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Judenhass von links: Antisemitismus in der Zeitschrift "konkret"

„Dresden ging in Schutt in Asche, zwei Jahre nachdem der Ausgang des Zweiten Weltkrieges in Stalingrad entschieden worden war. […] Als die deutsche Bevölkerung die Wahrheit über Auschwitz erfuhr, erfuhr die englische Öffentlichkeit die Wahrheit über Dresden. […] In Dresden ist der Anti-Hitler-Krieg zu dem entartet, was man zu bekämpfen vorgab und wohl auch bekämpft hatte: Zu Barbarei und Unmenschlichkeit, für die es keine Rechtfertigung gibt“, heißt es abschließend in einem Zeitungsartikel aus dem März 1965. Eingeleitet wird der Text mit den Worten David Irvings, einem bekannten Sachbuchautor und späterem Holocaustleugner, der im Artikel schlicht als ‚Historiker‘ vorgestellt wird.

Von Lennard Schmidt

Das im Zitat präsentierte Narrativ des ‚Bombenholocausts‘, also der Vorstellung, die Alliierten hätten mit der Bombardierung Dresdens ähnlich gehandelt, wie es die Nationalsozialisten in Auschwitz taten, ist eine längst bekannte Strategie rechtsradikaler Gruppierungen in der Nachkriegszeit. Das Ziel ist einfach: Die Rehabilitierung des Dritten Reiches und die Diskreditierung der Alliierten. Wer den Holocaust relativiert, indem man ihm die Singularität, also das historische Alleinstellungsmerkmal nimmt, der verharmlost nicht nur das millionenfache jüdische Leid, er öffnet kruden Vorstellungen von jüdischer Verschwörung und inszeniertem ‚Schuldkult‘ Tür und Tor.

Verwunderlich ist nun: Der oben zitierte Artikel stammt nicht aus der Feder eines bekennenden Nationalsozialisten oder NPD-Funktionärs, sondern aus der der späteren RAF-Terroristin Ulrike Meinhof in Zusammenarbeit mit dem linken Intellektuellen Heinrich Kalbfuß. Es handelt sich auch nicht um eine Zeitschrift in der Tradition des „Stürmers“, sondern um die „konkret“, die den meisten Leser*innen nicht unbedingt als Publikationsorgan der historischen Neuen Rechten bekannt sein dürfte. Vielmehr vertritt die Redaktion der „konkret“ klassisch-linke Werte der Emanzipation, des Widerstandes gegen den als despotisch begriffenen Staat und des Pazifismus, die sie retrospektiv zu dem zentralen Publikationsorgan der Nachkriegslinken in Deutschland schlechthin machte.

Was nun als einmaliger Ausrutscher oder als Ergebnis mangelnder Recherche- oder Lektoratsarbeit abgetan werden könnte, stellt jedoch in den 60er-Jahren keine Seltenheit in der „konkret“ dar. Vielmehr lassen sich alle möglichen Arten des modernen Antisemitismus – von israelbezogener Judenfeindlichkeit, die eine als Antizionismus vorgetragene Form der Kritik mit antisemitischen Stereotypen auflädt, bis hin zu Verschwörungstheorien, die etwa den Tod von John F. Kennedy in die Nähe einer wie auch immer gearteten Weltverschwörung rücken – stabil nachweisen. Das änderte sich erst 1974, als die Herausgeberschaft von konkret wechselte.

Chamäleon Antisemitismus

Natürlich handelt es sich bei dem dort vorgetragenen Antisemitismus nicht um jenen, den auch schon die Nationalsozialisten oder ihre ideologischen Vorbilder formulierten: Der Jude wird nicht nach rassischen Kriterien als solcher zum Ziel der Anfeindung. Im Gegenteil. Die Redaktion der „konkret“ distanziert sich ausdrücklich von solcher Ideologie, bringt sogar immer wieder Artikel über die Grausamkeiten der Nationalsozialisten. Würde man einen der Autoren fragen, so wäre wahrscheinlich das letzte, zu dem dieser oder diese sich bekennen würde, Antisemitismus.

Jedoch: Antisemitismus, da ist sich die Forschung größtenteils einig, hat seine Form in den letzten fünfundsiebzig Jahren stark verändert. Zwar schlug noch 1999 ein hessischer CDU-Abgeordneter vor, dass man zur Aufbesserung der Staatskasse einfach nur ein paar reiche Juden totschlagen müsse, jedoch wird Antisemitismus nach dem Ende des Dritten Reiches wesentlich codierter formuliert. Relativierungen des Holocausts – mal sind die Muslime die neuen Juden, mal sind es die Konservativen und mal die Antifa – über eine bestimmte Form der Kapitalismuskritik, die ihr Objekt nicht mehr abstrakt, sondern lediglich konkret zu kritisieren vermag und dabei bisweilen die Vernichtung der Rothschilds, der "Bänkerelite" oder schlicht „denen da oben“ fordert, über die ständigen Anfeindungen gegen den Staat Israel, die den Boden einer klassischen Ideologiekritik weit hinter sich lassen und ihre Behauptungen mit antisemitischen Stereotypen auskleiden, sind an die Stelle des dumpfen, blicklosen Antisemitismus der Nationalsozialisten getreten.

