Die gute Nachricht: Thüringen hat eine Enquete-Kommission zu Rassismus. Die schlechte: auch Björn Höcke darf mitdiskutieren.
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Thüringen hat eine Enquete-Rassismus-Kommission, aber auch Björn Höcke darf mitdiskutieren

In Thüringen tut sich etwas: Seit diesem Sommer tagt im Landtag eine Enquete-Kommission zum Thema Rassismus. Neun Parlamentarier_innen diskutieren mit neun Expert_innen zu Ursachen, Formen und Lösungsansätze von Rassismus. Einziger Wermutstropfen: Auch Björn Höcke darf hier mitdiskutieren. Der Vortrag des AfD-"Philosophen", Dr. Marc Jongen, am Dienstag, artete in Täter-Opfer-Umkehr aus.

 

Von Kira Ayyadi

Seit Sommer tagt Im Thüringer Landtag in Erfurt eine Enquete-Kommission zum Thema Rassismus. Unter dem Titel „Ursachen und Formen von Rassismus und Diskriminierung in Thüringen sowie ihre Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben und die freiheitliche Demokratie“ diskutieren hier Politiker_innen und Expert_innen zum Thema. Die Teilnehmer_innen sollen Ursachen für das Entstehen und die Verbreitung rassistischer Einstellungen identifizieren, daraus entstehende Gefahren untersuchen und konkrete nachhaltige Konzepte sowie Handlungsempfehlungen gegen strukturellen und institutionellen Rassismus für die Thüringer Politik und Zivilgesellschaft entwickeln. Die deutschlandweit erste Enquete zum Thema Rassismus wurde als Schlussfolgerung aus dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss von allen Landtagsparteien, außer der AfD, beschlossen.

 

Die CDU und die Linke sind jeweils mit drei Parlamentarierer_innen und drei Sachverständigen vertreten, die SPD, die Grünen und die AfD jeweils mit einem Politiker und einem Experten. Gemeinsam mit den zuständigen Sachverständigen diskutieren die Politiker_innen hier über strukturellen, gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus und formulieren Lösungsansätze.

 

Einziger Wermutstropfen ist, dass der kürzlich von Ralf Stegner als „Nazi“ bezeichnete Björn Höcke für die AfD in dieser Kommission sitzt.

 

Daher stellt sich die Frage, ob trotz der Anwesenheit eines Mannes der die biologische Rassen-Lehre des Dritten Reichs vertritt, eine offene Debatte über die Formen von Diskriminierung und Rassismus und über Lösungsansätze stattfinden kann. Wie die zweite öffentliche Sitzung am Dienstag, den 12.09.2017, gezeigt hat, ist dies trotz der Anwesenheit Höckes und trotz einer versuchten Täter-Opfer-Umkehr durch den AfD-„Sachverständigen“, Dr. Marc Jongen,  durchaus möglich.

 

Tom Mannewitz über die verschiedenen Formen von Rassismus

Den Tag begann der Sachverständige der CDU, Prof. Tom Mannewitz, mit einer begrifflichen Einordnung von Rassismus und Diskriminierung. Ein Fazit war, dass der Streit, ob etwas als Diskriminierung oder als Rassismus bezeichnet wird, lediglich eine Label-Falle sei und am eigentlichen Problem vorbei geht.

 

Güleç: „Wer sagt es gibt Rassen ist ein Rassist“

Als zweites sprach die Sachverständige der Linken, Ayşe Güleç vom Kulturzentrum Schlachthof Kassel. Sie stellte in ihrer Stellungnahme den Bezug zur Opferperspektive NSU her und schlug den Bogen zu migrantischem Wissen.

 

Als Ayşe Güleç im Hinblick auf die NSU-Opfer fehlende Empathie beklagt und anmerkt, dass im Rassismus Ignoranz ein struktureller Bestandteil ist, verlässt Björn Höcke den Raum.

