Herzlichen Glückwunsch an alle Preisträger_innen: "NSU-Tribunal" von Lückenlos e.V. gewann den JHauptpreis (hier im Bild), auch "Add your Heroine" von Evelyn Rack und Billie Mind und Raman Zaya mit „träumen auf deutsch ohne untertitel“ wurden ausgezeichnet.
Fotografin: Dörthe Boxberg

NSU-Tribunal mit dem Amadeu Antonio Preis ausgezeichnet

In Eberswalde wurde am 28.11.2017  der Amadeu Antonio Preis verliehen. Der Hauptpreis ging an das Tribunal "NSU-Komplex auflösen". Außerdem geehrt:  "Add your Heroine" von Evelyn Rack und Billie Mind und Raman Zaya mit „träumen auf deutsch ohne untertitel“.

 

Von der Amadeu Antonio Stiftung

 

Das Tribunal ‚NSU-Komplex auflösen’ wurde heute mit dem Amadeu Antonio  Preis  ausgezeichnet.  Der  gemeinsam  von  der  Stadt  Eberswalde  und  der  Amadeu Antonio Stiftung ausgelobte Preis würdigt das kreative Engagement für Menschenrechte und gegen  Rassismus  und  Diskriminierung.  Das  zivilgesellschaftliche  Tribunal  hatte  im  Mai dieses Jahres am Schauspiel Köln mit 3.000 Teilnehmenden den strukturellen Rassismus in Deutschland angeklagt. Betroffene rassistischer Gewalt, Künstler_innen und Aktivist_innen klagten  stellvertretend  90  Personen  an,  die  für  die  Mithilfe  und  ideologische  Ebnung  des NSU-Komplex verantwortlich gemacht werden. 

„Dieser  Preis  gebührt  den  Betroffenen  des  NSU-Terrors“,  sagte  der  Sprecher  des Aktionsbündnisses  ‘NSU-Komplex  auflösen’,  Tim  Klodzko.  „Jahrelang  wurden  sie  von Ermittlungsbehörden und Medien zu Tätern erklärt. Der hinter dieser Täter-Opfer-Umkehrung stehende  strukturelle  Rassismus  ist  noch  immer  virulent:  Jeden  Tag  wird  ein  Anschlag  auf Flüchtlingsunterkünfte  verübt,  Menschen  werden  aus  rassistischen  Motiven  angegriffen  oder von Behörden diskriminiert; von dem alltäglichen, subtiler wirkenden Rassismus gar nicht erst zu sprechen! Wir haben in den Betroffenen des NSU-Terrors nie nur Opfer gesehen. In ihren Geschichten über das Leid, das ihnen angetan wurde, stecken immer auch Anklagen gegen die 

Täter_innen und die dahinter liegenden Strukturen sowie ein Einklagen von Aufklärung. Dieser Mut  der  Betroffenen  hat  uns  bestärkt,  mit  einem  zivilgesellschaftlichen  Tribunal  diese Opferperspektiven  zu  stärken  und  gemeinsam  eine  postmigrantische  Gesellschaft einzuklagen“, so Klodzko.  

 

 „Meilenstein, in der  Art  und  Weise  wie  wir  als  politische  Menschen  Kunst  als  Mittel  nutzen  können,  um aufzuklären"

Der Laudator und Jurymitglied Van Bo Le-Mentzel, würdigte das Tribunal als „Meilenstein, in der  Art  und  Weise  wie  wir  als  politische  Menschen  Kunst  als  Mittel  nutzen  können,  um aufzuklären,  die  Gesellschaft  weiterzubringen  und  vor  allem  Menschen  dazu  bringen,  dies nachzuahmen.  Das  Tribunal  war  ein  Werkzeug  aufzuklären  und  hat  einen  neuen  Standard geschaffen.“ 

