Seit dem Herbst 2015 macht sich die Kleinstadt Rathenow im Havelland einen Namen als „Klein-Dresden“. Das liegt nicht etwa an den vielen malerischen Brücken. Nein, seit Oktober 2015 demonstriert hier im Pegida-Stil eine Mischung aus „besorgten Bürgern“ und Neonazis regelmäßig. Wöchentlich bis zu 600 von ihnen – angesichts der rund 24.000 Einwohner Rathenows eine beachtliche Zahl. Die Organisatoren des „Bürgerbündnis Havelland“ weisen eine Nähe zu Rechtsextremisten von sich – eine absurde Behauptung, nicht zuletzt aufgrund ihrer Kontakte zur "rechten Stadtguerilla" aus Nauen um den NPD-Mann Maik Schneider.
Von Oliver Saal
Wer organisiert das „Bürgerbündnis Havelland“?
Seit Mitte Oktober 2015 kursierte auf Facebook ein Flyer, der mit „Bürgerbündnis Havelland gegen Asylmissbrauch“ unterschrieben war. Analog zu „Pegida“ wurde darin zu einer Kundgebung auf dem zentral gelegenen Märkischen Platz in Rathenow aufgerufen, die sich gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ wenden und die „konsequente Abschiebung“ abgelehnter Asylbewerber fordern wollte. Die Organisatoren hatten mit ihrem Aufruf scheinbar einen Nerv getroffen: Es kamen tatsächlich 500 Menschen zusammen. In Rathenow gab es somit auf einen Schlag die zahlenmäßig größte flüchtlingsfeindliche Kundgebung im Land Brandenburg. Kein Wunder, dass sich die Organisatoren von dieser Resonanz bestärkt fühlten und fortan im Zwei-Wochen-Rhythmus Kundgebungen anmeldeten.
Nico Tews und Christian Kaiser vom "Bürgerbündnis Havelland". Foto: Presseservice Rathenow
Gegenüber der Öffentlichkeit distanzierten sich die beiden Organisatoren, Nico Tews und Christian Kaiser, von jeglicher rechtsextremer Mitwirkung an ihren Demos. Sie behaupteten gegenüber der Märkischen Allgemeinen Zeitung allen Ernstes, „die Aussage, wir würden von der NPD Unterstützung bekommen, ist falsch. Wir erhalten von dieser Partei keine finanzielle Unterstützung, Mitglieder der NPD sind bei uns keine Ordner und sie gehören nicht zu den Mitwirkenden.“ Und überhaupt: „Wir halten uns fern von Rechtsextremisten.“
So deutlich diese Distanzierung klingt, so falsch ist sie auch und so zweifelsfrei lässt sie sich widerlegen. Ganz abgesehen davon, dass inhaltlich zwischen die NPD und die Veranstaltungen des Bündnisses kein Blatt Papier passt: Christian Kaiser, einer der beiden Organisatoren, hat bei Facebook Seiten der rechtsextremen NPD und NPD-naher „Nein zum Heim“-Seiten gelikt und pflegt in dem sozialen Netzwerk Freundschaften mit Neonazis, die SS-Runen und Hakenkreuze auf ihren Profilbildern zeigen. Das belegen Screenshots von seinem Profil, die das "AntiRa Redaktionskomittee" (Link zur Broschüre im pdf.-Format) zusammengetragen hat. Zahlreiche Bilder von Fotojournalisten belegen außerdem die Teilnahme von regional bekannten Neonazis an den Kundgebungen – nicht zuletzt auch als Ordner. Der von Tews und Kaiser initiierte Zusammenschluss „Bürgerbündnis Deutschland“ stellt ein Bündnis zwischen flüchtlingsfeindlichen Gruppen, offen Rechtsextremen und NPD-Vorfeldorganisationen dar. Und: Der mutmaßliche Brandstifter und NPD-Politiker Maik Schneider aus Nauen unterstützte die Veranstaltungen nachweislich und mit dem Wissen der Organisatoren. Er sitzt in Haft, zwischenzeitlich wurde gegen ihn sogar wegen des Verdachtes auf Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt.
Das „Bürgerbündnis Deutschland“ als Netzwerk rechtsextremer Flüchtlingsfeinde
Schon vor dem ersten Aufmarsch des „Bürgerbündnis Havelland“ waren die beiden Organisatoren Tews und Kaiser bestrebt, sich mit weiteren flüchtlingsfeindlichen Organisationen zu vernetzen. An einem Aufmarsch der vergleichbaren „Bürgerbewegung Altmark“ am 26. Oktober 2016 in Stendal nahmen die beiden als Ordner teil und riefen über die Lautsprecheranlage zur Teilnahme an ihrer Rathenower Versammlung auf. An dem Aufmarsch beteiligten sich außerdem der Vorsitzende des NPD Kreisverbandes Altmark, Sebastian Klein, Stendaler Sympathisant_innen von „Die Rechte“, „Autonome Nationalisten“ aus Stendal und Anhänger_innen der „Identitären Bewegung“.
