Gewaltverherrlichend, rassistisch, verschwörungsgläubig – wir haben uns Bürgerwehren in Sozialen Netzwerken genauer angesehen. Dabei ist auch die Bürgerwehr, die dieser Herr gegründet - und besungen - hat.
Youtube.com, Screenshot: 10.02.2016

Monitoring: Auf Patrouille bei den Facebook-Bürgerwehren

Die Bürgerwehren betrachten sich selbst als die Verteidiger Deutschlands, als Kämpfer für Recht und Ordnung. Doch was für ein Deutschland haben sie eigentlich im Sinn? Dieser Artikel beschäftigt sich mit ihren Ordnungsvorstellungen, ihrer Tonlage und ihren Diskussionen. Der Autor hat sich hierfür in diversen geschlossenen – also nur für Mitglieder einsehbaren – Facebookgruppen angemeldet.

Von Oskar Sommer

 

Wer ist hier eigentlich gemeingefährlich?

Was alle Bürgerwehr-Gruppen bei Facebook eint, ist die Tatsache, dass Flüchtlinge als Bedrohung angesehen werden. Sie werden verantwortlich gemacht für steigende Kriminalität, für Diebstähle und sexuelle Gewalt. Sie werden durchgängig mit beleidigenden („Rapefugees“) oder ironischen Begriffen („Fachkräfte“, stets in Anführungszeichen) bezeichnet. In allen überprüften Facebook-Gruppen werden neonazistisiche Inhalte und Symboliken gepostet und ernten so gut wie nie Widerspruch. In den Gruppen wird außerdem offensiv der Einsatz von Waffen diskutiert. Darüber hinaus wird dazu aufgerufen, Flüchtlinge oder politische Gegner totzuschlagen, auch in solchen Fällen erleben die Postenden keine Gegenrede.

 

Gewaltverherrlichung

Als die Morgenpost am 23. Januar 2016 berichtete, über 40 Hooligans hätten in Dresden vermeintliche Ausländer gejagt und Geschäfte verwüstet, wurde diese Aktion in der Gruppe „Bürgerwehr Berlin ST“ frenetisch bejubelt. Ein Nutzer kommentierte die Gewaltaktion: „Richtig so. Schlägt diese Drecksbrut. Tot“ und „diese Drecksbrut totschlagen entmannen.zumvteufelbjagen“ (Fehler selbstverständlich im Original).

Alle Screenshots: 10.02.2016 bei Facebook.com. Hier aus der Gruppe
"Bürgerwehr Berlin (ST)".
Der Link im Post führt zum oben verlinkten Mopo-Artikel.

Als die Medien am 20. Januar 2016 über den tragischen Tod einer jungen Frau in Berlin berichteten, die von einem psychisch kranken Mann vor eine einfahrende U-Bahn geschubst wurde, konnte es natürlich nicht lange dauern, bis die Hilfssheriffs sich in Phantasien darüber ergingen, was sie mit dem Täter anstellen würden, würde er in ihre Hände fallen. Einige Vorschläge aus der Gruppe „Gerstungen, Untersuhl und Umgebung“: „Da hilft nur eins an die Wand stellen und abknallen das Schwein“, ein anderer würde „den Dreckskerl zuerst den Angehörigen der getöteten Frau überlassen“, wieder ein anderer schlug eine öffentliche Steinigung vor. Auch Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende anzuzünden, wurde als angemessene Reaktion ins Spiel gebracht.

Aus der Gruppe "Bürgerwehr Gerstungen, Untersuhl und Umgebung"

Ein Facebooknutzer postete gleich in mehreren geschlossenen Facebookgruppen einen Verkaufslink für Hartplastikgeschosse, darunter die Gruppen „Bürgerwehr / Bürgerschutz West“ und „Bürgerwehr NRW“. Angesichts der oben abgebildeten Gewaltphantasien darf er wohl zu Recht annehmen, dass die selbsternannten Bürgerschützer dem Waffengebrauch nicht abgeneigt sind. 

