Auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im sächsischen Landtag teilte die Staatsregierung mit: jeder fünfte gewaltbereite Fußballfan in Sachsen sei 2014 als rechtsextremistisch einzustufen. Das ist ein Anstieg um fast die Hälfte, da das Innenministerium in den letzten Jahren von 13% Rechtsextremisten unter den Fußballhooligans ausging.
Von Lina Morgenstern
Insgesamt zählt das Innenministerium unter Markus Ulbig (CDU) etwa 160 Rechtsextremisten in der gewaltorientierten Fanszene in Sachsen. Zuletzt waren sächsische Hooligans nach einem Gerichtsurteil in der Presse. Der Bundesgerichtshof hatte mit einem Urteil gegen die Dresdner Gruppe "Hooligans Elbflorenz" einen Präzedenzfall geschaffen und die Gruppe als kriminelle Vereinigung nach Paragraf 129 StGB verboten. Einzelne Mitglieder der Gruppe sollen ebenso Neonazis sein und auch Verbindungen zur ehemaligen Kameradschaft "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) besitzen. Darüber hinaus warnen Expert*innen seit Jahren, dass besonders Rechtsradikale in den Fußballstadien Jugendliche rekrutieren und über den Sport für rechtsextreme Ideen begeistern.
Rechtsextreme Fangruppen in Chemnitz, Leipzig und Dresden
Als rechtsextrem stuft das Innenministerium Sachsen besonders das mittlerweile aufgelöste "Scenario Lok" vom Leipziger Verein 1. FC Lokomotive, die Gruppe "Faust des Ostens" aus dem Fanumfeld von Dynamo Dresden und aus der Fanszene des Chemnitzer FC die Gruppen "New Society" und "Kaotic Chemnitz" ein. Dem Scenario Lok sollen bis zu 70 Personen angehört haben, die auch Verbindungen zu den Freien Kräften in Leipzig sowie zur NPD und ihrer Jugendorganisation JN besaßen. Letzten Herbst löste sich das Scenario offiziell auf, wie Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) vermutet aber nur, um Repressionen des Vereins zu entgehen. Die Mitglieder von Scenario erklärten damals, dass ihre Liebe zum Verein ungebrochen sei. Es ist zu vermuten, dass sie sich in anderen Gruppen, wie bei den "Gaunern Lok" organisieren. Über neun Jahre war Scenario die dominierende Gruppe in der Fanszene bei Lok Leipzig und entfaltete eine integrative Kraft in der Kurve. Zuletzt waren die Ex-Mitglieder der Gruppe als offizielle und inoffizielle Ordner bei den Demonstrationen der rassistischen Legida in Erscheinung getreten.
Bei dem mit über 14.600 Mitgliedern größten und beliebtesten Fußballverein Ostdeutschlands, Dynamo Dresden, tummelte sich in den vergangenen Jahren die als rechtsextrem einzustufende Gruppe "Faust des Ostens". Diese erhielt aber schon vor Jahren durch die aktive Dresdner Fanszene ein Auftrittsverbot für den Dresdner Fanblock. In der Antwort der Staatsregierung wird diese Gruppe mit bis zu 40 Personen beziffert. Sie scheint also nur aus dem Fanblock, nicht aber aus der Welt zu sein.
Im Zuge des Vereinsverbots gegen die Neonazi-Kameradschaft" Nationale Sozialisten Chemnitz" war auch die von der Staatsregierung als rechtsextrem eingestufte Gruppe "New Society" in den bundesweiten Medien aufgetaucht. "Die Gruppierung New Society hatte bis zum Verbot der ´Nationale Sozialisten Chemnitz´ (NSC) Verbindungen zu diesen", führt das Innenministerium in der Antwort aus. Szeneintern wird die rechte Hooligangruppe des CFC "NS-Boys" genannt, es liegt nahe, dass sie den Neonazis zur Rekrutierung und Ideologisierung junger Fußballfans diente. Die "NS-Boy" besuchten gemeinsam Heim- und Auswärtsspiele des CFC oder der Vereine von befreundeten Ultra-Gruppen. Beim CFC haben sie seit 2006 Stadionverbot. Daraufhin gingen einige Mitglieder zur Gruppe "Kaotic Chemnitz", die vom Innenministerium auch als rechtsextreme Gruppe geführt wird. In Chemnitz haben sie aber auch seit 2012 Stadionverbot.
