Anzahl rechter Posts in Chroniken. Stichprobe von 60 rechtsaffinen Posts aus 13 Chroniken. Grafik: Prof. Dr. Julie Woletz, Media Uselab.
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Medienkompetenz: Was bedeutet Soziale Arbeit im Web 2.0?

Das Internet umd vor allem die Sozialen Medien stellen Sozialarbeit vor neue Herausforderungen. Alle Beteiligten müssen lernen, wie sie mit den neuen Medein umgehen und sie für ihre Arbeit nutzen können. Und es muss Entwicklungsmöglichkeiten für soziale Arbeit geben. Wie das funktionieren kann, beschreibt dieser Auszug aus der Broschüre "Digital Streetwork - Pädagogische Interventionen im Web 2.0" des Projektes "Debate" der Amadeu Antonio Stiftung zu den Möglichkeiten der präventiven Arbeit mit rechtsaffinene Jugendlichen in Sozialen Netzwerken.  

Von debate//

Der 14. Kinder- und Jugendbericht belegt mit seiner wissenschaftlichen Analyse über das Nutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen die notwendige Neuausrichtung der Kinder-und Jugendarbeit im Bereich digitaler Medienkompetenz. Als Schlagwort wird dazu Mediatisierung verstanden: Der Begriff beschreibt die tägliche Nutzung von unterschiedlichen Medien, wie Soziale Online-Netzwerke (Facebook & Co.) oder verschiedene Messenger-Apps auf dem Handy (Instagram, WhatsApp etc.). Diese fließen in unterschiedliche Teilbereiche der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein und beeinflussen sie in erheblichem Maße. So gilt es, wie bereits angeklungen ist, die Gestaltung von schulischem Alltag, Jugendarbeit und anderen betroffenen Bereichen in Sachen Medien zu modernisieren und an das Wissen der jungen Community als Pädagog*innen anzuknüpfen.

 

Was bedeutet Soziale Arbeit im Web 2.0?

Das World Wide Web ist und bleibt ein dynamischer Raum. Es ist ständig in Bewegung und wird kontinuierlich von seinen Nutzer*innen aktiv mitgestaltet. Für online handelnde Sozialarbeiter*innen wirft das besonders die Frage auf, welche Handlungsansätze genutzt werden, um User*innen anzusprechen, und welche virtuellen Räume für die Umsetzung der Arbeit erschlossen und mitgestaltet werden. Dafür ist es wichtig, dass Sozialarbeiter*innen selbst einen professionellen und kompetenten Umgang mit Sozialen Medien haben, über aktuelle technische, soziale und inhaltliche Entwicklungen im Web auf dem Laufenden bleiben und einen reflektierten Blick darauf entwickeln. Eine solche Medienkompetenz gilt es ebenfalls an User*innen zu vermitteln, so dass diese befähigt werden, einen angemessenen Umgang mit problematischen Inhalten wie Hate Speech zu finden.

Allgemein kann festgehalten werden, dass Soziale Arbeit das Web 2.0 noch intensiver als ein wichtiges Handlungsfeld anerkennen sollte. Forschung und Lehre der Sozialen Arbeit sind dazu angehalten, in diesem Bereich viel aktiver zu werden als bisher und die Bereitstellung von Ressourcen für Soziale Arbeit im Netz einzufordern. Dieser Bericht stellt einen ersten Schritt dazu dar, die Übertragbarkeit von Methoden der Sozialen Arbeit in den Online-Raum, insbesondere die Präventionsarbeit auf Sozialen
Online-Netzwerken zu erforschen. Unsere Erkenntnisse bedürfen einer weiteren Ausarbeitung sowie einer wissenschaftlichen und theoretischen Fundierung. In Anbetracht des aktuellen Erstarkens rechter Bewegungen und der massiven Ausweitung von Hate Speech in Sozialen Online-Netzwerken ist dabei zu überlegen, ob etablierte Konzepte von Prävention oder Rechtsextremismus in diesem Kontext überdacht werden müssen. Möglicherweise kann auch ein Erfahrungstransfer auf andere Bereiche Sozialer Arbeit in Betracht gezogen werden. Für Online-Beratungen wurden von verschiedenen Wohlfahrtsverbänden bereits ethische und methodische Standards formuliert. Digitale Kommunikation wirft allerdings durch die Vielfalt der Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten wie auch in Bezug auf Datenschutz neue Fragen auf, die aus professioneller und ethischer Perspektive beantwortet und standardisiert werden und dabei flexibel bleiben müssen.

