"Eisern Lounge": Insgesamt über 300 Gäste kamen zu den Veranstaltungen
Helge Meves

"Auf den Rängen gibt's kein Abseits": Praxisbericht von Union-Fans

Irgendwann standen ein paar Fußballfans zusammen, hatten eine Idee, einige Erfahrungen, kannten ihren Verein und die Fanszene. Sie diskutierten und änderten die ersten Ideen, entwickelten sie zu einem Konzept weiter, suchten weitere Leute zum Mitmachen sowie Förderer und Mäzene. Bis eine Veranstaltungsreihe stand, sie beworben und durchgeführt werden konnte – mit dem Verein und für die Fanszene und mit großem Erfolg.

Von Helge Meves

So kurz etwa lässt sich die Geschichte der Veranstaltungsreihe zusammenfassen, die unter dem Titel "Auf den Rängen gibt's kein Abseits" im Rahmen der "Internationalen Wochen gegen Rassismus" im März/April 2012 erstmals beim 1. FC Union Berlin stattfand.

Die Wochen gegen Rassismus und die Idee

Seit 2001 werden die "Internationalen Wochen gegen Rassismus" in der Bundesrepublik offiziell mit Veranstaltungen begleitet. Organisatoren sind der "Interkulturelle Rat in Deutschland" und die Aktion "Gesicht zeigen". Nachdem 2002 etwa 20 Veranstaltungen stattfanden, waren es zehn Jahre später schon über 1.200 – von Theateraufführungen über Vorlesungen und Seminare bis hin zu Diskussionsrunden. Von Anfang an waren Fußballvereine neben den verschiedensten anderen Organisationen mit dabei. Der DFB unterstützt die Gedenkwochen mit Stadionansagen in diesem Zeitraum.

Beim 1. FC Union entstand Ende letzten Jahres die Idee, über die offizielle Unterstützung des DFB hinaus, eine eigenständige Veranstaltungsreihe zu organisieren, die dem generellen Anliegen dieser Gedenkwochen folgt, aber auf den eigenen Verein und die eigene Fanszene zugeschnitten ist und dadurch weitere Interessierte anspricht. Die Initiatoren kannten sich aus dem Freundeskreis "Schöner Eisern ohne Nazis" (s.e.o.n.), einem im Unterschied zu traditionellen Fanclubs oder Ultragruppierungen eher losen Zusammenschluss von Fans, Vereinsmitgliedern, Jahreskarteninhabern und Stadionbauern des 1. FC Union, die sich auch sonst in verschiedenster Art und Weise für ihren Verein engagieren.

Von Unionern für Unioner

Konstituierend war von Anfang an die Vorstellung, dass die Veranstaltungsreihe thematisch vom allgemeinen Anliegen ausgehen sollte, die Solidarität mit den Gegnern und Opfern von Rassismus zu stärken. Die Veranstaltungsreihe sollte aber auch den Interessen der Fans und der Situation beim Verein entsprechen und weitestgehend mit den eigenen Ressourcen des Initiatorenkreises realisierbar sein. Bestimmte Themen oder Veranstaltungsformen wurden daher schon in den ersten Debatten verworfen, weil sie entweder dem Anliegen der Reihe, den Interessen oder der Situation beim Verein fern lagen oder nur schwer zu realisieren waren.

Interessen I: Kommerzialisierung des Fußballs

Die Interessen der meisten Fußballfans bewegen sich im Wesentlichen um die Themen Kommerzialisierung, Gewalt und Repression sowie der Fußballkultur im Stadion. Zum Themenkomplex Kommerzialisierung gehören die Fragen nach der Gestaltung der Eintrittspreise und Anstoßzeiten, der Existenz von Stehplätzen, der eigenen Artikulation und Mitsprache bei der Namensgebung des Stadions.

