Fußball ist Männersache, das suggerieren auch zahlreiche Tischkicker. Nicht jeder ist dabei noch so gut im Schuss.
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Elf Männer sollt ihr sein

Hart zu sich selbst, unfassbar willensstark und Frauenhelden obendrein – Darstellungen von Fußballprofis lesen sich wie Actionfilmwerbungen der 1980er-Jahre. Doch bewegt sich in Männlichkeitsidealen wirklich so wenig? Bei genauer Betrachtung zeigen sich Kritik und Veränderung, aber auch viel Widerstand und Kampf um die alten Werte vom männlichen Fußball. Thomas Hitzlsberger hatte sein Coming-Out, Marcus Wiebusch singt gegen Schwulenhass im Profifußball und bei den Spielern vom SV Darmstadt muss der schlechteste Spieler des Trainings ein pinkes T-Shirt mit Aufschrift "Tussi" tragen. Eine Spurensuche.

Von Robert Claus, zuerst erschienen im Transparent-Magazin

"Eier! Wir brauchen Eier!", schimpft ein frustrierter Oliver Kahn im November 2003 nach einer 0:2-Niederlage gegen Schalke 04 ins Mikrofon. Mit diesem Ausspruch der Assoziation männlicher Sexualorgane mit Erfolg und Kraft, brachte der ehemalige Nationaltorhüter vieles von dem auf den Punkt, was Almut Sülzle als "männliche Grammatik" des Fußballs beschrieben hat. Fußball galt und gilt größtenteils als Ort, an dem Männermassen, zumeist mit Bier ausgestattet, Männern beim Ballspiel für Vereine, die fast überwiegend von Männern geführt werden, zujubeln. Die raue Atmosphäre, der starke Leistungsdruck, die körperliche Aggressivität und eine Kultur des anmaßenden Herrenwitzes verliehen und verleihen dem Fußball seine männliche Aura. Noch immer pflegt der Fußball sein eigenes Verhältnis zu Männlichkeit und Weiblichkeit, zu Geschlechterbildern generell – trotz aller Antidiskriminierungsmaßnahmen.

Und dennoch ist in den vergangenen Jahren stückweise eine Debatte um männliche Idealbilder entstanden, die nicht umhin kam, sich mit modernen Attributen sowie Sollbruchstellen von Männlichkeit zu befassen: Robert Enkes Selbstmord leitete den Blick kurzzeitig auf den Umgang mit Leistungsdruck und Versagensängsten, der dauerhafte Erfolg des Frauennationalteams sowie die Weltmeisterschaften in Deutschland 2006 und 2011 zogen und ziehen zunehmend weibliche Fans in die Stadien sowie Spielerinnen in die Vereine und Thomas Hitzlsperger verdeutlichte durch sein Coming-out, dass es auch Schwule zum Nationalspieler bringen können. Alle diese Ereignisse vermochten es zeitweise die Vorstellungswelt, im Fußball seien nur "harte" und "heterosexuelle" Männer zu finden, ein kleines Stück weit ins Wanken zu bringen. Die zaghaften Veränderungen bleiben jedoch umkämpft.

Soziale Teamfähigkeit vs. Härte

Der Selbstmord Robert Enkes im November 2009 war ein prägender Moment. Sein soziales Engagement, sein Tod, sein Abschiedsbrief und seine später bekannt gewordene Erkrankung an Depressionen öffneten Möglichkeiten, den heftigen Leistungsdruck des Profifußballs zumindest kurz zu reflektieren. Soziale Aspekte konnten zeitweise betont werden. Spieler wie Funktionäre zeigten sich einig darin, dass die menschliche Seite im Geschäft nicht untergehen dürfe: "Die Tragödie Robert Enke gibt Anlass, über bestimmte Dinge nachzudenken, die in dem Geschäft üblich sind und hingenommen werden", so Jörg Schmadtke, damaliger Manager von Enkes Verein Hannover 96. Die Idee, dass Spieler nichts als funktionierende, männliche Hochleistungsmaschinen sind, schien hinterfragbar. Theresa Enke, die Witwe des Verstorbenen gründete eine Stiftung, die als Ziel ausgab sich depressiver Profisportler anzunehmen. Doch bei allem Engagement: Progressive Entwicklungen sind immer zarte Gebilde, zerbrechlich und von zukünftigen Unsicherheiten bedroht.

Ist Philipp Lahm zu "weich" für den deutschen Fußball?

