Kindern als Teil einer Ritualmord-Ikonografie
Kinder, die mit Puppen auf dem Arm auftreten oder zwischen am Boden liegende Puppen drapiert sind, werden zum Teil der antisemitischen Ritualmord-Ikonografie gemacht. Sie haben keine Möglichkeit eine Distanz zu den Bildern einzunehmen, da sie selbst in ihnen enthalten sind. Als Teil der antisemitischen Ikonografie werden sie zur Schau gestellt. Die-se vermittelt ihnen die Botschaft, sie seien das Ziel vermeintlicher Tötungsabsichten der israelischen Armee. Obwohl sich die Kinder auf den sicheren Straßen Berlins bewegen, werden sie als potentielle Opfer des Staates Israel dargestellt. Dem israelischen Staat wird hier nicht nur unterstellt besonders Kinder töten zu wollen, sondern auch dies jederzeit überall tun zu können. Israel wird hier als Staat mit einer besonderen Allmacht fantasiert, der es besonders auf Kinder abgesehen habe. Durch das wiederholte Rufen antisemitischer Parolen wird dieses Bild verstärkt und letztlich von den Kindern internalisiert.
Auf den Videos und Fotos, die dem JFDA vorliegen, ist zu sehen, dass die Kinder mit dem einem Schlachtfeld gleichenden Arrangement sichtlich überfordert sind. Die mit roter Farbe verunstalteten Puppen verbreiten Angst und Schrecken. Es stellt sich die Frage, ob die Kinder vielleicht selbst noch ein paar Tage vorher mit den Puppen gespielt haben und ob sie aufgefordert wurden, ihre eigenen Puppen für das „Rollenspiel: Massaker“ zu opfern. Puppen sind zum Spielen gedacht. Im Spiel eignen sich Kleinkinder wie Kinder die Welt an. Im Spielen wiederholen sie Ereignisse, ermöglichen die Erfüllung ihrer Wünsche und Bedürfnisse, finden Selbstvertrauen, verarbeiten Erlebtes und finden eigenständig und unbeobachtet Lösungen. Spielen ist spontan und entwickelt sich frei nach den Ideen, Bildern und Vorstellungen der Kinder. Sie sollten hierbei nicht von außen gestört werden. Dieses genuine Spielverhalten der Kinder wird jedoch von den Verantwortlichen der „Gaza-Demonstrationen“ für das In-Szene-Setzen der antisemitischen Ikonografie ausgenutzt. Den Kindern wird nicht etwa vermittelt, dass sie geborgen und sicher sind, sondern dass sie existentiell bedroht seien, und zwar im Hier und Jetzt. Damit wird das Bedürfnis der Kinder nach Sicherheit und Geborgenheit übergangen.
Was macht das mit den Kindern?
In Bezug auf die „Gaza-Demonstrationen“ ist anzunehmen, dass die Kinder hin- und hergerissen sind zwischen dem Bedürfnis mit den Erwachsenen zu kooperieren und dem Wunsch nur nicht gesehen zu werden. Keiner der Erwachsenen – Eltern, Bezugspersonen und BeobachterInnen, JournalistInnen oder PolizistInnen – geht empathisch auf die Kinder ein, niemand interveniert. Offensichtlich liefert der arabische Antisemitismus hier eine Ikonografie, die der europäischen Mehrheitsgesellschaft nur allzu vertraut ist. Die Kinder bleiben letztlich mit dem Konflikt allein. Sie bleiben allein mit dem Gefühl von Scham und Zweifel, und das vor laufender Kamera. Ihr positives Selbstwertgefühl wird verletzt, sie müssen unangemessene Anforderungen erfüllen und werden genötigt, den unverhüllten Hass der Erwachsenen zu demonstrieren. Laut § 1631 BGB hat jedes Kind „ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Es mutet wie eine seelische Misshandlung an, wenn Eltern und Erwachsene hier ihr eigenes hasserfülltes, verzerrtes Bild der Realität auf Kosten ihrer Kinder ausagieren. Sicher jedoch liegen unserer Ansicht nach eine massive emotionale Überforderung und Belastung der Kinder durch ihre Bezugspersonen vor.
