"Digital Streetwork - Pädagogische Interventionen im Web 2.0" heißt eine neue Broschüre des Projektes "Debate" der Amadeu Antonio Stiftung zu den Möglichkeiten der präventiven Arbeit mit rechtsaffinene Jugendlichen in Sozialen Netzwerken. Hier ein Auszug: Wie leben Jugendliche in und mit Sozialen Netzwerken?
Von debate// Cornelia Heyken, Christina Dinar
Das Internet und darin die privaten Sozialen Online-Netzwerke sind längst elementare Bestandteile der Lebenswelten und Orte der Sozialisation und Identitätsbildung von Jugendlichen geworden. Dort tauschen sie sich aus, informieren sich und werden mitunter auch selbst aktiv, sei es in Gruppen (-diskussionen), per Chat oder in privaten Nachrichten.
Im Jahr 2015 waren 77,6 Prozent der Deutschen online, wobei die Altersgruppen der unter 30-Jährigen nahezu eine vollständige Nutzungsrate erlangen (98,2 %). Vor allem die Nutzung des mobilen Internets stieg deutlich an, auch hier sind die Nutzer unter 30 Jahren am aktivsten (etwa 85 %). Bis zu zwei Stunden täglich sind 14- bis 29-Jährige mit Kommunikation im Internet, also Facebook, WhatsApp oder Social Media-Angeboten, Chatten oder dem Schreiben und Lesen von E-Mails beschäftigt.
Smartphone auf Platz 1 bei Jugendlichen
»Betrachtet man insgesamt das Agieren der Jugendlichen im Netz, so zeigt sich, dass diese überwiegend mit dem Smartphone online gehen und hierbei auch überwiegend mobile Seiten nutzen. Das Internet bedeutet für Jugendliche im Nutzungsalltag also
weniger die klassische Website, sondern mobile Plattformen, Apps und Kommunikationstools. Auf diesen Plattformen stoßen sie dann sowohl auf journalistische Inhalte von professionellen Medienanbietern, wie Verlags- und TV- Unternehmen, als auch auf kommerzielle Angebote von Handel und Industrie.« (JIM-Studie 2017)
Jugendliche haben eine politische Agenda
Laut der JIM-Studie 2017 (Jugend, Information, (Multi-)Media) informieren sich Jugendliche hauptsächlich über Themen, die sie selbst betreffen. An zweiter Stelle steht das Bedürfnis, schnell über das Weltgeschehen Bescheid zu wissen. Allgemein verwendet eine Mehrheit von 68 % der Nutzer*innen Social Media-Plattformen wie z.B. Facebook als Informationsquelle für politische Themen (vgl. Statista). Auch wenn die Nutzung des größten Sozialen Netzwerks in Deutschland durch Jugendliche eher abnimmt, so bleibt die Informationsbeschaffung darüber weiterhin relevant, insbesondere für die über 18-Jährigen.
Aus der SINUS-Jugendstudie u18 von 2012 ist bekannt, dass ein Teil der Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren den etablierten politischen Betrieb leidenschaftslos verfolgt und sich von als politisch markierten Themen nicht angesprochen fühlt, Jugendliche aber durchaus eine politische Agenda besitzen. Sie thematisierten vor allem die Bereitschaft, sich für das soziale Umfeld einzusetzen, den Wunsch, ihren Lebensraum zu gestalten, und den Wunsch nach Sprachrohren für ihre Probleme und Sehnsüchte sowie Ungerechtigkeit in der Gesellschaft. Jugendliche aus prekären Verhältnissen sind dabei in Hinsicht auf ihre Zukunftsperspektiven unzufriedener und nehmen soziale Ungerechtigkeit in hohem Maße wahr, sie bezeichnen sich aber dennoch als besonders unpolitisch. Laut der Studie entwickeln Jugendliche je nach sozialer Lage und Wertorientierung unterschiedliche Lösungsstrategien für ihre Herausforderungen und »positionieren sich nicht nur durch das, was sie machen und mögen, sondern in erheblichem Maße auch durch soziale Abgrenzung von anderen Jugendlichen«. Hier können Rechtsextreme und andere Menschenfeinde mit ihrer Propaganda ansetzen und vermeintlich einfache Lösungen anbieten.
Jugendliche grenzen aus!
Jugendliche positionieren sich durch soziale Abgrenzung von anderen Jugendlichen. Dabei werden sozial benachteiligte Jugendliche von Jugendlichen aus der gesellschaftlichen Mitte an den Rand gedrückt.
Die Macht des Netzes
Vor allem Soziale Online-Netzwerke sind dabei der ideale Ort, um junge Menschen, die in ihrem Demokratieverständnis noch nicht gefestigt sind, unabhängig von Bildungsstand, Herkunft oder politischer Überzeugung für sich zu gewinnen. Die Hemmschwelle, Kontakt aufzunehmen, ist im Netz vergleichsweise niedriger. Ein Grund dafür ist die Möglichkeit, in der Interaktion anonym zu bleiben. Gerade bei Schüler*innen, die noch auf der Suche nach Überzeugungen und Weltsicht sind und/oder bereits rechte Affinitäten aufweisen, kann es leicht geschehen, dass sie rassistische, antisemitische und demokratiefeindliche Positionen, die in politische oder gänzlich unpolitische Diskussionen einfließen, als »ganz normale« und »legitime Meinungsäußerungen wahrnehmen. Diese können dann ihre bisher unausgereifte Positionierung bestätigen, festigen oder womöglich sogar verändern.
Speziell unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 14 bis 35 Jahren wurden rund 30 % bereits mit Hass-Posts oder unseriösen Medien in Sozialen Online-Netzwerken konfrontiert. Insbesondere rechte Parteien und Zusammenschlüsse wie die "Identitäre Bewegung" u.ä. sind sehr gut auf Facebook organisiert und nutzen teilweise sehr zielgruppenspezifische Ansprachen für Jugendliche. Die antidemokratischen und menschenfeindlichen Inhalte solcher Sender werden von vielen Jugendlichen
als solche nicht erkannt. Hinzu kommt, dass Jugendliche ausländerfeindliche, antisemitische und rechtsextreme Einstellungen zum Teil bereits selbst vertreten bzw. solchen Aussagen zustimmen und sie teilen, auch wenn sie sich (noch) nicht in den entsprechenden Kreisen aufhalten.
Die Broschüre
Christina Dinar, Cornelia Heyken:
"Digital Streetwork - Pädagogische Interventionen im Web 2.0"
Hrsg.: Amadeu Antonio Stiftung
Berlin 2018
PDF zum Download:
http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/pressemitteilungen/digital-street-internet.pdf