Neonazis demonstrieren vermummt und hinter Schilden in Charlottesville (USA) am 12. August 2017. Rechts trägt ein Demonstrant ein Schild mit "IB"-Logo und Farben.
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Charlottesville: Tote nach Nazi-Demonstration - und Rechtsextreme feiern

Ein rechtsterroristischer Anschlag kostet in den USA eine 32-jährige Demonstrantin das Leben, mindestens 35 weitere Demonstranten wurden verletzt, als sie am 12. August 2017 gegen eine rechtsextreme Demonstration in Charlottesville, Virginia auf die Straße gehen. Der Täter hatte sein Auto nach Ende der rechtsextremen Kundgebung gezielt in die Gegendemonstration gelenkt. US-Präsident Donald Trump, der im Wahlkampf massiv durch das rechtsextreme Online-Engagement der "Alt-Right"-Bewegung unterstützt wurde und mit Stephen Bannon einen der führenden Köpfe zu seinem Berater machte, fand nach dem Attentat keine klaren Worte gegen den hausgemachten Rechtsterrorismus. Die rechtsextreme Szene ist trotzdem beleidigt. Die Argumentationen und rhetorischen Volten kommen auch hierzulande bekannt vor, das Verhältnis zu NS-Verherrlichung und Waffen ist hingegen anders. 

 

Von Simone Rafael 

 

Rechtsextremismus hat in den USA noch brachialeres und offeneres Erscheinungsbild als in Deutschland. Durch die amerikanische Einstellung zur Meinungsfreiheit, die durch nichts beschränkt werden soll, sind für Rechtsextreme auch Bezüge zum Nationalsozialismus durch nichts reglementiert: Und so sehen wir auf den Fotos des rechtsextremen Aufmarsches "Unite the Right" am 12. August 2017 tätowierte Hakenkreuze en masse, auch hierzulande verbotene "Schwarze Sonnen" wurden gern gezeigt, Hitlergrüße wurden mit "Heil Trump" rufen begleitet. Auch der Antisemitismus ist hier ganz offen: Ein Plakat, mit dem für den Aufmarsch geworben wurde, zeigt, wie ein Davidsstern mit einem Hammer angegriffen wird (Foto links).

Eine beliebte Website der Nazis heißt "The Daily Stormer" und bezeichnet gleich alles, was sie in der Welt falsch findet, als "Jewish Problem". Diese Website immerhin muss sich nach dem Attentat von Charlottesville einen neuen Web-Provider suchen, der jetzige will die Hetze nicht länger verbreiten (vgl. Berliner Morgenpost). Für deutsche Augen ist an der Demonstration außerdem erstaunlich: Die paramilitärischen Kostüme und Vermummungen, die hier erlaubt sind - inklusive Schilden, sowie die offensichtliche Bewaffnung sowohl der rechtsextremen Demonstration als auch der Gegendemonstration von Baseball- und Eishockeyschlägern bis hin zu richtigen Sturmgewehren (vgl. Fotos bei Vice). Zuvor hatten rechtsextreme Aktivisten auch offen zur Bewaffnung aufgerufen: "Bring mit, was immer du brauchst, was du meinst, für deine Selbstverteidigung zu benötigen. Wir wollen nicht, dass [die Gegen-Demonstranten] den Eindruck haben, dass wir dort unbewaffnet auftauchen werden, ... das ist nicht der Fall." (vgl. ND).

 

Die Tat und der Täter

Doch all das brauchte es für die Toten und Verletzten von Charlottesville nicht einmal: Die Waffe, die der 32-jährigen Anwaltsgehilfin Heather Heyer den Tod brachte und mindestens 35 Menschen verletzte, davon 5 schwer, war ein Auto, gelenkt von einem 20-jährigen, James Alex Fields Jr., der mit dem Auto in die Menge der Gegendemonstrant_innen und auf einen vorfahrenden PKW auffuhr, dann in die Gegendemonstration zurücksetzte und schließlich versuchte, Fahrerflucht zu begehen (vgl. WeltSpiegel) - was die Polizei verhinderte. F. hatte zuvor an der Demonstration teilgenommen. 

 

