"Auch ich habe den Weg zur nationalen Politik im Stadion gefunden"

Wie unterwandern Neonazis denn nun den Fußball? In Lübeck gründet die NPD 2006 den Fanklub "Lübsche Jugend". Die Fans des VfB Lübeck beenden dieses Kapitel, bevor es richtig beginnen kann. Doch NPD-nahe Fans verlassen deshalb nicht automatisch das Stadion - Vereine müssen wachsam bleiben.

Von Ronny Blaschke *

Jörn Lemke teilt eine Eigenschaft mit vielen Rechtsextremen, er sieht sich in der Rolle eines Verfolgten: „Nationale Fußballfans wurden vom Verein immer mehr ausgegrenzt, daher war es der Wunsch vieler fußballbegeisterter Nationalisten, einen eigenen Fanklub ins Leben zu rufen.“ Lemke ist Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Lübeck/Ostholstein und Pressesprecher der Partei in Schleswig-Holstein. Er war bereit, schriftlich auf Fragen für dieses Buch* zu antworten: „Zahlreiche Mitglieder der NPD kamen aus der Fußballszene“, lässt er mitteilen. „Auch ich habe den Weg zur nationalen Politik im Stadion gefunden.“

Lemke, geboren 1974, gelernter Industriekaufmann, Vater von drei Kindern, hat auf vielen Wegen versucht, Fans in Schleswig-Holstein an die Politik heranzuführen, vor allem in Lübeck. Nach eigenen Angaben sei er länger als zehn Jahre in der Fanszene des VfB Lübeck aktiv gewesen, der Zuspruch sei positiv gewesen: „Regelmäßig konnten Aufkleber an die Fans verteilt werden und wenn es darum ging, Unterschriften für eine Wahlteilnahme zu sammeln, kamen am Stadion immer sehr viele Unterschriften zusammen. Nicht ohne Grund haben wir damals ein Transparent hergestellt mit der Aufschrift: ,VfB-Fans wählen NPD’“.

Fanklub "Lübsche Jugend"

Kurz vor der WM 2006 in Deutschland will Lemke sich die Fußballstimmung zunutze machen, er gründet den Fanklub „Lübsche Jugend“, eine Art sportliche Dependance der örtlichen NPD. Lemke schreibt: „Fans identifizieren sich mit ihrem Verein und leben dabei eine gewisse Form des Lokalpatriotismus. Das ist eine wichtige Grundvoraussetzung, um Beweggründe nationaler Politik nachvollziehen zu können.“ Für den 31. März 2006 wird das Gründungstreffen des Fanklubs angekündigt. Das kritische Internetportal „NPD-Blog“ veröffentlicht zwei Tage zuvor über die „Lübsche Jugend“: „Auf der Homepage des Clubs wird kein Hehl aus der rechtsextremen Gesinnung gemacht, Fotos zeigen Nazi-Glatzen beim Pflanzen von Blumen für die ,Opfer des alliierten Bombenterrors’. Weiterhin wird massiv gegen die Anhänger des FC St. Pauli gehetzt, unter anderem heißt es ,Verrecke Pauli-Zecken! Hier ist VfB’“. Zudem fordere die Gruppe nach dem Weggang des amerikanischen Spielers Jacob Thomas mehr Präsenz für den „einheimischen Nachwuchs“.

Der Verfassungsschutz verortet in Lübeck einen Schwerpunkt des Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein. Gründer Jörn Lemke, der am Aufbau eines Netzwerks zu Freien Kameradschaften beteiligt war, möchte sich auf Anfrage nicht zu Struktur, Teilnehmern und Motivation des Fanklubs äußern. Manuel Kwiatkowski, seit 2008 Leiter des Lübecker Fanprojekts, erklärt sich das so: „Die ,Lübsche Jugend’ war ein kurzes Intermezzo, ihre Unterwanderungsversuche sind gescheitert. Der Verein und die überwältigende Mehrheit der Fans haben sich von Rechtsextremisten distanziert.“ Kwiatkowski geht seit über 50 Jahren ins Stadion an der Lohmühle. Er sagt, dass es immer wieder Vereinnahmungsversuche durch Neonazis gegeben habe, vor allem in den achtziger Jahren, allerdings nicht mit durchschlagendem Erfolg. 2006 verteilen Anhänger vor dem Stadion Flyer mit der Aufschrift „VfB Fans gegen rechts“. Ultras wehren sich in Internetforen und drängen die Rechtsextremen durch Protestaktionen aus dem Stadion.

„Unglaublich, eine Gruppe nationalgesinnter Fußballfans wird hier bewußt ausgegrenzt und verleumdet"

In den Schilderungen von Jörn Lemke hört sich das so an: „Es war zu befürchten, dass Fans, die sich öffentlich zur ,Lübschen Jugend’ bekennen, Stadionverbot erhalten. Viele Fans halten sich bedeckt, weil die Vereinsführung ganz im Sinne der politischen Korrektheit nationale Fans und deren Fanclubs ausgrenzt.“ Das Kapitel der „Lübschen Jugend“ ist zu Ende, bevor es richtig beginnt. Die NPD kommentiert die Gegenwehr in einer Mitteilung so: „Unglaublich, eine Gruppe nationalgesinnter Fußballfans wird hier bewußt ausgegrenzt und verleumdet. Jeder Fan, der Infomaterial der Nationaldemokraten in der Tasche hatte, mußte dieses wegwerfen oder es wurde ihm der Einlaß in Stadion verweigert. Die SPD hingegen konnte ungestört ihre Propaganda verbreiten.“ Das Schreiben schließt mit der Forderung: „Die Vereinsführung muß sich seiner sozialen Verantwortung bewußt werden und die Eintrittspreise für Sozialschwache senken.“

Die „Lübsche Jugend“ ist verschwunden, die rechtsextremen Einstellungsmuster vieler Fans sind es nicht, das weiß auch Tim Cassel, der von 2001 bis 2004 als Torhüter des VfB Lübeck drei Spiele in der Zweiten Liga und eine Partie in der Regionalliga bestritt. Cassel leitet seit 2007 beim Schleswig-Holsteinischen Fußballverband ein Projekt, um das Bewusstsein gegen Rechtsextremismus und Gewalt zu schärfen. Cassel sagt: „Wir müssen wachsam sein und vor allem gegen den weit verbreiteten Alltagsrassismus immer wieder mobil machen.“ In jedem der 14 Fußball-Kreisverbände Schleswig-Holsteins sollen ehrenamtliche Ansprechpartner Fortbildungen bis in die unterste Liga tragen, das Projekt gilt bundesweit als vorbildlich. Damit werden Amateurspieler, Funktionäre und Schiedsrichter erreicht, die am Wochenende als Zuschauer oft auf den Tribünen des VfB Lübeck zu Gast sind. Dort will Jörn Lemke von der NPD seine Strategie nicht aufgeben: „Es gibt beim VfB Lübeck noch immer ein nationales Fanpotenzial. Viele Mitglieder gehen immer noch zum VfB und sind Anhänger und Wähler der NPD. Nur weil der Name ,Lübsche Jugend’ nicht mehr präsent ist, heißt das nicht, daß es die Personen und ihr Gedankengut nicht mehr gibt!“

* Der Text ist ein Auszug aus dem Buch:

Ronny Blaschke:
Angriff von rechtsaußen. Wie Neonazis den Fußball missbrauchen.
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011.
222 Seiten, 16,90 Euro

Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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