Darüber hinaus bleiben viele Aspekte offen, die es in der weiteren Auseinandersetzung mit Präventionsarbeit in Sozialen Online-Netzwerken zu behandeln gilt. Beispielsweise wären konkrete Handlungspraxen der Kontaktaufnahme und -pflege in diesem
Bereich zu erarbeiten und zu reflektieren. Während durch unterschiedliche Studien bereits ein breites Wissen zum allgemeinen Nutzungsverhalten Jugendlicher in Sozialen Online-Netzwerken besteht, stellt die Eruierung von Motiven für rechtsgerichtete und diskriminierende Äußerungen noch immer ein Forschungsdesiderat dar. Welches Motiv verfolgen Jugendliche, wenn sie rechte Hetze teilen bzw. sich dieser anschließen? Und wie stehen diese Motive mit gesellschaftlichen Entwicklungen in Zusammenhang?

Fragen wir doch am besten die jungen Menschen selbst. Wie können wir also noch effektiver mit Jugendlichen im Netz ins Gespräch kommen, um ihre Ängste, Wünsche und Bedarfe zu erfahren, um ihnen ein Vorbild und eine Stütze zu sein, um Denkanstöße zu geben und um sie stark zu machen, demokratische Debatten konfliktfähig zu führen?

 

Praxiserfahrung – wissenschaftlich begleitet und ausgewertet

Um das Online-Verhalten der jungen Menschen noch besser zu verstehen und für die Projektziele nutzbar zu machen, wurden 53 Facebook-Profile rechtsextrem gefährdeter oder orientierter Jugendlicher, die das Projekt im Zeitraum 2015 bis 2016 online angesprochen hatte, im Anschluss an die Interaktion vom Media Uselab18 ausgewertet und untersucht. Die Profilanalysen erfolgten mittels qualitativer Inhaltsanalysen ausgewählter Facebook-Profilkategorien (Fotos, Musik, Filme etc.) der angesprochenen User*innen; zusätzlich wurden qualitative und quantitative Auswertungen der jeweils letzten 20 in der Chronik verfügbaren Posts durchgeführt. Die Ergebnisse anhand der Profilkategorien ergaben, dass eine potenzielle rechtsextreme Gefährdung oder Orientierung der User*innen bereits anhand der Online-Selbstrepräsentation im Facebook-Profil erkannt werden kann.

Rechtsaffinität zeigt sich, so das Ergebnis, vor allem häufig in den Kategorien »Musik«, »Gruppen«, »Gefällt mir«-Angaben und »Abonniert«. Die letztere (»Abonniert«) ist bei Facebook erst Anfang 2016 prominent im User-Interface platziert worden. Mit Hilfe dieser Kategorien lässt sich in der Auswertung auch die stille Mitleserschaft identifizieren, bei der User*innen radikale oder extremistische Inhalte »liken«, ggf. teilen oder gezielt abonnieren, sich aber nicht selbst in Posts rechtsaffin äußern. Die wissenschaftliche Auswertung wie auch die Praxiserfahrung des Projekts debate// empfiehlt, vor jeder Ansprache die Profile anhand der abonnierten Kategorien genauer einzusehen, um das weitere Vorgehen bzw. die Anspracheart darauf abzustimmen bzw. darauf zu verzichten.

Wenn Gebiete innovativ neu erschlossen werden müssen, ist die Fehlerquote hoch: Im Fall des Projektes debate// betraf dies vor allem die Einschätzung der zeitlichen Arbeitsressourcen, die nötig sind, um das Web mit seinen Anspracheorten zu erschließen und die Ansprachen durchzuführen. Arbeit mit Sozialen Medien ist nichts, was »nebenher läuft«, sondern sollte durchdacht, mit Methode, Systematik, Handlungsleitlinien und angemessenen Zeitressourcen verbunden sein. Online-Streetwork ist demnach extrem zeitaufwändig, steht häufig in Diskrepanz zur Zielerreichung einer Beziehungsarbeit und entwickelt sich erfolgreich hauptsächlich dann, wenn verknüpft mit einem realen, analogen Bezugspunkt (wie z.B. offener Jugendarbeit) gearbeitet wird.