Die Ursachen hierfür sind vielfältig und im Falle der 68er nur schwer zu fassen. Um den neuen Antisemitismus zu erklären, lohnt sich ein kurzer Abriss der Protestbewegungen um das Jahr 68. Nach dem Krieg fiel der deutschen Linken eine sehr diffuse Rolle zu. Anders als in etwa Luxemburg oder Frankreich konnte die deutsche Linke auf nahezu keinerlei Form des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zurückblicken. Potentielle Widerstandskämpfer*innen waren schon kurz nach der Machtergreifung Hitlers interniert und vernichtet worden. In anderen Fällen eigneten sich die Widerständler nicht, um aus ihrem Gedenken eine Form der Identitätskonstruktion voranzutreiben, wie es etwa das Beispiel Stauffenbergs beweist, der zwar die Ermordung Hitlers plante, jedoch selbst bekennender Nationalsozialist und Antisemit gewesen war. Zwar existierte auch vereinzelter Widerstand von linker Seite, dies reichte jedoch nicht aus, um das Narrativ eines geeinten linken Widerstandes gegen die Nationalsozialisten in Deutschland zu spinnen. Auch hatten sich die Vorstellungen des bald zusammenbrechenden Kapitalismus nicht bewahrheitet; im Gegenteil: Trotz der von den Alliierten oktroyierten Demokratisierungsprozesse saßen ehemalige Nationalsozialisten wie Hans Globke, der im Dritten Reich noch aktiv an den Nürnberger Rassengesetzen mitgearbeitet hatte, in wichtigen Regierungsämtern, die Partizipationsmöglichkeiten für Bürger*innen waren sehr stark begrenzt (jungen Menschen blieb lediglich die Partizipation bei Landtags- bzw. Bundestagswahlen) und gerade diskutierte die neue Bundesregierung über Notstandsgesetze, die in der Vorstellung vieler Linke nichts weiter als neue Ermächtigungsgesetze waren. In dieser Zeit formierten sich all jene Protestbewegungen, die retrospektiv als „Neue Linke“ oder auch als „68er“ bezeichnet werden. Die Neue Linke versuchte sich gegen die Alte Linke (SPD, KPD usw.) abzugrenzen, gleichzeitig besann man sich jedoch auf linke Theoretiker des 20. Jahrhunderts – Marx, Engels, Lenin, Luxemburg – zurück.

Neue Feindbilder gesucht

Teil dieser Abgrenzungsstrategie war die Suche nach einem revolutionären Subjekt, also nach Menschen, die als Protagonisten eine Revolution vorantreiben konnten. Dies war bis dato stets der Proletarier gewesen. Im Dritten Reich jedoch hatte sich der Proletarier nicht wie erhofft als Motor der Revolution erwiesen; vielmehr hatten die Nationalsozialisten Kapitalisten und Proletarier gleichermaßen in den Dienst der Vernichtungsmaschinerie gestellt, weswegen sich die Neue Linke nun, in Rückgriff auf die Theorien von Che Guevara, Franz Fanon und Herbert Marcuse, sukzessive an den sog. Befreiungsbewegungen v.a. im Nahen Osten als Protagonisten der Revolution orientierte. Die Befreiungsbewegungen, so dachte man, könnten im Schulterschluss mit den linken westlichen Intellektuellen die Welt zum Besseren wenden. Dabei übersahen die jungen Linken oftmals den in diesen Befreiungsbewegungen grassierenden Antisemitismus, internalisierten ihn sogar vielfach. Da sich bspw. die Palästinensische Befreiungsfront im ständigen Widerstreit mit Israel befand, rückte Israel spätestens ab dem Sechstagekrieg 1967 zunehmend in den Fokus der Neuen Linken. Im sog. Sechstagekrieg, dem dritten Arabisch-Israelischen Krieg, führte das israelische Militär einen Präventivschlag gegen ägyptische Lufwaffenbasen und entschied somit den Krieg nach nur wenigen Tagen für sich, nachdem zuvor insbesondere die ägyptische Regierung den Krieg bewusst u.a. mit Truppenaufmärschen provoziert hatte. Im Zuge des Krieges besetzte die IDF (Israel Defense Forces) strategisch wichtige Gebiete, die zuvor den Kriegsgegnern gehört hatten, z.B. die Golanhöhen.

