In Mügeln (Sachsen) wurden 2007 acht Inder von rassistischen Mitmenschen durch den Ort gejagt. Zwei Jahre später werden Jugendliche, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, von der Stadt behindert und von Neonazis angegriffen. Warum sie sich nicht entmutigen lassen, erklärt Susan Anger vom Vive le Courage e.V. aus Mügeln.
Mügeln in Nordsachsen erlangte 2007 unschöne Bekanntheit, als acht Inder von etwa fünfzig gewaltbereiten, rassistischen Mitbürgern, zum Teil aus dem rechtsextremen Spektrum, durch die Stadt gejagt wurden. Darauf hin wurde in dem 4.500-Einwohner-Ort der Verein „Vive le Courage e.V.“ gegründet. Mit diversen Aktionen klärt er über Rassismus und Rechtsextremismus auf – und muss immer wieder mit Angriffen seitens der Neonazi-Szene und Behinderungen durch den Mügelner Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) kämpfen. Während die Rechtsextremen etwa beständig die Fensterscheiben des Vereinsgebäudes einwerfen, untersagte Deuse etwa jüngst ein zuvor zugesagtes antirassitisches Konzert in der Stadt, weil er plötzlich im Park keine "politischen Veranstaltungen" mehr zulassen will.
Bea Marer sprach über die Situation mit Susan Anger, Mitglied des Vive le Courage e.V.
War die Hetzjagd auf die Inder 2007 ein Einzelfall? Ist Mügeln zu Unrecht in Verruf geraten?
Leider haben wir ständig mit Übergriffen der rechtsextremen Szene zu kämpfen, schon vor und auch nach der Hetzjagd. Das Ausmaß dieses Übergriffs war extrem, doch auch im Alltag werden die Pöbeleien immer krasser. Die Zahl der Angegriffenen steigt, auch Verfolgungen häufen sich. Die Mitglieder unseres Vereins sind davon besonders betroffen.
Die Nazi-Szene ist im Ort also schon lange sichtbar. Warum brauchte es dann erst einen Vorfall mit Medienrummel in dieser Größenordnung, um eine Institution des Widerstands zu gründen?
Vor dem Verein hatten wir ein Jugendzentrum, das überwiegend von Leuten aus der linken Szene besucht wurde. Das hatte eine ähnliche Funktion wie der Verein heute - und auch schon die gleichen Probleme mit Nazi-Pöbeleien. Leider wurde das Zentrum aber Anfang 2008 geschlossen. In Gedenken an die Hetzjagd haben darauf hin „Vive le Courage“ gegründet.
Warum wird in einem Ort mit lebendiger Neonazi-Szene einen Jugendclub geschlossen, von dem aus ein antirassistisches Weltbild vermittelt wurde?
Der offizielle Grund ist, wir hätten gegen die Öffnungszeiten und den Lärmschutz verstoßen. Inoffiziell aber wollte der Bürgermeister Gotthard Deuse den Club schließen, weil er darin eine „Gefahr von Linksextremisten“ sah. Das Rechtsextreme stört ihn nicht so, aber vor den Linken hat er ein bisschen Angst.
Gotthard Deuse ist auch dafür verantwortlich, dass das geplante Abschlussfest der von euch geplanten „Aktionswoche gegen Rassismus“ am 29.08.2009 nicht in Mügeln stattfinden darf.
Ja, leider. Begründung ist, dass es sich um eine politische Veranstaltung handele. Anti-Rassismus hat aber nicht zwangsläufig etwas mit Politik zu tun, sondern ist eine der wichtigsten Grundlagen friedlichen Zusammenlebens. Wir konnten ihn bisher auch zu keinem weiteren Gespräch bringen und haben das Fest jetzt in einen Nachbarort verlegt, nämlich ins E-Werk in Oschatz.
Gibt es Zuspruch von anderer Seite – von anderen Politikern oder Vereine?
Vom Stadtrat bekommen wir leider keine Unterstützung. Auch die Abgeordneten der SPD und der Linken scheinen sich nicht für uns zu interessieren. Die Vereine vor Ort sind allesamt traditionell und haben alt eingesessene Mitglieder, die mit uns nichts zu tun haben wollen. Doch wir haben gute Kontakte zu ähnlichen Organisationen im Umkreis. Die helfen uns bei Veranstaltungen. In der Bevölkerung haben wir schon viel erreicht. Ältere Menschen unterstützen uns unter der Hand.
