Ausschnitt des Covers von "OhneMacht. Zerfall der Gesellschaft-Kampf gegen Rechts"
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OhneMacht im Kampf gegen Rechts?

"Ein erschütternder Streifzug durch das Land": Mit diesen Worten endet der Klappentext des Reportagebuches "OhneMacht. Zerfall der Gesellschaft – Kampf gegen Rechts". Und tatsächlich erschüttern die Beobachtungen, die die beiden Journalisten Björn Menzel und Jens Kiffmeier in dem Band zusammengetragen haben. Sind wir wirklich ohnmächtig im Kampf gegen Rechts?

Von Alice Lanzke

Gesellschaft, Politik, Medien – aus diesen Bereichen stammen die Akteurinnen und Akteure des Buches " OhneMacht. Zerfall der Gesellschaft – Kampf gegen Rechts". Zwei Jahre lang recherchierten die beiden Journalisten Björn Menzel und Jens Kiffmeier auf der Suche nach Antworten. Bei ihrer Arbeit als Reporter fanden die beiden viele Beispiele für den Vormarsch der Neonazis:

"Erst waren es nur viele Einzelepisoden, doch irgendwann setzte sich daraus ein Gesamtbild zusammen. Vor allem drängte sich der Eindruck auf, dass trotz aller ernsthaften Bemühungen, dem braunen Mob etwas entgegenzusetzen, kaum Fortschritte im Kampf gegen Rechts zu verzeichnen sind." (S.10)

Und das, obwohl es allerorten engagierte Demokratinnen und Demokraten gebe, so die beiden Journalisten. Woran scheitert der Kampf gegen Rechts also dann?

Ein Besuch in Jamel

Für ihre Spurensuche sind Menzel und Kiffmeier durch ganz Deutschland gereist, auch zu Orten, die als NPD-Hochburgen gelten. Sie haben Jamel besucht, ein Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, das von Neonazis selbst als "National befreite Zone" bezeichnet wird. Schon immer nahm der Ort zwischen Wismar und Grevesmühlen eine Sonderstellung ein. Bereits Anfang der 1990er Jahre scharrte dort der damalige Nazi-Skinhead Sven Krüger "Kameraden" um sich, gemeinsam schüchterten sie andere Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes ein und zündeten Zugezogenen die Häuser an. Erst im Jahr 2007 versuchte die Landespolitik, eher hilflos auf die Situation im Ort zu reagieren. Der Innenausschuss des Landtages traf sich pressewirksam zur Sitzung in Jamel, doch geändert hat das wenig an der Situation im Dorf, in dem mittlerweile fast nur noch Nazis lebten.

Hilfreicher ist da das Musikfestival "Jamel rockt den Förster. Rockmusik für Demokratie und Toleranz", das das Ehepaar Lohmeyer 2007 ins Leben gerufen hat, um Öffentlichkeit herzustellen und den Neonazis im Ort etwas entgegen zu setzen. Menzel und Kiffmeier haben die Lohmeyers für ihr Buch besucht und vermitteln in ihren Beschreibungen einen Eindruck davon, wie langwierig und nervenzehrend das Engagement gegen Rechts ist – trotz allen Erfolgs, den die Lohmeyers mit ihrem Festival haben. So ist es kein Wunder, wenn die beiden resigniert feststellen, dass die NPD-Kader für immer für die Gesellschaft verloren seien. Es gebe zwar einzelne Aussteigerinitiativen, die tolle Arbeit machten, aber Privatleute allein könnten nichts mehr dagegen unternehmen.

Die Machtlosigkeit der Lokalpolitik

Resignation beobachteten Menzel und Kiffmeier auch bei den Bundestagsabgeordneten, die sie besuchten. Ist das erste Kapitel des Reportagenbandes noch mit "Die Gesellschaft" übertitelt, steht im zweiten Kapitel "Die Politik" im Fokus. Die beiden Journalisten haben Abgeordnete getroffen, die vor lauter Arbeit nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht geschweige denn wissen, wie sich angesichts des Termindrucks tiefer in Themen einarbeiten sollten. Dann sind da jene Abgeordnete, die sich nach Jahren der Parlamentsarbeit machtlos fühlten – aber auch jene, die sich ihren Idealismus bewahrt haben.