Mit  einem  fünftägigen  Programm  am  Schauspiel  Köln  wurde  beim  Tribunal  ‘NSU-Komplex auflösen’  die  Migrationsgeschichte  nach  Deutschland  reflektiert,  der  Angriff  der  Nazis  gegen ebenjene  Migrationsgesellschaft  besprochen,  die  Verstrickungen  staatlicher  Behörden aufgezeigt, das internationale rechtsterroristische Netzwerk, in das der NSU eingebunden war, sichtbar  gemacht,  die  Defizite  des  NSU-Prozesses  erörtert,  die  Verhinderung  von  Aufklärung beklagt,  den  Opfern  gedacht,  migrantisch  situiertes  und  aktivistisches  Wissen  getauscht  und eine „Gesellschaft der Vielen“ eingeklagt. In über 20 begleitenden Workshops konnten sich die über  3.000  Teilnehmenden  vernetzen,  Betroffene  wurden  empowert.  Filme,  Theaterstücke, Stadtführungen  und  Ausstellungen  bildeten  das  Rahmenprogramm.  In  der  über  zweijährigen Vorbereitungsphase  entstanden  Filmspots,  Interviews  mit  Betroffenen,  Ausstellungen, Demonstrationen, Theaterstücke, Plakatkampagnen, eine forensische Untersuchung und viele weitere  künstlerische  und  politische  Ausdrucksformen,  die  kritisch  den  NSU-Komplex beleuchten. 

 

Mangelnde Konsequenzen beim Verfassungsschutz

Klodzko bemängelt die mangelnden Konsequenzen beim Verfassungsschutz: „Wir konnten mit der unabhängigen Untersuchung durch das Londoner Institut Forensic Architecture aufzeigen, dass beim NSU-Mord an Halit Yozgat der Verfassungsschützer Andreas Temme anwesend war. Der Inlandsgeheimdienst spielte auch in allen anderen Fällen eine entscheidende Rolle. Trotz oder gerade wegen der mittlerweile 40 enttarnten V-Leute im NSU-Umfeld wurden die Morde und Anschläge nicht aufgehalten. Nach dem NSU-Skandal wurden den Geheimdiensten sogar noch  mehr  Kompetenzen  und  Ressourcen  zugewiesen  –  die  Kontrolle  blieb  weiterhin mangelhaft.  Mit  großer  Sorge  beobachten  wir,  wie  der  Geheimdienst  von  Journalist_innen 

weiter als seriöse Informationsquelle betrachtet wird, obwohl er ein politischer Akteur ist, der mit der fragwürdigen Extremismustheorie politische Propaganda betreibt. Auch im Bereich der politischen  Bildung  sowie  an  Schulen  und  Universitäten  bietet  sich  der  Geheimdienst  als scheinbar  neutraler  Gesprächspartner  an.  Genau  dies  müssen  wir  als  Zivilgesellschaft zurückweisen.  Wenn  keine  politischen  Mehrheiten  für  die  Abschaffung  des  unreformierbaren Geheimdienstes  absehbar  sind,  müssen  immerhin  die  zivilgesellschaftlichen  Initiativen  ihre Lehre  aus  dem  NSU-Komplex  ziehen  und  die  Zusammenarbeit  mit  dem  Verfassungsschutz konsequent boykottieren.“ 

 

 

Mehr Infos: www.nsu-tribunal.de/newsroom  

 

Über das Bundesweite Aktionsbündnis ‚NSU-Komplex auflösen’

 

Das  Bundesweite  Aktionsbündnis  ‚NSU-Komplex  auflösen’  besteht  seit  2014  aus  zahlreichen Initiativen  aus  ganz  Deutschland,  die  sich  mit  strukturellen  Rassismus,  dem  NSU-Komplex, Gedenkkultur  beschäftigen  und  sich  für  Perspektiven  von  Betroffenen  rassistischer  Gewalt einsetzen.  Darin  u.a.  organisiert:  Initiative  6.  April  (Kassel),  Initiative  ‚Keupstraße  ist  überall’ (Köln), Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh (Dessau), Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektas (Berlin), Initiative ‚Das Schweigen durchbrechen’ (Nürnberg), Freundeskreis zum Gedenken an den rassistischen Brandanschlag von Mölln 1992 (Hamburg).

