Wo Rechtsextreme gewalttätig auftreten und agieren, haben Menschen oft Angst, sich zu engagieren. Demokratieförderung geht allerdings immer von einer angstfreien Bürgergesellschaft aus, die ihre Probleme selbst lösen kann.
Von Dr. Dierk Borstel, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung
„Angst gehört unvermeidlich zu unserem Leben.“ Sie ist generell schwer zu fassen; denn Angst ist immer dann schon real, wenn jemand subjektiv Angst äußert und nicht nur, wenn eine objektivierbare Gefahr als Quelle der Angst erkennbar ist. Angst kann dabei motivierend wirken. Der Mensch wäre ohne Angst kaum lebensfähig. Sie warnt ihn und hilft ihm, aufmerksam und Gefahren vorbeugend durchs Leben zu gehen. Sie kann ihn aber auch blockieren und sich als schwere Krankheit äußern.
Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus spielte Angst bisher nur selten eine ausführliche Rolle. Zwar wurde einst von „Städten in Angst“ ´ gewarnt. Auch gibt es eine Kehrseite der Debatte zur rechtsextremen Gewalt, nämlich die Angst der Opfer der rechtsextremen Gewalt. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen und seinen Folgen steht jedoch noch aus.
Gleich zwei wissenschaftliche Untersuchungsstränge geben dazu nun interessante Hinweise, die neue Fragen aufwerfen. Zum Einen betrifft es das Projekt der Analyse der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ unter Leitung von Professor Wilhelm Heitmeyer. Unstrittig ist darin der Zusammenhang, dass sich diejenigen weniger für eine Bürgergesellschaft engagieren, die Angst vor sozio-ökonomischen Abstiegen haben. Es sind somit nicht die realen Modernisierungsverlierer, sondern diejenigen, die Angst haben, die weniger bereit sind, sich für die Gesellschaft zu engagieren – etwa gegen Rechtsextremismus. Dieser Zusammenhang zeigte sich dabei nicht nur in den bundesweiten Umfragen, sondern nun auch in ergänzenden „Sozialraumanalysen zum Zusammenleben vor Ort“ in ausgesuchten Kommunen Ostdeutschlands.
Zum Anderen betrifft es die Untersuchung zur Interaktion von rechtsextremen und demokratischen Akteuren in einem Regionenvergleich von Mecklenburg-Vorpommern. Sie zeigt in ausgesuchten Untersuchungsorten eine öffentlich unausgesprochene, aber weit verbreitete und „unter der Hand“ auch offen ausgesprochene Form der Angst vor der Gewalt von rechtsextremer Seite. Zu gut verankert sind in den Erinnerungen noch die rechtsextremen Ausschreitungen zumeist in den 1990er Jahren. Sie wirken nach, obwohl es kaum noch öffentliche Gewalttätigkeiten gibt. Viele kennen aber noch die damals Beteiligten, die noch immer vor Ort leben und deren Gesinnungen sich trotz zunehmenden Alters nicht gemildert haben. Hinzu kommt die Kenntnis neuer Vorfälle, von Bedrohungs- und Einschüchterungsversuchen sowie die Beobachtung offenkundig gewaltbereiter und –fähiger Rechtsextremisten z. B. im Umfeld von Demonstrationen. Die damit verbundenen Bilder und Erfahrungen erschweren jede Form der Auseinandersetzung mit dem aktuellen Rechtsextremismus. Sie machen Angst und die blockiert das Handeln.
Nimmt man nun die beiden Untersuchungen zusammen, kommt ein Teufelskreis noch hinzu. Besonders die peripheren ländlichen Räume gehören bekanntlich zu den Hochburgen des Rechtsextremismus. Gerade dort sind die Ängste vor dem sozio-ökonomischen Abstieg am größten, die Erfahrungen mit dem Rechtsextremismus am prägnantesten und die rechtsextremen Strukturen am aktivsten. Hinzu kommt die generelle Tendenz der Homogenisierung und Abschottung besonders dörflicher Räume. Möglicherweise ist der Faktor Angst dort weit bedeutender als bisher angenommen.
Wäre dem so, bliebe das nicht ohne Konsequenzen. Eine zentrale Grundidee der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist der Gedanke der Stärkung der Zivilgesellschaft. Wie entsteht jedoch eine aktive und selbst bewusste Zivilgesellschaft in einem Zustand der Normalisierung von Angst und Rechtsextremismus? Die bisherigen Programme der Rechtsextremismusbekämpfung geben darauf noch keine Antwort. Sie basieren auf der Vorstellung, dass selbstbewusste Bürger ihre Angelegenheiten selbst regeln können, so sie dafür externe Unterstützung, Techniken und Anerkennung bekommen. Wer lockert jedoch wie die Blockade der Angst? Wer schafft überhaupt die Voraussetzung für das freie Handeln des Einzelnen? Das dürfte eine zentrale Frage der Zukunft für diejenigen sein, die es mit der Demokratieförderung ernst meinen.
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