Todesopfer rechtsextremer Gewalt: Ein Mord 2010, zwei tödliche Gewalttaten 2011 werfen Fragen auf

In Leipzig ermorden Neonazis 2010 den jungen Iraker Kamal Kilade. Im sächsischen Oschatz wird im Mai 2011 der obdachlose Andre K. tot geprügelt In Möchengladbach endet ebenfalls im Mai 2011 ein Kioskstreit für einen Deutsch-Kongolesen David M. tödlich. Im Fall von Kamal Kilade hat der Richter im Urteil ein rechtsextremes Tatmotiv erkannt und benannt. Das erhöht die Chance, das der Fall auch in der offizielle Statistik der Todesopfer rechtsextremer Gewalt erscheint. Im Verfassungsschutzbericht 2010 wird er noch nicht erwähnt.

Von Ulla Scharfenberg

Mindestens 149 Opfer rechtsextremer Gewalt zählte "Mut gegen rechte Gewalt" im April letzten Jahres. Mit dem Mord an Kamal Kilade in Leipzig wird die Zahl nun rund. Die Richter verurteilten den Haupttäter wegen Mordes aus niederen Beweggründen, mit klarer rassistischer Motivation. Der Initiativkreis Antirassismus Leipzig kritisiert die lückenhafte offizielle Statistik: "Von über 150 Todesopfern rechter Gewalt werden von der Bundesregierung nur 47 gezählt."

Der rassistische Mord an Kamal K. – Urteil und Hintergründe

Leipzig im Oktober 2010: Der 19jähriger Iraker Kamal Kilade wird auf offener Straße brutal attackiert. Die beiden Täter setzen Pfefferspray ein und schlagen auf den jungen Mann ein. Das Opfer wehrt sich, da sticht ihm einer der Angreifer ein Messer in den Bauch. Kamal Kilade verblutet. Die Täter: Marcus E., 33 Jahre alt, mehrfach vorbestraft und Daniel K., 29 Jahre alt, ebenfalls vorbestraft und angeblich alkoholabhängig. Dass beide Männer der rechtsextremen Szene angehören, war für die Staatsanwaltschaft kein Grund, ein fremdenfeindliches Motiv für die Tat anzuerkennen. Zum Glück bewertete das Gericht die Tat anders und verurteilte Marcus E., den Haupttäter, zu 13 Jahren Haft wegen Mordes aus niederen Beweggründen. Zudem wurde wegen dessen besonderer Gefährlichkeit eine anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet. Sein Komplize muss wegen gefährlicher Körperverletzung für drei Jahre hinter Gitter. Dass er zum Tatzeitpunkt 1,3 Promille Alkohol im Blut hatte, sah der Richter als strafmildernd an. In der Urteilsbegründung heißt es: „Wir sehen als einzigen Grund für den tödlichen Messerstich, dass Marcus E. das Opfer nicht als Menschen gesehen hat, sondern als Ausländer, dessen Leben nichts wert war." Auch stellte das Gericht fest, dass die Täter ganz bewusst den Hauptbahnhof und späteren Tatort aufgesucht hätten, um ein Opfer zu suchen. Der offensichtliche Migrationshintergrund Kamals wurde diesem dann zum Verhängnis.

Die Täter: „Rassenhass“ und Kameradschaft

Marcus E. ist am ganzen Körper tätowiert, unter anderem trägt er ein Bild Hitlers auf der Haut, das Bild eines Wehrmachtssoldaten, Hakenkreuze sowie den Schriftzug „Rassenhass“. Daniel K., der bei der Verhandlung behauptete, er könne sich nicht vollständig an den Tatabend erinnern, gab an, „längst“ aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen zu sein. Juliane Nagel von Initiativkreis Antirassismus in Leipzig hält das für unglaubwürdig. Daniel K., ebenfalls mit einschlägig rechtsextremen Symbolen und Schriftzügen tätowiert, erschien vor Gericht mit Kleidung rechtsextremer Szene-Marken, bedruckt mit eindeutig neonazistischen Sprüchen. Er war lange aktiv in der neonazistischen „Kameradschaft Aachener Land“ und sei in der Tatnacht der „Aggressor“ gewesen. Schon im Vorfeld der Tat habe er in verschiedenen Kneipen Streit gesucht und letztlich auch die Auseinandersetzung mit Kamal Kilade begonnen. Zugestochen habe dann zwar Marcus E., initiiert habe dies aber Daniel K. Richter Hans Jagenlauf erklärt in der Urteilsverkündung: „Daniel K. hatte zunächst eine Auseinandersetzung mit Kamal. Marcus E. hatte keinen Grund, Kamal zu erstechen. Nur weil hier ein Ausländer sich im Kampf gegen einen Kameraden befand, hatte der Ausländer sein Leben verwirkt.“ Als Daniel K. dem Haftrichter vorgeführt wird, verdeckt er sein Gesicht vor den Fotografen mit einer Jacke, auf der deutlich „Kick off Antifascism“ zu lesen ist. Kamals Mutter vergibt dem Haupttäter, der mehr als ein Drittel seines Lebens im Gefängnis verbrachte: „Ich hege gegen dich keinen Hass, sondern empfinde Mitleid mit Dir“ schreibt sie in einer Erklärung in der BILD-Zeitung, „Du hast nie gelernt, das Leben zu lieben (…) Ich bete Jesus Christus an, dass er dir verzeiht“.

