Am Tag der rassistischen Großdemonstration in Warschau fanden sich auch 1.000 Menschen zu einer Gegenkundgebung zusammen.
Jan Tölva

Fußball in Polen – Nazis auf den Rängen Teil 2

Während Rechte sich in den deutschen Fankurven häufig im Versteckspiel üben, machen Ultras in Polen meist keinerlei Hehl daraus, dass sie Rassist_innen und Nationalist_innen sind. Offensichtlich wurde das bei einer Warschau-GIDA mit 10.000 Teilnehmer_innen im September. Teil 2 einer Serie über Fußball und Fankultur in Polen.

Von Jan Tölva

Im September demonstrierten bis zu 10.000 Menschen bei einem Marsch durch die Warschauer Innenstadt gegen eine vermeintliche Islamisierung Polens und die Aufnahme von Asylsuchenden. Mit von der Partie waren zahlreiche Fußballfans. Eine stationäre Kundgebung für Geflüchtete zwei Blocks weiter, zu der zahlreiche Gruppen und auch die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza aufgerufen hatten, brachte nur 1.000 Menschen auf die Straße. Wer sich auf Sichtweite an die nur von lockeren Polizeiketten begleitete Demonstration der Rassist_innen und Nationalist_innen heranwagte, konnte leicht das Gefühl bekommen, beim Fußball zu sein. Offenkundig stammte ein großer Teil der Demonstrierenden aus der Fußballszene, was seinen Ausdruck nicht nur in Böllerwürfen und Bengalos fand, sondern auch darin, dass vieles von dem, was gerufen wurde, in Rhythmus und Melodie direkt aus dem Repertoire der Ultrakultur übernommen wurde.

Für polnische Augen war das, was sich am 12. September auf den Straßen Warschaus abspielte, ein gewohnter Anblick, ähnelte es doch sehr dem Schauspiel, das sich jedes Jahr am 11. November beim ebenfalls unter anderem vom National-Radikalen Lager ONR organisierten „Marsch der Unabhängigkeit“ bietet. Auch bei den Aufmärschen im November sind Fußballfans zahlreich vertreten. Nicht selten kommt es zu gewalttätigen Übergriffen, denen Antifaschist_innen meist wenig entgegenzusetzen haben, weil sie sowohl zahlenmäßig, als auch was die Bereitschaft zu exzessiver Gewalt angeht, häufig weit unterlegen sind.

Polnische Fankurven sind extrem nah an der organisierten Rechten

Das gilt auch und insbesondere für die Nähe zur organisierten extremen Rechten. So wie in Deutschland Neonazis ab den frühen 1980ern bewusst in Fußballstadien gingen, um dort Anhänger_innen zu rekrutieren und damit oft großen Erfolg hatten, sind auch in polnischen Stadien Neonazis und andere extreme Rechte sehr präsent. Es gibt jedoch einen zentralen Unterschied. Während in Deutschland die Abzeichen extrem rechter Parteien wie der DVU oder der FAP früher teilweise ganz offen getragen wurden, sind Parteisymbole in polnischen Kurven äußert selten.

Nichtsdestoweniger gibt es auch dort Berührungspunkte. So wurde in mehreren Kurven, unter anderem bei Legia Warszawa und bei Lechia Gdańsk, auf Spruchbändern für eine rassistische Demonstration am 12. September in Warszawa mobilisiert, die sich gegen Geflüchtete richtete. Aufgerufen zu der Demonstration unter dem Motto „Polacy Przeciw Imigrantom“ („Polen gegen Immigranten“) hatte in erster Linie die Gruppe Obóz Narodowo-Radykalny (ONR, National-Radikales Lager), die mit ihrem Namen und ihrer Symbolik ganz offen auf eine faschistische Partei im Polen der 1930er Jahre Bezug nimmt.

Angst vor dem Islam – obwohl der schon seit dem 13. Jahrhundert zu Polen gehört

Dem allgemeinen Tenor in der europäischen Rechten folgend richtete sich der Aufmarsch am 12. September nicht nur gegen Geflüchtete, sondern auch gegen eine vermeintliche „Islamisierung Polens“. Ähnlich wie in Deutschland bei Hogesa scheint dieses Thema auch bei polnischen Fußballfans großen Widerhall zu finden. So richteten sich nicht nur Lech und Legia, als sie für die Demonstration mobilisierten, explizit gegen den Islam. Zur gleichen Zeit präsentierten auch andere Fankurven, etwa bei Polonia Bytom oder ŁKS Łódź Banner, die das Thema aufgriffen.

Wie grotesk die Furcht vor einer möglichen „Islamisierung“ ist zeigt schon ein Blick auf die Zahlen. Nur rund 30.000 Menschen in Polen sind Muslime. Das entspricht etwa 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung – der niedrigste Wert in ganz Europa. Selbst in Sachsen oder auf Island leben anteilig mehr Muslime als im noch immer erzkatholischen Polen.

