Mit dem "Gaucho-Tanz" trübte die deutsche National-Elf die Weltmeisterschafts-Feier in Berlin und erntete viel Kritik. Wirkliche Probleme mit Rassismus und Menschenverachtung gab es dabei eher auf den Fanmeilen und in den sozialen Netzwerken.
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Das Jahr 2014: Highlights, Rückschläge und Aussichten

2014 war auch für den Fußball ein ereignisreiches Jahr. Die FIFA-WM der Männer fand in Brasilien statt, mit dem Gaucho-Tanz entbrannte eine Debatte um rassistische Entgleisungen der deutschen Weltmeister. Zu Beginn des Jahres zeigte ein ehemaliger Nationalspieler Mut in eine andere Richtung und machte seine Homosexualität öffentlich. Währenddessen nahmen die Kämpfe zwischen antirassistischen Ultras und rechtsgerichteten Hooligans um die Hoheit in den Fankurven wieder zu. Das Wiedererstarken der Hooligans fand seinen traurigen Höhepunkt, als in Köln 4500 Personen eine rassistische Großdemonstration auf den Straßen abhielten. Besonders in der Vorweihnachtszeit wurden aber die Integrationsleistung des Fußballs und seine Verdienste für die Migrationsgesellschaft gelobt. Eine Nachlese des vergangenen Jahres.  

Von Redaktion Fussball-gegen-nazis.de

Mit dem Gauchotanz der National-Elf endete ein Siegestaumel nach der Weltmeisterschaft in Brasilien. Die einen riefen "Ich bin ja kein Rassist, aber man muss doch feiern dürfen", andere erinnerten daran, dass sie es ja schon immer gesagt hätten und diese großdeutsche Manier unentschuldbar sei. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Während der Wochen der WM in Brasilien berichtete auch dieses Portal über Entgleisungen auf dem Spielfeld und auf den Rängen, die durch einen nationalistischen Taumel bei allen Europa- oder Weltmeisterschaften gemessen und problematisiert werden. Auf Twitter und Facebook sammelten Menschen unter den Hashtags #schlandunverkrampft und #mobwatch ihre Beobachtungen aus den brasilianischen Stadien und von den deutschen Fanmeilen. Sie dokumentieren Sieg-Heil-Rufe, Hitlergrüße, Angriffe auf vermeintliche Ausländer*innen und Linksalternative, Blackfacing oder Hasstiraden auf das Team aus Ghana, homophobe Sprechchöre und Großmachtfantasien mit nationalsozialistischem Vokabular.  

FIFA muss mehr gegen Diskriminierung tun

Währenddessen kritisiert das internationale Anti-Rassismus-Netzwerk FARE die FIFA scharf für das lasche Vorgehen gegen menschenverachtende und besonders rassistische Vorfälle in den Stadien. Die Fanorganisation hat selbst eine Liste von Vergehen veröffentlicht, die von der FIFA häufig nicht geahndet wurden. Wiederholt wurde Fehlverhalten von russischen Fans dokumentiert, besonders in Hinblick auf die WM 2018 in Russland erscheint das kritisch. Schon im Jahr 2013 hatten prominente Spieler wie Yaya Touré geäußert, dass sie nicht zu einer Weltmeisterschaft fahren würden, wenn sie sich in den russischen Stadien nicht sicher fühlen könnten. Dass Rassismus besonders in den osteuropäischen Stadien ein schweres Problem darstellt, zeigte sich auch im Herbst 2014 immer wieder deutlich. Die FIFA reagierte nun mit der Einstellung eines renommierten Antirassismus-Aktivisten aus der deutschen Fußballfanszene und der Fassung eines neuen Aktionsplans für eine reibungslose WM in Russland.

Am Millerntor beim FC St.Pauli wird das Motto herausgegeben. Der DFB ließ es bei einem Vorbereitungsspiel der Nationalmannschaft abhängen. Die Botschaft war wohl zu deutlich. (Bildquelle: flickr.com // cc // Deningures)