Hinzu kam die Schwierigkeit, ausschließlich online aktiv zu sein. Das Web 2.0 kann ein sehr flüchtiger Ort für jede Form der Beziehungsarbeit sein, sodass es nicht einfach ist, Stabilität aufzubauen, wenn es vorher keinen »analogen« Kontakt gab. Daher empfehlen wir, On- und Offlinedimension stärker zu verschränken bzw. bestehende aufsuchende Soziale Arbeit um diesen Bereich zu erweitern. Der Bereich der »Netzaffinität« ist eine Lebenswelt von Jugendlichen, die auch Pädagog*innen sich erschließen können. Doch auch das kostet Weiterbildung und fortwährende Aufmerksamkeit, da sich durch aktuelle Ereignisse digitale Orte, Sprache und Ausdruck immer wieder verschieben. Auch kann eine Online-Präventionsarbeit eine grundlegende Medienbildung bei jungen Menschen nicht abdecken. Wäre diese schon stärker vorhanden, wäre Rechtsextremismusprävention online ein großes Stück leichter. Dies würde bestimmte generelle Aspekte  wie bewusste Falschmeldungen rechtsextremer
Urheberschaften, Hass-Posting zu Geflüchteten, vermeintliche Testimonals einzelner User*innen (»Die Freundin meiner Mutter hat aber gesehen, dass«), Echokammereffekte und klassische Verschleierungstaktiken – präventiv umfassen und zu einer verbesserten Gesamtsituation beitragen.

Allgemein bleibt im Kontext aktueller Regulierungsmechanismen vor allem das Problem, dass Hass oder auch rechtsextreme Inhalte für Jugendliche zunehmend verbal verschleiert werden, d.h. dass die Herausforderung, diese kritisch nach Medienbildungsstandards einzuordnen bzw. als solche zu erkennen, höher wird. Umso wichtiger ist es, der Verbreitung rechtsextremer und rechtspopulistischer Inhalte und der Polarisierung der Gesellschaft auch mit gezielter, professionell ausgestatteter online-Präventionsarbeit entgegenzuwirken.

 

Wie lässt sich Digital Streetwork (weiter) entwickeln?

Nach Auswertung der Zahlen der angeschriebenen Personen und erhaltenen Antworten sowie der Kontinuität der Konversationen lässt sich klar festhalten, dass die Erfolgsrate, quantitativ gemessen, im Verhältnis zum zeitlichen Aufwand bisher äußerst gering ist. Die wissenschaftliche Auswertung kam ebenfalls zu diesem Ergebnis, und es gilt nun, die vorhandenen Methoden entsprechend weiterzudenken und auszuarbeiten.

Nächste Schritte – Roll Out:

Zu einem späteren Zeitpunkt im Verlauf des Projekts Interviews mit Jugendlichen führen, bei denen eine Prävention in der zweiten Stufe (zumindest in Teilen) bereits erfolgreich war. Deren Erfahrungen und Erkenntnisse können schriftlich oder weiter
gedacht auch als Videomaterial festgehalten und als Testimonials für unterschiedliche Zwecke (z.B. in unseren Online-Gruppen, Communities, bei Workshops oder Vorträgen) eingesetzt werden.