Fotos zeigen ihn zwei Stunden vor der Tat inmitten der Neonazi-Gruppe "Vanguard America", er hält ein Holzschild mit dem Logo der Gruppierung und trägt auch die passende Bekleidgung - doch "Vanguard America" distanziert sich nach der Tat schnellstens von ihm, will die Schilde "frei verteilt" haben. Recherchen amerikanischer Medien zeichnen vom Täter das Bild eines überzeugten Rechtsextremen: Der 20-Jährige ist zwar Republikaner-Mitglied, teilt auf seinen Social-Media-Präsenzen allerdings klassische Inhalte der "Alt-Right"-Bewegung - also jener Rechtsextremen, die sich im Internet ein Hetz-Umfeld geschaffen haben, in dem sie moderner, geschickter und humoristischer auftreten als "klassische" Nazis. Inhaltlich unterscheiden sich die vermeintlich "alternativen" Rechte allerdings nicht, auch hier geht es um "White Supremacy", also die Vorherrschaft der weißen Rasse, ethnisch getragenen Nationalismus, Verachtung der Demokratie, Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus, die als Einschränkung der Meinungs- und Lebensfreiheit verstanden werden. James Alex Fields Jr. teilt auf Facebook Bilder von "Alt-Right"-Maskottchen "Pepe, dem Frosch", ein Foto von Hitler als Baby oder des syrischen Diktator Assad mit der Bildunterschrift "ungeschlagen" - der in rechten Kreisen verehrt wird, weil der dem Imperialismus trotze und ungeschlagen den verhassten Juden und dem zionistisch dominierten Establishment in Washington die Stirn biete. Dazu gibt es Aufmarschbilder von NS-Truppen, eine amerikanische Flagge mit Hakenkreuz und Odal-Runen, die "rassische Reinheit" darstellen sollen (vgl. Buzzfeed). Auch ein ehemaliger Lehrer erinnert sich an sein rechtsextremes Weltbild, berichtet die New York Times

 

Das Opfer

Das Todesopfer ist die 32-jährige Anwaltsassistentin Heather Heyer. Während die Medien zunächst lediglich von einem 32-jährigen Opfer sprachen, wurde auf Twitter eingefordert, sie beim Namen zu nennen. Unter dem Hashtag #SayHerName geht nun tausendfach ihr Foto durch die sozialen Medien. Eine Spendenkampagne unter dem Motto »Our Sister’s Keeper« (angelehnt an »Brother’s Keeper«) sammelte zudem bereits über 45.000 Dollar für ihre Angehörigen (vgl. ND). Sie wird in der New York Times als engagierte Aktivistin gegen Rassismus und Ungerechtigkeit beschrieben.

 

Die Demonstration

Die Demonstration "Unite the Right" selbst ist das beste Beispiel dafür, wie nah sich in Amerika die Mitglieder klassischer rechtsextremer (engl. far-right) Bewegungen wie dem White-Nationalist-Movement- oder Ku-Klux-Klan-Anhänger_innen und Vertreter_innen der vermeintlich moderneren "Alt-Right"-Bewegung stehen. Beteiligt waren in Charlottesville  unter anderem der Ku-Klux-Klan, das National Socialist Movement sowie das Traditionalist Youth Network. Reden wurden vor "mehreren Hundert" Teilnehmer_innen unter anderem vom ehemaligen Ku-Klux-Klan-Anführer David Duke und Richard B. Spencer gehalten, der die Website altright.com betreibt und nach Trumps Wahl mit einer Veranstaltung mit "Heil Trump"-Rufen international als einer der Führungsfiguren der "Alt-Right"-Bewegung bekannt wurde (btn berichtete). Typisch auch: Der Anlass von "Unite the Right" war eher nichtig (ein Denkmal eines Südstaaten-Generals soll abgebaut werden), doch es ging um die Demonstration von Stärke, in diesem Fall der Rechtsextremen, die sich als "überlegende weiße Rasse" ("White Supremacy") aufführen wollen. 

 

Was haben die Identitären damit zu tun?

Interessant auch, dass auf der "Unite the right"-Demonstration auch Menschen mit (eher selbstgemalt aussehenden) Fahnen und Schilden mit dem schwarz-gelben "Lambda" in gelb-schwarz der Identitären Bewegung herumliefen.

Vgl. Fotos in der Washington Post, in der FAZ und bei Indystar

Die amerikanische "Alt-Right"-Bewegung und die "Identitären" in Europa stehen sich durchaus nahe: Ideologisch etwa in der Idee der "Modernisierung" der PR für rechtsextreme, menschen- und gleichwertigkeitsfeindliche Ideen, im Konzept des "Ethnopluralismus" statt des althergebrachten biologistischen Rassismus oder im Bezug auf Konzepte und Akteure der "Neuen Rechten" wie Alain de Benoist. Vor wenigen Tagen hatten sowohl Duke als auch Spencer in den USA Werbung für die "Identitären" und speziell für ihre flüchtlingsfeindliche Aktion "Defend Europe" gemacht - was auch zu finanzielle Unterstützung der Aktion aus den USA geführt haben soll (Belltower.News berichtete). 

 

Reaktionen

Donald Trump

Präsident Donald Trump sprach sich im Statement zu Charlottesville gegen "Gewalt von vielen Seiten" aus, was angesichts eines Mordanschlags aus einer rechtsextremen Demonstration eine enorme Verharmlosung der Tatsachen darstellt. Kein Wunder, dass dies nicht nur seinen republikanischen Parteikollegen (vgl. Tagesspiegel) , seiner Tochter Ivanka (vgl. Spiegel) und seinem kurz zuvor geschassten Kommunikationsberater Anthony Scaramucci zu wenig war (vgl. FAZ).