Wiedererstarken deutscher Hooligans

In den deutschen Fußballstadien verschärfte sich unterdessen der Kampf zwischen rechten Hooligans und antirassistischen Ultras um die Hoheit in der Fankurve. Bundesweite Öffentlichkeit hatte die Vertreibung der Aachen Ultras ACU aus dem Tivoli erregt, mit der schon 2013 die Auseinandersetzungen zwischen den Fanlagern offensichtlich geworden waren. Auch beim MSV Duisburg eskalierte der Konflikt Anfang 2014 zunehmend. Neonazis, Hooligans und rechtsoffene Zuschauer*innen attackierten erneut Fangruppierungen, die sich im Stadion gegen Diskriminierung engagieren. Ebenso kam es in anderen Städten vermehrt zu Konflikten, bei denen rechte Hooligans durch Bedrohung und Gewalt auftraten. Zu lange bagatellisierten Vereine und Verbände das Problem, besonders Erstere wollten Ruhe im Vereinsumfeld oder reagierten kopflos. Beobachter*innen vermissen eine nachhaltige Vorgehensweise, die progressive Kräfte in der Kurve stärkt, anstatt diese selbst zum Problem und Ruhestörer*in zu erklären. Im vergangenen Jahr ging dann ein Bundesligaverein voraus, von dem man das nicht erwartet hätte: der BVB Dortmund lässt sich von Fanforscher*innen der Universität Hannover beraten und verhandelt sein Problem mit den rechten Fans zunehmend öffentlich. Andere Vereine, wie Dynamo Dresden gerieten zwar mit Pyrotechnik oder Blockstürmen ihrer Fans in die Schlagzeilen, zeichneten sich aber durch kontinuierliche Antidiskriminierungsbestrebungen aus, die ihre Wirkung zeigt. Beide Vereine zeigen so, wie es geht.

Höhepunkt: HoGeSa-Demonstration in Hannover

Seine traurigen Höhepunkt fand das Wiedererstarken der rechten Hooligans schließlich im Oktober 2014, als unter dem Banner der "Hooligans gegen Salafisten" vereinsübergreifend Hooligan-Gruppen aus politischen Gründen und mit rassistischen Parolen auf die Straße gegangen sind. 4.500 Menschen überraschten in Köln eine unvorbereitete Polizei, marodierten durch die Stadt und zogen so bundesweite Aufmerksamkeit auf sich. Lokal bekannt geworden war HoGeSa schon in den Monaten zuvor, nachdem sich immer wieder Hooligans durch Angriffe auf Kundgebungen der Salafisten um Pierre Vogel, einen deutschen Konvertiten und Prediger, hervor taten. Was als Facebookmobilisierung und in den Fußballstadien begonnen hatte, manifestierte nun ein rechtes Problem auf der Straße, das zu lang ignoriert worden war. Nachdem an einer Folgedemonstration in Hannover nur noch 2000 Menschen teilnahmen, interne Streitigkeiten in der HoGeSa-Organisationsgruppe über die Zusammenarbeit mit rechten Parteien eskalierten, Facebook die HoGeSa-Gruppen immer wieder löschte und zunehmender Gegenwind aus den Fußballfanszenen kam, ist Ende des Jahres nicht klar, wie es mit der Hooliganorganisierung weiter geht. Zwar ist für Januar 2015 eine Demonstration in Essen angemeldet, aber es bleibt abzuwarten, ob und wie diese stattfinden wird. HoGeSa tat sich in den vergangenen Monaten wiederholt mit Anmeldungen hervor, die kurzfristig wieder abgesagt wurden. Außerdem stehen die Hooligans nach der Eskalation in Köln derart unter Beobachtung, dass die Bewegungsfreiheit der Demonstration ähnlich wie in Hannover, wo nur eine stationäre sowie umzäunte Kundgebung erlaubt worden war, eingeschränkt werden wird.

In Hannover stand HoGeSa schon nur noch eingezäunt bei einer stationären Kundgebung. Vielen Teilnehmenden missfiel dies und sie verließen das Gelände kurz nach Beginn der Kundgebung wieder. (Bildquelle: Felix M. Steiner)

"Dresden zeigt, wie´s geht!" (Motto von PEGIDA)

Erfolgreicher ist das Bündnis "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) aus Dresden. Es ist kein originäres Fußballbündnis, kann aber als eine Antwort und Weiterführung von HoGeSa verstanden werden und trägt sich in Dresden auch durch das Mobilisierungs- und Organisationspotential der Fußballfanszene von Dynamo Dresden. Der Ableger in Leipzig (LeGIDA) weit stärkere Fußballbezüge auf, zwei der drei Hauptorganisatoren in Leipzig kommen aus den Fanszenen von Lokomotive Leipzig und BSG Chemie Leipzig. Erstere Fanszene ist für ihre rechten und gewaltbereiten Fans bekannt. Inhaltlich schlägt PEGIDA ähnliche Töne ab, wie HoGeSa: Angst vor einer vermeintlichen Islamisierung, rassistische Hetze gegen Asylsuchende, gegen die etablierte Politik und gegen eine vermeintliche Gleichschaltung der Medien. Jeden Montag zieht PEGIDA seitdem durch Dresden, zuletzt fand am 22.12. eine Kundgebung mit 17.000 Teilnehmenden statt. In vielen anderen Städten haben sich mittlerweile Ableger gegründet, die aber nicht den Erfolg von Dresden haben. Keine der Ablegerdemonstrationen erreicht ähnlich hohe Teilnehmerzahlen, mehrere wurden erfolgreich blockiert, wie in Bonn und München.

