Dieses Graffiti ist keineswegs antisemitisch: "F-Side" und "VK410" sind die großen Fangruppen bei Ajax Amsterdam und berufen sich stolz auf die jüdischen Einflüsse ihres Vereins.
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Ajax "Super Juden" und Tottenhams "Yid Army" - erfolgreich gegen Antisemitismus?

Fans von Ajax Amsterdam und Tottenham Hotspur drehen seit Jahren den Spieß um und reagieren auf antisemitische Anfeindungen mit der Übernahme jüdischer Symbolik in ihre Fankurve. Sie nennen sich "Super-Jews" oder skandieren "Yid Army". Wissenschaftler*innen, Fußballverbände und Vereine sehen das kritisch. In Amsterdam diskutierten sie darüber mit Fanvertreter*innen aus England, Polen, Deutschland und den Niederlanden. Außerdem Thema: wie man fußballtypischen Antisemitismus am besten bekämpfen kann.

Von Lina Morgenstern

Ajax Amsterdam steht für die niederländische Hauptstadt wie kein anderer Club. Und wie kein anderer Verein ist er einem vehementen Antisemitismus ausgesetzt. Lieder wie "Hamas, Hamas, Juden ins Gas" oder "Juden brennen am besten" und laute Zischlaute, die an die Gasduschen in Auschwitz angelehnt sind, schlagen Fans und Spielern seit Jahrzehnten entgegen. Dabei ist Ajax nicht einmal ein jüdischer Verein, wurde aber vor der Besetzung der Niederlande durch Nazideutschland von vielen jüdischen Holländer*inen unterstützt. In den 1970ern holten gegnerische Fans das Stereotyp vom "jüdischen Verein" wieder aus der Mottenkiste. Als Reaktion auf die antisemitischen Gesänge hat sich bei Ajax eine pro-semitische Fankultur entwickelt, besonders die Hooligangruppe "F-Side" nutzt schon lange jüdische Symbolik und Israel-Fahnen als Statement. Für viele Fans ist das Judentum Teil der Vereinsidentität. Seit einigen Jahren wird das vom holländischen Fußballverband und auch von den Vereinsverantwortlichen zunehmend kritisiert. Sie finden, dass die Fans den Antisemitismus durch ihre Haltung provozieren. Es gibt jüdische Ajax-Fans, die dem Verein fern bleiben, weil sie sich den Vergasungsgesängen der Gegner*innen nicht mehr aussetzen wollen. So berichtet es auch der Holocaustüberlebende Joop Waterman.

Wie hier beim Spiel gegen den FC Utrecht zeigen Ajax Fans immer wieder jüdische Symbolik oder die israelische Fahne. (Quelle: flickr.com // CC // Vincent Teeuwen)

"Antisemitismus ist im internationalen Fußball ein gravierendes Problem"

Darüber diskutierten vergangene Woche die Teilnehmenden einer internationalen Konferenz im Amsterdamer Fußballstadion. Willem Wagenaar vom Anne Frank House Amsterdam hat die Konferenz maßgeblich organisiert. Er erzählt, dass laut einer Studie seiner Institution ein Drittel der Lehrpersonen von antisemitischen Äußerungen ihrer Schüler*innen berichtete – zumeist im Zusammenhang mit Fußball. "Wir haben festgestellt, dass Antisemitismus im Fußball ein gravierendes Problem ist, auch in anderen Ländern. Gleichzeitig setzen sich verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Mitteln dagegen ein." Um diese an einen Tisch zu bringen, wurde die Konferenz organisiert, auf der Vereinsvertreter*innen, Fans und Verbandsmitarbeiter*innen aus den Niederlanden, England, Polen und Deutschland zwei Tage debattierten.

Am Ende waren sich alle einig: Antidiskriminierungsarbeit muss von den Fans getragen werden. Eine Kontroverse hat der Kongress allerdings nicht geklärt, nämlich ob das Top down oder Bottum Up geschehen soll. Die Vertreter*innen der Fans hatten sich für eine Graswurzelbewegung stark gemacht, weil alle Macht im Stadion von den Fans ausgehe. Verbands- und Vereinsvertreter*innen gingen die Frage anders an, Überwachung, Strafverfolgung und Sanktionen verbessern in ihren Augen das Stadionklima nachhaltig. In England wurde sogar das Wort "Yid" (Bezeichnung für Juden) aus den Fußballarenen verbannt. Fans von Tottenham Hotspur hatten ähnlich wie Ajax auf antisemitische Gesänge der gegnerischen Fankurven mit einer positiven Selbstbezeichnung als "Yid Army" reagiert und sich jüdische Symbole angeeignet.

Verbote verschieben das Problem nur

Dass sich in den Köpfen der Fans durch bloße Verbote wenig ändert und sich Vorfälle von Diskriminierung dadurch auf die An- und Abreisewege sowie die Spielvorbereitung der Fans verlagern, bleibt dabei eine ungehörte Kritik der aktiven Fans. Deutlich zeigen konnte das jedoch ein Mitglied des europäischen Fannetzwerks FARE, der über antisemitische Ausschreitungen im polnischen Fußball berichtete. Besonders gegen den KS Cracovia aus Krakow singen die Fans dort gern Lobeslieder auf Hitler und malen riesige Transparente mit judenfeindlichen Gewaltandrohungen, die am Spieltag auch außerhalb der Stadien zu sehen sind. Dabei reagieren sie nicht auf eine pro-semitische Fanszene, denn die gibt es in Polen nicht.