Das ist durchaus bemerkenswert, denn immerhin hat der Islam in Polen eine längere Tradition als in den meisten anderen Regionen nördlich der Alpen. Bereits im 13. Jahrhundert gerieten Teile des heutigen Polens unter die Herrschaft der Goldenen Horde, eines vom Islam geprägten mongolischen Khanats. Ab dem 15. Jahrhundert dann siedelten sich in mehreren Wellen insgesamt bis zu 200.000 muslimische Tartar_innen im damaligen Großfürstentum Litauen an, zu dem auch große Teile des heutigen Polens gehörten. Auch im 20. Jahrhundert noch waren ihre Nachkommen fester Bestandteil der polnischen Gesellschaft, wie sich auf dem Tartarisch-Islamischen Friedhof von Warschau zeigt. Zwischen den Gräbern finden sich Gedenksteine für mehrere muslimische Pol_innen, die auf polnischer oder später als Freiwillige auf alliierter Seite gegen die Nazis gekämpft haben. Muslime mögen immer nur eine kleine Minderheit in Polen gewesen sein, aber sie sind eine der ältesten Minderheiten des Landes.

Das in den Stadien geforderte homogene Polen hat es nie gegeben

Die Tatsache jedoch, dass der Islam nachweislich bereits seit vielen Jahrhunderten zu Polen gehört, dürfte wohl kaum geeignet sein, Rassist_innen von ihren islam- und fremdenfeindliche Vorurteilen abzubringen. Das Polen, das sie zurück wollen, hat es ohnehin nie gegeben. Es ist nichts als ein mythischer Ort, der nur in ihrer Fantasie existiert. Historisch gesehen war die geographische Region des heutigen Polens schon immer ein Ort, an dem verschiedenste Bevölkerungsgruppen und Kulturen aufeinander trafen – baltische und slawische genauso wie germanische, mongolische und noch andere mehr, ganz zu Schweigen von der größten jüdischen Minderheit Europas. Dass Polen heute so weitgehend homogen geworden ist, liegt an der Vernichtung der jüdischen polnischen Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs. Und weiterhin an der Umsiedlung von Millionen Deutschen und Pol_innen nach Ende des Krieges.

Öffentliche Aufmerksamkeit für den Rassismus gibt es nur bei Großereignissen

Öffentliche Aufmerksamkeit erregen Aktionen rechter Fans offenbar nur dann, wenn sie auch im europäischen Ausland wahrgenommen werden. So wurde verstärkt rund um die Austragung der Endrunde der Europameisterschaft im Männerfußball in Polen und der Ukraine 2012 über Rassismus und Neonazis in polnischen Fankurven berichtet. Als das Spektakel vorüber war, nahm das Interesse der Medien jedoch auch genauso schnell wieder ab.

Hellhörig wurden westliche Medien erst wieder im September diesen Jahres, als sich die Ultragruppe „Kibolski Klub Dyskusyjny“ des Europa-League-Teilnehmers Lech Poznań gegen eine europaweite Aktion aussprach, im Rahmen derer von jedem Ticket für ein Europapokalspiel ein Euro für Geflüchtete gespendet werden sollte. Sie wolle nicht “die Flut muslimischstämmiger Immigranten nach Europa unterstützen“, erklärte die Gruppe und rief zum Boykott auf. Tatsächlich kamen zu der Partie am 17. September nur knapp 8.000 Zuschauer_innen. Bei Ligaspielen sind es für gewöhnlich rund doppelt so viele.

Keine nennenswerte Gegenwehr in den Kurven

Auf Gegenwehr stoßen die Rechten in den Kurven fast überhaupt nicht. Die staatlichen Sicherheitsorgane konzentrieren sich voll und ganz darauf, die regelmäßigen Gewaltexzesse halbwegs einzudämmen und verschließen vor Neonazismus und Diskriminierung weitestgehend die Augen. Antirassistische oder gar linke Fangruppen gibt es in Polen nicht. Das einzige derartige Projekt, die Black Rebels bei Polonia Warszawa, ist mehr oder minder sang- und klanglos gescheitert.

Wenn es organisierte Kritik an den Zuständen in den polnischen Kurven gibt, dann kommt diese fast immer von außerhalb – teilweise von Antifastrukturen, manchmal auch von Seiten kritischer Journalist_innen. Regelmäßig Stellung zu dem Thema bezieht einzig Nigdy Więcej („Nie Wieder“), eine Organisation, die sich bereits seit den 1990ern dem Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus widmet. Immer wieder hat Nigdy Więcej in der Vergangenheit auf rechte Umtriebe in polnischen Stadien aufmerksam gemacht. Vom polnischen Fußballverband werden sie dabei nicht unterstützt – eher behindert.