Hatte der Tod Enkes noch zu einer kritischen Debatte über dauerhafte Leistungsanforderungen geführt, schien diese nicht erst mit der WM 2014 hinfällig. Im "Stern" polterte Thomas Müller kurz vor Turnierbeginn, dass ein Fußballer, der sich selbst hinterfrage, in diesem Geschäft fehl am Platz sei: "Das darf man nicht. Wenn du anfängst, an dir selbst zu zweifeln, kannst du sofort nach Hause gehen." Dahinter steckt die Vorstellung, Fußball und Schwäche würden nicht zusammenpassen. So hieß es auch über das Idol des 1. FC Union Berlin, Torsten Mattuschka, im "Tagesspiegel" zu dessen Weggang im Sommer dieses Jahres: "Einmal wurde ihm von einem jüngeren Mitspieler die Freundin ausgespannt, aber Mattuschka blieb besonnen. Für den Verein." Nur wer Privates geräuschlos wegstecken könne, halte im Profisport durch, ist der gängige Tenor.

Doch der Debatte um soziale Aspekte gelang auf anderem Wege der Eintritt in die Männerwelt des Fußballs: Vor der WM 2014 kam es im medialen Umfeld der Nationalmannschaft zu einer ausdauernden Debatte um die Frage, ob die jüngere Spielergeneration um Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger das Zeug für einen großen Titel hätte. Stets wurden Spieler vergangener Semester herangezogen, um phrasenhaft den Stellenwert "deutscher Fußballtugenden" zu beschwören. So sagte auch Oliver Kahn: "Was ich in den letzten Jahren beobachtet habe, ist (...) das Verleugnen ganz wichtiger, ganz zentraler Tugenden und Werte, die den deutschen Fußball früher ausgemacht haben – Grundeinstellungen wie Zweikampfhärte, Wille, Leidenschaft, Einsatz." Lahm hingegen galt als smarter Profi, der Teamfähigkeit und sozialer Sensibilität großes Gewicht gab. Ohne es zu benennen, wurden hier Werte idealisierter Männlichkeit verhandelt; kommunikativ und spielstark vs. zielstrebig und durchsetzungswillig.

"Nur die deutschen Tugenden hätten nicht mehr gereicht"

Die Debatte endete vorerst mit dem WM-Titel: Einerseits lobte die mediale Landschaft Bastian Schweinsteiger für seinen Einsatz im WM-Finale: "Ein echter Typ. Krämpfe in den Beinen, Blut im Gesicht, Tritte auf die Knochen. Bastian Schweinsteiger musste im Finale vieles einstecken. Er überzeugte trotzdem – mit einer Weltklasse-Leistung", boxte das Magazin "11Freunde" in seine Tasten. Andererseits erklärte Bundestrainer Joachim Löw nach dem Finalsieg gegen Argentinien: "Die Mannschaft hat sich in den Jahren immer verbessert, nur die deutschen Tugenden hätten nicht mehr gereicht." Hier ist eine kleinteilige Veränderung zu beobachten: Altbackene Ideale wurden mit zeitgemäßen Vorstellungen von Männlichkeit vereint, mögliche Sollbruchstellen wieder gekittet. Am Normalbetrieb des permanenten Leistungsdrucks ändert dies wenig, modernisiert wurde er dennoch.

Widersprüchliche Frauenrollen: Claudia Effenberg oder Cathy Fischer?

Ein weiteres Thema, in dem männliche und weibliche Ideale ausgehandelt werden, ist die Darstellung von Spielerfrauen: So begleiteten mit Claudia Effenberg und Simone Ballack zwei echte Fußballkennerinnen die Weltmeisterschaften 2006 und 2010 im Auftrag der "Bild". Sie trugen nicht das Klischee der "unselbständigen Spielerfrau" vor sich her, sondern bestachen durch scharfe Analysen des Geschehens auf dem Platz. Das wirkte wie ein Konter in die Welt, in der nur Männer über Fußball sprechen dürfen. Doch leider ist keine Errungenschaft für immer erbaut. Was Effenberg und Ballack an Vorbildfunktion für moderne Frauenrollen (im Fußball) geschaffen hatten, rissen die "Bild" und Cathy Fischer, Lebensgefährtin von Mats Hummels, 2014 mit einer Handtasche wieder ein: Sie nutzte ihre erste Videokolumne der Weltmeisterschaft dazu, dem Publikum den Inhalt ihres Reisegepäcks, vom Lippenstift bis zur Unterwäsche, zu präsentieren. Keine Rede von Taktik und Spielgeschehen, sondern einzig die Darstellung eines "Püppchen", das ihren Freund nach Brasilien wie im Urlaub begleitet. Effenberg und Ballack reagierten mit Empörung, rüffelten ihre junge Nachfolgerin: "Cathy hat ein Eigentor geschossen. Ich habe mir diesen Schuh (nur Spielerfrau zu sein, Anmerkung des Autoren) nie angezogen. Ich habe immer mein eigenes Geld verdient", so Effenberg.

