Da stand er nur im Kreuzfeuer der Presse: Holger Apfel 2009 auf dem Bundesparteitag in Berlin.
ngn/sr

Apfel-Rücktritt: Was die Gerüchteküche über die rechtsextreme Szene sagt

Nach Holger Apfels Ankündigung, den NPD-Bundesvorsitz und den NPD-Sachsen-Fraktionsvorsitz im Landtag niederzulegen, blüht die Gerüchteküche der rechtsextremen Szene über die "wahren" Gründe. Wie etwa Homosexualität dort als Vorwurf konstruiert wird, ist interessant, weil es viel über das Menschenbild in der Szene aussagt, findet Esther Lehnert von der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung.

Interview: Simone Rafael

Offiziell ist es ein "Burn-Out-Syndrom", das Holger Apfel zum Rücktritt von seinen NPD-Parteiämtern zwang, doch wie es sich für die rechtsextreme Szene gehört, sind dort Verschwörungstheorien, Gerüchte und mehr oder weniger haltlose Vorwürfe und Feindlichkeiten Usus, wenn sich ein Rechtsextremer von der rechtsextremen Szene (oder hier zumindest von seinen repräsentativen Aufgaben) entfernt. Ohne dass man sich als Außenstehender ein Bild darüber machen kann, welche der Versionen der Wahrheit auch nur nahe kommt, bleibt festzuhalten, dass Holger Apfel in seiner Erklärung zur Beendigung seiner politischen Karriere etwa erklärt: "Ich räume ein, daß mich auch die Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung meiner Frau und meiner Kinder zunehmend belastet hat. Die Übernahme des Parteivorsitzes sorgte zudem natürlich nicht dafür, daß sie mehr Anteil von mir hatten. Auch ihretwegen habe ich mich zu diesem weitreichenden Schritt entschieden." Auch beklagt er "dieser Tage nun zunehmend ehrverletzende Verleumdungen". Gemeint sind NPD-interne Vorwürfe, Apfel habe sich sexuell übergriffig gegenüber jüngeren "Kameraden" verhalten. Darüber sprechen wir mit Esther Lehnert von der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung.

Was bedeutete der Vorwurf der Homosexualität in der rechtsextremen Szene?

Zunächst ist bemerkenswert, dass der Vorwurf, homosexuell zu sein, oft und auch hier instrumentell gebraucht wird. Er wird hier verwendet, um die politische Karriere eines rechtsextremen Kaders möglicherweise irreparabel zu beschädigen, ihn politisch kalt zu stellen. Denn dass die rechtsextreme Szene größtenteils homophob ist und Homosexuelle auch immer wieder Opfer rechtsextremer Gewalt werden, ist ja bekannt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch homosexuelle Rechtsextreme, von deren sexueller Einstellung alle wissen und die auch weithin akzeptiert wird. Das ist wie bei politisch engagierten rechtsextremen Frauen: Das passt zwar nicht ins Weltbild, aber es wird darüber hinweggesehen, wenn dafür die Arbeit gut gemacht wird.

Aber das ist hier nicht der Fall?

Hier kommt ja auch noch der Vorwurf der Übergriffigkeit hinzu. Dass ist natürlich etwas, dass es in der imaginierten "Volksgemeinschaft" gar nicht geben darf. Von ihrem Idealbild abweichendes Verhalten projezieren Nazis ja immer nach außen: Übergriffig oder gewalttätig gegenüber Frauen ist ja im NPD-Sprech immer der "Migrant", nie die eigenen Männer. Obwohl zugleich die ganze Szene weiß, dass sich viele Rechtsextreme gewalttätig und herabwürdigend gegenüber ihren eigenen Frauen verhalten. Aber mit der Homosexualität und der Übergriffigkeit kommen hier gleich zwei Dinge zum Tragen, die es in der rechtsextremen Welt nicht geben darf. Interessant wiederum aber: Es gibt in der rechtsextremen Szene einen ausgeprägten Männlichkeitskult, gerade in der Kameradschaftsszene, der deutlich unterschwellig homoerotische Züge hat.

Wird das in der Szene reflektiert?

Nein. Das Männlichkeitsbild in der Szene ist klar heterosexuell - und potent. Auf einem NPD-Parteitag etwa kamen die Kader auf die Bühne und stellten sich nicht nur mit ihren Namen vor, sondern auch mit der Zahl der Kinder, die sie gezeugt haben. Holger Apfel hat sich mit seiner Frau und seinen drei Kindern ja besonders offensiv als Aushängeschild der rechtsextremen Musterfamilie inszeniert. Das hat vor ihm kein anderer NPD-Vorsitzender getan. Vielleicht wird ihm genau das jetzt zum Vorwurf gemacht, denn die Strategie, eine bürgerliche Heteronormalität zu inszenieren, um eigene homoerotische Neigungen zu verstecken, gibt es ja in der Tat oft.

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