Fußball und Rassismus Jahresrückblick 2017: Deutsche Nazis missbrauchten das WM-Qualifaktionsspiel der DFB-Elf als Bühne für ihre Menschenverachtung. Rund um den Fußballverein Energie Cottbus ist es trotz Auflösung der neonazistischen Gruppe „Inferno Cottbus“ nicht zu einer Entspannung der Zustände gekommen. Der SV Babelsberg 03 wehrt sich mit der Kampagne "Nazis raus aus den Stadien" gegen rechte Hetze in Fußballstadien. Fans verschiedener Vereine nutzen das Konterfei des jüdischen Mädchens Anne Frank, um ihre Rivalen zu verhöhnen.
Von Marvin Bernhardt
Deutsche Nazis missbrauchten das Länderspiel in Prag als Bühne für ihre Menschenverachtung. Auch in der Stadt kam es zu Vorfällen. Mehrere Dutzend deutsche Zuschauer grölten beim WM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien Naziparolen. Pöbeleien, vereinzelte Sieg-Heil-Rufe, üble Beleidigungen gegen den Deutschen Fußball-Bund (DFB), Stürmer Timo Werner und Offensivspieler Mesut Özil (“Özil abschieben, Ausländer raus!“) waren aus einem Pulk heraus zu hören gewesen. Beide Nationalhymnen und eine Schweigeminute für zwei verstorbene tschechische Fußballfunktionäre wurden mit Unflätigkeiten gestört. Die deutsche Mannschaft verweigerte den Gang in die Fankurve. Für Abwehrchef Mats Hummels war sofort klar: „Das war so weit daneben, dass sich die Frage gar nicht stellte." Der DFB musste einräumen, dass derartige Parolen erwartet worden waren. Mit einem riesigen Plakat hat sich der Fan Club Nationalmannschaft vor dem WM-Qualifikationsspiel der DFB-Elf gegen Norwegen in Stuttgart von dem Nazi-Eklat in Prag distanziert. "Gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung - der Fan Club ist bunt und steht hinter der Mannschaft", stand auf dem Plakat.
Am 14. Mai 2017 kam es in Karlsruhe vor einem Spiel der Männer-Fußballteams von Karlsruher SC und der SG Dynamo Dresden zu einem martialischen Marsch von 1.500 bis 2.000 Dynamo-Anhängern im Einheits-Tarnfleck, die unter dem Label „Footballarmy Dynamo Dresden“ auftraten. Auf dem Front-Transparent wurde die Botschaft „Krieg dem DFB“ angekündigt. Dazu kam es zum Einsatz von Rauchtöpfen und rhythmischen Trommeln. Auch wenn es sich nicht explizit um eine Demonstration mit rechter Thematik handelte, so war doch ein paramilitärischer und protofaschistische Charakter ebenso unverkennbar wie die starke Teilnahme rechter Fußball-Fans. Vorneweg fuhr ein Trabi mit dem Kennzeichen „DD - VP 88“. 88 steht in der Neonaziszene für die Buchstaben HH, was wiederum „Heil Hitler“ bedeutet. Sowohl Polizeibeamt_innen als auch die Ordner_innen wurden attackiert und zum Teil verletzt. Dass Nazis und Rechtspopulist_innen auch Fußballfans sein können, ist kein Geheimnis. Wenn aber auch noch der Pegida-Initiator Lutz Bachmann im Nachgang tweetet: „Das ist der Osten! Das ist Dresden! Das ist Dynamo!“ ist die Verbindung zu eher unangenehmen Ideologien nicht mehr weit hergeholt.
Die Hammer Spielvereinigung ist erneut durch Naziparolen und rassistische Beschimpfungen auffällig geworden. Zu dem Auswärtsspiel gegen Oberliga-Konkurrenten SV Lippstadt erschienen neben zahlreichen Rechtsextreen aus Hamm auch hochrangige Kader der Partei “Die Rechte”. So reisten der Vorsitzende des Kreisverbandes Hamm, Sascha Krolzig, sowie der stellvertretende NRW-Landesvorsitzende Michael Brück gemeinsam mit den anderen Fußballfans der HSpVg an. Während des Spiels skandierten ungefähr 35 Neonazis rechte Parolen wie “Hurra, Hurra, die Nazis sind da” oder “Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen” und zeigten den Hitlergruß. Sie hielten außerdem mitgebrachte Reichskriegsflaggen hoch und versuchten, die Lippstadt-Fans körperlich zu attackieren. Beim Aufeinandertreffen der beiden Vereine am 19. Februar 2017 zündeten Anhänger der Hammer Spielvereinigung Pyro-Technik, stürmten den Platz und riefen rechtsextreme Parolen wie “Jude Jude Lippstadt” oder “Frei, sozial und national”.