Ein großer Teil dieser Fragen sind für die Fans des 1. FC Union von untergeordneter Bedeutung. Das Stadion "An der Alten Försterei" hat den höchsten Anteil an Stehplätzen und dadurch die durchschnittlich niedrigsten Eintrittspreise der Liga bei über 16.000 Zuschauern pro Spiel. Über 10.000 Fans sind Mitglieder und haben dementsprechende Mitwirkungsmöglichkeiten im Verein; über 4.000 Unioner sind darüber hinaus Miteigentümer des Stadions, womit sie ein direktes Mitspracherecht bei allen Stadionfragen haben. Die Fan- und Mitgliederabteilung FuMa bietet weitere Mitwirkungsmöglichkeiten an und koordiniert sie im Verein. Ein Angebot zu den genannten Themen musste also gar nicht erst in Betracht gezogen werden, da sie im Verein bereits fest institutionalisiert und von der Diskussion bis zur Entscheidung in den Händen der Vereinsmitglieder und Stadionbesitzer liegen.

Interessen II: Gewalt und Repression

Der zweite Themenkomplex Gewalt und Repression im Fußball hingegen spielt auch bei den Fans des 1. FC Union eine größere Rolle, weil diese Fragen trotz ihrer außerordentlich gravierenden Folgen zu einem Großteil außerhalb der Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Fußballfans liegen. Kollektivstrafen, Sippenhaftung für Fangruppen, die Praxis von Stadionverboten, Pass- und Ausreisebeschränkungen auf der Grundlage der "Zentralen Informationsdatei Sporttäter" sowie Verbote hinsichtlich der Artikulation im Stadion mit Bannern, Choreografien, Bengalfeuern und Sprechchören sind rechtlich gesehen höchst zweifelhaft.

Interessen III: Diskriminierung

Inhaltlich wurde in den Debatten auch recht schnell klar, dass bestimmte Formen der Diskriminierung wie sie etwa im Ansatz der "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" diskutiert werden, bei Union keine Rolle spielen. Eine Diskriminierung auf Grund des schwächeren sozialen Status etwa gibt es nicht nur nicht. Der generellen Politik einer Verteuerung der Eintrittskarten über eine Versitzplatzung der Stadien und der damit erwünschten Verdrängung sozial Schwächerer aus Fußballstadien wird mit der erwähnten Eintrittspreispolitik und weiteren Aktionen der AG Soziales in der FuMa wie etwa Freikarten für Berlin-Pass-Inhaber ausdrücklich entgegengewirkt. Veranstaltungsangebote zu Formen von Antisemitismus, Antiziganismus oder die bundesweit zunehmende Islamfeindschaft wurden in den Debatten über die Entscheidung für drei Themen schnell verworfen, da diese Diskriminierungsformen für den Verein verhältnismäßig irrelevant sind.

Der eigene Platz in der Union-Kultur

Die Fanszene beim 1. FC Union ist außerordentlich vielfältig. Neben den bei allen größeren Vereinen existierenden Ultragruppierungen und Fanclubs gibt es beim 1. FC Union eine hohe Anzahl von Fans, die Mitte der 70er bzw. Mitte der 80er Jahre zum Verein gefunden haben, die mit ihren Biografien die Geschichte des renitenten Vereins, seine kulturelle Offenheit und politische Widerspenstigkeit während der DDR präsent halten.

Diese über das reine Interesse am Besuch eines Fußballspiels hinausgehenden Haltungen und Einstellungen sind die Grundlage der Kultur bei Union. Sie äußert sich in regelmäßigen und bereits institutionalisierten Faninitiativen z. B. das Union-Skatturnier, das Drachenbootrennen, die Union-Liga und - im engeren Sinne kulturell - das Weihnachtssingen im Stadion am Vorweihnachtsabend mit zuletzt 18.000 Sängerinnen und Sängern oder die seit Jahren gespielte Theaterinszenierung "Und niemals vergessen – Eisern Union. Das Stück zum Spiel". Die dabei engagierten Fans, Sponsoren und Repräsentanten bis in die höchsten Vereinsgremien bilden gemeinsam den Kern der im Verein gern beschworenen "Union-Familie".

