Auch die Ultras beim SV Werder Bremen sind politisch aktiv. Aus der Bremer Fanszene entstand die AG Antidiskriminierung, die u.a. Choreografien gegen Formen der Diskriminierung im Fußball durchführte.
Antidiskriminierungs-AG Bremen

Sind Ultras rechtsextrem?

Sie sind oft prägend für die Stimmung in den Fußballstadien: die Ultras. Viele verwechseln sie mit Hooligans und rechtsextremen Schlägern. Doch das Verhältnis der Ultras zu politischen Fragen ist komplizierter, die Ultrakultur gibt keine politische Ausrichtung vor.

Von Jonas Gabler

Seit den 1990er-Jahren ist der Einfluss der Ultrakultur, die Jahrzehnte zuvor in Italien entstand, auf die deutsche Fankultur stetig gewachsen. Dieser Einfluss bedeutet in vielen Punkten grundlegende Veränderungen, insbesondere was die Ausdrucksformen betrifft: Die Koordinierung der Gesänge durch ein Megaphon und der verstärkte Einsatz optischer Mittel wie selbstgemalte Fahnen und Doppelhalter (ein Spruchband, Transparent oder Banner mit zwei Haltestangen), aufwendige Choreographien und auch Pyrotechnik. Diese Fokussierung auf den Support, sowohl was die Gestaltung als auch den Anspruch auf Beteiligung möglichst der gesamten Fankurve betrifft, bedeutet aber auch einen Wandel in der Organisation von Fankultur.

Ultragruppen sind größer, besser organisiert, betreiben eine offensivere Kommunikation in der (aktiven) Fanszene (über reale und virtuelle Publikationen bzw. Foren) und verfügen über bessere Strukturen als die meisten Fanclubs oder Hooligangruppen in der Vergangenheit. Dank des Megaphons verfügen sie fast überall de facto über ein Stimmungsmonopol in der Fankurve.

Das Fanmodell Ultra

All dies charakterisiert das Fanmodell Ultra und verdeutlicht zugleich, wie prägend die Ultrakultur für die Stimmung in den Stadien ist, völlig unabhängig davon, welche politischen Anschauungen von den jeweiligen Gruppen vertreten werden. Diesbezüglich gibt es in Deutschland große Unterschiede von Ort zu Ort.

Insgesamt stellt sich die Situation in Bezug auf Rassismus und Rechtsradikalismus besser dar, als noch vor 20 bis 30 Jahren, der Zeit vor den Ultras. In den 1980er- und 1990er-Jahren waren viele Fankurven rechts dominiert. Fußballfankultur war damals noch stärker als heute durch Vorstellungen traditioneller Männlichkeit – wie Stärke, Dominanz, Ehre und Kampf – geprägt. Das Freund-Feind-Schema, nach dem der Gegner samt Fans pauschal abgewertet wird, prägte damals wie heute die Fußballfankultur. Zudem hatte sich eine Mehrheitsnorm entwickelt und verfestigt, nach der ein Fan autochthon (aus der jeweiligen Stadt/Region stammend), weiß, männlich und heterosexuell zu sein hat.

Das führte dazu, dass jede Beschimpfung oder Erniedrigung als legitim erschien, die auf vermeintliche oder tatsächliche Abweichungen von dieser Norm abzielt. Rassismus, Nationalismus, Sexismus und Homophobie waren in den Stadien omnipräsent. Zugleich gab es damals von Verbänden und Vereinen kein ernsthaftes Interesse, daran etwas zu ändern. Dies änderte sich erst in den 1990er-Jahren, zeitgleich mit dem zunächst schleichenden Einzug der Ultrakultur.

Die damals entstehenden Ultragruppierungen trugen zu einer Veränderung in der Ausrichtung und Zusammensetzung der aktiven Fanszene bei, unter anderem, indem sie beim Streben nach Dominanz gegenüber dem Gegner den Fokus stärker auf gestalterische, literarische (Spruchbänder) und organisatorische Aktivitäten richtete. Die zuvor eindimensional an physischer Dominanz und Stärke orientierte Fankultur wurde durch die Ultras facettenreicher und zog mutmaßlich ein politisch und sozial vielfältigeres Publikum an.

"Keine-Politik-im-Stadion"-Haltung

Die Ultras etablierten zudem eine Praxis der Zurückhaltung in Bezug auf politische Äußerungen. Dies diente der Vermeidung von Konflikten sowohl innerhalb der Gruppe als auch mit dem Rest der Fanszene. Zugleich trug diese Haltung vielerorts dazu bei, dass Ultragruppen eine mögliche erste Anlaufstelle für antirassistisch orientierte jugendliche Fußballinteressierte boten, die sich zuvor kaum ins Stadion gewagt hätten. Diese "Keine-Politik-im-Stadion"-Haltung führte andererseits auch dazu, dass antirassistisches Engagement als zu politisch oder vielmehr als zu "links" abgelehnt wurde und teilweise noch wird.

Dennoch hat sich bis heute bei der ganz überwiegenden Zahl der Ultraszenen der Konsens durchgesetzt, dass insbesondere rechtsradikale und rassistische Äußerungsformen weder unterstützt noch geduldet werden. Rassistische Gesänge oder deutlich sichtbare rechtsradikale Symbole sind in diesen Kurven heute höchst selten. Diese Gruppen verstehen sich höchstens insoweit als politisch, dass sie sich für "fanpolitische" Themen engagieren.