Für die “Bürgerhilfe Saarland” sind Leute von Presse und Antifa „Abschaum“. Ihr Gruppengründer rappt  unter dem Pseudonym „Crânio“ über die Ziele der Bürgerwehr.

 

Das Lied soll ein Diss sein für alle, die Bürgerwehren und den Rapper selbst vermeintlich falsch verstehen. Er nennt die Kritiker der Bürgerwehr „Spastis“, posiert mit einer Ak 47- Basecap und einer Waffenattrappe. Er rappt dazu: „Und diese Pisser von Refugees / machen einen auf Samariter / doch zu mies / ist die Tatsache wie sie Geld verdienen / ich nenn es Menschenhandel / hab ich jetzt ein Problem? Is mir doch egal / Pro Asylkopf werden euch doch ein paar Hundert gezahlt (…) Ihr habt nur Angst, dass sich die Bürgerwehren verbünden / gefährlich für die Diktatur in Deutschland (…) Demokratie wird uns vorgegaukelt / Frau Merkel wurde von Obama geschaukelt (…) ich bin Deutscher und stolz drauf“.

Screenshot: Youtube.com

 

“Wir sind keine Nazis”

 

Aus der Gruppe "Bürgerwehr Gerstungen, Untersuhl und Umgebung"

Natürlich weisen alle Bürgerwehrgruppen den Vorwurf, Nazis zu sein, weit von sich. Die Inhalte der Gruppen sprechen eine andere Sprache. Offen neonazistische Inhalte und Symboliken werden von den Administratoren der Gruppen oft über Wochen nicht gelöscht – manchmal posten sie diese aber auch selbst, wie bei der „Bürgerwehr Monnem“ (Mundart für Mannheim). Ihr Gruppenfoto (kann nur von einem Administrator geändert werden) zeigt den Reichsadler, das Staatswappen Deutschlands zur Zeit des Nationalsozialismus (eine Verwechslung mit dem Bundesadler oder dem Staatswappen des deutschen Kaiserreiches ist nicht möglich, vgl. Wikipedia). Lediglich das Hakenkreuz wurde durch das Eiserne Kreuz ersetzt, weil die Darstellung in dieser Form nicht strafbar ist.

Unsererseits ebenfalls „ohne Worte“: Dieser Post aus der Gruppe „Bürgerwehr NRW” (heißt nun "Bürgerschutz PRO NRW!!!"):

 

Auch "Bürgerwehr NRW"

Nein, der „logische Schluß” ist das eben nicht. Denn eine Notwehrhandlung ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Verteidigung darstellt.

 

Ein Administrator der „Bürgerwehr Hardtwald” (Raum Karlsruhe) verherrlicht über sein privates Facebook-Profil  die Taten der deutschen Armeen im Zweiten Welkrieg:

 

 

Wie sie über Flüchtlinge und politische Gegner reden

Flüchtlinge werden pauschal diffamiert, entweder als „Asylanten“, „Asylbetrüger“ oder einfach nur „Fachkräfte“ (stets in Anführungszeichen) bezeichnet.

Auch aus der Gruppe "Bürgerwehr Hardtwald"

In den Gruppen wird jeder Schritt von Menschen, die im Dorf oder der Stadt als irgendwie „fremd“ auffallen, intensiv diskutiert. Jede Handlung – und sei sie noch so banal oder alltäglich – gilt als potentiell bedrohlich oder verdächtig und wird deshalb mit Gewaltdrohungen quittiert. 

Aus der Gruppe "Bürgerwehr Gerstungen, Untersuhl und Umgebung"

 

Nähe zu Rockern

Motorradclubs und Bikergangs werden landläufig nicht unbedingt mit Sicherheit und Ordnung in Verbindung gebracht. Natürlich frönt die Mehrheit der Biker friedlich und gesetzestreu lediglich ihrer Liebe zu Motorrädern und Lederkutten. Andere Motorradgangs wie die „Hells Angles“ oder die „Bandidos“ sind jedoch der organisierten Kriminalität zuzurechnen und einzelne „Charter“ sind in Deutschland verboten.