Die angedachte Veranstaltungsreihe konnte also an etliche Erfahrungen und Faninitiativen anknüpfen und musste ihren Platz zwischen ihnen bestimmen. Weiter mussten Veranstaltungsformen entwickelt werden, die einen den Erfahrungen und Kenntnissen nach sehr heterogenen Interessentenkreis ansprechen können.

Mehrere Themen setzen

Konzipiert wurde schließlich nicht eine Veranstaltung mit einem herausragenden Thema, sondern eine Veranstaltungsreihe mit verschiedenen Themen für verschiedene Interessenten. Damit konnte sowohl der heterogenen Fanszene bei Union entsprochen werden, als auch der Ansatz der "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" sich bewähren. Die Konzeption einer mehrteiligen Veranstaltungsreihe erhöhte den Arbeitsaufwand erheblich, hatte aber weitere Vorzüge. Durch die Zusammenstellung der separaten Veranstaltungen zu Homophobie, Polenfeindlichkeit und Rassismus sowie Neonazismus in eine Reihe, konnte leicht deutlich gemacht werden, dass diese Themen zwar nicht gleichwertig sind, aber allesamt verschiedene Formen von Diskriminierung bzw. "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" sind. Jede einzelne der drei Veranstaltungen profitierte zudem von den Debatten im Vorfeld um alle drei Veranstaltungen. Und mit dem Gesamtkonzept konnten mehr Interessenten für die Vorbereitung und Mitarbeit sowie erfolgreich Mäzene geworben werden, mit deren Unterstützung Honorare, Druckkosten etc. bezahlt werden konnten.

Im Unterschied zu Veranstaltungen zu den "Internationalen Wochen gegen Rassismus" etwa in Kultur, Wissenschaft oder Bildung schieden als Organisationsformen pure Vorträge oder Seminare aus. Stattdessen wurden renommiert besetzte Podiumsdiskussionen organisiert. Diese wurden mit einem Film oder einem Bericht unter Verwendung von Fotos eröffnet. Darauf folgten Beiträge der Referentinnen und Referenten bis gegen Ende jeder Veranstaltung die Diskussion für Fragen und Statements der Teilnehmenden geöffnet wurde. Die Initiatorinnen und Initiatoren von s.e.o.n. traten dabei lediglich mit einer kurzen Begrüßung und abschließenden Dankesworten auf.

No Fans! – Ultras!

Die Bestimmung des Verhältnisses zu den Ultras im Verein war dabei von besonderer Bedeutung, weil diese im Vergleich mit den anderen Fankulturen relativ neu und kreativ sind, stetig wachsen und sich - mit offenen Enden - weiter entwickeln. Auch wenn die Fanszene jedes Vereins ihre eigene besondere Geschichte hat, gilt doch generell, dass sich die Ultragruppierungen zu "regelrechten Institutionen der Sozialisierung entwickelt" haben und "dass die Ultras als erste zahlenmäßig relevante Fankultur eine Art der Interessenvertretung der Fans gegenüber den Vereinen, Verbänden und Medien etabliert haben", wie der Buchautor Jonas Gabler erläutert.

Ins Zentrum der Veranstaltungsreihe wurde deshalb ein Angebot an die Ultras und ihre Debatten um Artikulationsformen, Gewalt und Repression in den Stadien gestellt. Die beiden weiteren Veranstaltungen thematisierten weitere Diskriminierungsfelder, die sonst nicht unmittelbar im Fokus des Interesses stehen, aber im Südosten von Berlin und Brandenburg und im Fußballumfeld generell sehr relevant sind: Homophobie auf dem Platz und auf den Rängen sowie die Rekrutierungsversuche von Neonazis in Fußballstadien.

