff geschehen ist, gehen die Darstellungen auseinander. Nachdem der Verletzte in den Räumen des Autonomen Zentrums in Sicherheit gebracht und ein Krankenwagen gerufen wurde, traf auch die Polizei am Tatort ein. Die schreibt wenige Stunden später in einer Pressemitteilung: "Erst durch den Einsatz von Pfefferspray und mittels Schlagstock konnten die Einsatzkräfte den Verletzten zur weiteren ärztlichen Versorgung aus dem Gebäude retten." Mehrere lokale Medien übernehmen diese Version.

Zwei Tage später weist das Autonome Zentrum die Darstellung auf seiner Website zurück. Erste Rettungskräfte hätten direkt mit der Erstversorgung begonnen, die Polizei den Notarzt aber nicht ohne großes Polizeiaufgebot  ins Haus gelassen und seine Hilfe damit verzögert. Weiter heißt es, die Polizei hätte später wahllos mehrere Türen eingetreten, um nach möglichen Tätern zu suchen—dabei habe man den Beamten extra den Schlüsselbund ausgehändigt.

Tatsächlich liest sich die Pressemitteilung der Wuppertaler Polizei ein wenig so, als seien die AZ-Besucher selbst die Täter. Wie es von der Staatsanwaltschaft heißt, wurden alle zunächst als Beschuldigte vernommen. Die Wuppertaler Polizei will sich dazu nicht äußern und verweist auf die Staatsanwaltschaft. Genaue Angaben dazu, was nach dem Notruf passiert ist, kann oder will man aber auch hier nicht machen.

Wer sind die Täter?

Nach dem Angriff waren die drei Täter zuerst unerkannt geflohen. Die Polizei fand wenig später in der Nähe des Autonomen Zentrums einen 25-jährigen mit mehreren Schnittverletzungen und brachte ihn ins Krankenhaus. Woher die Verletzungen stammen, ist unklar. Der Mann stritt zunächst ab, in den Angriff verwickelt gewesen zu sein, sitzt jedoch mittlerweile in Untersuchungshaft. Zeugen hatten ihn beschrieben und an der später gefundenen Tatwaffe fand das LKA sein Blut. Auch die beiden anderen mutmaßlichen Täter sind mittlerweile ermittelt. "Gegen die liegt aber kein dringender Tatverdacht vor", sagt die Wuppertaler Staatsanwältin Monika Olschak. Deshalb sind die Männer weiterhin auf freiem Fuß.

Der 25-jährige Messerstecher gab seine Tat inzwischen zu, versucht aber, sie als Notwehr darzustellen. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Zu den genauen Geschehnissen will die Staatsanwältin hält sich die Staatsanwaltschaft bedeckt und verweist auf die laufenden Ermittlungen. Die zwei anderen Tatverdächtigen sagen nichts - das Opfer des Angriffs liegt weiterhin in einem künstlichen Koma und kann nicht befragt werden.

Täter ist durch rechte Straftaten bekannt

Klar ist aber: Der 25-jährige mutmaßliche Täter ist laut Staatsanwaltschaft auch vorher schon durch rechte Straftaten aufgefallen. Äußerungen von Neonazis auf Facebook scheinen nahezulegen, dass es sich dabei um den Wuppertaler Patrick P. handelt.

Schon zwei Tage nach dem Angriff schrieb der Oberhausener Neonazi Mario L. auf seiner Facebook-Seite und der lokalen Seite der Neonazipartei "Die Rechte" unter der Überschrift "Kurze Klarstellung zum Vorfall in Wuppertal Samstag Abend": "Erstmal gute Besserung an Patrick P. Einer meiner besten Kumpels!" Außerdem, so Leisering, sei das keine HoGeSa-Aktion gewesen: "[...] und nur mit drei Leute gezielt im AZ Wuppertal auftauchen? Sorry dann wären es mindestens 100 von uns gewesen!" Das klingt wie eine Fantasie des rechtsradikalen Hooligans, der sich scheinbar mit größeren Angriffsversuchen auf linke Veranstaltungen auskennt.

Schon im März hatten vier Hooligans nach der Pegida-Demonstration in der Stadt vor dem Autonomen Zentrum gepöbelt, mit Flaschen geworfen und wurden von der Polizei festgenommen.

Rechte Gewalt: In Wuppertal nichts Neues

Der Angriff war vielleicht der bislang krasseste, aber längst nicht der erste Fall von rechter Gewalt in Wuppertal. Es gibt in der Stadt eine aktive Neonazi-Szene, die sich mittlerweile wie auch in Dortmund in der Partei "Die Rechte" organisiert, seit Jahren häufen sich gewalttätige Überfälle. Zwei Tiefpunkte aus einer langen Liste: 2010 hatten 15-20 Neonazis die Premiere eines Dokumentarfilms über die rechte Szene in Wuppertal angegriffen und die Besucher unter anderem mit Pfefferspray attackiert. 2011 griffen Neonazis linke Besucher eines Flohmarktes an. Dabei prügelten sie unter anderem mit Schlagstöcken und Fahnenstangen auf die Köpfe ihrer Opfer ein.