"Deutschland hat eine sehr aktive und politische Fanszene, deshalb war es für uns besonders interessant auch deutsche Fußballvertreter einzuladen", erklärte Wagenaar. Mit Martin Endemann vom Bündnis Aktiver Fußballfans BAFF ist ein alter Hase der antifaschistischen Faninitiativen bei der Konferenz. Er kritisierte die Haltung des englischen Fußballverbands zu den pro-semitischen Tottenham-Fans: "In Deutschland versuchen wir den positiven Bezug zur jüdischen Geschichte der Fußballvereine herzustellen, um ein Verständnis für und eine Positionierung gegen Antisemitismus zu schaffen." Auch Benedikt von den "Fußballfans gegen Antisemitismus" sieht das so. "Die Bezeichnung ´Yid´ als antisemitische Beleidigung sollte unbedingt verboten sein. Denn Antisemiten, die ´Yid´ als Beschimpfung nutzen, sind das Problem und die nicht Spursfans!"

Mit diesem Video wenden sich englische Spieler*innen und Trainer gegen die Nutzung des Wortes "Yid", egal ob positiv oder negativ besetzt. (Quelle: Youtube//Kick it out)

Politische Bildung hat im englischen Fußball einen hohen Stellenwert

Trotzdem ist der englische Fußball für Viele ein Vorreiter in Sachen politischer Bildungsarbeit im Stadion. Seit vielen Jahren engagiert sich die Football Association FA konkret gegen Diskriminierung und für eine Inklusion von gesellschaftlichen Minderheiten über den Ballsport, ist damit auch Längen weiter als der Deutsche Fußballbund DFB. Die FA initiierte das Projekt "Kick it out", das inzwischen unabhängig vom Verband arbeitet. Deren Präsidentin Roisin Wood stellte die Organisation vor, die sich besonders in der Bildungsarbeit und im Monitoring diskriminierender Vorfälle engagiert. Seit kurzem gibt es dazu sogar eine App, mit der Fans sich anonym und direkt an "Kick it out" wenden können, wenn sie Opfer oder Zeuge einer Diskriminierung sind. Die Organisation leitet die Vorfälle weiter, macht Druck auf die zuständigen Stellen, damit diese reagieren. Trotz Überwachung und Reaktion der Ordnungskräfte in den Stadien seien die Zahlen gestiegen. "Leider stellen wir fest, dass sich diese Hassreden immer mehr ins Internet verlagern. Trotzdem können wir oft die Verursacher ermitteln, es sind erschreckend viele Jugendliche dabei", erläuterte sie die Zahlen von Hatespeech im Fußball.

Borussia Dortmund organisiert KZ-Gedenkstättenfahrten

Auf der Konferenz bietet das Engagement von Borussia Dortmund ein erfrischendes Beispiel. Daniel Lörcher ist einer der Fanbeauftragten und treibt die Antidiskriminierungsarbeit voran. Dortmund stützt sich auf ein 5-Säulen-Modell, dass PR-Maßnahmen, Netzwerkarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, Gedenkstättenfahrten, Mitarbeiterqualifikation und Selbstbeteiligung der Fans mit einschließt. Lörcher ist ursprünglich selbst aus der Fankurve, war Vorsänger der Ultra-Gruppe "The Unity". Heute organisiert er Gedenkstättenfahrten und sagt, Holocaustaufarbeitung müsse für die Fans greifbar sein und dürfe nicht mit bei einer Fahrt nach Auschwitz stehen bleiben. Gemeinsam mit Interessierten verfolgen die Fanbeauftragten die Spuren von Juden, die aus Dortmund nach Polen deportiert und dort vernichtet wurden. An der regelmäßigen Fahrt nehmen Mitglieder zahlreicher Fangruppen teil, auch Ultras sind dabei. "Was sie auf so einer Fahrt lernen, begleitet die Fans noch lange. Es geht darum, den persönlichen Trigger zu erreichen, die Vernichtung greifbar zu machen. Das schaffen wir über den Bezug zu Dortmund, der Stadt, die unseren Fans am Herzen liegt." Dass der Verein mit diesen Fahrten und auch seinen anderen Aktionen gegen rechte Einstellungen im Block erfolgreich ist, zeigt sich in der veränderten Haltung vieler BVB-Fans. Auch auf der Konferenz wurde das Engagement des Dortmunder Vereins mit Achtung bewertet, Vereinsmitarbeiter von Ajax Amsterdam und auch die Vertreter der FA aus England lobten die sichtbaren Erfolge. Lörcher bleibt bescheiden, "Jahrelang hat der Verein nicht auf sein Naziproblem reagiert und trotz vieler erfolgreicher Aktionen sind wir immer noch am Anfang." An einem Guten jedenfalls.

 

Mehr im Internet:

  • Zur jüdischen Symbolik bei Ajax Amsterdam - Antisemitismus auf der Biertheke (11Freunde.de)
  • Tackle antisemitism, not the ‘Yid Army’ chants (The Conversation)
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