Bisher scheint eine Ansprache aufgrund eines irgendwann einmal irgendwo getätigten Kommentars für die Angesprochenen doch eher merkwürdig zu sein. Einige wissen gar nicht mehr, worum es geht, andere möchten nicht antworten, und die meisten übersehen die Ansprachen schlichtweg. Das Potential ist jedoch definitiv vorhanden, wie sich an den Konversationen, die geführt wurden, ablesen lässt. Laut der wissenschaftlichen Auswertung kann der Erfolg gesteigert werden, wenn »One-to-One« zu einem späteren Zeitpunkt zum Einsatz käme. Eine Ausarbeitung des »One-to-Many« und das Weiterdenken einer alten Idee könnten als Grundlage dafür wie auch als eigenständige Handlungsmöglichkeit erfolgreich sein: Da das Projekt bedürfnisorientiert arbeitet, soll ein bespieltes und moderiertes Streetworker*innen-Profil erstellt werden. Glaubwürdige Projekt-Profile sowie regelmäßige eigene zielgruppengerechte Posts, die den Kontakt etablieren, sind für die Kommunikationsebene zentral. Im Schnitt sind nur 3 von 20 Posts politisch, die überwiegende Mehrzahl der Chronik-Beiträge besteht aus unpolitischen Posts wie Selfies, Humor, Sprüchen etc. Das Profil soll also nicht nur, wie in der bisherigen »One-to-Many«-Ansprache, kontinuierlich
in bereits bestehenden Diskussionen mit kommentieren, sondern selbst Inhalte generieren und sich zu bestimmten aktuellen (z.B. emotional sehr aufgeladenen Themen) äußern, um sich den Gesprächsbedarfen der Jugendlichen anzupassen. Neben
Statements und dem Aufgreifen von Inhalten soll das Profil auch sachlich-seriöse (Gegen-)Darstellungen bringen. Zu den häufigsten Themen der rechtsaffinen Posts gehören angebliche Straftaten von Flüchtlingen, generelle Flüchtlings- und Islamfeindlichkeit, Kritik bzw. Diffamierung von Frau Merkel sowie Posts pro/von rechtsaffinen Gruppierungen und rechte Memes (Zitate, Symbole, Witze etc.).

Die Intervention des Profils kann mit den unterschiedlichsten Mitteln, gemessen an der Themenhäufigkeit rechtsaffiner Posts, geschehen. Die/der Streetworker*in kann unterschiedliche Wege einschlagen, z.B. hat sie/er folgende Möglichkeiten: 

Die Stärkung der Konflikt- und Handlungsfähigkeit von jungen Menschen muss unbedingt als langfristiges Bildungsziel verankert werden. Jugendliche müssen wieder lernen, sich in Diskussionen einzubringen, sich konstruktiv zu streiten, um eine demokratische Debattenkultur leben zu können. Hier wäre eine Art debating-Training ein geeignetes Mittel, um junge Menschen fit zu machen.

Idealerweise wird nach und nach eine Community aus Abonnement*innen, Interessent*innen, stillen Mitleser*innen, Befürworter*innen, Kritiker*innen etc. aufgebaut. So kann gleichzeitig empowert, öffentlich Counter Speech gemacht, »One-to-One«-Ansprache getätigt und möglicherweise sogar Beratung gegeben werden. Nutzer*innen, die zur Leserschaft bzw. Community gehören, würde eine Ansprache nicht mehr merkwürdig erscheinen. Die/der Streetworker*in kann sich z.B. um einen Facebook-Freundschaftsstatus bemühen, der eine Kommunikationsebene etabliert und Einsicht in persönliche Posts erlaubt. Denn wenn die Chronik-Posts zugänglich sind bzw. eine Kommunikationsebene etabliert wurde, lassen sich auch aus den Chroniken der Profile sehr gut relevante Themen, Gesprächsansätze und Ansprache-Weisen sowie Interaktions- und Interventionsmöglichkeiten ableiten sowie mögliche weitere Forschungs- und Handlungsfelder identifizieren.

Als abschließendes Moment möchten wir Sie ermutigen, selbst zu eruieren und zu beurteilen, was es  weiterhin für die Erschließung des digitalen Raums in der Jugend(sozial)arbeit braucht. 
 

Mehr zum Thema Gesprächsstrategien und Ansätze finden Sie in der Broschüre!

 

DIE BROSCHÜRE

Christina Dinar, Cornelia Heyken:
"Digital Streetwork - Pädagogische Interventionen im Web 2.0"
 

Hrsg.: Amadeu Antonio Stiftung
Berlin 2018

PDF zum Download:

http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/pressemitteilungen/digital-street-internet.pdf

 

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