Die Polizei ermittelte wenig gewissenhaft

Der Leipziger Initiativkreis Antirassismus erklärt am Tag des Urteilsspruchs: „Bei aller Zufriedenheit mit dem Urteil und einer adäquaten Bestrafung der Täter bleibt im Hinblick auf die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei ein bitterer Beigeschmack. So erwies sich im Laufe der Verhandlung, dass die Polizei einem möglichen rassistischen Motiv der Täter nicht gewissenhaft nachgegangen ist. Bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung von Daniel K. wurden offensichtlich Gegenstände nicht beschlagnahmt, die dessen rechte Gesinnung nachweisen.“ Die Polizist/innen, die unmittelbar nach der Tat mit beiden Tätern zu tun hatten, hätten zudem deren offensichtlich rechtsextreme Gesinnung nicht beachtet. Die gut sichtbaren neonazistischen Tätowierungen sowie die klar rechtsextreme Kleidung der beiden Männer hätten einige der Beamt/innen nicht bemerkt, andere gaben an, diesbezüglich „neutral bleiben“ zu wollen.

Der Verfassungsschutzbericht 2010, der wenige Wochen vor dem Urteil im Fall Kamal Kilade veröffentlicht wurde, weist noch kein Todesopfer rechtsextremer Gewalt aus. Es wird interessant zu beobachten, ob die Statistik noch korrigiert wird.

Obdachloser in Oschatz totgetreten

Doch auch im Jahr 2011 gab es bereits wieder Gewalttaten mit Todesfolge, die zumindest einer Untersuchung über die Tatursachen bedürfen.

Der jüngste Todesfall mit rechtsextremem Hintergrund ereignete sich in Oschatz in Sachsen. Am Morgen des 28. Mai 2011 wurde der 50-jährige Obdachlose Andre K. im Wartehäuschen am Südbahnhof blutüberströmt und schwer verletzt aufgefunden. Am 1. Juni verstarb er im Krankenhaus. Die Ermittlungen ergaben, dass Andre K. von mindestens drei Tätern zusammengeschlagen und mit Tritten gegen den Kopf getötet wurde. Ob Waffen eingesetzt wurden, sei bislang noch unklar. Die drei Tatverdächtigen, die seit dem 4. Juni in Untersuchungshaft sitzen, sind der Polizei bekannt.


Ronny S. im Internet.
Foto: Screenshot via Störungsmelder

Mindestens einer von ihnen, der 27jährige Ronny S., ist unzweifelhaft der rechtsextremen Szene zuzuordnen. Sein Profilbild im sozialen Netzwerk „myspace“ zeigt ihn Bier trinkend vor einer Reichskriegsflagge, im Februar 2010 nahm er an einer Aktion von NPD und deren Jugendorganisation JN am Oschatzer Neumarkt teil. Auch auf anderen Veranstaltungen der Neonazis sei er anwesend gewesen. Ein im Internet veröffentlichtes Foto zeigt ihn in einer Jacke mit der – unter Rechtsextremen beliebten – Aufschrift „Odin statt Jesus“. Es werde in alle Richtungen ermittelt, erklärt der Sprecher der Leipziger Staatsanwaltschaft Ricardo Schulz.