Die Botschaft: Schwul ist hier niemand

Doch wird nicht allein Fischers Videoauftritt in Erinnerung bleiben, hatte die "Bild" noch mit einer kostenlosen Sonderausgabe zur WM bestochen. Darin wurden die Spielerfrauen des WM-Kaders portraitiert. Die Beschreibungen reichten von "Mutti" bis zu  "Sexbombe". Dementsprechend wurde Mario Götzes Kopf neben dem Ganzkörperbild seiner halbnackten Modell-Freundin, Ann-Kathrin Brömmel, abgebildet. Die unterschwellige Botschaft des Spektakels: Die deutschen Helden sind stark und hyperheterosexuell. Schwul ist hier niemand. 

Gerade vor dem Hintergrund des Coming-out Thomas Hitzlspergers wenige Monate zuvor erfährt diese Darstellung weitere Brisanz. Die Sozialwissenschaften nennen als Erklärung den Begriff Heteronormativität. Er beschreibt, wie Heterosexualität als Norm funktioniert, die kaum Abweichungen zulässt und hierfür größtenteils nicht einmal auf direkte, homophobe Schmähungen angewiesen ist. Genau das geschieht in besagter "Bild"-Ausgabe. Hier muss sich niemand in schwulenfeindlichen Pöbeleien ergehen und mit Vokabeln wie "pervers" und "abartig" hantieren, um klarzustellen, welch zentralen Stellenwert Heterosexualität und Härte zu sich selbst im Kosmos der Männlichkeitswelt des Fußballs innehaben. 

Jede*r kennt seine Rolle

Auch nicht zu übersehen ist: In Zeiten sportlichen Erfolges und der Verunsicherung althergebrachter Geschlechtervorstellungen durch homosexuelle Profis und fachkundige Kommentatorinnen spielen derlei Publikationen eine große Rolle darin, jedem und jeder seinen oder ihren Platz zuzuweisen. Dem tut es auch keinen Abbruch, dass der "Kicker" auf das Coming-out von Thomas Hitzlsperger (nicht) reagierte, indem er verlauten ließ, das Privatleben der Profis nicht als Teil seiner Berichterstattung zu wähnen. Eine Google- Suche mit den Schlagworten "Kicker.de AND Spielerfrauen" beweist das Gegenteil.

Hartnäckige Männerbilder

Auf diesem Boden bahnen sich Frauenabwertung und Homophobie ihren Weg. Und der Fußball spielt bereitwillig seine Steilvorlagen: So erklärte Dirk Schuster, Ex-Profi und Trainer des SV Darmstadt im September 2014, den Spieler seines Teams mit den schlechtesten Trainingsleistungen zu bestrafen, indem er ihn zwinge, ein pinkfarbenes Shirt zu tragen. Dessen Brust war mit "Fehleinkauf 0 Euro" bedruckt, den Rücken zierte die Aufschrift "Tussi". Offenbar soll dies die Kicker der "Lilien" motivieren, alles zu tun, um nicht den Weiblichkeitsschmähungen ihres Trainers zu erliegen, um nicht als "weich", "sensibel" oder "mädchenhaft" zu gelten. Kein Einzelfall: Dietmar Hirsch, Trainer des Drittligisten SV Elversberg in der Saison 2013/2014, versuchte seine Mannen durch einen Vergleich des Tores mit Spielerfrauen anzuspornen: "Da gucke ich, dass ich an die Freundin vom Gegner rankomme. Aber da hinten ist es so, da ist meine Freundin im Tor – oder das Tor ist meine Freundin – und da soll kein Ding rein."

Letzten Endes scheinen die kleinen Entwicklungen in der Diskussion um unterschiedliche Männlichkeiten und Diskriminierungen von Frauen wie auch Homosexuellen in der Welt des Fußballs gering und stets von abermaligen Rückschritten bedroht. Unhinterfragte Ideale männlicher Härte, anzügliche Darstellungen von Spielerfrauen und sexualisierte Metapherwelten prägen den Sport weiterhin: Schweinsteiger mit Wunde, Müller ohne Selbstzweifel, Götze am Pokal, Mattuschka emotionsfrei, Fischer mit Handtasche im Hotelbett, Brömmel halbnackt in der "Bild" und Darmstadts Fehleinkäufe im pinkfarbenen "Tussi"-Shirt.

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