Jubelnde Kroatien-Fans während der Fußball Europameisterschaft 2008.
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Fangewalt und Rassismus: Erneute Anklage der UEFA gegen den kroatischen Fußballverband

Im Qualifikationsspiel für die UEFA Fußball-Europameisterschaft zwischen Italien und Kroatien kam es zuletzt zu Ausschreitungen und rassistischen Fangesängen. Die UEFA will nun erneut Strafen verhängen. Dass diese wie in der Vergangenheit wirkungslos bleiben werden, verrät ein Blick in die junge Geschichte des kroatischen Fußballs und seine rechtsnationalistisch geprägten Fanszenen.

Von der Redaktion Fussball-gegen-Nazis.de

Nach dem vergangenen Länderspiel zwischen Italien und Kroatien (1:1) in der Qualifikation für die EM 2016 kam es zu Ausschreitungen und schließlich zu einer Spielunterbrechung. Kroatische Fans hatten Pyrotechnik auf das Spielfeld geworfen, um gegen den kroatischen Fußballverband zu protestieren. Nach Berichten über die Korruption im nationalen Verband Hrvatska Nogomenta Liga (HNL), wie zuletzt im Transparent Magazin und im Blickfang Ultrá, scheint der Protest berechtigt zu sein – ohne dabei das Leben und die Gesundheit der (eigenen) Spieler zu gefährden. Auch auf Faszination Fankurve erklärte der ehemalige kroatische Stürmer Goran Vlaovic: "Wenn dies gegen den kroatischen Fußballverband gerichtet war, ist es nicht der beste Weg, um Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen, weil am Ende des Tages der Fußball und die Nationalmannschaft leidet."

Ermittelt wird von der UEFA nun gegen Italien, dessen Fans auch Feuerwerkskörper zündeten. Und gegen Kroatien, aufgrund des gleichen Vergehens; noch dazu werden den kroatischen Fans Ausschreitungen nach dem Spiel und rassistisches Verhalten vorgeworfen. Die Polizei nahm 17 kroatische Anhänger vorübergehend fest.

Aggressionen gingen von rechtsgerichteten Fangruppen aus

Gezündet wurde die Pyrotechnik hinter den Fahnen der Ultrá-Gruppe Bad Blue Boys (BBB) von Dinamo Zagreb und bei Torcida, den Ultras von Hajduk Split. Große Teil der BBB sind kroatisch-nationalistisch eingestellt und Überschneidungen mit rechtsextremen Skinheads werden immer wieder dokumentiert. Die Gruppe verwendet im Stadion oftmals Symbole der extremen Rechten. Ähnlich ist das bei Torcida. Diese Fangruppe gehört zu den größten des Landes und wird aufgrund ihrer Gründung im Jahr 1950 oft auch als die älteste Fangruppe Europas gehandelt. In der Vergangenheit nutzten Fans aus der Gruppe immer wieder  nationalsozialistische Symbolsprache für ihre Auftritte im Stadion; zum Beispiel schwenkten sie eine Fahne mit dem Reichsadler, der statt dem Hakenkreuz ein Hajduk-Wappen in den Krallen trug.

Der Strafenkatalog für die Fans von Dinamo Zagreb ist lang

Die Fanszene von Dinamo Zagreb, in der die BBB federführend sind, ist in der jüngeren Vergangenheit wiederholt mit rassistischen Ausfällen bekannt und von der UEFA bestraft worden. 2013 hatten die Fans in den beiden Champions-League-Qualifikationsspielen bei Austria Wien und gegen Sheriff Tiraspol rassistische Gesänge angestimmt, die UEFA verurteilte den Verein zu zwei Geisterspielen und 70.250 Euro Strafe. Im Vorfeld hatten Dinamo-Fans beim Heimspiel gegen den Club CS Fola Esch aus Luxemburg rassistisch gesungen, die UEFA verhängte einen Teilausschluss des Publikums für das Spiel gegen Sheriff Tiraspol. Nach langjährigem Streit mit den Vereinsoffiziellen und einer Spaltung der Gruppe in Folge von Bestechungen und Versprechen durch Zsdravko Mamic, den Präsidenten von Dinamo Zagreb, verlagern sich die Ultrás von BBB aktuell zu Futsal Spielen. Seit dem Sommer diesen Jahres unterstützen sie MNK Futsal Dinamo, während die Zuschauerzahlen bei den Fußballspielen im Zagreber Maksimir Stadion stetig abnehmen.

Italienische Ultrá-Bewegung hat die kroatischen Fans tief geprägt

Im aktuellen Transparent Magazin wird von Ligaspielen in Kroatien und weiteren Fangruppen berichtet, wie der Gruppe Armada vom Verein HNK Rijeka. Ein Ultrá der Armada erzählt, warum rechte Symbole wie das Keltenkreuz für Choreografien genutzt werden und dass diese im kroatischen Fußball keine Neonazi-Bedeutung, wie in anderen Ländern hätte. Das Symbol sei aus der italienischen Ultrá-Bewegung übernommen worden, von der die kroatischen Fans stark geprägt worden sind. Dabei steht dieses Zeichen religiösen Ursprungs auch in Italien seit den 1970er Jahren unzweifelhaft für die militante neofaschistische Bewegung; in anderen Kontexten für einen Bezug zum White Power Movement. Ebenso sind in Italien Rassismus und Rechtsextremismus in der Ultrá–Szene, die sich ursprünglich als Gegenbewegung zu den rechten Fußballhooligans entwickelte hatte, wieder an der Tagesordnung. Ein prominentes Beispiel ist Lazio Rom mit seinen rechtsextremen Ultras und seinem ehemaligen Stürmer und Mussolini-Fan Paolo Di Canio. 

