Kita-Kinder (Symbolbild).
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Handlungsmöglichkeiten in der Praxis: Rassistische Äußerungen von Kita-Kindern

Was tun, wenn Kinder in der Kita rassistische Sprüche der Eltern in der Kita wiederholen? Diese Frage beantworten Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg).

 

Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Ene, mene, muh - und raus bist du! - Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik" der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung (September 2018). 

 

Fallanalysen und Handlungsmöglichkeiten in der Praxis

Prof. Dr. Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Heike Radvan (Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg). Beide sind freie Mitarbeiterinnen der Fachstelle
Gender, GMF und Rechtsextremismus.

Die Fälle und Handlungsmöglichkeiten gliedern sich auf verschiedene Ebenen: Pädagogisches Handeln mit Kindern, Elternarbeit sowie professionelles Handeln im Team und beim Träger.

 

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

 

Fall I.1: »Morgenkreis«

 

Sie arbeiten als Erzieher*in in einer Kita. Sie erleben im Morgenkreis, dass ein 5-jähriges Kind sich weigert, ein anderes Kind im Kreis anzufassen. Das Kind »begründet« dies mit der Aussage: »Ich mag keine Asylantenkinder«.

 

In unserer Beratungspraxis begegnet es uns sehr häufig, dass in solchen Fällen zu allererst das Kind Aufmerksamkeit erhält, von dem die Diskriminierung ausgeht. Es wird gestoppt, zurechtgewiesen. Hierbei jedoch gerät das betroffene Kind aus dem Blick. Es ist wichtig, unmittelbar und verlässlich auf Diskriminierungserfahrungen zu reagieren – und zwar so, dass das betroffene Kind erfährt, dass das, was passiert ist, nicht ok bzw. ungerecht ist und dass es keine Schuld dafür trägt. Das Kind muss sich durch die*den Erzieher*in geschützt fühlen. In dem konkreten Fall kann es zum Beispiel sehr sinnvoll sein, wenn Sie sich als Erzieher*in unmittelbar an die Seite des Kindes setzen, es an die Hand nehmen und den Kreis schließen.

Im zweiten Schritt wichtig: Reden Sie mit der ganzen Gruppe. Mit wenigen Worten sollte klar und deutlich werden, dass solch ein Verhalten verletzend ist. Es verstößt gegen die Regeln, die alle gemeinsam ausgehandelt haben über den Umgang miteinander. Kein Kind darf mutwillig verletzt, abgewertet und ausgeschlossen werden. Grundsätzlich darf jedes Kind so sein, wie es ist – wenn es mit seinem Verhalten andere nicht verletzt oder begrenzt. Wichtig ist ein solidarisches, also sich gegenseitig unterstützendes Miteinander.

Mit dem Kind, von dem die Diskriminierung ausgegangen ist, führen Sie zeitnah ein Einzelgespräch. In einem ersten Schritt fragen Sie nach den Gründen des Verhaltens und nach dem Verständnis des Wortes »Asylantenkinder«. Motivieren Sie das Kind, einen Perspektivwechsel einzunehmen und fördern Sie Empathiefähigkeit: Wie würdest Du Dich fühlen, wenn so mit Dir umgegangen wird? Ist das Kind bereits in der Vergangenheit durch diskriminierendes Verhalten aufgefallen, sollte dem Kind noch einmal sehr deutlich vermittelt werden, dass solch ein Verhalten nicht erwünscht ist.

Sowohl die Erziehungsberechtigten des betroffenen Kindes als auch die Erziehungsberechtigten des tätlichen Kindes sollten am selben Tag (ggf. beim Abholen des Kindes) kurz über den Vorfall und ihre Art der Intervention informiert werden. Ein Gesprächsangebot sollte unterbreitet werden (siehe die Ausführungen zur Elternarbeit im Folgenden).

Der zeitnahe Austausch zum Vorfall im Team ist wichtig. Es sollte – neben den bereits erwähnten Fragen des Umgangs mit Diskriminierung – besprochen werden, wie das Festschreiben von spezifischen Rollen (»Täter«, »Opfer«) gegenüber Kindern verhindert werden kann. Des Weiteren ist es in der Nachbearbeitung des Vorfalles unabdingbar, eine Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht im Team sicherzustellen, insbesondere für die Arbeit mit den Kindern unter der Perspektive Pädagogik der Vielfalt und Demokratiepädagogik. Zudem kann eine Informationsveranstaltung für Eltern sinnvoll sein. 

 

Pädagogik der Vielfalt

»Die Pädagogik der Vielfalt stützt sich auf die Grundannahme, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Jeder Mensch hat das Recht auf Lebensglück, Achtung seiner Persönlichkeit und Menschenwürde sowie darauf, sein eigenes Leben wie gewünscht zu gestalten. Demzufolge sind alle Menschen gleich, denn sie sind gleichberechtigt. Trotz dieser Grundannahme ist jeder Mensch einmalig, einzigartig und individuell, da jeder Mensch durch seine individuellen Lebensumstände und -erfahrungen eine eigene Perspektive auf die Welt entwickelt. Schlussfolgernd wird in der Theorie Pädagogik der Vielfalt also davon ausgegangen, dass jeder Mensch gleich und verschieden ist« (www.inklumat.de; siehe auch: Annedore Prengel 2003: Gleichberechtigung der Verschiedenen. Plädoyer für eine
Pädagogik der Vielfalt).

Demokratiepädagogik

Demokratie ist eine historische Errungenschaft, deren Verständnis, Bedeutung und praktische Geltung durch politisches wie durch pädagogisches Handeln immer wieder aktiv erneuert und verwirklicht werden muss – als Regierungsform, als Gesellschaftsform und als Lebensform. Unter Bezug auf das Konzept »Lernen durch Erfahrung« lernt man Demokratie demnach dadurch, dass man demokratisch handelt. Bei Demokratiepädagogik geht es darum, Demokratie mit unterschiedlichen Konzepten erfahrbar zu machen und einzuüben im Sinne einer Demokratie als Lebensform (John Dewey). Dazu zählen Wissen, Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft, die erforderlich sind, um als mündige*, verantwortungsfähige* Bürger*innen in der modernen Welt bestehen und mitwirken zu können (Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. 2014): ABC der Demokratiepädagogik).

 

Mehr Fallanalysen und Handlungsmöglichkeiten in der Praxis folgen in den kommenden Tagen:

Ebene I: Pädagogisches Handeln mit Kindern

Fall I.1: »Morgenkreis«

Fall I.2: »Nationalsozialistische Symbole und problematisches Verhalten«

Fall I.3: »Kinder aus völkischen Elternhäusern«

Ebene II: Elternarbeit

Fall II.1: »Frühzeitiges Erkennen«

Fall II.2: »Bildung für das eigene Kind«

Fall II.3: »Besorgte Mutter«

Ebene III: Arbeit im Team und mit Träger

Fall III.1: »Feindschaft gegenüber Geflüchteten«

Fall III.2: »Wahrnehmung von Rassismus«

Ebene IV: Umgang mit rechtsextrem engagierten Kolleg*innen und arbeitsrechtliche Fragen

Fall IV. 1 und 2: »Aktivistinnen in der Kita«

Fall IV.3: »Flüchtlingsfeindliche Postings«

 

Mehr aus der Broschüre auf Belltower.News:

 

Inhate der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus auf Belltower.News 
 

 

Die Broschüre als PDF zum Download:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/kita_internet_2018.pdf

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