Mit Hummus gegen Antisemitismus. Ein Plakat der Aktionswochen am Berliner Hermannplatz.
AAS

Aktionswochen gegen Antisemitismus: Brandmale, Wolkenformationen und Hummus

Ein Brandmal in Form eines Davidsterns, abgebrannte Streichhölzer, Kondensstreifen und ein appetitlicher Hummusteller: All diese Motive sind zur Zeit in Berliner U-Bahn-Stationen und auf Stickern in der ganzen Stadt zu sehen. Initiiert wurde die Kampagne von den Aktionswochen gegen Antisemitismus, die jedes Jahr im November von der Amadeu Antonio Stiftung veranstaltet werden.

Miki Hermer ist Referentin bei den Aktionswochen und hat uns erklärt, worum es in der Kampagne geht und was wir von Hummustellern über Judenhass lernen können.

Das Interview führte Stefan Lauer

Belltower.News: Eure Plakate zu den Aktionswochen sind auf jeden Fall anders, als viel von dem, was man zum Thema Antisemitismus in der Öffentlichkeit sonst wahrnimmt. Was habt ihr euch damit vorgenommen?
Miki Hermer:
Die Aktionswochen werden von einer Plakatkampagne begleitet, die sich inhaltlich von Plakaten mit zerstörten Friedhöfen oder eingeschmissenen Synagogenfenstern unterscheidet. Dieses Jahr gibt es auch Großflächen-Plakate. Und für diese haben wir uns für vier Motive entscheiden. Im Mittelpunkt steht dabei unser Motiv zu 80 Jahre Gedenken an die Novemberpogrome: ein Davidstern geformt aus abgebrannten Streichhölzern mit der Aufschrift "800 Grad, auf Brandstiftung folgte Massenmord".

 

Das passt auch zu eurem Logo, ebenfalls ein Davidstern aus – allerdings nicht abgebrannten – Streichhölzern.
Genau, damit wollen wir zeigen, wie leicht "entzündlich" das Thema Antisemitismus in Deutschland immer noch ist. Ein falsches Wort kann sehr viel Schlimmes auslösen und wir haben das Gefühl, dass wir in Zeiten leben, in denen wieder viel auf der Kippe steht.

Deswegen liegt auch in diesem Jahr ein Fokus auf dem Gedenken?
Gedenken wird mittlerweile von einer lauten Minderheit abgelehnt oder angezweifelt. Gleichzeitig nimmt das Wissen um die Ereignisse im Nationalsozialismus auch scheinbar ab. In einer Umfrage der Körber-Stiftung von 2017 sagte eine Mehrheit der befragten Jugendlichen, dass der Holocaust in zu vielen Fächern behandelt würde, andererseits wussten über vierzig Prozent nicht, wofür Auschwitz steht. Es gibt also einen sehr eigenartigen Widerspruch zwischen Rezeption und der tatsächlichen operativen Ebene. Jugendliche scheinen zu glauben, dass sie von allen Seiten mit dem Thema erdrückt werden, während viele offenbar überhaupt nicht wissen, worum es eigentlich geht. Das zeigt mir, dass die Aufklärung und Bildung zu diesem Thema nicht funktioniert.

Rechtsextreme und Rechtspopulist*innen sprechen von einem "Schuldkult" und wollen am liebsten überhaupt nicht mehr Gedenken.
Während immer weniger Leute wissen, was damals überhaupt passiert ist. Es geht dabei auch nicht um Schuld, sondern vielmehr um Aufklärung und das Bewusstsein dafür, was passiert ist. Da sind Pädagog*innen gefragt, die dieses Thema ohne mahnenden Zeigefinger aber mit Verantwortung bearbeiten müssen.