Fußball kann in Kroatien auch anders. International bekannt, wenn auch im Balkanstaat marginal vertreten, sind die White Angels vom Fußballverein NK Zagreb, der in der 1. Kroatischen Liga spielt. Seit 2006 beschäftigen sich die Mitglieder der Gruppe kritisch mit Männlichkeitsnormen, Fußballgewalt und darüber hinaus mit verschiedenen Diskriminierungsformen. Bis heute haben sie ihr politisches Engagement ausgebaut, beteiligten sich schon an der Kampagne "Fußballfans gegen Homophobie" oder unterstützen Immigrant*innen und Asylsuchende in Zagreb. Sie sind die einzige kroatische Ultrá-Gruppe, die sich offen antifaschistisch und antirassistisch positioniert. In einem Interview äußerten sich Mitglieder von den White Angels (WAZ) und berichten, dass sie in Kroatien zwar keine Fanfreundschaften unterhalten, da alle anderen Fangruppen rechtsnationalistisch seien. Dafür pflegen sie gute Kontakte mit der lokalen Antifa in Zagreb sowie internationale Kontakte mit Fangruppen in Spanien oder Deutschland. Die BBB scheinen WAZ in Zagreb frei agieren zu lassen, da die Gruppe einfach zu klein und damit kein "angemessener Gegner" sei.

Begann der Unabhängigkeitskrieg in Jugoslawien im Maksimir Fußballstadion?

Wie sich in der jüngeren Vergangenheit zeigt, ist Fußball ein politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor in Kroatien. Viele in Kroatien sind der Meinung, dass das Derby zwischen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad im Mai 1990 den Ausschlag für den Unabhängigkeitskrieg im ehemaligen Jugoslawien gegeben hat. Dieses Spiel wurde aufgrund von Ausschreitungen zwischen kroatischen und serbischen Fans, in die später auch die Spieler mit einstiegen, nicht einmal angepfiffen. Die Eskalation war damals von rechts gerichteten BBB-Mitgliedern ausgegangen, von denen sich viele freiwillig für den Krieg meldeten. Und die sich 1994 selbst ein Denkmal am Maksimir-Stadion in Zagreb gesetzt haben, um an den Mai 1990 und die Gefallenen zu erinnern.

Korruptionsvorwürfe gegen den Vereinspräsidenten Mamic von Dinamo Zagreb zeigen, welche wirtschaftliche Macht Fußballvereine auch in Kroatien ausüben. So schließt der Präsident des mit öffentlichen Mitteln finanzierten Vereins unter anderem "Vorverträge" mit vielversprechenden Nachwuchsspielern ab, die ihm im Falle eines Verkaufs eines Spielers Anteile an seinem zukünftigen Einkommen sichern. Diese können bis zu 20 Prozent betragen. Prominentes Beispiel ist der ehemalige kroatische Nationalspieler Eduardo Alves da Silva. Die Nachwuchsspieler werden dem Druck ausgesetzt, die Verträge anzunehmen, weil der Sportdirektor von Dinamo Zagreb gleichzeitig der Bruder des Vereinspräsidenten ist. Diese Praktiken prangern nicht zuletzt die Bad Blue Boys an.

Fußball in Kroatien bleibt politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor

Bis heute ist Fußball in Kroatien nationalistisch geprägt und politisch aufgeladen. Wie sich in den Auseinandersetzung zwischen Fanszene und Vereinsoffiziellen zeigt, bleibt der Sport auch stark von Korruption und wirtschaftlichen Machtfragen geprägt, die nicht zuletzt ein Anlass für den jüngsten Pyrotechnikwurf in Italien waren. Der europäische Fußballverband UEFA wird am 11. Dezember darüber verhandeln und neue Strafen verhängen. Dass dieses Urteil das aufgeheizte Klima in dem jungen Staat Kroatien und die vielschichtigen Problemlagen in den Fußballfanszenen nicht beruhigen wird, steht außer Frage. Auch vergangene Strafen der UEFA haben keine Lösung gebracht. Vielmehr wird es Zeit, dass die Fanszenen sich ähnlich den White Angels inhaltlich mit Fragen von Nationalismus und Rassismus auseinandersetzen. Und dass auf Verbands- wie Vereinsebene Regelungen greifen, die Korruption sowie Machtmissbrauch einen Riegel vorschieben und den Fans ein reales Mitspracherecht in Vereinsfragen ermöglichen. Bis dahin scheint es aber noch ein langer Weg zu sein. 

 

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