 

Meilensteine der Aktionsarbeit des Bündnisses sind:

  • die  bundesweite  symbolischen  Umbenennung  von  Straßennamen  mit  Opfern  des  NSU am 4.11.2014 („Tag der Selbstenttarnung des NSU“)

  • Aktionstag und Demonstration vor dem OLG München am Tag der Zeugenaussagen der Betroffenen des Nagelbombenanschlages auf der Keupstraße, Tag X 20.01.2015

  • Intervention  in  den  NSU-Prozess  mit  Verlesung  der  Anklageschrift  während  des Abschlussplädoyers der Bundesanwaltschaft, 31.08.2017

  • Tribunal  `NSU-Komplex  auflösen’  (17.-21.  Mai  2017,  Schauspiel  Köln):  In  einem zivilgesellschaftlichen  Tribunal  mit  über  3.000  Teilnehmenden  berichteten  Betroffene und  Angehörige  von  NSU-Opfern  von  ihren  Erfahrungen  im  NSU-Komplex.  In  einer Anklageschrift  wurden  90  Personen  stellvertretend  der  Verstrickung  im  NSU-Komplex angeklagt.

Mehr Informationen:  www.nsu-tribunal.de 

Über den Amadeu Antonio Preis  

Zum  zweiten  Mal  wird  dieses  Jahr  der  Amadeu  Antonio  Preis  für  kreatives  Engagement  für Menschenrechte – gegen Rassismus und Diskriminierung verliehen. Von der Amadeu Antonio Stiftung  und  der  Stadt  Eberswalde  vergeben,  würdigt  der  Preis  kreatives  künstlerisches Engagement  für  Menschenrechte  –  gegen  Rassismus  und  Diskriminierung.  Zugleich  erinnern wir mit dem Preis an den gewaltsamen Tod von Amadeu Antonio vor 27 Jahren und an die vielen weiteren  Opfer  rassistischer  Gewalt  seither.  Insgesamt  drei  Preise  werden  am  28.  November 2017 vergeben. Aus 60 Einreichungen der verschiedensten Genres wählte die unabhängige Jury nun die sieben Nominierten. Der erste Preis ist mit 3.000 Euro dotiert, zwei weitere Preis mit je 1.000  Euro.  Die  Jury  für  den  Amadeu  Antonio  Preis  besteht  aus  Kunstschaffenden  und Persönlichkeiten  des  öffentlichen  Lebens  und  der  migrantischen  Communities  sowie  aus Vertreterinnen und Vertretern der Auslobenden und Partner.

 

 

Weitere Preisträger: "Add your Heroine!" und "träumen auf deutsch ohne untertitel"

Ein weiterer mit 1000 Euro dotierter Preis wurde verliehen an Evelyn Rack und Billie Mind für die interaktive Ausstellung „Add your Heroine!“. Das Projekt bricht mit traditionellen Rollenvorstellungen und fordert das Publikum auf, die Sammlung mit eigenen Heldinnen zu ergänzen.

Ebenfalls mit einem Preisgeld von 1000 Euro ausgezeichnet wurde Raman Zaya für die literarische Performance „träumen auf deutsch ohne untertitel“. Seine Fluchtgeschichte von Teheran nach Deutschland bildet den Rahmen für eine Performance, die alle Sinne anspricht und Fragen nach Heimat und Zugehörigkeit neu stellt.

Die Laudationes wurden von der Sängerin Marianne Rosenberg, dem Architekten Van Bo Le-Mentzel und dem Bürgermeister der Stadt Eberswalde, Friedhelm Boginski, gehalten. Zur Jury gehörten neben den dreien auch die Schriftstellerin Pham Thi Hoai, die Künstlerin und Aktivistin Noah Sow, die Journalistin Güner Yasemin Balci, der Künstler Fabian Bechtle sowie Augusto Munjunga vom Afrikanischen Kulturverein „Palanca“ in Eberswalde.

Amadeu Antonio wurde im November 1990 von Rechtsextremen in Eberswalde erschlagen und ist eines der ersten von mindestens 193 Todesopfern rechter Gewalt seit der deutschen Wiedervereinigung. Der nach ihm benannte Preis wird alle zwei Jahre von der Amadeu Antonio Stiftung und der Stadt Eberswalde vergeben und würdigt diejenigen, die sich in kreativer und künstlerischer Form gegen Rassismus und Diskriminierung stark machen.

 

Auf Belltower.News haben wir alle Nominierten porträtiert:

 

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