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NSU-Tribunal klagt aus migrantischer Perspektive Rassismus an

Am heutigen Mittwoch beginnt das Tribunal ‘NSU-Komplex auflösen’ am Schauspiel Köln. Betroffene, antirassistische Initiativen und Aktivist*innen klagen an den  fünf  Tagen  einen  strukturell  verankerten  Rassismus  in  Deutschland  an  und benennen Täterinnen  und  Täter  des  NSU-Komplex.  In  einer  vielstimmigen Eröffnungsrede  wird  ein  Blick  zurück  auf  die  Geschichte  rassistischer  Angriffe  in Deutschland  bis  zu  den  Verbrechen  des  NSU-Netzwerks  geworfen.  Ziel  ist  es,  die Perspektiven von Betroffenen rassistischer Gewalt zu stärken. 
 
 
Pressemitteilung Tribunal "NSU-Komplex auflösen"
 
Mitat  Özdemir,  Mitgründer  der  Initiative  „Keupstraße  ist  überall“,  berichtet  an  diesem Eröffnungsabend  von  seiner  Migrationsgeschichte,  dem  Ankommen  in  Deutschland  und  den Kampf der Migrant*innen für Rechte. Der Angriff des neonazistischen NSU galt insbesondere den Kleinunternehmer*innen, die sich in Deutschland eine Existenz aufgebaut haben und das Stadtbild vieler Metropolen nachhaltig prägen.  
 
Die Kölner Keupstraße steht als Beispiel der Migrationsgesellschaft und wurde daher vom NSU als  symbolträchtiger  Ort  des  rechten  Terrors  ausgewählt.  Am  9.  Juni  2004  platzierten  die Neonazis eine Nagelbombe vor dem Friseursalon von Hasan und Öczan Yildirim. Die beiden Friseure berichten bei der Eröffnung, wie sie den Anschlag, der 22 Menschen zum Teil schwer verletzte, erlebt haben und wie Polizei und Behörden sie und die anderen Anwohner*innen in den Folgejahren als mutmaßliche Täter*innen behandelte. Die Ermittlungsmethoden der Polizei, die  trotz  starker  Hinweise  der  Betroffenen  auf  Neonazis  als  mögliche  Täter  nicht  in  diese Richtung  ermittelten,  sind  ein  Beispiel  des  strukturellen  Rassismus,  dem  jeden  Tag  in 
Deutschland viele Menschen ausgesetzt sind. 
 
Die  Auschwitz-Überlebende  Esther  Bejarano  setzt  sich  seit  ihrer  Befreiung  gegen  das Erstarken von faschistischen Strömungen in Deutschland ein. Auf dem Tribunal folgt sie ihrem Motto: „Ich spiele so lange, bis es keine Nazis mehr gibt.“ Im Anschluss an ihre Rede spielen Esther und Joram Bejarano zusammen mit dem Rapper Kutlu Yurtseven von der Kölner Band Microphone Mafia einige Musikstücke. 
 
Gülistan  Avcı  ist  die  Witwe  von  Ramazan  Avcı,  der  bei  einem  rassistischen  Mord  1985  in Hamburg  von  Skinheads  getötet  wurde.  Er  war  eines  der  ersten  bekannten  Todesopfer rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik. Gülistan Avcı berichtet von ihrer Gründung einer Initiative  zum  Gedenken  an  ihren  damaligen  Verlobten;  dies  führte  u.a.  zur  Benennung  des Ramazan-Avcı-Platzes in der Nähe des Tatortes. 
 
Als langjährige Bewohnerin des „Sonnenblumenhauses“ berichtet Mai-Phuong Kollath, wie sie als Nachbarin Zeugin des Anschlags in Rostock-Lichtenhagen 1992 wurde. Das Pogrom gehört zu  den  massivsten  rassistisch  motivierten  Angriffen  nach  Ende  des  Zweiten  Weltkriegs  in Deutschland.  Heute  ist  sie  als  interkulturelle  Beraterin  ständige  Teilnehmerin  des Integrationsgipfels  der  Bundesregierung  und  stellvertretende  Vorsitzende  des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates. Chowra Makaremi ist Wissenschaftlerin an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris und kontextualisiert das NSU-Tribunal in eine historische Reihe zivilgesellschaftlicher Tribunale. 
 
Aktivist*innen des Vorbereitungskreises zum Tribunal ‘NSU-Komplex auflösen‘ gedenken der  Opfer  und  beklagen  die  Ignoranz  derjenigen,  die  nicht  von  Rassismus  betroffen  sind: „Ignoranz  ist  stärker  als  ein  Nicht-Wissen.  Es  ist  ein  Nicht-Wissen-Wollen,  ein  Nicht-Wissen-Müssen.“ Das Tribunal, das am Samstag in der Verlesung der Anklageschrift gipfelt, wird durch die Aktivist*innen symbolisch eröffnet. 
 
Zum  Ausklang  im  Foyer  des  Depots  gibt  Bülent  Kullukçu  musikalische  und  visuelle Impressionen aus seinem Projekt, das er mit dem Berliner Publizisten Imran Ayata verfolgt. Die „Songs of Gastarbeiter“ versammeln Musik der ersten Einwanderergeneration. 
 

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