Deutsche Hooligans 2006 bei einem EM-Qualifikationsspiel der deutschen Nationalmannschaft in Bratislava. Unter ihnen auch einige Hooligans von Lokomotive Leipzig.
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Leipziger Fußball: Bei Lok nur rechts außen? - Teil 1

„Wir sind die Krieger - wir sind die Fans - Lokomotive Hooligans“ - dieser Sprechchor ist in der Vergangenheit des Öfteren bei Spielen des 1. FC Lokomotive Leipzig zu hören gewesen. Der Ruf des Vereins ist schon seit Jahren beschädigt, da sich im Umfeld des Vereins immer wieder bekennende Rechtsextreme umtreiben. Der Sport wird oftmals vom Geschehen abseits des Rasens überschattet. Teil 1 einer Serie über Fußball, Hooligans und Fankultur in Leipzig. 

Von Christian Freitag

In den 1970er und 1980er Jahren zählte der 1. FC Lokomotive Leipzig  zu den erfolgreichsten Vereinen der DDR-Oberliga und mit insgesamt 77 Europapokalspielen zu den bekanntesten DDR-Fußballclubs in Europa. Aber die Bestandsaufnahme ist eine ganz andere - ein ausverkauftes Stadion und Spiele gegen europäische Spitzenmannschaften sind längst Vergangenheit. Der „inoffizielle“ Nachfolgeverein des „ersten deutschen Fußballmeisters“, VFB Leipzig, spielt mittlerweile in der Regionalliga Nordost. Heute heißen die Gegner nicht mehr FC Barcelona, AC Mailand oder Ajax Amsterdam, sondern FSV Budissa Bautzen, ZFC Meuselwitz oder Wacker Nordhausen. Der Leipziger Traditionsverein ist nach mehreren Insolvenzverfahren und dem Abrutschen in die sportliche Bedeutungslosigkeit wieder auf dem Weg der Konsolidierung.

Der Verein hatte aber die letzten Jahre nicht nur sportliche Probleme, sondern hatte immer wieder  mit den Verfehlungen vieler seiner Anhänger_innen zu kämpfen. Denn rund um den Verein bildeten sich neonazistisch ausgerichtete Gruppierungen, die den Verein als Bühne missbrauchten, um ihre politischen Ansichten zu verbreiten und ihre Leidenschaft für Gewalt auszuleben. Das Problem starker und gewaltsam auftretender rechter Fans beim 1. FC Lokomotive Leipzig ist seit Jahren hinlänglich bekannt und wurde in unregelmäßigen Abständen durch Aktionen, Spruchbänder, Zaunfahnen und Übergriffe bestätigt.

 

Fußballstandort Leipzig

Der 1. FC Lok Leipzig kommt aus dem Stadtteil Probstheida, trägt die Farben blau-gelb und war zu DDR-Zeiten der Verein der Parteibonzen. Sein traditioneller lokaler Gegenpart ist der Verein FC Sachsen aus dem Stadtteil Leutzsch, ein Arbeiterverein in grün-weiß, bekannt auch unter dem Namen BSG Chemie.Mittlerweile ist neben den zwei Traditionsmannschaften der Stadt ein dritter „großer“ Verein in Leipzig beheimatet. Der aktuelle Vize-Meister der höchsten deutschen Spielklasse ist zugleich der sportlich erfolgreichste der drei genannten Vereine. Das Konstrukt wurde erst 2009 auf Initiative der Red Bull GmbH gegründet. RB Leipzig ist vielleicht auf sportlicher Ebene der „attraktivste“ Verein der Stadt, doch die Traditionsvereine Chemie und Lok Leipzig sind für viele Leipziger_innen weiterhin eine Herzensangelegenheit und für diese aus dem Stadtbild nicht wegzudenken.

 

Neustart der Traditionsvereine

Der legitime Nachfolger der in der DDR bestehenden BSG Chemie Leipzig spielt mittlerweile wieder in der Regionalliga Nordost. Die „neue“ BSG Chemie Leipzig wurde am 16. Juli 1997 von Anhänger_innen des FC Sachsen Leipzig als Ballsportfördergemeinschaft Chemie Leipzig zum Schutz des Namens und der Marke „BSG Chemie Leipzig“ sowie zur Förderung des FC Sachsen Leipzig gegründet. 2008 nahm der Verein erstmals mit einer Herren-Fußballmannschaft in der 3. Kreisklasse am Spielbetrieb des DFB teil.  