Über zwei Dutzend Ultra-Gruppierungen engagieren sich aber sogar offen antirassistisch (u.a. in Form von Aufklärungs-, Kampagnen- und Betroffenenarbeit) und bekennen sich deutlicher zu einer politischen Haltung. Viele von diesen Gruppen verstehen sich tatsächlich als anti-diskriminatorisch, wenden sich also auch gegen die nach wie vor (auch teilweise unter Ultras) sehr präsenten Formen sexistischer und homophober Diskriminierung.

Hinweise auf rechtsoffene bis neonazistische Ultragruppierungen finden sich zwar deutlich seltener. In der Vergangenheit wurden insbesondere die Ultras des brandenburgischen Landesligisten 1. FC Frankfurt (vormals Frankfurter FC Viktoria) und die "NS-Boys" aus Chemnitz als Beispiele vor allem aus unteren Ligen angeführt. Gerade in jüngerer Zeit scheint das Thema jedoch unter anderem auch in höheren Ligen wieder an Bedeutung zu gewinnen, wie Beispiele aus Aachen ("Karlsbande"), Dortmund (u.a. "Desperados") und Cottbus ("Inferno Cottbus" und "Collettivo Bianco Rosso") andeuten. Daneben gibt es einige Gruppen, die sich zwar nach außen neutral geben und möglicherweise auch politisch heterogen zusammengesetzt sind, aber immer wieder durch rassistisches Verhalten aufgefallen sind, wie es in der Vergangenheit etwa der Saalefront (Halle) vorgeworfen wurde.

Die Ultrakultur bedeutete für die Entwicklung der Fußballfankultur viele Veränderungen, steht aber in vielen Punkten dennoch in deren Tradition: Machtdemonstration, Dominanz, Stärke, hierarchisches Denken, Traditionsbewusstsein, überschäumender Lokalpatriotismus und Freund-Feind-Denken, prägen die Ultrakultur genauso wie ihre Vorgänger und bieten an einigen Punkten durchaus Anschlussmöglichkeiten für rechte Ideologie.

Auf der anderen Seite steht Fankultur immer auch für einen gewissen Zusammenhalt und Solidarität innerhalb der eigenen Fanszene – häufiger als man denkt völlig unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, (sozialer) Herkunft, Religion, Bildung und sexueller Ausrichtung. Bei Ultras ist dies besonders stark ausgeprägt. Auch die Basisorientierung bei Entscheidungen spielt bei ihnen eine große Rolle und steht damit im Konflikt zu ihren sonst häufig hierarchischen Vorstellungen.

In den letzten Jahren ist zudem zu beobachten, dass bei den Ultras die Kritik an dem auf Ökonomisierung gerichteten Wandel des Fußballs eine immer größere Rolle spielt. Damit einher geht die zunehmende (in Teilen aber eher oberflächliche) Übernahme von konsum- und kapitalismuskritischen Positionen. Daneben führt das breite Spektrum an Kontrolle und Repression, das gegenüber Fußballfans zur Anwendung kommt, zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld Freiheitsrechte und deren Beschneidung im Dienste der Sicherheit.

Fazit

Es lässt sich festhalten: Die Ultrakultur als Fanmodell gibt zunächst keine politische Ausrichtung vor, es finden sich sowohl Anschlussmöglichkeiten für menschenfeindliche Ideologien der Diskriminierung, wie auch für solidarische und egalitäre Weltanschauungen. In Deutschland hat sich eine Szene entwickelt, die in erster Linie eine Vereinnahmung durch politische Parteien und Gruppierungen kategorisch ablehnt. Viele Ultragruppen vertreten aber bei diversen Themen eher linke bis linksliberale Positionen und verhalten sich in aller Regel nicht rassistisch.

Beispiele aus der Vergangenheit und der Gegenwart zeigen aber, dass dies kein Automatismus ist. Die stilistische Modernisierung der rechten Szene, wie sie beispielsweise von den Autonomen Nationalisten betrieben wird, bedeutet vom Auftreten eine Annäherung an die Ultras. Ob dadurch tatsächlich Anschlussmöglichkeiten geschaffen werden, hängt nicht nur von den Ultras selber, sondern auch vom Umgang mit ihnen ab. Die oftmals unverhältnismäßige Repression und die teilweise öffentliche Diffamierung, der sie ausgesetzt sind, treibt sie zunehmend in die Isolation und mittelfristig vielleicht in die Radikalisierung. Der Hass auf den Staat und die Polizei wird immer größer. Und (national gefärbte) Systemkritik und Hass auf die Polizei sind auch zwei zentrale Merkmale der "Autonomen Nationalisten". Für die Mehrheit der Ultras in Deutschland stehen aber der enge Zusammenhalt, die Solidarität, der Erhalt von Freiräumen und die Kreativität im Vordergrund.

Der Politikwissenschaftler Jonas Gabler veröffentlichte 2009 das Buch "Ultrakulturen und Rechtsextremismus. Fußballfans in Deutschland und Italien" und 2010 "Die Ultras. Fußballfans und Fußballkulturen in Deutschland" (die 5., erweiterte Auflage erscheint im November 2012), beide im PapyRossa-Verlag. Er ist Mitarbeiter in der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit (KoFaS) an der Leibniz-Universität Hannover.

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