Die „Bürgerwehr Monnem“ jedenfalls scheint keine Berührungsängste mit Rockern zu haben. Ihr erstes Offline-Gruppentreffen wird sie am kommenden Sonntag in den Vereinsräumen des „MC Germanen Mannheim“ abhalten. Die germanischen Rocker organisieren sonst Benefizfeste für die Lebenshilfe oder Straßenkinder. Sie sind aber auch schon einmal in die Schlagzeilen geraten, weil Leute aus ihrem Umfeld mit der ehemaligen Pornodarstellerin und heutigen NPD-Aktivistin Ina G. auf Fotos posierten. G. hatte intensive Auseinandersetzungen innerhalb der rechten Szene ausgelöst und gleich für mehrere Skandale in den Parteien NPD und „DIE RECHTE“ gesorgt, die als „Peniskuchen-Affäre“ und „Pornostreit“ bekannt wurden. 

Aus der Gruppe "Bürgerwehr Monnem"

Auch Tofigh H., Sprecher und Gründer der Gruppe “Düsseldorf passt auf” hat scheinbar keine Berührungsängste mit Motorradclubs im Allgemeinen, sondern lobt deren Arbeit:

Aus der Gruppe "Düsseldorf passt auf - einer für alle, alle für einen"

Der Gruppe soll hier zugutegehalten werden, dass sie – gemessen an einer Facebook-Bürgerwehr – ungewöhnlich intensiv moderiert wird. Neonazistische oder andere strafbare Inhalte werden in der Regel innerhalb weniger Stunden gelöscht und sind laut Selbstbeschreibung der Gruppe auch unerwünscht.

 

Verschwörungsdenken

In den Gruppen, die auf Facebook als virtuelle Bürgerwehren firmieren, finden sich auch Klassiker der deutschen Verschwörungsideologieszene wieder, etwa die Reichsbürgerbewegung. „Reichsbürger“ sind davon überzeugt, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um keinen legitimen Staat handelt, sondern um eine GmbH, die „BRD GmbH“. Das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 (oder 1914, je nach Gruppe) bestehe hingegen fort und werde von ihnen in Form einer „Kommissarischen Reichsregierung“ vertreten. Wie im Bild unten zu sehen, wird „das echte Deutschland“ als Opposition zur „Firma BRD“ konstruiert. Sie verstehen Deutschland in einem völkischen Sinne und nicht als Nation von rechtlich gleichen Bürgern.

Aus der Gruppe "Bürgerwehr / Bürgerschutz West"

Ebenfalls vielsagend: Auf der Seite der “Bürgerwehr Ortenau“ (Ba-Wü), wird gegenüber 1.200 Mitgliedern ein Klassiker der Verschwörungstheorie aufgewärmt: die Idee, hinter allem Schlechtem würden die finsteren Machenschaften einer kleinen Elite stehen, die dafür sorgt. „Rothschild, Rockefeller & Co“ ist als Chiffre auf das häufig so bezeichnete amerikanische „Ostküstenkapital“ zu verstehen. Das soll suggerieren, dass die amerikanische Wirtschaft und Politik eigentlich von Juden gesteuert wird. Auch hier: Empörung? Fehlanzeige. 

 

Fazit

In den Facebook-Bürgerwehr-Gruppen tummelt sich offensichtlich eine Mischszene aus sich selbst unpolitisch wähnenden und besonders besorgten Bürgern, Gewalt-und-Law-and-Order-affinen Durchschnittsdenkern, Neonazisympathisanten sowie organisierten Nazis. Es ist klar, dass erfahrene Neonazis diese Gruppen hervorragend als Rekrutierungsumfeld und Propagandainstrument nutzen können. Hier bestätigen sich die Wutbürger ihre Vorurteile außerdem gegenseitig und legen sich so auf ein gemeinsames Feindbild fest – Linke und andere Gutmenschen, die Regierung und natürlich und allen voran: die Flüchtlinge.  

 

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