Rechtsextreme Realität in Nordsachsen

In der Kreisstadt Oschatz, etwa 55 km östlich von Leipzig, kommt es häufig zu rechtsextremen Angriffen auf nicht-rechte Jugendliche, betroffen ist auch das alternative Jugendzentrum E-Werk. 2008 stellten das Jugendamt Torgau-Oschatz und das Mobile Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen e.V. in der gemeinsamen Studie „Rechtsextremistische Tendenzen aus Sicht des Bereiches Kinder- und Jugendarbeit im Landkreis Torgau-Oschatz“ fest: „Die Fachkräfte stellten fest, dass insgesamt ausländerfeindliche Ressentiments unter den Jugendlichen z. B. in Jugendeinrichtungen zunehmen und insbesondere Kinder zunehmend mit solchen Themen konfrontiert werden. Rechtsextreme Sprüche und Meinungen werden von den Fachkräften als zunehmende ‚Normalität‘ beschrieben - das geht so weit, dass sich in einem Extremfall 11- bis 12jährige Kinder in der Jugendeinrichtung mit ‚Sieg Heil!‘ begrüßten. Dabei geben die Jugendlichen oft nationalistische, ausländerfeindliche oder den Nationalsozialismus glorifizierende Meinungen aus den Elternhäusern wider.“ Traurige Berühmtheit erhielt die Region bereits 2007, als ein Mob aus über 50 Personen eine Gruppe Inder durch die Straßen von Mügeln hetzte.

Die NPD ist sehr präsent im Landkreis, erst am 19. Juni veranstaltete sie mit „Freien Kräften“ und der neugegründeten „JN-Nordsachsen“ ein „nationales Fußballturnier", an dem nach eigenen Angaben „120 Kameraden und Kameradinnen teilnahmen“. Für den nicht-rechten Leser klingt es wie eine Drohung wenn es auf der NPD-Homepage heißt: „Das Jahr 2011 wird noch einige Veranstaltungen dieser Art zu bieten haben. Ob der Muldentaler Kameradschaftslauf oder die Nordsächsische fight night um nur wenige zu nennen. Die strukturelle Aufbauarbeit in unseren Regionen nimmt immer deutlichere Formen an“. Anfang Juli veröffentlichte der NPD-Kreisverband eine Stellungnahme zum Mord an Andre K. am Oschatzer Bahnhof. Eine Verbindung von Ronny S. zu „irgendwelchen nationalen Zusammenhängen“ wird dort dementiert, die „Gewalttat auf das Schärfste“ verurteilt. NPD-Stadtrat Steffen Heller lässt es sich jedoch trotzdem nicht nehmen, den Vorfall für sich und seine rechtsextreme Propaganda zu missbrauchen. In der Stellungnahme vom 3. Juli erklärt Heller: „Auch diese Tat zeigt einmal mehr, wie wichtig ein konsequenter Politikwechsel ist, der allen unseren Landsleuten wieder Arbeit, Wohnung, Gemeinschaft und Lebenssinn gibt, damit aus Vereinsamung und Verwahrlosung keine Gewalttaten erwachsen. Eine kranke Gesellschaft erzeugt kranke Menschen. Und die BRD ist eine solche kranke Gesellschaft. Deshalb wollen wir Nationale an die Stelle der egoistischen Ich-Gesellschaft wieder eine solidarische Wir-Gemeinschaft setzen“.

Unklarheiten im Fall des getöteten David M.

In Mönchengladbach kam es in der Nacht zum 21. Mai zu einem Zwischenfall, der für den 21jährigen David M. tödlich endete. Die Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang, es gibt aktuell kaum Informationen zum Tathergang und die Aussagen der Zeugen sind widersprüchlich. Fest steht, dass der aus dem Kongo stammende Deutsche eine verbale Auseinandersetzung mit einem Kioskbesitzer hatte, in die sich auch dessen Sohn einmischte. David wurde dabei so schwer verletzt, dass er am 25. Mai 2011 in der Düsseldorfer Uniklinik verstarb. Der Inhalt des Streits ist nicht bekannt, auch nicht, ob das Opfer, wie die Polizei zuerst vermeldete, „mit einem Schlag“ durch den 20jährigen Sohn des Kioskbetreibers niedergestreckt wurde, oder, wie es Davids Schwager schildert, von drei Personen brutal zusammengeschlagen wurde: „Es hat nicht nur einen Schlag gegen David gegeben, wie die Polizei behauptet. Er ist von drei Leuten attackiert worden. Das haben mir die beiden Freunde von David, die dabei waren, berichtet.“ Der Kioskbesitzer habe mit der flachen Hand zugeschlagen haben, dann der Sohn mit der Faust, und zuletzt habe ein Nachbar den bewusstlos am Boden liegenden David auf den Kopf getreten. Die Polizei geht von einem Schlag und einem unglücklichen Sturz aus. Die Ermittlungen dauern an.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

| Todesopfer rechtsextremer Gewalt

Mehr im Internet:

Informationen zum Mord an Kamal Kilade
| Störungsmelder
| Initiativkreis Antirassismus Leipzig

Informationen zum gewaltsamen Tod von Andre K.
| npd-blog.info
| Netzwerk "Mein Name ist Mensch"

Informationen zum gewaltsamen Tod von David M.
| Der Schwarze Blog
| Westdeutsche Zeitung

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