Ähnlich verlief die Geschichte auch für Lok, das sich nach der Wende VfB Leipzig nannte. Mittlerweile hat der Verein zwei Insolvenzen hinter sich, wobei die zweite Insolvenz den Verein besonders schlimm traf und 2004 zur Auflösung führte. Doch einige Fans, darunter der damalige Fanbeauftragte des VfB Leipzig sowie bekennende Ex-Hooligan Steffen Kubald hauchten dem einstigen Europapokalfinalsten und viermaligen DDR-Meister neues Leben ein (bereits Ende 2003). Die „Loksche“ startete – wie später auch der Lokalrivale - in der untersten Liga, der Elften Liga (3. Kreisklasse Leipzig). (Vgl. Geschichte 1. FC Lokomotive Leipzig) Während die Nachwuchsmannschaften des VfB und die Frauenmannschaften in ihren Spielklassen verbleiben konnten, musste die Männermannschaft ihren Spielbetrieb in der niedrigsten Liga aufnehmen. Doch Lokomotive Leipzig stieg – auch aufgrund einer Fusion zweier Bezirksklassen-Vertreter und dem frei gewordenen Platz in der höheren Spielklasse – im Schnellzugtempo zurück in die Oberliga auf. Sportlich etablierte sich zwar der Club in der NOFV-Oberliga Süd, konnte den gleichsam selbst gestellten höheren Erwartungen und Ansprüchen aber nicht gerecht werden. Sportlich wie strukturell stagnierten die Blau-Gelben zusehends.

 

Das Problem mit dem Image

Fußball und Nazi-Szene gehören in der Region Leipzig schon seit langem zusammen. Das hat aber nicht immer nur mit dem 1. FC Lokomotive zu tun. „Zyklon B dem BFC“-Gesänge konnte man bereits bei Spielen der beiden Leipziger Vereine zu DDR-Zeiten hören. „Aber während Hass-Parolen gegen den als Stasi-Club verpönten Berliner Verein BFC Dynamo damals vielleicht noch als Regimekritik interpretiert werden konnten, outeten sich Nazis nach der Wende im Stadion immer offener“, schreibt Arthur Leone. Während sich die Rechten innerhalb der Lok-Fanszene etablieren konnten, entwickelte sich beim Stadtrivalen FC Sachsen Leipzig bzw. Chemie Leipzig* mit einer linkspolitischen Ultraszene ein Gegenpart. (vgl. Jungle World)

*Die Vereine FC Sachsen Leipzig und BSG Chemie Leipzig werden im weiteren Verlauf  der Einfachheit halber synonym verwendet.

 

Brauner Gründer, braunes Image

Das Lokomotive Leipzig seit dem Neustart dieses Image anlastete, lag nicht nur daran, dass mit Nils Larisch ein Neonazi am Tisch der Gründer saß, der auch noch lange Zeit den Fanartikelverkauf organisierte. Bereits das Stadtderby 2002 zwischen FC Sachsen gegen VfB Leipzig demonstrierte, dass sich einige Rechtsextreme unter den Fans des VfB über Jahre hinweg eingenistet hatten. So entrollten sie beispielsweise ein Banner mit der Aufschrift „Rudolf Heß—Bei LOK rechts außen" oder auch „Wir sind Lokisten – Mörder und Faschisten“. Die Vorzeichen bei der (Neu)gründung des Vereins waren somit klar. Der Neustart führte dazu, dass sich auch die Fangruppierungen neu positionieren konnten. Dass der Verein in der sportlichen Belanglosigkeit verschwand, bedeutete aber auch zugleich politische Entfaltung sowie Rekrutierung fernab der breiten Öffentlichkeit. (vgl. taz)

 

Spruchbänder der Gästefans im Derby: "Rudol Heß - Bei Lok rechts außen" oder auch "Wir sind Lokisten, Mörder und Faschisten". Quelle: Screenshot YouTube
 

Langjährige Ignoranz, aber auch Sympathien für die Nazis

Die Fanszene konnte sich in den Anfangsjahren ungestört radikalisieren. Die Rechten schafften es, sich im und außerhalb des Bruno-Plache-Stadions zu etablieren und auszubreiten. Der Verein hat das Problem von Rechts meist ignoriert und auf das “Prinzip Hoffnung” gesetzt. Mitte der 90er Jahre kam die Ultrabewegung nach Deutschland. Auch in Leipzig entstanden Anfang der 2000er mit dem „Scenario Lok“ sowie Ultras Lok Leipzig, Blue Side und zuletzt den Blue Caps vermeintliche Ultra-Gruppen (vgl. chronik.LE). Im Laufe der Zeit zeigte der Einfluss älterer Neonazis und „Nazi-Hools“ bei Scenario, Ultras Lok Leipzig und Blue Caps Wirkung. Während die Mitglieder der Blue Side sich mehr auf die „Ultra-typischen-Werte“ konzentrierten, „verlegten sich Scenario, die Ultras Lok Leipzig und die Blue Caps zunehmend auf hooligantypische körperliche Auseinandersetzungen abseits des Stadions. Dieses "Selbstverständnis" hat sich bis heute gehalten“. (Artikel auf Belltower.News: Sind Ultras Rechtsextrem?) Die Beziehungen zur lokalen NPD wurden zeitgleich verfestigt und gemäßigtere Fangruppierungen aus den Zuschauerrängen gedrängt. Enrico Böhm, Mitglied der Blue Caps LE und später Vertreter der Leipziger NPD im Stadtrat, leitete zusammen mit Gründungsmitglied Nils Larisch das NPD-Zentrum in der Leipziger Odermannstraße.

