Hitlergruß von Aachenern in Babelsberg (22.9.2012)
Ian Stenhouse/No Dice Magazine

Aachen: Ehrenkodex mit Nazis?

Alemannia Aachen ist nicht nur pleite, sondern bekommt auch die Probleme mit gewalttätigen Anhängern nicht in den Griff. Klubführung und viele Fans weigern sich, das tatsächliche Ausmaß der Gefahr anzuerkennen, die von Mitgliedern der Karlsbande Ultras, der Hooliganszene und den Neonazis, die sich im Vereinsumfeld bewegen, ausgeht.

Von Jan Tölva

Falls der Plan der Aachener Alemannia für diese Saison der Wiederaufstieg in die 2. Liga war, so ist er bereits jetzt nicht aufgegangen. Schon auf dem Rasen läuft im Moment überhaupt nichts zusammen. Seit sieben Spieltagen gab es keinen Sieg mehr und von den letzten 16 Ligaspielen wurde überhaupt nur ein einziges gewonnen.

Der sportliche Abstieg ist jedoch in Aachen kein Thema – die drohende Insolvenz, von der Ende Oktober die Rede war, wurde Mitte November zur Gewissheit. Die Alemannia steht damit als erster Absteiger fest. Und gegen die Verantwortlichen wird wegen des Anfangsverdachts des Insolvenzbetrugs ermittelt, denn bereits im April wurden sie vom damaligen, kurz darauf entlassenen Aufsichtsratsmitglied Horst Rambau auf drohende Mindereinnahmen hingewiesen – in genau der Höhe der Summe, die heute dem Verein fehlt.

Zögerliches Eingreifen

Das größte Problem bei Alemannia Aachen ist aber offensichtlich weiterhin die Fanszene. Zwei Tage nach Bekanntwerden des Insolvenzantrags griffen Mitglieder der Aachener Karlsbande auf einem Autobahnparkplatz Mitglieder der Aachen-Ultras an – erneut. Spätestens seit der Spaltung der Ultraszene im Jahre 2010 in die Aachen-Ultras und die Karlsbande Ultras reißen die Meldungen über gewaltsame Konfrontationen, Drohungen und andere Vorfälle innerhalb der Szene nicht ab.

Erst als Anfang September beim Auswärtsspiel in Saarbrücken die als links geltenden Aachen-Ultras von einer offenbar recht breiten und gegenüber rechtsextremen Einstellungen offenen Koalition von Hools, Ultras und deren Umfeld angegriffen wurden, wurde der seit langem schwelende Konflikt in der Öffentlichkeit als Problem erkannt. Es waren diese Vorfälle und die Tatsache, dass zahlreiche Augenzeugen bestätigten, dass auch Mitglieder der Karlsbande an dem Angriff beteiligt waren, die den Verein endlich zu wenigstens so etwas Ähnlichem wie einem Eingreifen veranlassten.

Deutlichstes Zeichen dieses Eingreifens war das der Karlsbande auferlegte Verbot, im Stadion Material mit ihrem Gruppennamen zu verwenden. Dass die Gruppe dieses Verbot mehr oder minder umging, indem sie stattdessen Banner und T-Shirts mit dem Aufdruck "Unerwünscht" im Block präsentierte, mag noch als kreativ gelten.

Provokation als Machtprobe

Spätestens als sie beim Spiel gegen Wehen-Wiesbaden, das wegen des drohenden Insolvenzverfahrens als "mögliches letztes Spiel der Alemannia" galt, ihr Gruppenbanner mit ins Stadion nahmen, verstießen die Ultras der Karlsbande jedoch ganz klar gegen das gegen sie ausgesprochene Verbot. Eine Reaktion des Vereins auf diese Provokation, die durchaus als Machtprobe anzusehen ist, gibt es bis heute nicht.

Stattdessen präsentierte der Verein Anfang November, als sich der Trubel um die finanzielle Situation des Vereins wenigstens teilweise gelegt hatte, einen von allen relevanten Fangruppen inklusive Aachen-Ultras und Karlsbande unterzeichneten "Ehrenkodex der Fans". Doch was wohl als Befreiungsschlag gedacht war, hatte nicht die erhoffte Wirkung. Das liegt sicher unter anderem daran, dass kurz nach der Veröffentlichung des Kodexes durch den Verein auch die Aachen-Ultras ein Statement publizierten. Darin begründeten sie einerseits, warum sie den Kodex unterzeichnet haben.