Werbung und Medien

Die Werbung für die Veranstaltungsreihe folgte den inhaltlichen Kriterien, stellte die Fans in den Mittelpunkt und begann deshalb mit der Erstinformation über die Veranstaltungsreihe im Stadion zum letzten Heimspiel vor Beginn der Veranstaltungsreihe. Ein Editorial des Fanbeauftragten des polnischen Organisationskomitees zur Fußball-EM 2012 und ein Interview mit einem der Initiatoren lud im Stadionheft mit einer Auflage von 4.500 Exemplaren zu den Veranstaltungen ein. Eingelegt war ein Flyer, der die Veranstaltungsreihe mit Gästen und Terminen vorstellte. Darüber hinaus wurden 350 Plakate und weitere 5.500 Flyer im Stadion plakatiert bzw. an Interessenten und fußballnahe Organisationen verteilt bzw. versandt. Der 1. FC Union warb für die Reihe mit dem Stadionsprecher beim Spiel und einer separaten Pressemitteilung. Der Fokus auf die Fans im Stadion machte deutlich, von wem und für wen die Veranstaltungen sind.

Für die Medien war die gesamte Veranstaltungsreihe offenbar von sehr geringem Interesse; sie berichteten nicht. Möglicherweise lag der bewusste Verzicht der Initiatoren auf eine Personalisierung und Skandalisierung sowie auf eine exklusive Bevorzugung der Presse gegenüber den Fans bei der Information und Werbung für die Veranstaltungsreihe schräg zur Medienlogik. Allerdings sind die Erfahrungen mit einer kulturell oder politisch interessierten Berichterstattung der Medien im Fußball ohnehin unbefriedigend. Wo selbst offensichtliche Tabubrüche von Managern und Trainern der 1. Liga nicht sanktioniert werden, hat es eine nicht effekthascherische politische Veranstaltungsreihe bei einem Zweitligisten nicht leichter, Aufmerksamkeit zu finden.

Erfolgreiche Konzepte und Erfahrungen

Die erstmalige Durchführung einer derartig ambitionierten Veranstaltungsreihe bei einem Fußballverein in Berlin und Brandenburg weckte bei den Unionern und weiteren Fußballfans Neugierde und führte zu den durchaus beabsichtigten Debatten, was die verschiedenen Themen miteinander und alle mit Rassismus zu tun haben. Die sehr renommierten und teils international anerkannten Gäste hatten die erwünschte Zugkraft und beförderten die Diskussionen im Umfeld des Vereins weit über die eigentlichen Besucher der Veranstaltungsreihe hinaus.

Die vielfältige Unterstützung des Vereins, wie z. B. die Bereitstellung der attraktiven Sponsoren-Location "Eisern Lounge" im Stadion für die Veranstaltungen machte einen Besuch für die "normalen" Fans noch attraktiver. Die Debatten erhielten durch die Veranstaltungsstruktur, beginnend mit dem Angebot einer gemeinsamen Diskussionsbasis für das jeweilige Thema, eine sehr konzentrierte und durch die Einbeziehung der Teilnehmer gegen Ende auch kurzweilig Form und waren dadurch ein Gewinn für die Selbstverständigung der Fanszene. Besonders bewährt hat es sich, dass, den heterogenen Erfahrungen und Kenntnissen der Teilnehmer Rechnung tragend, durch visualisierte Geschichten eine gemeinsame Diskussionsbasis angeboten wurde.

Weniger erfolgreich war dagegen die Ansprache von Interessenten aus den thematisierten, aber nicht fußballaffinen Spektren. Im Vergleich mit den erfolgreicher angesprochenen Szenen kann dies daran gelegen haben, dass die Initiatoren z. B. in der schwul-lesbischen als auch in der polnischen Szene in Berlin personell nicht selbst vernetzt sind. Dennoch nahmen an den Veranstaltungen insgesamt über 300 Besucher teil, was zusammen mit den wohlwollenden Debatten um die Themen der Veranstaltungsreihe als großer Erfolg gewertet wird.

Der Autor Helge Meves geht seit 1976 zum 1. FC Union, ist Vereinsmitglied, Stadionmitbauer und –mitbesitzer, engagiert sich in verschiedenen Formen für den Verein, unter anderem bei "Schöner Eisern ohne Nazis" (s.e.o.n.). Hauptberuflich arbeitet er im Bereich Strategie & Grundsatzfragen der Bundesgeschäftsstelle der Partei Die Linke.

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