Wie können Lehrer*innen, Erzieher*innen, Eltern reagieren?
Die meisten der betroffenen Kinder sind im schulpflichtigen Alter. Mit dem Beginn des neuen Schuljahres ist zu hoffen, dass sie dort wachsamen, empathischen LehrerInnen und ErzieherInnen begegnen, die offen auf Erzählungen der Kinder eingehen, auch ihre Fragen zulassen und Antworten nicht ausweichen. Damit erhielten die Kinder eine Chance, nicht mit dem Erlebten allein zu bleiben. Wie werden die Kinder bis dahin das Erlebte verarbeitet haben? Welche Bilder tragen sie mit sich herum? Hatten sie Albträume? In welchem Ausmaß können sie sich ihren MitschülerInnen, LehrerInnen und ErzieherInnen anvertrauen? LehrerInnen und ErzieherInnen sollten für die Folgen eines emotionalen Belastungsdrucks sensibilisiert werden. Gleichwohl müssen sie in die Lage versetzt werden, angemessen auf antisemitische Äußerungen von Kindern und Jugendlichen zu reagieren. Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus muss ein fester Bestandteil des Schulcurriculums sein.
Die für die Kinder Verantwortung tragenden Stellen stehen nunmehr vor der besonderen Herausforderung, Kontakt zu den Familien, ihren Kindern und den Organisatoren der antisemitischen Veranstaltungen aufzunehmen. Nur über den Weg der direkten Kommunikation kann die Prognose über die seelischen Folgen bei den betroffenen Kindern abgeschätzt werden. Die Kinder können und sollten befragt werden, mittels offener Fragen und dem jeweiligen Alter angemessen. Hierfür ist eine auf Offenheit und Achtsamkeit basierende Befragung notwendig. Derartige von Hass erfüllte Demonstrationen sind nicht einmalig, sondern wiederholen sich. Sie werden für die Öffentlichkeit wirksam in Szene gesetzt. Doch was passiert hinter verschlossenen Türen? In den Familien? In den „Communities“, in denen sich die betroffenen Kinder bewegen? Schließlich ist es dringend notwendig zu klären, in welchem Verhältnis die jeweiligen Familien und palästinensischen Organisationen wie der “Palästinensische Frauenverband in Deutschland” zur Demokratie und den Rechten von Kindern hier in der Bundesrepublik stehen.
So wird Antisemitismus an die nächste Generation weitergegeben
Mit der während der „Gaza-Demonstrationen“ offen zutage liegenden Dämonisierung Israels wird Hass gegen Israelis und Juden an die nächste Generation weitergegeben. Es ist anzunehmen, dass sich der Hass früher oder später in antisemitischer Gewalt entladen wird. Durch die Instrumentalisierung und die antisemitische Indoktrination von Kindern wird letztlich das nächste Pogrom vorbereitet. Die Vorboten kündigen sich bereits jetzt an: Erst kürzlich verübten drei arabische Jugendliche einen Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge. In Berlin wurde aus einer palästinensischen Demonstration heraus ein israelischer Tourist attackiert. Während der antisemitischen Ausschreitungen wurde “Hamas, Hamas, Juden ins Gas” skandiert. Dies sind nur einige Beispiele der aktuellen Serie antisemitischer Übergriffe, die nicht abzureißen scheint. Die Erziehung zum Hass gefährdet die innere Sicherheit der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft in höchstem Maße und fügt den betroffenen Kindern in ihrer seelischen Entwicklung einen irreparablen Schaden zu. Die Eltern der Kinder und die Organisatoren der Veranstaltungen müssen daher in aller Schärfe und mit sofortiger Wirkung von den staatlichen Institutionen zur Verantwortung gezogen werden.
Dieser hochgefährlichen Entwicklung muss jetzt in aller Deutlichkeit entgegengetreten werden.
Dieser Text wurde zuerst veröffentlicht vom "Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus". Mit freundlicher Genehmigung.