 

Die Abgeordneten stellen ihre Fragen an Ayşe Güleç (Quelle: BTN)

Als sie gegen Ende ihres Vortrages erklärte, dass der Begriff Ethnie heute lediglich benutzt wird, um das Wort Rasse zu vermeiden, erntete Güleç – wenig verwunderlich – von Jongen ein verächtliches Lachen. Mit unvorsichtigem Türschließen und lauten Schritten begab sich dann auch Björn Höcke wieder in die Sitzung – und jeder im Raum sollte das auch mitbekommen.

 

Jongen krude AfD-These: Erst der Antirassismus erzeugt Rassisten

Als drittes an diesem Tag sprach der Haus und Hof „Philosoph“ der AfD, Dr. Marc Jongen. Er begann zunächst damit, auf seine Vorredner zu reagieren. Seien die Anwesenden lediglich Beobachter_innen zweiter Ordnung, so sei er Beobachter dritter Ordnung. Damit gab er bereits den Weg vor, den er im Weiteren einschlagen wird: Er will Rassismus von einer vermeintlich höheren Erkenntnisstufe betrachten. Seine krude These lautet dann auch, dass erst der dogmatische Antirassismus Rassisten erzeuge. Und außerdem, so Jongen, sei struktureller Rassismus in unseren Breitengraden ja eh so gut wie ausgestorben.

 

Lediglich das klassische Feindbild der AfD, die Muslime, importierten den Antisemitismus. Als die Abgeordneten später darauf hinwiesen, dass Antisemitismus sehr wohl tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelt ist und Studien anführten, behauptet Jongen schlicht, dass diese nicht stimmen. Die Deutungshoheit scheint trotz aller wissenschaftlichen Belege ausschließlich bei ihm und der AfD zu liegen.

 

Im Weiteren nutzt Jongen dann seine Redezeit dafür, um die  die AfD als eigentliches Opfer des Rassismus darzustellen. Die Täter die er hier ausmacht sind die Antitrassisten, die letztendlich zum Ziel hätten, die Kultur und den Staat abzuschaffen. Absurd wird es spätestens, als Jongen fordert, dass man in der Enquete-Kommission Rassismus doch besser über den christlichen, weißen, heterosexuellen Mann als Opfer sprechen sollte.

 

Jongen muss sich auch zum Höcke-Zitat über das"Denkmal der Schande" äußern (Quelle: BTN)

Nach Jongens relativierendem Vortrag verließ Björn Höcke erneut den Saal. Seinen Platz nahm wenig später Stephan Brandner ein, Spitzenkandidat der AfD Thüringen für die Bundestagswahl. Seine Tätigkeit an diesem Tag beschränkte sich darin, auf seinem Handy rumzustochern.

 

Es folgt eine lange Debatte mit Jongen, der sich den Fragen der Parlamentarier_innen und er Expert_innen ausgesetzt sah. Sofern er überhaupt auf Fragen einging, tat er dies lediglich ausweichend, die meisten ignorierte er jedoch.

 

Forderung nach mehr Bildung und Beschwerdestellen

Abschließend, hielt die SPD-Expertin Dr. Britta Schellenberg ihren Vortrag. Die Politikwissenschaftlerin forderte eine stärkere Aufklärung zum Thema Rassismus und Diskriminierung in der Bildung und die Einrichtung von Beschwerdestellen, insbesondere bei der Polizei.

 

Gegen Ende der Sitzung betonte die SPD-Expertin, dass sie es sich vor zehn Jahren nicht hätte vorstellen können, dass sich eine Enquete-Kommission in einem Landtag mit dem Thema Rassismus befasst und erntete dafür zustimmendes Nicken - von beinahe allen Anwesenden.

 

Trotz der absurden Thesen Jongens, war es dennoch ein gelungener und ergiebiger Tag. Wenn sich Politiker_innen gemeinsam mit Expert_innen fraktionsübergreifend mit dem Thema Rassismus befassen, ihn als ernstes Problem wahrnehmen und anerkennen, dass er auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist, laufen selbst die bewussten Provokationen der AfD ins Leere.

 

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