Doch nicht nur in den Hinterzimmern des Bundestags gibt es das Gefühl der Machtlosigkeit – viel deutlicher erleben Menzel und Kiffmeier dieses bei ihren Begegnungen mit Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitkern vor allem im ländlichen Raum. Diese haben, so deren Klage, immer weniger zu entscheiden – ein Eindruck, der auch bei den Bürgerinnen und Bürgern entsteht. Umso geringer ist deren Bereitschaft, sich zu engagieren. Ein Beispiel dafür ist Petra Jarosch, ehemalige Bürgermeisterin von Stresow. Am 21. August 2011 trat sie von ihrem Posten zurück. "Als Ortsbürgermeister hat man keine Befugnisse mehr", so Jarosch. An anderer Stelle im Buch hatte sie erklärt: "Wir können jetzt noch bestimmen, ob wir die Parkbänke blau oder grün anstreichen wollen." Parallel zur schwindenden Gestaltungsmacht sinkt auch die Einwohnerzahl im ländlichen Raum:

"Dass zahlreiche Dörfer immer mehr Einwohner verlieren, ist problematisch. Mit jedem, der seinem Ort den Rücken kehrt, könnten die Neonazis an Boden gewinnen. In den verwaisten Dörfern finden sie oftmals einen ungestörten Rückzugsraum. Schlimmstenfalls übernehmen die Rechtsextremen komplett das Kommando." (S. 24)

Gerade der ländliche Raum fühlt sich oft von "der Politik" verlassen. Vertreterinnen und Vertreter der politischen Parteien lassen sich allenfalls vor den Wahlen blicken – in diese Lücke stößt die NPD. In vielen Orten ist sie die einzige Partei, die dauerhaft präsent ist und sich so als "Kümmerer" inszeniert.

Medien unter Druck

Das dritte Kapitel steht schließlich unter der Überschrift "Die Medien". Hier beschreiben Menzel und Kiffmeier den Zerfall der deutschen Zeitungslandschaften, vor allem im ländlichen Raum. Denn mit der Einwohnerzahl sinkt auch die Zahl der Leserinnen und Leser, in der Folge werden Lokalredaktionen ausgedünnt, Zeit für ausgedehnte Recherchen bleibt kaum noch. Doch Kosten- und Zeitdruck ändern nichts an der wichtigen Rolle, die Medien für die Demokratie spielen.

Hinzu kommen die spezifischen Probleme von Lokalredakteurinnen und –redakteuren im ländlichen Raum:

"Entlegene ländliche Gebiete ziehen die rechten Kameradschaften an. Überall dort arbeiten Lokalredakteure an vorderster Front. Ungeschützt und mit offenem Visier. Das Duell der Rechten mit der ihnen verhassten Presse findet weniger in der Hauptstadt statt, wo vielleicht ein paar Berichte über die Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses verfasst werden. Viel schwieriger ist es zum Beispiel für einen Redakteur, der in einer Kleinstadt wie Anklam wohnt und der über eine Gemeinderatssitzung berichten muss, an der möglicherweise auch sein Nachbar als Vertreter der NPD teilnimmt. In so einem Fall fehlt der Schutz der Anonymität einer Großstadt". (S. 121f.)

Verfall der Demokratie?

Insgesamt erzählt "OhneMacht. Zerfall der Gesellschaft – Kampf gegen Rechts" keine durchgängige Geschichte – vielmehr blicken Menzel und Kiffmeier schlaglichtartig auf verschiedene Aspekte von Gesellschaft, Politik und Medien sowie deren Rolle im Kampf gegen Rechts. Gerade Menschen, die sich bereits länger mit der Thematik beschäftigen, werden die Orte und handelnden Personen kennen. An manchen Stellen fragt man sich beim Lesen allerdings, warum eine Episode Eingang in das Buch gefunden hat. Alles in allem ist es dennoch ein lesenswerter Band, der lebendig geschrieben auf eine teilweise erschütternde Spurensuche mitnimmt. Die titelgebende "Ohnmacht" ist beim Lesen tatsächlich spürbar – was kann angesichts der Beobachtungen der beiden Autoren noch getan werden? Kein Wunder also, dass Menzel und Kiffmeier vom Verfall der Demokratie in Deutschland sprechen.

Den letzten Teil des Buches bildet schließlich ein Gespräch mit dem Jenaer Jugendpfarrer Lothar König. Das launige Gespräch passt zum teils deprimierenden Eindruck, den das Buch hinterlässt. So erklärt König etwa: "Ich habe die Angst, dass wir bereits seit mindestens zehn Jahren mit den Neonazis wieder ein Feindbild konstruieren. Nicht erst seit dem Auffliegen des NSU. Es gibt ja schon wieder Preise, wenn man gegen Nazis ist oder Auszeichnungen für die erste nazifreie Schule, für die erste nazifreie Stadt und so weiter. Es wird uns suggeriert, dass die Bösen immer die anderen sind. Wir müssen irgendwann einmal anfangen, nach uns selber zu fragen: Was steckt denn in mir? Wieviel Scheiße mache ich selber?"

Service

OhneMacht: Zerfall der Gesellschaft - Kampf gegen Rechts

Björn Menzel & Jens Kiffmeier

Schkeuditzer Buchverlag (2013)

148 Seiten

ISBN 978-3-943931-02-0

 

Mit diesem Beitrag endet unsere Reihe zum Thema "Ländlicher Raum im Fokus". Bisher darin erschienen:

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