In Polen sind aktive Fußballfans häufig nicht klar als Ultras oder Hooligans zu unterscheiden - man könnte sie Hooltras nennen, weil sich hohe Gewaltbereitschaft mit Elementen der Ultrakultur ergänzen.
Rainer Fox

Alle singen: "Lech Poznań Hooligans" - FK Sarajevo zu Gast in Poznań

Republik Polen oder auch das "gelobte Land" stand auf der Tagesordnung. In Poznań fand das Rückspiel in der Champions League Qualifikation zwischen dem siebenmaligen polnischen Meister KKS Lech Poznań und dem FK Sarajevo statt. Das Hinspiel wurde von heftigen Ausschreitungen und Provokationen durch die rechten polnischen Fans überschattet. Ein Groundhopper berichtet über das politisch brisantes Rückspiel in Poznań.

Von Rainer Fox

Anstoß sollte 20:45 Uhr im INEA-Stadion von Poznań sein. Diese Spielstätte aus Beton und Stahl wurde für die Europameisterschaft der Männer 2012 komplett renoviert und bietet neben dem unästhetischen Äußeren Platz für 42.837 ZuschauerInnen – ausschließlich zum Sitzen. Da kann auch die hier gereichte und äußerst wohlschmeckende Klobase, eine polnische Fettwurst, nicht mehr viel rausholen.

Nach dem Hinspiel in Sarajevo (0:2) und den das Spiel überschattenden heftigen Ausschreitungen in dem Vorort Vogošća, bei dem es zu mehreren Schwerverletzten und einem hohen Sachschaden kam, war man gespannt auf den Verlauf des Rückspiels in Polen. Beim Hinspiel hatten polnische Fans in der Nacht vor der Begegnung verbal provoziert, ein zweites Srebrenica gefordert und angedroht. Bei dem Massaker vor 20 Jahren während des Bosnienkriegs wurden 8000 Männer und Jungen getötet; es gilt als das schwerste Kriegsverbrechen seit dem 2. Weltkrieg in Europa. Der Krieg auf dem Balkan bleibt auch im Fußball gegenwärtig.

Zurück nach Poznań. Interessant sind hier die jeweiligen Freundschaften zu anderen Fanszenen bzw. Vereinen. So unterhalten die Ultras der Horde Zla (Horden des Übels) des FK Sarajevo eine sehr gute Freundschaft zu den Ultras von Dynamo Dresden, die an diesem Abend mit 50 Leuten ihre FreundInnen aus Bosnien unterstützten. Und auch Lech pflegt so einige Freundschaften. Neben dem KSZO Ostrowiec Świętokrzyski sind es vor allem die zu Arka Gdynia und KS Cracovia. Die beiden letzteren und Lech werden auch als Wielka Triada (Große Triade) bezeichnet, da diese Konstellation mit zu den schlagkräftigsten und gefürchtetsten Hooligans in ganz Europa gehören. Außerdem sollen beim Hinspiel einige Fans aus Łódź die Blau-Weißen, liebevoll auch Kolejorz genannt - also Eisenbahner (Lech Poznań war früher der staatliche Eisenbahn Verein) unterstützt haben.

Rechte Gesinnung in den polnischen Fankurven unverhohlen

"Fußball ist Fußball und Politik bleibt Politik", dieser Satz stammt nicht nur aus einem Lied der bei Rechtsradikalen beliebten Bremer Hooligan-Band "Kategorie C", sondern wird in der hiesigen Fanlandschaft auch gerne benutzt um unliebsame Themen und Vorfälle zu entschuldigen oder zu verharmlosen. Die meisten polnischen Fanszenen machen aus ihrer Gesinnung allerdings keinen Hehl, im Gegensatz zu ihrem deutschen Pendant. Dass dabei in der polnischen Gesellschaft ein hoher Grad an Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie herrscht, kann man nicht nur an den alljährlichen Ausschreitungen und Angriffen rund um den polnischen Unabhängigkeitstag am 11. November sehen, auch wenn dieser medial wohl am meisten beleuchtet wurde. Vielmehr sind Übergriffe auf tatsächliche und vermeintliche MigrantInnen, Sinti und Roma sowie antisemitische Schmierereien in vielen Teilen Polens an der Tagesordnung. Da Fußball in dem Land eine beliebte Sportart ist, findet man in vielen Stadien einen Querschnitt der Bevölkerung. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass in fast allen polnischen Fanszenen eine starke Abneigung gegenüber jeglicher linker Einstellungen herrscht. Diese ist historisch am ehesten durch die Gleichsetzung von linken Ideen mit der damaligen Politik der Sowjetunion zu erklären. Dazu kommen der in der Gesellschaft stark verbreitete Nationalismus und Antisemitismus. Die Fanszene von Lech Poznań stellt keine Ausnahme dar, auch hier gelten die polnische Nation und das "Volk" als beschützenswert und Symbole, wie das Keltenkreuz oder White Power sind keine Seltenheit auf Kleidungsstücken, Fahnen oder Aufklebern.