Einige der Demonstrierenden fühlten sich allerdings schon von diesem Statement verraten (vgl. Welt). Wie sehr sie der Meinung waren, mit ihrer rassistischen, antisemitischen und demokratiefeindlichen Demonstration den Willen ihres Präsidenten zu erfüllen, zeigten sie im Tragen von "Make America great again"-T-Shirts und in "Heil Trump"-Rufen. 

 

Die Reaktionen der rechstextremen Szene

Die erste Reaktion war eine klassische Strategie der "Alt-Right"-Bewegung, die ja Fake-News schon im Wahlkampf zu ihrem liebsten Propaganda-Instrument gemacht hatten: Sie setzten in die Welt, der Fahrer sei gar kein Teilnehmer der Nazi-Demonstration, sondern ein junger Antifa-Aktivist, der in Wirklichkeit die Nazis angreifen wollte und sich verfahren hätte -inklusive Nennung des Klarnamens eines jungen Mannes, der nicht einmal auf der Gegendemonstration war, aber trotzdem stundenlang Todesdrohungen via Social Media bekam (vgl. Prinzessinnenreporter).

Der Organisator des Marsches, Jason Kessler, meinte in einer Videobotschaft hinterher: „Die Polizei hat nichts gemacht und sich geweigert, die Gegendemonstranten zu separieren, und jetzt gibt es Tote.“ Kessler ergänzt, "die Sache mit dem Auto sei „wirklich dumm“ gewesen, damit sei er nicht einverstanden, verliert allerdings kein Wort über die Opfer und meint: Wenn man die Verfassung der USA, das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht umsetze, dann würde politische Gewalt eben weiter zunehmen. (vgl. Welt)

Der "Daily Stormer" kommentiert etwa: "Die völlig jüdischen Medien berichten jetzt 24 Stunden am Tag über die Ereignisse in Charlottesville, aber sie lügen einfach darüber, was passiert ist, und fordern von Trump, er soll uns verdammen, weil wir die Gewalt gestartet hätten  (...). Es ist einfach ein objektiver Fakt, dass wir die Gewalt nicht gestartet haben. Das kann gar keine Frage sein. Die Polizei hat angefangen, als sie unsere friedliche und legale Demonstration abgebrochen hat, und uns dann mit Absicht in eine Gruppe gewalttätiger Terroristen gelenkt hat. Das ist die Realität. Es ist die objektive Wahrheit." 

Auf "Altright.com" übt man sich ebenfalls in der Opferpose: "Sie [Die Polizei] hat ihre heftigsten Schläger gegen friedliche Demonstranten eingesetzt, während die Antifa freie Hand hatte". 

Deutsche Rechtsextreme waren begeistert von der Aktion in den USA. So posteten etwa die Nazi-Hipster von "Revolte auf Beton" auf Instagram (inzwischen entfernt, dokumentiert von "Hass hilft"):

Gespendet habe sie, kann dann weg, @instagram. #hasshilft

Ein Beitrag geteilt von Rechts gegen Rechts (@hasshilft.de) am

 

Auf der Website der neurechten "Blauen Narzisse" schreibt Autor Georg Immanuel Nagel unter der Überschrift "Alt-Right siegt in Charlottesville": "Amerikas rechtsintellektuelle Avantgarde geht vermehrt auf die Straße und organisiert erfolgreiche Demonstrationen. Die Systemmedien versuchen einen aktuellen Sieg der Patrioten als „rechte Gewalt“ zu diffamieren und lügen dabei, dass sich die Balken biegen." Der Autor sieht in den USA wie in Deutschland die "gleichen Taktiken gegen die friedlichen Demonstranten wie bei uns. Die vom System erschaffene Prügel-Truppe "Antifa" wird unter dem Schutz der Polizei auf gesetzestreue Versammlungsteilnehmer losgelassen." Aber: "Was jedoch im Gegensatz zu uns um einiges härter ist, ist die Reaktion der Rechten. Man ist zwar immer friedlich und achtet das Gesetz, insofern man angegriffen wird, verteidigt man sich aber auch. Schon oft haben zahlenmäßig unterlegene Alt-Righter linkem Gesindel ordentlich aufs Maul gegeben." Das gefällt offensichtlich. Der Tod von Heather Heyer ist hier ein Unfall, und das Fazit lautet: "Alles in allem kann man sagen, dass die Demonstration in Charlottesville ein großer Erfolg für die Alt-Right war. Man hat sich von den vereinten Kräften des Systems nicht unterkriegen lassen und trotz aller Widerstände ein deutliches Zeichen gesetzt, dass nun in die Welt hinausstrahlt. Richtig bewundernswert sind der Mut und die Entschlossenheit dieser wackeren Männer und Frauen, die sich auch von der immensen Gewalt der Gegenseite nicht abschrecken lassen. Die „Schlacht von Charlottesville“ war aber nur ein Auftakt."

 

 

Ergänzung 15.08.2017: Video der Demonstration

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