Polnischer Fußballverband wehrt Antidiskriminierungsarbeit ab – unterstützt sogar die Nazis

Wie problematisch das Verhältnis des Verbandes zum Thema Antidiskriminierung ist, zeigte sich zuletzt im Sommer diesen Jahres. Fans von Lech Poznań hatten am 14. Juli beim Auswärtsspiel gegen den bosnischen Verein FK Sarajevo ein Banner präsentiert, dass ein Zitat der polnischen Naziband Konkwista 88 enthielt, das sich in etwa mit „Das Blut unserer Rasse“ übersetzen lässt. Die UEFA bekam Wind davon und bestrafte den Verein mit einem Geisterspiel. Anstatt jedoch die Gelegenheit zu nutzen, um sich gegen Rassismus und Neonazismus zu positionieren, wurde beim Polnischen Fußballverband mit der Suche nach „Spitzeln“ und „Spionen“ begonnen.

Schnell gerieten Nigdy Więcej und Football Against Racism in Europe (FARE) ins Visier. Ihren Höhepunkt fand die mediale Hetzjagd, als Verbandspräsident Zbigniew Boniek, der in den 1980ern unter anderem für Juventus Turin und AS Rom spielte, auf Twitter Namen und Foto von Jacek Purski, einem Aktivisten von Nigdy Więcej veröffentlichte und wenig später einen Link zu einem Artikel einer extrem rechten Internetseite folgen ließ, auf der Purski als „rote Laus“ und „kommunistischer Spion“ bezeichnet wurde, dem „jemand mal gehörig in den Arsch treten sollte“.

Zwar äußerten namhafte Journalist_innen in liberalen Medien daraufhin deutliche Kritik an Boniek und auch FARE meldete sich zu Wort, Boniek selbst jedoch scheint davon wenig beeindruckt. FARE solle er erst antworten, „wenn sie Polnisch lernen“, ließ er per Twitter verlautbaren und stieß damit in das gleiche nationalistische Horn wie die Neonazis und Rassist_innen in den Fankurven.

Dass von einem Verband, der von Boniek geleitet wird, wohl kaum ein ernsthaftes Interesse an Antidiskriminierung oder der Bekämpfung neonazistischer Umtriebe in den Kurven zu erwarten ist, liegt auf der Hand. Viel eher scheint es so, als wenn das offenkundige Problem des polnischen Fußballs mit Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus eines ist, dass alle Ebenen von den Fans bis hin zur Verbandsspitze betrifft. Dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern wird, scheint leider unwahrscheinlich.

Trauriges Bild der Fanszenen spiegelt sich auch in den eigenen Medien

Wer sich einen Überblick über den Zustand der polnischen Fankultur machen will, sollte am besten einen Blick in die selbst ernannte „Chronik der Fanszene“ To My Kibice! (in etwa „Wir sind die Fans!“) werfen. Das Magazin besteht inzwischen seit 2001, erscheint monatlich und ist ganz regulär im Zeitschriftenhandel erhältlich. Wer jedoch die farbigen Hochglanzseiten des Din-A5-Hefts durchblättert wird über Fußball kaum mehr als ein paar Worte am Rande finden. Zwar besteht To My Kibice! fast ausschließlich aus Spielberichten. Das Geschehen auf dem Platz findet jedoch kaum Erwähnung; nicht einmal die Ergebnisse werden abgedruckt.

Im Fokus des Hefts steht einzig und allein das Geschehen in den Kurven und außerhalb der Stadien.  Zwar werden auch Pyrotechnik und Choreographien fotografisch dokumentiert, jedoch nehmen Gewalt und Ausschreitungen das Gros der Berichte ein. Seite um Seite finden sich Heldengeschichten und Fotos von Hauereien oder Konfrontationen mit der Polizei.

Eines hingegen wird mensch in To My Kibice! vergeblich suchen: Frauen. Polnische Fankultur, wie sie von dem Magazin dokumentiert wird, ist offenkundig ein sozialer Ort, der nahezu vollständig den Männern vorbehalten ist. Dementsprechend dominieren in den polnischen Kurven dann auch hegemonial männliche Verhaltensweisen, die im Wesentlichen auf die gewaltvolle Reproduktion der eigenen Männlichkeit ausgerichtet sind.

Während andernorts Fankurven zunehmend bunter und diverser werden, scheint in Polen das Stadion noch immer eine der letzten Bastionen archaischer Männlichkeit zu sein, in der Ehrgefühl und Gewaltbereitschaft als zentrale Tugenden gelten. Hinter dem bunten Schein von Choreographien und Ultrakultur verbergen sich Verhältnisse, wie sie in Deutschland vielerorts zuletzt Mitte der 1990er anzutreffen waren.

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