Und so ereignete sich der letzte große Angriff von Rechten in Zusammenhang mit der Fanszene von Lech am 7.Juni diesen Jahres, als auf dem Marktplatz in Poznań die polnische Meisterschaft gefeiert wurde. Eine größere Anzahl an Rechtsradikalen Fans der Kolejorz attackierte unter anderem ein in der Nähe befindliches linkes Hausprojekt. Sie versuchten, Teile des Gebäudes anzuzünden, was ihnen zum Glück nicht gelang. Darüber hinaus wurden die BewohnerInnen über eine Stunde verbal mit dem Tode bedroht und das Gebäude mit Steinen und Flaschen beworfen. Die Polizei filmte das Geschehen lieber von einem gegenüber liegenden Dach, als einzuschreiten.

Schnelle Spielentscheidung und ein leerer Gästeblock

Zurück zum Spiel. Das INEA-Stadion sollte heute 22.205 BesucherInnen aufnehmen. Für die Eintrittskarte mussten 65 Złoty, rund 15 Euro, die Geldbörse verlassen, für einen internationalen Kick in einem Sitzplatzstadion geht das in Ordnung. Die Fans von Lech Poznań legten über das komplette Spiel einen unglaublich lauten und guten Support hin. Zusätzlich stieg bei der Hälfte der Lieder ein großer Teil des Stadions mittels singen oder klatschen ein. Wohlgemerkt egal ob bei Klassikern über die Kolejorz und die Liebe zum Verein oder eher gewaltaffinen Liedern wie "Hooligans, Lech Poznań Hooligans".

Das Spiel war über weite Strecken ausgeglichen mit minimalen Vorteilen für die Heimmannschaft. In der fünften Minute wurde den Blau-Weißen ein Freistoß an der Strafraumgrenze zugesprochen, der gleichzeitig das 1:0 markierte und damit auch den Endstand. Einen sehr ordentlichen Auftritt legten die Spieler des FK Sarajevo hin, die trotz der klaren Niederlage aus dem Hinspiel sowie dem frühen Gegentor wirklich Vieles versuchten, aber leider nicht belohnt wurden.

Die Gästefans durften erst zwei Minuten vor Pausenpfiff das Stadion betreten. Anscheinend war der Grenzübertritt nach Polen erschwert worden. Pünktlich mit dem Halbzeitende gingen die Spieler aus Sarajevo zum Gästeblock und bedankten sich bei den Fans für ihre Anwesenheit.

Auch die Freunde der Horde Zla aus Dresden kamen erst zum Ende der zweiten Halbzeit ins Stadion. Die Dresdner pflegen nicht viele Freundschaften, die internationale nach Sarajevo ist eine besondere. (Bildquelle: Rainer Fox)

Halbzeit zwei und jetzt auch endlich mit Gästefans

Im Heimblock wurde nun die vorbereitete Choreographie präsentiert. Das Spruchband am Zaun titelte: "styl poznański mocno chuligański". Übersetzt heißt das, der Poznań Stil ist Hooliganismus. Dazu links das Vereinswappen von Lech und rechts, das zerstörte Zeichen der Horde Zla, den Fans von Sarajevo. Im Unterrang wurden dann weiße Papptafeln hochgehalten, im Oberrang kamen blaue Fähnchen zum Einsatz. In der Mitte ließen die Fans eine große Blockfahne herunter. Zu sehen waren hier das Wappen von Wielkopolska, einer westlichen Region in Polen, und der gern genutzte Lech-Totenkopf.

Auch die Ultras aus Sarajevo machten 45 Minuten lang ordentlich Stimmung im Gästeblock. Gegen die Heimwand kamen sie zwar nicht an, es schien aber auch nicht der heutige Anspruch zu sein. Die Melodien blieben im Ohr und auch sonst war es ein guter Auftritt, den Sarajevo hier im Block und auf den Rasen hinlegte. Die Fans von Lech konnten ihre Lautstärke in der zweiten Halbzeit nochmals noch oben schrauben. Dazu waren jetzt auch etliche Hüpfeinlagen und Wechselgesänge zu vernehmen.

Leider dauerte auch dieses Spiel nur 90 Minuten und so musste bald der Heimweg angetreten werden, den Gewitter und Platzregen versüßten. Nach dem Spiel blieb es ruhig in Poznań, was auch an der heutzutage gut aufgestellten polnischen Polizei lag, die mit zwei Wasserwerfern und dem üblichen Repertoire aus martialischem Auftreten und Gummi-Schrot-Waffen lag.

Der KKS Lech Poznań war somit eine Runde in der Champions League Qualifikation weiter, verlor diese Woche aber beim FC Basel 1:3 das nächste Heimspiel der Runde. 

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