Unterstützung ist jetzt wichtiger denn je – ist euer Verein doch ständig von rechtsextrem motivierter Gewalt betroffen.
Das ist wahr, zum Beispiel werden immer wieder die Scheiben des Vereinsgebäudes eingeworfen. Dadurch sind wir in eine finanziell sehr prekäre Lage geraten. Wir sammeln jetzt in einer Spendenaktion Geld für Sicherheitsglas.
Was ist das für ein Gefühl, wenn man schon wieder auf den Scherben der eingeschlagenen Scheiben des Vereinshauses steht?
Im Prinzip haben wir damit gerechnet. Wir kennen das schon vom Jugendclub. Deshalb würden wir auch lieber Gitter anbringen, anstatt nur Sicherheitsglas, um Verwüstungen in den Räumen, wie es schon oft der Fall war, zu vermeiden. Aber das geht wegen des Denkmalschutzes des Gebäudes leider nicht.
Wie geht ihr damit um, wenn euch ein Neonazi begegnet?
Dieses Thema ist ein großer Diskussionspunkt innerhalb des Vereins, da konnte auch noch kein Konsens erreicht werden. Wir reagieren situationsabhängig. Auf der Straße gehen wir an ihnen vorbei. Bei Veranstaltungen werfen wir sie raus, wenn sie stören. Wollen sie reden, dann reden wir mit ihnen.
Ihr diskutiert mit Nazis?
Ja, aber natürlich nicht mit Hardlinern. Doch man muss sich die Situation hier vorstellen: alles kleine Orte, jeder kennt jeden. Wenn nun einige Leute der Dorfjugend mangels Alternativen über andere Jugendliche und Konzerte in die rechte Szene reinrutschen, muss man mit ihnen reden und sie aufklären, damit sie uns nicht völlig entgleiten. Denn oft sind das nur Mitläufer, die die Parolen der Freunde nachquatschen, ohne darüber nachzudenken.
Jeder kennt jeden – dann kommt es doch bestimmt auch in Schule und Ausbildung zur Konfrontation mit Neonazis?
Sicherlich, das ist sehr problematisch, weil man so schlecht ausweichen kann. Ich persönlich habe damit keine Probleme mehr, weil ich im Ort und bei den Nazis bekannt bin. Daher greifen sie mich auch nicht an, weil sie genau wissen, dass ich Anzeige erstatten würde. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen sind auch ein Generationsproblem. Ich bin Anfang 30. Menschen, die rund zehn Jahre jünger sind als ich, sind mit Neonazis im gleichen Alter konfrontiert, die immer gewaltbereiter und dann auch gewalttätiger sind.
Das kann nicht unbemerkt bleiben. Wie wird im Ort darauf reagiert?
Ist wieder jemand Opfer einer rechtsextrem motivierten Gewalttat geworden, wird die Polizei gerufen. Die kommt aber oft viel zu spät, manchmal sogar gar nicht, und vergisst auch einmal, Zeugenaussagen aufzunehmen, die eindeutig zur Fallklärung geführt hätten. Und der Bürgermeister will den Ernst der Lage immer noch nicht sehen und beschäftigt sich einfach nicht damit.
Der Opferfonds CURA der Amadeu Antonio Stiftung bittet um Spenden für „Vive le Courage“!
Der Verein „Vive le Courage“ in Mügeln braucht 6.000 Euro, um das Vereinsgebäude gegen Übergriffe zu sichern. Der Opferfonds CURA möchte „Vive le Courage e.V.“ helfen und konnte dem Verein eine erste Hilfe in Höhe von 1.000 Euro bewilligen. Jetzt bittet er um Unterstützung: Ermöglichen Sie mit Ihrer Spende, die Fortführung des Engagements von „Vive le Courage e.V.“ für eine demokratische Kultur, die sich nicht durch rechtsextreme Gewalt einschüchtern lässt. In der Region Mügeln wie in anderen Teilen Deutschlands ist die Schaffung und Erhaltung einer demokratischen Kultur eine wichtige Aufgabe und es darf nicht zugelassen werden, dass sich dieses Engagement rechtsextremen Gewalttätern beugen muss.
Opferfonds CURA der Amadeu Antonio Stiftung
Stichwort „Mügeln“
Deutsche Bank Bensheim
Konto: 030 331 331
BLZ: 509 700 04
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