Bei den Rathenower Kundgebungen im Herbst und Winter 2015/2016 wurden immer wieder einschlägig bekannte Neonazis als Ordner eingesetzt. Bei der Kundgebung am 10. November 2015, nur eine Woche nach dem eingangs erwähnten Interview mit der MAZ, wurde wieder auf bekannte und zum Teil wegen Gewalt- und Propagandadelikten vorbestrafte Neonazis zurückgegriffen. Auch der Rathenower Neonazi Thomas L. kam als Ordner zum Einsatz. Von ihm existieren Aufnahmen in Parteikluft der NPD und er nahm in den vergangenen Jahren an zahlreichen Naziaufmärschen der Region teil. Von seinen politischen Überzeugungen wie auch seinem musikalischen Talent kann sich jeder, der es aushält, überzeugen: L. firmiert als Liedermacher unter dem Pseudonym „TO!tonicus“ in den sozialen Netzwerken. Auf seiner Facebook-Fanseite teilt er auch Artikel, die den Holocaust als jüdische Erfindung darstellen. Sein biederes Liedgut über Volk und Heimat durfte der Teutone ebenfalls auf einer Veranstaltung von Kaiser und Tews zum Besten geben: Am 5. März 2016, auf einer Kundgebung des ebenfalls von Kaiser und Tews initiierten „Bürgerbündnis Deutschland“ in Rathenow.
Screenshot: youtube.com
Am 24. November 2015 warb Organisator und Dauerredner Christian Kaiser auf einer Rathenower Kundgebung für das neurechte Vernetzungsprojekt „Einprozent“. Die neurechten Agitatoren um Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer entblöden sich nicht, für ihr Projekt als „eine Art Greenpeace für Deutsche“ zu werben: Die „Flüchtlingsinvasion“ sei eine Katastrophe für Deutschland. Es würde jedoch genügen, wenn nur ein Prozent der Bevölkerung des Landes politisch für das Projekt aktiv würden, um einen grundlegenden Politikwandel einzuleiten. Auf den Kundgebungen des „Bürgerbündnis“ fand sich häufig ein Transparent mit dem Aufdruck „einprozent.de“ – genau wie auf dem T-Shirt, das Kaiser auf seinem Facebook-Profilfoto trägt.
Ganz im Sinne der Idee der „Einprozentigen“ initiierte Nico Tews Anfang Dezember die Gründung des „Bürgerbündnis Deutschland“. Es handelt sich dabei um einen Zusammenschluss, mittels dem Tews sein „Bürgerbündnis Havelland“ mit anderen flüchtlingsfeindlichen Gruppen aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt vernetzt. Der überwiegende Teil dieser „Bürgerbewegungen“ und „-bündnisse“ lässt sich eindeutig dem rechtsextremen Milieu zuordnen. Der Rathenower Strippenzieher Nico Tews ist laut denic.de-Abfrage Inhaber der Internet-Domain des neuen Bündnisses.
Die weiteren Beteiligten:
- „Bürgerbewegung Altmark“: Ein Organisator_innenkreis aus dem Landkreis Stendal um Martin K., der zuerst bei MAGIDA in Magdeburg aktiv gewesen ist.
- „Abendspaziergang Oranienburg“: Ein Projekt des NPD-Kreisverbandes Oberhavel und seiner Kampagne „Nein zum Heim in Oranienburg“
- „PEGIDA Havelland“: Die Gruppe führt eigene Versammlungen in Schönwalde-Glien durch, die sich ebenfalls gegen eine in Planung befindliche Flüchtlingsunterkunft richten.
- „Asylhütte in Ketzin? Kannste knicken 2.0): Die führenden Köpfe dieser Gruppe gehören zu der Neonazigruppe „Freie Kräfte Neuruppin“
- „Genthin wach auf (Bürgerbewegung Genthin): Die Gruppe ist eng an die Neonazi-Kleinpartei „Der III.Weg“ gekoppelt
- „Werder wach auf“: Bisher nur im Internet aktiv, keine Erkenntnisse über ihre Initiatoren
- „Burg gegen Asylmissbrauch“: Hier ziehen Aktive der Neonazi-Kleinpartei „Die Rechte“ die Fäden
Eine Dokumentation der von den jeweiligen Einzelgruppen durchgeführten Aktionen und ihrer Verbindungen ins offen rechtsextreme Lager findet sich bei dem antifaschistischen Newsportal für Brandenburg Inforiot.
Eine Demonstration am 17. Januar 2016 im sachsen-anhaltinischen Genthin unterstreicht den rechtsextremen Charakter des „Bürgerbündnisses“: Aufgerufen hatte dazu die „Bürgerbewegung Genthin“, die im Internet unter dem Label „Genthin wach auf“ firmiert. Die Gruppe ist Teil des „Bürgerbündnis Deutschland“ und eng mit der offen neonazistischen Partei „Der III. Weg“ verwoben. Die Veranstaltungen wurden von Schildern, Fahnen, Transparenten und Jacken dominiert, die alle mit dem Logo von „Der III. Weg“ versehen waren. Natürlich beteiligte sich auch Nico Tews an dem Naziaufmarsch – wurde er doch von einer Gruppe aus seinem Bündnis organisiert.