Zum Konzept der Aktionswochen gehört es, dass über die Formen von Judenhass gesprochen wird, die Juden und Jüdinnen umtreiben und die bedrohlich sind. Worum geht es in diesem Jahr?
Wir konzentrieren uns auf drei Formen von Judenhass. Das ist einmal der herbeigesehnte Schlussstrich, also die Erinnerungs- oder Schuldabwehr – oder wie ich es gerne nenne, die "Holocaust-Ermüdung".  Dazu haben wir das Plakat "6 Millionen" auf dem man einen in die Haut eingebrannten Davidstern sieht. Der Text dazu: "Ihre Wunden und unsere Narbe". Wir meinen das als Empowerment für die jüdische Community. Wunden heilen, Narben bleiben. Die deutsche Gesellschaft trägt diese Narbe immer mit sich und hat deswegen eine Verantwortung sich dem immer wieder zu stellen und nicht zuzulassen, dass etwas ähnliches wieder aufkeimen kann.

Wie passt das zum Hummus?
Dabei geht es um sogenannte "Israelkritik", die oft als willkommener Umweg dient, um Ressentiments gegen Juden und Jüdinnen abzuladen: Ein schmackhafter Hummusteller, mit dem Text "9 Zutaten". Hummus besteht bekanntlich aus exakt neun Zutaten. Aber es gibt mit Sicherheit sehr viele Menschen auf der Welt, die sagen, es sind eigentlich acht oder elf. Deswegen steht drunter "Über Rezepte lässt sich streiten. Über Israels Existenzrecht nicht."

Eines der Plakate zeigt einen Davidstern aus Wolken?
Gerade im digitalen Raum, aber auch offline und über alle Gesellschaftsgruppen hinweg gibt es Verschwörungserzählungen. Unter anderem über Chemtrails, die die Menschen sedieren und eine Revolution unterdrücken sollen. Hinter jeder Verschwörungserzählung steckt am Ende aber immer ein, zumeist reicher, Jude, der die Fäden zieht. Der Slogan dabei ist "100% Cirrus". Cirrus beschreibt eine Wolkenformation. Was wir sagen wollen ist, dass in solchen Wolken eben keine supergeheimen Chemikalien enthalten sind, mit denen Juden und Jüdinnen die Menschheit gefügig machen, sondern dass das alles Unsinn ist. Es gibt keine jüdische Weltverschwörung und es gibt niemanden, der im Hintergrund die Strippen zieht. Ganz praktisch betrachtet ist die Zahl der Juden und Jüdinnen dafür viel zu klein.

Juden und Jüdinnen werden oft als Opfer verstanden, immer noch. Wie reagiert die Community darauf?
Mir geht, so wie vielen anderen auch, die ewige Opferrolle gehörig auf die Nerven, die Juden und Jüdinnen einnehmen müssen – weil man das auch von ihnen verlangt. Auch bei der jüdischen Community gibt es mitnichten einen Schlussstrich. Aber es gibt ein aktives jüdisches Leben in Deutschland und man sieht durchaus, dass Wunden in der dritten und vierten Generation verheilen. Man sieht, dass jüdische Menschen sich ihres Judentums bewusst sind, stolz darauf sind es auf ganz unterschiedliche Weise praktizieren. Die jüdische Community wurde vielleicht fast ausgelöscht, bei den Geschehnissen vor 80 Jahren, sie ist aber auch heute aktiver und lebendiger denn je. Wenn es in Schulbüchern um Juden und Jüdinnen geht, sind die allerdings höchstens orthodox, tot oder bringen Palästinenser um. Das ist ein fatales Bild.

Bei den Aktionswochen gibt es allein dieses Jahr über 150 Veranstaltungen. Hast du Favoriten?
Eine wunderbare Geschichte fand genau am 9. November – 80 Jahre nach den Pogromnächten –  in Offenburg statt. 500 Schüler und Schülerinnen haben gemeinsam Stolpersteine geputzt. Eine Schülersprecherin hat das ganz großartig formuliert: "Wir haben keine Schuld an dem, was 1938 passiert ist, aber wir tragen Verantwortung dafür, dass sich so etwas nicht wiederholt. Deshalb ist es wichtig, sich an die Opfer der Nazi-Herrschaft zu erinnern und ein Zeichen gegen Ausgrenzung und für eine offene, soziale und solidarische Gesellschaft zu setzen." Und wenn ich von solchen Aktionen höre, dann weiß ich, warum ich hier arbeite.

drucken