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Der Antisemitismus hinter der Verschwörungsideologie um den “großen Austausch” zeigte sich selten so deutlich

Durch ein Interview des Politikwissenschaftlers Yascha Mounk in den Tagesthemen, meint die rechte Blase einen weiteren Beleg für ihre Verschwörungsideologie um den “großen Austausch” gefunden zu haben. Da Mounk Jude ist, zeigt sich hier der antisemitische Kern dieser Erzählung besonders deutlich.  

 

Von Miro Dittrich und Kira Ayyadi

 

Das Interview des jüdischen Politikwissenschaftlers Yascha Mounk am 20. Februar in den Tagesthemen schlägt momentan große Wellen in der rechten Blase und wird uns in nächster Zeit bestimmt öfter begegnen.

 

 Yascha Mounks Interview in den Tagesthemen

Die derzeitige Aufregung dreht sich um dieses Zitat:

“Das wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar eine mono-theistische, mono-kulturelle Demokratie in einen multi-ethnische zu verwandeln, das kann klappen, das wird glaube ich auch klappen, aber dabei kommt es natürlich auch zu vielen Verwerfungen.”

Das Zitat im Kontext hier ab 24:40.

 

Die Rechte Blase sieht es in ihrer Interpetation als endgültigen Beweis für ihre Erzählung über den großen Austausch.

 

 

 

 

Die Verschwörungsideologie um den "großen Austausch"

Aber was meint die Neue Rechte mit dem “großen Austausch”? Diese Verschwörungstheorie besagt, dass in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Belgien, den Niederlande und in den skandinavischen Ländern momentan ein geheimer Plan umgesetzt würde, mit dem vermeintlichen Ziel die  “Stammbevölkerung” auszutauschen. Diese krude Verschwörungsideologie besagt letztendlich nichts anderes, als dass die “Urbevölkerung” (die Deutschen, die Franzosen, etc.) durch Migrant_innen ausgetauscht werden soll. Den Beleg darin meinen diese extrem Rechten in einem  UNO-Bericht aus dem Jahr 2001 gefunden zu haben.

Der Bericht rechnet Szenarien durch, wie viel Einwanderung nötig wäre, um die schrumpfenden Bevölkerungszahlen in acht Ländern mit besonders niedrigen Geburtenraten in den nächsten Jahrzehnten auszugleichen, da sie ohne Einwanderung gravierende Probleme mit ihren Sozialsystemen bekommen werden. Ungeachtet seines tatsächlichen Inhalts wird das Papier seit Jahren herumgereicht als scheinbarer Beleg für die wahren Gründe hinter der derzeitigen Migrationsbewegung. Jüngst sorgte Matthias Matussek für Aufsehen, da er das Papier entdeckte und meinte er sei der großen Verschwörung des gezielten “Bevölkerungsaustausches” auf der Spur.

Auch das rechte Portal "Youwatch" griff Matusseks "Entdeckung" auf. Quelle: Screenshot

 

Geprägt wurde die Bezeichnung "der große Austausch" durch den französischen Rechtsdenker Renaud Camus in dessen Aufsatz "Der Große Austausch oder: die Auflösung der Völker". Camus behauptet, dass niemand, der migriert, Teil der neuen Gesellschaft sein möchte. Ein friedliches Miteinander geht für Camus nur dann, wenn Migrant_innen ihre Identität aufgeben. Die deutsche Übersetzung dieses Werks findet sich in einem Sammelband der bei "Antaios" erschienen ist. Dem Camus-Text gehen ein Vorwort von Martin Semlitsch (Künstlername: Martin Lichtmesz) sowie ein Interview mit Camus durch Semlitsch voraus.  Und auch Semlitsch ließ es sich nicht nehmen, auf das Interview zu reagieren: 

 

Quelle: Screenshot

 

Auch ein Thema auf Reconquista Germanica

Und auch der auf dem Reconquista Germanica Server aktive rechte Youtuber "LangeR" zeigt wo er in der Debatte steht, wenn er “Verdächtigen” in Klammern (sogenannte Echos) setzt, ein beliebter Code  unter Antisemit_innen um Jüd_innen zu kennzeichnen, ohne es ausschreiben zu müssen.

 

Quelle. Screenshot 

Martin Sellner wehrt sich gegen eine antisemitische Deutung

Auch Martin Sellner kommentiert die antisemitische Reaktion auf das Interview.  Er wehrt sich allerdings gegen eine antisemitische Interpretation des "großen Austauschen", das sei "einfach zu billig", erklärt er in einem Kommentar unter seinem Youtube-Video. Um die rechte Diskussion mehrheitsfähig zu machen, sind die Hauptakteure der Neuen Rechten mittlerweile sehr darauf bedacht, nicht offen antisemitisch zu wirken. 

In den Kommentaren unter Sellners Video zeigt sich hingegen der Antisemitismus seiner Follower:

 
Quelle: Screenshot
Quelle: Screenshot
"Ja. Ich suche den Juden nicht. Aber der Jude sucht nach mir." Quelle: Screenshot

 

Meistens wird eine nicht näher ausgeführte Elite dafür verantwortlich gemacht, den großen “Bevölkerungsaustausch” durchzuführen. Diese Elite siedle Migrant_innen bewusst in Europa an, um so das "Volk" (nach Definition der Rechtsextremen) schrumpfen zu lassen. Somit wäre Migration nicht die Folge von Konflikt- und Kriegssituationen oder individueller Entscheidungen. Vielmehr imaginiert diese Theorie, dass Migration im Auftrag einer geheimen und gesteuerten Mission erfolgt. Und wie bei den meisten Verschwörungsideologien, liegt auch dieser eine antisemitische Erzählung zugrunde.  So meinen viele, die an diese Verschwörungsideologie glauben, der “Bevölkerungsaustausch" würde von einer jüdischen Elite durchgeführt.

Es handelt sich dabei also um die klassische antisemitische Vorstellung der im geheimen, die Welt lenkenden Jüd_innen. Hier trifft es sich natürlich, dass Yascha Mounk selbst Jude ist, wie die rechten Blase schnell merkte, und darüber auch das Buch “Echt, du bist Jude? - Fremd im eigenen Land” geschrieben hat. Dieser Fall ist auch dahingehend interessant, dass sich der Antisemitismus dieser Verschwörungsideologie selten so offen gezeigt hat.

 

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