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Chancen vertan, das Problem wächst: Der Jahresrückblick von Fussball-gegen-Nazis

Ende des Jahres - Zeit zum Bilanz ziehen. Für Fussball-gegen-Nazis kommt ein Fazit knapp anderthalb Monate nach Start des Portals ein wenig früh, doch mit Blick auf die Ziele dieses Projekts lässt sich festhalten: Für den Kampf gegen Nazis im Fußball, den Kampf gegen menschenverachtende Ideologien in der Kurve, auf dem Platz und rund ums Stadion war 2012 kein gutes Jahr.

Von André Anchuelo, Fussball-gegen-Nazis

Vom Bolzplatz auf dem Dorf bis zum Fußballtempel mit 80.000 Zuschauerinnen und Zuschauer: In ganz Deutschland kam es im zu Ende gehenden Jahr auch und gerade im Zusammenhang mit dem Fußball zu Vorfällen rassistischer, nationalistischer, antisemitischer, antiziganistischer, sexistischer oder homophober Natur.

Prügel, Übergriffe, Beleidigungen

Da wird Anfang Januar ein Hallenturnier in Lübeck zur Spielwiese gewaltbereiter Nazi-Hools, die friedliche Fans verprügeln und antiziganistische Parolen brüllen. Da veranstalten Nazis immer wieder rechtsextreme Fußballturniere, um ihre Szene zu vernetzen und verherrlichen dabei NS-Symbole. Da wird Anfang Februar ein israelischer Bundesligaspieler von Fans des eigenen Klubs antisemitisch beschimpft. Da werden auf der größten Stehplatztribüne Europas (im Stadion des Deutschen Meisters Borussia Dortmund) wiederholt rechtsextreme und homophobe Transparente gezeigt. Da zeigen rund um die Fußball-Europameisterschaft Nationalismus und Rassismus ihr hässliches Gesicht – bis hin zu körperlichen Übergriffen. Manche Nazis sagen inzwischen ganz offen, darüber berichtet etwa das Magazin "11 Freunde" in seiner Ausgabe vom Januar 2013, wie sehr sie den Fußball als Agitations- und Rekurtierungsfeld schätzen.

Immer wieder fallen die Namen bestimmter Städte und Klubs: Dortmund etwa in der Bundesliga, Braunschweig in der 2. Liga oder Aachen in der dritthöchsten Spielklasse. Nicht immer muss das daran liegen, dass es dort besonders viele Nazis in der Anhängerschaft gibt oder der jeweilige Verein besonders ignorant mit dem Problem umgeht. Manchmal liegt es auch einfach daran, dass sich in dem jeweiligen Ort, anders als an vielen anderen Ort, Fans gegen rechte Sprüche in der Kurve und gewalttätige Nazi-Überfälle wehren. Deshalb ist es wichtig, genau hinzuschauen und die Lage vor Ort zu untersuchen. Jan Tölva hat das für Fussball-gegen-Nazis anhand der Beispiele Braunschweig und Aachen getan. Lars Spannagel vom Tagesspiegel hat mit "Die neue Macht der Fußball-Nazis" ein Gesamtbild gezeichnet.

Dokumentieren der Vorfälle

Jeder dieser Vorfälle ist einer zu viel. Leider nimmt ihre Anzahl derzeit offenbar eher zu als ab. Umso wichtiger ist es, sie zu dokumentieren, wie Fussball-gegen-Nazis dies auch mit seiner Chronologie tut (die Redaktion freut sich übrigens jederzeit über Ergänzungen und Korrekturen, die man einfach per Kontaktformular einsenden kann). Das Dokumentieren ist wichtig - damit keiner sagen kann, er habe davon nichts gewusst. Damit diejenigen, die im Fußball die Verantwortung tragen, sich der Gefahr bewusst werden.

Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass es vor 20 Jahren noch weitaus schlimmer war. Darauf wies bereits Anfang März Andrej Reisin auf Publikative.org hin: "Bis weit in die Neunziger hinein war es in sehr vielen deutschen Stadien gang und gäbe, schwarze Spieler zu beschimpfen, ihnen Bananen zuzuwerfen oder vermeintliche Affengeräusche und ähnliches mehr von sich zu geben." Dass sich dies geändert habe, sei vor allem auf unzählige Faninitativen zurückzuführen: "Ohne jeden Zweifel hat das Aufkommen der Ultra-Bewegung ab Ende der Neunziger entscheidend dazu beigetragen, rechten Hools und Nazi-Schlägern die Dominanz in den Kurven zu nehmen, die sie bis dahin ebenso zweifellos hatten."