Tews vom Bürgerbündnis Deutschland, der Barde Thomas L. alias „TO!tonicus“ mit Matthias F. von „Der III.Weg“, v.r.n.l. Foto: Presseservice Rathenow
Verbindungen zwischen den Nauenern und dem Bürgerbündnis Deutschland
An der Mobilisierung zu den Kundgebungen des „Bürgerbündnis“ beteiligten sich auch die Neonazis des lokalen NPD-Ablegers aus Nauen. So hatte der NPD-Politiker Maik Schneider im Vorfeld der Kundgebung vom 4. November 2015 auf Facebook verkündet, „wieder die Rathenower unterstützen“ zu wollen. Er gilt als Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene im Havelland: Für die NPD sitzt er in der Nauener Stadtverordnetenversammlung und im Kreistag, er gilt als einer der führenden Köpfe der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“. In der Vergangenheit war der gelernte Erzieher nicht bloß für die Freie Kameradschaftsszene und Parteinazis aktiv, sondern auch im Umfeld des „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) und des mittlerweile verbotenen Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ).
Schneider sitzt derzeit in Untersuchungshaft, weil ihm vorgeworfen wird, in Gemeinschaft mit anderen in der zweiten Jahreshälfte 2015 mehrere Anschläge verübt zu haben, darunter ein Brandanschlag auf das Auto eines polnischen Bürgers, ein weiterer auf eine Turnhalle, die als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden sollte sowie mehrere Angriffe auf DIE LINKE-Parteibüros. Gegen ihn, vier mutmaßliche Mittäter und Gleichgesinnte wurde zwischenzeitlich wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, der Verdacht ließ sich jedoch nicht erhärten.
Schneider tat auf seiner - bis heute öffentlich einsehbaren – privaten Facebook-Präsenz am 2. November 2015 hinsichtlich der Demos in Rathenow die Hoffnung kund, „dass es dieses Mal mehr Bürger werden die gegen dieses asoziale System demonstrieren“. Um seinen Teil zu einem Erfolg beizutragen, habe er mit Unterstützern „hundert von Briefkästen in Nauen mit Infomaterial“ bestückt (Fehler im Original“). In diesem Zusammenhang interessant: Nico Tews vom „Bürgerbündnis“ hatte in einem Interview mit der MAZ die Verteilung der Flyer an Unterstützer zur Chefsache erklärt und gesagt, er habe „die Kontaktdaten aller Personen, die Flyer bekamen“. Den Fotobeweis für Verteilaktion und Demoteilnahme liefert Schneider aber auch selbst (siehe unten): Die mit dem Beitrag auf Facebook geposteten Bilder zeigen erstens Briefkästen, die mit den Flyern des Bürgerbündnis bestückt wurden sowie zweitens Schneider mit seinen „Kameraden“ in Rathenow bei der Kundgebung des „Bürgerbündnis“ in der Vorwoche – sie halten ein gelbes Transparent mit der Aufschrift „Wir sagen Nein zum Asylantenheim. Wir sind das Volk“. Schneiders Teilnahme lässt sich auch durch weitere Bilder des Presseservice Rathenow belegen. Delegationen der NPD Nauen, darunter Schneider, nahmen regelmäßig mit Fahnen und Transparenten an den Kundgebungen Teil.
Dieser und die folgenden Screenshots: facebook.com
Auch am 26. November postete Schneider ein Foto von sich und anderen Kundgebungsteilnehmern in Rathenow und kommentierte: „Ein Teil der Nauener Bande war am Dienstag wieder in Rathenow…“.
Quo vadis, „Bürgerbündnis“?
Auch im neuen Jahr fanden regelmäßig Aufmärsche des Bündnisses in Rathenow statt. Das Interesse an den Veranstaltungen von Tews und Kaiser nahm jedoch spürbar ab: Bei den letzten beiden Kundgebungen mit anschließender Demonstration am 4. und 12. April nahmen nur noch 50 bzw. 90 Personen teil. Auch eine von den Veranstaltern für den 5. März 2016 großspurig als neues „Hambacher Fest“ mit „800 plus X“ Teilnehmern angekündigte Demonstrationen floppte – es kamen 400-500 Teilnehmer_innen. Währenddessen machte sich das Bürgerbündnis Deutschland mit der auf Facebook geteilten Einschätzung, der IS sei in Rathenow angekommen und würde Teilnehmer seiner Aufmärsche bedrohen, zum Gespött des Internets. Dem Selbstbewusstsein der Bürgerbündnis-Führer scheint das keinen Abbruch zu tun: Christian Kaiser verkündete, er werde bei der nächsten Oberbürgermeisterwahl in Rathenow kandidieren.