Für die Betreiber des Autonomen Zentrums ist aber nicht nur die rechte Gewalt in Wuppertal ein Skandal. Sie werfen besonders Polizei und Staatsanwaltschaft vor, die rechte Gewalt immer wieder zu verharmlosen. Die Polizei wollte sich zu den Vorwürfen auch auf Anfrage nicht äußern.

 

Vice.com berichtete auch mit diesem Video von der HoGeSa-Demonstration in Köln 2014:

Das nächste Ziel der Hooligans wird übrigens Erfurt sein. Am 2.Mai kündigt die HoGeSa-Abspaltung "Gemeinsam stark Deutschland e.V." eine Demonstration in der Thüringer Landeshauptstadt an. Dagegen mobilisiert das Bündnis "Platzverweis". Weitere Infos bei Noway. Und via Twitter up to date bleiben: @platzverweisEF Hashtag #nowayEF

Update 12.05.2015

In einem offenen Brief an die Wuppertaler Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher kritisieren die "Opferberatung Rheinland" und die "Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW" die öffentlichen Aussagen der Ermittler nach der Messerattacke am Autonomen Zentrum. Der Brief im Wortlaut:

"Sehr geehrte Frau Polizeipräsidentin Radermacher,

schockiert haben wir aus der Presse von dem lebensgefährlichen Messerangriff in der Nacht zum 11.04.2015 auf einen 53-jährigen Mann nahe dem Autonomen Zentrum (AZ) Wuppertal erfahren.

Wir wenden uns an Sie als Opferberatung Rheinland und als Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Düsseldorf. Wir beraten im Auftrag der Landes- und Bundesregierung Betroffene rechter Gewalt und setzen uns mit den Themen extreme Rechte und Rassismus auseinander. Die Stadt Wuppertal stellt für uns, nicht zuletzt aufgrund der virulenten und gewalttätigen rechten Szene, ein kontinuierliches Tätigkeitsfeld dar.

Wir sind im höchsten Maße von der öffentlichen Darstellung der Polizei Wuppertal in diesem Fall irritiert: In der Pressemitteilung der Polizei vom 11.04.2015 wurde suggeriert, dass die Tat im AZ stattgefunden habe und Angehörige der linken Szene zum Täterspektrum gehören. So konzentrierten sich erste Ermittlungen und die Feststellung von Tatverdächtigen auf das AZ. Des Weiteren wurde behauptet, dass Polizeibeamte und Rettungskräfte von "Angehörigen der linken Szene" angegriffen wurden und der Verletzte "erst durch den Einsatz von Pfefferspray und mittels Schlagstock" hätte gerettet werden können. In nachfolgenden Äußerungen der Polizeipressestelle erfolgten dann widersprüchliche Aussagen zum Ablauf des Einsatzes in der Tatnacht.

In Erklärungen des AZ´s vom 13.04.2015 und 24.04.2015 wurde der Darstellung der Polizei deutlich widersprochen und die Vorgänge in der Tatnacht detailliert und mit Hinweisen zu mutmaßlichen Tätern aus dem rechten Spektrum beschrieben. Auf Anfrage eines Medienvertreters äußerte sich nun die Staatsanwaltschaft Wuppertal, dass es drei Tatverdächtige gibt, von denen sich einer in Untersuchungshaft befindet, geständig ist und durch rechte Straftaten bereits in Erscheinung trat. Diese Informationen bestätigen die Aussagen des AZ's.

Wir fragen uns, warum die Polizei Wuppertal die Ermittlungserkenntnisse nie öffentlich machte und die mehr als irreführende Pressemitteilung vom 11.04.2015 nicht korrigierte. Wir befürchten, dass im Zusammenhang mit der Tat eine Kriminalisierung der Hilfeleistenden im AZ und eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet. Auch mit Blick auf die schweren Ermittlungsdefizite bei der Aufklärung der rechten Gewalttaten vom 25.09.2011 (Vohwinkler Nachtflohmarkt) und vom 30.11.2010 (Filmvorführung Cinemaxx) appellieren wir an Sie, Ersthelfer_innen und Zeug_innen nicht als mögliche Täter_innen zu stigmatisieren und einen maximalen Opfer- und Zeugenschutz zu gewährleisten.

Wir weisen mit Nachdruck darauf hin, dass diese Tat nicht als eine "Rechts-Links-Auseinandersetzung" dargestellt und behandelt werden darf, sondern als Mordversuch. An dieser Stelle fragen wir uns, inwiefern die Ermittlungen auch einer möglichen rassistischen Tatmotivation nachgehen.

In Anbetracht der Tatsache, dass zwei der Tatverdächtigen sich momentan auf freiem Fuß befinden, stellt sich uns die dringende Frage, ob und wie der Zeugen- und Betroffenenschutz vor möglichen Bedrohungen und Einschüchterungen gewährleistet ist.

Mit freundlichen Grüßen

Birgit Rheims und Julian Muckel (Opferberatung Rheinland - Beratung und Unterstützung für Betroffene rechtsextremer und rassistischer Gewalt)

Nina Bramkamp und Marat Trusov (Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW - Regierungsbezirk Düsseldorf)"

 

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