Rund um den Fußballverein Energie Cottbus ist es trotz Auflösung der neonazistischen Gruppe „Inferno Cottbus“ nicht zu einer Entspannung der Zustände gekommen. Die Fans des Vereins sind wiederholt durch rassistische Aktionen in Erscheinung getreten. Aus Angst vor Untersuchungen seitens der Staatsgewalt hat sich das Inferno Cottbus „freiwillig aufgelöst“. Im brandenburgischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2016 wurden „Inferno Cottbus“ und ihre Nachwuchs-Truppe „Unbequeme Jugend“ erstmals als Neonazi-Strukturen aufgeführt. Kurz nach diesem Bericht löste sich das „Inferno“ nach 18-jährigem Bestehen auf - vermutlich, um einem Vereinsverbot zuvorzukommen. Dieses Vorgehen konnte im August bereits in Dortmund von der rechten Hooligan-Gruppe „0231 Riot“ beobachtet werden, wodurch die Hooligan-Gruppierung einem Verbot durch das Innenministerium zuvorkam.
Auslöser der Ermittlungen gegen die Gruppierung aus Cottbus war ein Fackelmarsch von 120 maskierten Neonazis im Januar. Eine Machtdemonstration erlebte die brandenburgische Stadt in der Nacht zum 14. Januar 2017, als sich etwa 120 vermummte Neonazis versammelten und mit Fackeln durch Cottbus zogen. Der Aufmarsch wurde professionell vorbereitet und schnell stand fest, dass diese Drohkulisse hauptsächlich von der rechten Fußballfanszene des FC Energie Cottbus inszeniert wurde. Dieses Milieu, vor allem um die Hooligan-Gruppe „Inferno Cottbus", ist ein wesentlicher Machtfaktor für die örtliche rechte Szene. Zudem sollen Inferno-Anhänger vielfach andere Fans bedroht und geschlagen haben, um die Fankurve zu beherrschen.
Beim Regionalliga-Spiel gegen den SV Babelsberg 03 am 28. April 2017 fielen die Cottbuser Fans zudem durch das mehrfache Zeigen des „Hitlergrußes“ und Schmähgesängen, wie „Arbeit macht frei, Babelsberg 03“ auf. Im Zuge dessen kam es im Nachgang für viele zu einem „Skandalurteil“ des Nordostdeutschen Fußballverbandes. Im Urteil des Verbandsgerichts wurde zwar von dem Ruf „Nazischweine raus!“ gesprochen, dass zuvor Nazi-Parolen aus dem Cottbuser Block schallten und Hitlergrüße gezeigt wurden, wurde aber verschwiegen. Doch während das Urteil gegen Energie Cottbus in Revision ging und anschließend massiv abgemildert wurde, lehnte das NOFV-Verbandsgericht den Babelsberger Antrag aus formalen Gründen ab.
„Nazis raus aus den Stadien“ – Kampagne des SV Babelsberg 03 gegen rechte Hetze
Der SV Babelsberg 03 wehrt sich gegen Nazis in Fußballstadien. Nicht nur, weil der Verein vom Nordostdeutschen Fußballverband dafür bestraft worden ist, weil Nulldrei-Fans „Nazischweine raus“ riefen, während rechte Krawallmacher im Karl-Liebknecht-Stadion Nazi-Parolen grölten und die Arme zum Hitlergruß streckten. Es gehört zum Selbstverständnis und zu den Werten des SV Babelsberg 03, für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit einzutreten. Das hat der Verein in der Vergangenheit in vielfacher Hinsicht gezeigt – unter anderem durch sein Integrationsprojekt Welcome United 03 oder sein jährliches antirassistisches Stadionfest. Die Kampagne verkauft T-Shirts und Stoffbeutel mit einer eindeutigen Botschaft: „Nazis raus aus den Stadien!“. Ein Teil des Erlöses soll helfen, die Kosten für die rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem NOFV und die verhängte Strafe von 7.000 Euro zu finanzieren. Künftig sollen Erlöse der breit angelegten Kampagne dazu dienen, freie Fanprojekte bei ihrer Arbeit gegen rechte Umtriebe zu unterstützen.
T-Shirts dieser Kampagne trugen auch die Anhänger so wie die Spieler von Roter Stern Leipzig beim Ligaspiel gegen den TSV Schildau. Während der Partie gab es nach Angaben von Roter Stern Rufe wie "Judensterne" und "Zeckenpack". Im Publikum standen Leute, die T-Shirts mit Aufdrucken wie "Juden Chemie", oder "White Aryan Resistance" ("Weißer Arischer Widerstand") trugen. Danach wurde der Vorwurf laut, dass die Sterne-Fans selbst Schuld seien an den Vorkommnissen. Sie hätten die Gegenseite durch das Tragen von Shirts mit dem Aufdruck "Nazis raus aus den Stadien" provoziert, die sie dann auf Geheiß der Polizei ausziehen mussten. Der Verein und die Fans von Roter Stern Leipzig sind aufgrund ihrer weltoffenen und antidiskriminierenden Einstellungen bereits öfter Opfer von Anfeindungen und Überfällen geworden.