Die Nazis wurden aber lange Zeit vom Verein nicht als Problem angesehen und so wurde auch nicht gegen sie vorgegangen. Ob es fehlendes Problembewusstsein war oder zu große Angst davor, auf Einnahmen zu verzichten - der Verein erschien so handlungsunfähig und –willig. In der Konsequenz rissen die Skandale nicht ab, die Lok im Zusammenhang mit Nazi-Überfällen und Propaganda-Aktionen in die Presse brachten. Beispielsweise formten 2006 rund 30 Lok-Anhänger_innen bei einem A-Jugend-Spiel gegen Chemie Leipzig ein menschliches Hakenkreuz auf der Tribüne. Der Ex-Hooligan und damaliger 1. Vorsitzender des Vereins Steffen Kubald wiegelte die Aktion in einem Interview ab: „Die wollten das Präsidium ärgern. Und nur mit viel Fantasie ist da ein Hakenkreuz zu erkennen.“ Erst ziemlich spät und auf öffentlichen Druck hin sah der Club ein, wie sehr der Ruf, ein Nazi-Verein zu sein, ihm schadete. (vgl. FAZJungle World)

 

Beim einem A-Jugend Spiel formen rund 30 Lok-Anhänger_innen ein menschliches Hakenkreuz. Quelle: Screenshot YouTube

 

Blue Caps LE und Scenario Lok

Im Zusammenhang mit den Skandalen standen vor allem die Fangruppierungen Blue Caps LE und Scenario Lok (SL). Die Blue Caps wurden vor allem durch Enrico Böhm angeleitet und „warben für Aufmärsche der Nazi-Gruppierung „Freies Netz“, traten als Saalschutz für NPD-Veranstaltungen auf und einige ihrer Mitglieder sitzen wegen diverser Körperverletzungsdelikte gegen Chemie-Fans, Linke oder Polizisten im Gefängnis“ (Jungle World 37/2008 / chronik LE). Trotz der offensichtlichen neonazistischen Schnittmengen zu NPD und Jungen Nationaldemokraten gingen die Gruppierungen im damaligen Fanprojekt ein und aus. Ein Foto zeigt Gruppenmitglieder mit einer „Ultras Lok“-Zaunfahne vor dem Fanprojekt, in den Farben schwarz-weiß-rot, mit dem Namen sowie dem Schriftzug „Nationaler Widerstand“.

2007 wurden nach antisemitischen Sprechchören und schweren Ausschreitungen bei einem Pokalspiel gegen die Zweitvertretung von Erzgebirge Aue schließlich die überregionalen Medien auf das Problem aufmerksam (vgl. YouTube). Rechtsextreme Anhänger jagten Polizist_innen durch die Straßen, demolierten 21 Einsatzwagen, verletzten 39 Polizist_innen und verursachten einen Sachschaden von ungefähr 70.000€. Im Dezember desselben Jahres überfielen Lok-Hooligans die Weihnachtsfeier der antirassistischen Ultra-Gruppe „Diablos Leutsch“ von Chemie Leipzig. 40-50 Vermummte stürmten die Kneipe „Sachsenstube“ und „hielten dem Thekenpersonal und einzelnen Gästen Gaspistolen an die Schläfe“. (vgl. SpiegelFocus)

 

 

10 Jahre später wird der Überfall auf die Weinachtsfeier der antirassistischen Ultra-Gruppe "Diablos" von Facebook Nutzer_innen als "schöner Tag" bezeichnet. Quelle: Screenshot Facebook

 

Mit der Zeit rückten die Fangruppierungen „aufgrund rechtsextremistischer Tendenzen“ in den Fokus des Verfassungsschutzes (vgl. Leipziger Volkszeitung). Der öffentliche Druck zwang den Verein zum Handeln. Dem Vorstand gefielen die politischen Aktivitäten von Nils Larisch nun nicht mehr. Also warf man ihn kurzerhand hinaus und erteilte ihm ein Stadionverbot. Doch die Gruppen Blue Caps und Scenario bestanden weiterhin als Sammelbecken für gewaltbereite männliche Jugendliche, deren rechtsradikale Überzeugung dort weiter verfestigt wurde. Die Gruppe Blue Caps LE wurde erst 2008 aus dem Fanprojekt und dem Stadion ausgeschlossen – zu eindeutig waren die Schnittmengen zu den Jungen Nationalisten und der NPD geworden. Durch den Ausschluss aus dem Fanprojekt und den Hausverboten für das Stadion waren die Gruppierungen für das erste in ihrem Tun stark eingeschränkt.

 
 
 
 

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