Trotz Millionen Fördergelder für Demokratie: Anstieg der Rechten Fans
Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Linke) stellt jährlich Anfragen an die sächsische Staatsregierung, um über die aktuelle Situation mit Rechtsextremisten im Fußballumfeld zu informieren und aufzuklären. Sie findet den Anstieg der Rechten unter den gewaltbereiten Fußballfans besorgniserregend und kritisiert die bisherige Untätigkeit von Innenminister Markus Ulbig. "Es braucht jetzt endlich Handlungskonzepte. In unserem sächsischen Demokratieförderprogramm ´Weltoffenes Sachsen´ wurde eine Million Euro für Demokratieförderung allein für Sportvereine, Kirchen oder Freiwillige Feuerwehr zur Verfügung gestellt. Wie kann es dann zu so einem Anstieg bei eben diesen Sportvereinen kommen?!" Sie sieht aber auch die Vereine in der Pflicht. Sie sollen sich mit dem Innenministerium an einen Tisch setzen und nach Handlungskonzepten suchen. Außerdem sollten sie Mittel vom Weltoffenen Sachsen abrufen, um Präventionskonzepte zu finanzieren. Denkbar sind Gedenkstättenfahrten für jugendliche Fußballfans in ehemalige NS-Konzentrationslager oder auch eine stärkere Unterstützung für Projekte mit Flüchtlingen, wie sie in Brandenburg zum Beispiel der SV Babelsberg 03 mit seiner Flüchtlingsmannschaft "Welcome United" betreibt.
Beim Dresdner Verein Dynamo Dresden gibt es schon einige Bewegung. Seit Jahren ist der Slogan einer antirassistischen Faninitiative "Rassismus ist kein Fangesang" auf der Stadionleinwand während des gesamten Spiels präsent. Auch lädt die Fangruppe seit 2013 immer wieder Asylsuchende aus der Region Dresden zu Heimspielen ein und unterstützt Flüchtlingsinitiativen wie "Buntes Radebeul" durch die Sammlung von Sachspenden.
Lösung? Verbot von Hooligangruppen als kriminelle Vereinigung
Kürzlich urteilte der Bundesgerichtshof, dass die Dresdner Fangruppe "Hooligans Elbflorenz" als kriminelle Vereinigung nach Paragraf 129 StGB verboten bleibt. Nach dem Urteil kündigte unter anderem Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) eine stärkere Strafverfolgung gewaltbereiter Hooligans an. Mehrere Hooligangruppen, wie die rechtsextreme "Standarte Bremen", lösten sich nach dem Urteil vorsorglich auf, um Überwachungsmaßnahmen und Strafverfolgung zu entgehen, die aus einem Verfahren nach §129 folgen. Bremens Innensenator stellte aber klar, dass auch bei Auflösung der Gruppen nicht verjährte Straftatbestände, wie die Verabredung zu "Drittortauseinandersetzungen" (juristisch für Hooligankämpfe), strafrechtlich verfolgt werden können.
In Sachsen scheint das Interesse an den Hooligans trotz ihres militanten Auftretens, zuletzt im Rahmen der Legida- und Pegida-Demonstrationen, gering zu sein. Hier antwortet das Innenministerium auf die Frage nach den bekannten Straftaten im Bereich politisch motivierter Kriminalität, die von Fußballfans begangen wurden, dass es dazu keine Statistik gebe. Und weiter: "Dies ist im Hinblick auf die große Anzahl der in Betracht kommenden Verfahren im Rahmen (…) einer kleinen Anfrage (…) unverhältnismäßig und ohne Einschränkung der Funktionsfähigkeit der sächsischen Polizei nicht zu leisten." Zwar findet auch Kerstin Köditz, dass Repression nicht genug ist. Aber sie fordert trotzdem, dass die sächsische Polizei in einer Straftatenanalyse Schwerpunkte benennt, um Ansatzpunkte für Gegenstrategien zu finden. "Es geht um die Einstellungen in den Köpfen. Repression bewirkt nur, dass sich Gruppen wie Scenario Lok auflösen, einen neuen Namen geben und dann immer noch in den Stadien präsent sind. Es muss um Prävention gehen, hier sind auch die Vereine und Fanprojekte gefordert."
Mehr im Internet:
Die Kleine Anfrage der sächsischen Linksfraktion inklusive Antwort des Innenministeriums (Drucksache 6/579)
Mehr über rechte Fans beim CFC: Fußball, Freundschaft, Fackelmärsche (Publikative.org)
"Scenario Lok" legt sein Label ad acta (Fussball-gegen-nazis.de)
SG Dynamo Dresden: Rassismus ist kein Fangesang (Fussball-gegen-nazis.de)