War zuvor die Stimmung in der westlichen Welt – insbesondere bei Linken, dies zeigen Statistiken bspw. von Bergmann und Erb – von Bewunderung für die israelischen Juden geprägt, begannen nach besagtem Krieg antiisraelische Ressentiments Einzug in das Denken der Neuen Linken zu finden. Insbesondere die Besetzungen der israelischen Armee taugten den Linken dabei als Beweis für den faschistoiden Imperialismus Israels. Die Rhetorik der Befreiungsbewegungen mit einer falschen, weil verkürzten Form der Kapitalismuskritik ergänzend, wurde Israel als „imperialistischer Außenposten Amerikas im Nahen Osten“ begriffen. Aus dieser Ansicht folgte ein manichäisches Weltbild, in dem Israel stets als urschlechter Aggressor erschien, während der palästinensische Widerstand geradezu gottgleich überhöht wurde. So trafen sich bspw. „konkret“-Autoren 1967 mit sogenannten ‚Widerstandskämpfern‘, die ihnen offensichtliche Lügen über gezielte Bombardements der israelischen Armee auf unbewaffnete Zivilistenkolonnen oder dem Einsatz von Napalm auf Kinder erzählten; dies wurde nicht nur unkritisch abgedruckt, sondern bisweilen in die Nähe nationalsozialistischer Praktiken gerückt. Detlev Schneider kommt etwa im Artikel „Al Fatah: Terroristen oder Partisanen?“ zu dem Ergebnis, Israels „faschistische Praxen“ hätten einen „Hang zum Völkermord“.

Im Zuge dessen begann ein weiterer historischer Fakt wirkmächtig zu werden: Den deutschen Linken fehlten historische Vorbilder. Während französische Linke die Resistance als Bezugspunkt benennen konnten, imaginierten sich deutsche Linke einen nachträglichen Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus: Indem man die israelische Armee als faschistoid und Israel als nationalsozialistisch benannte, konnte man den Protest ausüben, den ihre Vorgänger der Alten Linken in ihren Augen versäumt hatten. So wurde der eigentliche Protest überhöht, die Selbstkonstruktion als gegen einen geradezu faschistischen Unrechtsstaat vorangetrieben.

Gegen Israel und die USA

Auch Amerika war von dieser Form der Kritik betroffen. Hatten die Amerikaner noch wenige Jahre zuvor aktiv an der Vernichtung Nazideutschlands mitgewirkt, erschienen sie nun selbst im Vietnamkrieg als faschistoid. Nahezu jede zweite Ausgabe der „konkret“ in den 60er Jahren wartet mit einem Bericht über „Konzentrationslager in Saigon“ oder der „SS in Vietnam“ auf. Als Endkampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus verklärt, nahm der Vietnamkrieg einen großen Stellenwert im Denken der Neuen Linken ein. Ähnlich wie im Konflikt zwischen Israel und den palästinensischen Befreiungsbewegungen wird mit sehr simplifizierenden Kategorien argumentiert: Die Amerikaner agieren imperialistisch und dem Interesse „des Kapitals“ entsprechend und sind demnach abzulehnen, die NFB (im allgemeinen Sprachgebrauch auch Vietcong genannt) ist sozialistisch und zu befürworten. Die daraus resultierende Ablehnung des Amerikanischen per se wird mit Versatzstücken linker Theorie zu verknüpfen versucht. Das Ergebnis dessen wirkt oftmals aus der Gegenwartsperspektive nicht nur krude, sondern verlässt auch bisweilen den Boden emanzipatorischer Kritik: In der „konkret“ erschienen etwa Karikaturen, die antisemitische Stereotype in „amerikakritischen“ Bildern chiffrieren. Beliebt ist etwa die Abbildung eines übergewichtigen Amerikaners mit Zylinder und Zigarre, der über das Schicksal der Welt entscheidet: Statt den gesellschaftlichen Überbau zu kritisieren, wurde Kritik am (amerikanischen) Kapital personifiziert. Die sich daraus ergebende Implikation ist gefährlich: Würde man die schlechten Kapitalisten eliminieren, verblieben lediglich die Guten. Um zu wissen, dass dies eine falsche Vorstellung ist, wäre ein wirklicher Rückgriff auf die marxistischen Vordenker notwendig.

Was die angeführten Beispiele zeigen: Selbst linke Kritik ist gegen antisemitische Ressentiments nicht gefeit und war es nie. Es ist die Aufgabe einer sich als emanzipatorisch begreifenden Linken, sich auch selbstkritisch mit Missständen in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen. Obwohl die Forschung über das Phänomen der „Neuen Linken“ noch sehr jung ist und viele Linke den Protest, das Lebensgefühl und das Widerständige der „Generation 68“ bisweilen drastisch überhöhen, kann ein ideologiekritischer Blick in die Geschichte dabei helfen, gegenwärtig Fehler zu vermeiden. In einer Zeit, in der antisemitische Übergriffe zunehmend salonfähiger werden, erscheint eine solche Vorgehensweise mehr als notwendig.

Lennard Schmidt ist angehender Historiker und promoviert an der Universität Trier über linken Antisemitismus in den 60er und 70er Jahren.

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