Rechte Ultras von Lazio Rom klebten im Stadion Aufkleber mit antisemitischen Botschaften. Unter anderem war Anne Frank im Trikot des Stadtrivalen AS Rom zu sehen. Mitglieder der "Irriducibili" (Unbeugsame), einer Organisation rechtsextremer Fans von Lazio, hatten auf Sitze und Plexiglas-Absperrungen der Südkurve Sticker mit einer Fotomontage geklebt. Darauf zu sehen war ein Porträt von Anne Frank im gelbroten Trikot des Lokalrivalen AS Roma. Es gab auch andere Aufkleber mit unmissverständlichen Botschaften: „Romanista Ebreo" („Roma-Anhänger sind Juden") und „Romanista Frocio" („Schwuchtel"). Zum zehnten Spieltag der Serie A liefen die Spieler in T-Shirts ein, die sie über ihre Trikots gezogen hatten. „Nein zum Antisemitismus" stand darauf, darüber prangte ein Porträt des von den Nazis ermordeten deutsch-jüdischen Mädchens Anne Frank. An die Einlaufkinder wurden Exemplare des "Tagebuchs der Anne Frank" und der autobiografische Bericht "Ist das ein Mensch?" des italienischen Auschwitz-Überlebenden Primo Levi verteilt. Die Stadionsprecher verlasen eine Passage aus dem Frank-Tagebuch, anschließend ordneten sie für eine "Reflexionsminute" Stille an. Erst dann wurde gespielt. Beim Spiel von Lazio Rom in Bologna schrie der mitgereiste Anhang einen Slogan des faschistischen Diktators Benito Mussolini. Dazu rissen viele den rechten Arm nach oben, zum Faschistengruß, den Neonazis in Italien gern als „Römischen Gruß“ verharmlosen.
Auch deutsche Fans nutzen das Konterfei des jüdischen Mädchens Anne Frank, um ihre Gegner zu verhöhnen. Sowohl vor der Partie Schalke gegen Borussia Dortmund als auch vor der Partie der Leipziger Stadtrivalen von Lokomotive und BSG Chemie wurden Aufkleber in Umlauf gebracht. Darauf zu sehen sind Anne Frank im Trikot mit dem BSG-Logo und die Aufschrift "JDN CHM", das für "Juden Chemie" stehen soll.
Am 28. Mai 2017 hat zum 6. Mal der Lauf gegen Rechts (LgR) in Hamburg stattgefunden. Organisiert wird der Lauf vom 1. FC St. Pauli. Der erste LgR 2012 fand als Teil der Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch, den sogenannten „Tag der deutsche Zukunft“ (TddZ), als Demo/Lauf rund um die Alster statt. Der TddZ konnte weitestgehend zurückgedrängt werden. In den weiteren Jahren wurde mit dem Lauf gegen Rechts ein deutliches Zeichen gesetzt, um weiter gegen den TddZ, der jedes Jahr in einer anderen Stadt stattfand, aufmerksam zu machen und aktiv dagegen zu mobilisieren. Die bei dieser Veranstaltung gesammelten Gewinne gehen in voller Höhe als Spende an das Hamburger Bündnis gegen Rechts sowie Flüchtlings- und antirassistische Initiativen. Dieses Jahr beteiligten sich mehr als 2000 Läuferinnen und Läufer und es konnten Spenden in Höhe von 21.000 Euro gesammelt werden.
Bei der Fußball-WM 2018 will die FIFA bei rassistischen Vorfällen durchgreifen. Im Falle von rassistischen Zwischenfällen während Spielen der Fußball-WM 2018 (14. Juni bis 15. Juli) in Russland können die Schiedsrichter die Partien unter- oder sogar gänzlich abbrechen.
Als erster Fußballverband zahlt Norwegen seinen Fußballerinnen das Gleiche wie den männlichen Kollegen. Damit nimmt Norwegens Fußballverband eine Vorreiterrolle ein. Der Verband hat eine neue Regelung zur Kompensation seiner Nationalspieler verabschiedet. Demnach sollen die Entschädigungszahlungen für die Frauen ab dem kommenden Jahr an das Niveau der Männer angeglichen werden. Einen Anteil von 550.000 NOK (rund 58.500€) steuerten Norwegens männliche Nationalspieler aus einem Budgettopf bei, der sie für kommerzielle Werbeaktivitäten im Rahmen von Länderspielen entlohnt.