Andererseits präsentierten sie aber auch einen wahren Horrorkatalog an Vorfällen der vergangenen Monate, der wohl etlichen Unbeteiligten noch einmal stärker vor Augen geführt haben dürfte, welche Dimensionen das Problem mittlerweile angenommen hat. Tätliche Angriffe, verbale Drohungen und Beleidigungen, Verfolgungsjagden, Diebstahl, nächtliche Anrufe, Sachbeschädigung – die Liste ist ebenso lang wie erschreckend. Zu glauben, dass Menschen, die derart handeln, und das offenbar sogar recht regelmäßig, sich von der bloßen Unterzeichnung eines Verhaltenskodexes davon abhalten lassen, auch in Zukunft andere zu bedrohen, zu beleidigen und anzugreifen, erscheint ein wenig blauäugig.

Angriff auf der Autobahn

Auch beim ersten Heimspiel nach Einführung des Ehrenkodexes kam es zu gewaltsamen Vorfällen, doch muss fairerweise festgehalten werden, dass hierbei die Initiative eindeutig von den Gästen aus Halle ausging. Die Aachener Hools schienen jedoch Augenzeugen zufolge durchaus geneigt, die Einladung zur Keilerei anzunehmen. Alleine das Eingreifen von Ordnern und Polizei dürfte eine direkte Konfrontation zwischen beiden Fangruppen verhindert haben. Tätlichkeiten innerhalb der Aachener Fanszene blieben dagegen aus.

Nicht so jedoch am folgenden Spieltag, als die Alemannia mit 1:2 beim VfB Stuttgart II verlor. Medienberichten zufolge wurde nach der Partie ein mit Mitgliedern der Aachen-Ultras und des Aachener Fanprojektes besetztes Auto auf dem Rastplatz Pforzheim an der A8 von Mitgliedern der Karlsbande angegriffen.

Unfähigkeit oder mangelnder Wille

Das Hauptproblem scheint aber bei der Unfähigkeit oder dem mangelnden Willen von vielen aus der Aachener Fanszene und auch der Führung des Vereins zu liegen, das tatsächliche Ausmaß der Probleme wahrzunehmen, und darin, dass nach wie vor die Aachen-Ultras als vermeintliche "Nestbeschmutzer" als das eigentliche Problem gesehen werden und nicht die nachweislich an Angriffen beteiligten Mitglieder der Karlsbande, die Hooliganszene des Vereins oder die zahlreichen Neonazis, die sich regelmäßig im Aachener Tivoli herumtreiben.

Dabei hat selbst die des notorischen Antifaschismus nun wirklich unverdächtige Sport-Bild gerade in einem Artikel von der Karlsbande als "rechtsradikal" gesprochen und genau wie mittlerweile fast jede Zeitung in der Republik auf Überschneidungen zwischen dem Umfeld der Ultragruppe und dem der mittlerweile verbotenen Kameradschaft Aachener Land hingewiesen.

Dass so etwas auf Dauer extrem rufschädigend sein kann und potentielle Investoren und Sponsoren von einem Engagement bei dem chronisch klammen Verein abhalten wird, scheint in Aachen kaum jemand sehen oder einsehen zu wollen. Auch im Fanforum ärgern sich einige User bezeichnenderweise lieber darüber, dass sie in Zukunft möglicherweise nicht mehr "schwule Kölner" rufen dürfen, statt an die Zukunft des Vereins zu denken.

Handeln und Farbe bekennen

Dabei könnte alles so einfach sein. Selbst der Ehrenkodex fordert, dass "sowohl Ruf als auch Wohl der Alemannia" im Vordergrund stehen sollten, und was wäre besser für Ruf und Wohl des Vereins als eine Fanszene, in der Neonazis, rechte Hools sowie jede Form von Diskriminierung anderer keinerlei Platz mehr haben und in der ein respektvoller Umgang miteinander, aber auch mit anderen Konsens ist? Dafür aber müsste der Verein endlich handeln und Farbe bekennen, statt sich aus Angst vor dem gewaltbereiten rechtsextremen Flügel des eigenen Anhangs in Duckmäusertum zu üben. Selbst in Aachen könnte es dafür eigentlich eine deutliche Mehrheit geben.

Leicht geänderte Fassung eines Artikels, der zuerst in der Wochenzeitung Jungle World erschien.

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