Rückwärtsbewegung in einer bereits liberalisierten Gesellschaft

Eingebettet sind in beide Bewegungen in einen grassierenden Rassismus, der sich gegen Flüchtlinge sowie Muslime richtet und in Abstiegsängste der neuen Mittelschicht, die sich besonders bei PEGIDA manifestieren. So wie rechte Fans versuchen, die Deutungshoheit in den Stadien zurück zu erobern und erfolgte Liberalisierungen und Fortschritte in den Fanszenen zurück zu drängen, demonstrieren Tausende jede Woche und nicht nur bei PEGIDA gegen die liberalisierte Gesellschaft, zu der Deutschland sich entwickelt. Auf der anderen Seite gibt es sowohl in den Stadien als auch in der deutschen Gesellschaft Gegenbewegungen, die für eine offene Gesellschaft und für humanistische Werte aktiv sind. So wie Wutbürger*innen und Rechte gegen die Aufnahme von Flüchtlingen demonstrieren, werden gleichzeitig andere Menschen aktiv. Sie sammeln Spenden für die Neuankommenden, geben ehrenamtlich Deutschkurse, demonstrieren für menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen und begleiten diese bei Ämtergängen.

Im Deutschen Fußball sind Flüchtlinge willkommen

Auch am Fußball ist diese Bewegung nicht vorbei gegangen. Zahlreiche Bundesligavereine spendeten Eintrittskarten für Asylsuchende, Amateur- und Freizeitligen öffneten ihre Trainings, Fanfreundschaften mit Flüchtlingen wurden geknüpft, zahlreiche Sportvereine nahmen Flüchtlinge auf, Fanorganisationen wie BAFF sammelten Spenden und der SV Babelsberg 03 öffnete im Sommer die erste Mannschaft für Flüchtlinge, die in den regulären Spielbetrieb eingehen soll. Der deutsche Fußball schöpft damit aus einem kosmopolitischen und inklusiven Potential, das ihn schon in seinen Anfangsjahren prägte, als Schalke 04 noch der Prototyp eines Vereins polnischer Wanderarbeiter war oder beim FSV Frankfurt jüdische Spieler, Trainer und Mäzene den Verein groß werden ließen. Das Jahr 2015 wird eben diesen Geschichten mehr Raum geben: 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen und der 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz stehen an und auch der deutsche Fußball im Zeichen von Erinnerung, Verständigung, Zusammenhalt und Vielfalt.

Der FC Lampedusa ist eine Flüchtlingsmannschaft, die in der Hamburger Freizeitliga kickt und hier bei einem Antira-Turnier gegen den FC St.Pauli spielte. (Bildquelle: flickr.com // cc // Brainbitch) 

"Der Tag wird kommen"

Das freiheitliche Potential zeigte sich auch nach dem Coming-Out von Thomas Hitzlsberger. Der ehemalige Nationalspieler erklärte im Januar öffentlich seine Homosexualität, leider ein No-Go für Profispieler. Ihm schlugen dafür von Hass geprägte Reaktionen entgegen, aber andere Seiten äußerten sich bestärkend und lobten seinen Mut. Das ZDF berief Hitzlsberger im Anschluss als WM-Experten, ein ebenso deutliches Zeichen für die Akzeptanz von Homosexualität im Profifußball. Mit "Der Tag wird kommen" schrieb Marcus Wiebusch von Kettcar einen Popsong, der schwule Fußballspieler bestärken soll. Im sonntäglichen "Tatort" wurde das Thema aufgegriffen und anschließend kontrovers diskutiert. Die Kampagne Fußballfans gegen Homophobie tourte mittlerweile durch fast 100 Fankurven, deutschlandweit und international. Immer mehr Fußballfans zeigten sich sensibilisiert für Homophobie, auch die Verbände und Vereine verändern sich diesbezüglich. So wie es in deutschen Stadien keine Bananenwürfe auf schwarze Fußballspieler mehr gibt, wird sich auch der Hass auf Homosexualität abschwächen. Die Zeichen stehen gut, so wie Marcus Wiebusch singt, sind sicher 90 Prozent der Fans nicht am Sexualleben ihrer Spieler interessiert.

Aussichten

2015 verspricht spannend zu werden und steht für uns im Zeichen gegen Sexismus und Antisemitismus. In Kanada findet die FIFA Frauenfußball-Weltmeisterschaft statt und Discover Football veranstaltet ein Frauenfußballfestival im Libanon. In Berlin werden die Makkabi Spiele stattfinden und auch der deutsche Fußball steht im Zeichen der Erinnerung an 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen sowie 75 Jahre Kriegsende und Befreiung vom Nationalsozialismus.

Bis dahin wünschen wir einen guten Rutsch und ein frohes Neues! 

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