Dass "Fankultur heute weitgehend bunt statt braun ist, ist auch das Verdienst vieler, vieler Ultragruppen, die sich ausgehend vom Grundgedanken, dass der Support für den Verein im Mittelpunkt steht, nach und nach von Rassismus und Diskriminierung abgegrenzt haben", erklärte Reisin weiter. "In vielen Städten und in vielen Stadien sind sie heute deshalb die Träger einer progressiven und bunten Fußballkultur", so der Journalist und warnte zugleich: "Die Vereine laufen Gefahr, dass ihnen Hools und Nazis im Stadion, die sich dort aber unauffällig verhalten, weniger ins Auge fallen, als aufmüpfige, antiautoritäre Ultras".

Antirassismus statt "Sicherheits"-Hysterie

Diese Gefahr ist mit der seit dem Sommer immer hysterischer geführten "Sicherheits"-Debatte noch größer geworden. Sie gipfelte am 12. Dezember in dem Beschluss der großen Mehrheit der in der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zusammengeschlossenen 36 Profiklubs, das Konzept "Sicheres Stadionerlebnis" anzunehmen. Vorgeblich geht es in dem Papier darum, die Sicherheit im Stadion zu verbessern. Warum dies nötig sein soll - obwohl sich Experten einig sind, dass die deutschen Fußballarenen zu den sichersten der Welt gehören -, wurde bis heute nicht schlüssig erklärt.

Stattdessen wurden erneut "Gewalt", "Rassismus", "politischer Extremismus" und "Pyro-Technik" in einen Topf geworfen. Fast wortgleich äußerte sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) - der für die 3. Liga, den Amateurfußball, den Frauenfußball, den Kinder- und Jugendfußball sowie die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter zuständig ist – kurz vor Weihnachten in seinem Hochglanz-Magazin "DFB-JOURNAL". Mit keinem Wort erwähnte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach in seinem ganzseitigen Editorial das Problem des Fußballs mit Rechtsextremismus und Rassismus.

Auf inhaltliche Einwände von Ultragruppen gegen das Konzept, sowie selbst auf die Bitten mehrerer Klubs, den Beschluss zugunsten einer längeren Diskussion und einer intensiveren Einbeziehung der Fans zumindest zu vertagen, gingen die Granden der DFL nicht ein. In einem Beitrag des NDR wurde dies heftig kritisiert: Für die DFL sei es höchste Zeit, "auf das Thema Rechtsextremismus in deutschen Stadien klar und deutlich zu reagieren. Und das Sicherheitskonzept 'Sicheres Stadionerlebnis' wäre dafür die perfekte Chance gewesen. Doch die Chance wurde nicht genutzt."

Faninitativen unterstützen

So dürfte es im neuen Jahr auch und noch mehr vor allem an antirassistischen Faninitativen hängen - sowie einzelnen Vereinen, die guten Willens sind -, den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Fussball-gegen-Nazis wird dieses Unterfangen weiterhin mit seinen begrenzten Ressourcen unterstützen: Durch Informieren über rechtsextremes Denken und Handeln, aber auch über gelungene Formen des Engagements gegen menschenfeindliche Umtriebe; durch das Vernetzen engagierter Gruppen, Einzelpersonen, Wissenschaftler und Fans; durch das fortgesetzte Werben auch bei den Verantwortlichen in Verbänden, Vereinen und in der Politik für ein geschärftes Problembewusstsein.

Wer uns bei diesem Vorhaben unterstützen will, kann und sollte das tun: Durch Kooperation jeglicher Art, durch Weiterverbreitung unserer Inhalte (auch in den sozialen Netwerken wie Facebook, Twitter und Google+), durch Vorschläge, Anregungen, Ideen und Feedback; gerne auch durch steuerabzugsfähige Spenden.

In diesem Sinne wünscht die Redaktion von Fussball-gegen-Nazis allen Leserinnen und Lesern einen guten Rutsch ins Jahr 2013, das hoffentlich die eine oder andere positive Entwicklung bringt.

 

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