Monatsüberblick zu Rassismus im Juli 2015: Feindlichkeit gegen Flüchtlinge ist im Juli 2015 leider das Topthema gewesen: Denn sie wird immer sichtbarer. Nicht nur im Internet, sondern auch durch Übergriffe und flüchtlingsfeindliche Vorfälle - davon gab es mehr als Tage im Monat. Politik und Medien agieren wenig geschickt und hilfreich - da sind Prominente, die mal wütend werden, schon ein Lichtblick.
Von Simone Rafael
Feindlichkeit gegen Flüchtlinge ist im Juli 2015 ein Topthema gewesen: Denn sie wird leider immer sichtbarer. Nicht nur im Internet, sondern auch durch Übergriffe. Um klar zu machen, was gemeint ist:
Hass im Internet:
Besuchen Sie den Tumblr oder die Facebookseite von „Perlen aus Freital“ (vgl. Tagesspiegel). Dort werden Postings von Menschen gesammelt, die sich gegen Flüchtlinge äußern: Und das sind leider nicht nur Nazis.
Ähnliche (und ähnlich deprimierende) Sammlungen, wenn auch mit Humor gewürzt:
| Perlen der Pegida (Facebook, Blog)
| Hooligans gegen Satzbau (Facebook)
Über den Hass im Internet haben wir auf Belltower.news im Juli 2015 eine Serie gemacht:
- Gibt es im Moment mehr Hass?
- Wo kommt der Hass nur her?
- Hass-Karten und der Zusammenhang zwischen Netz und Übergriffen
- Hass-Emails und Agieren der Netzwerke
- Was können wir konkret gegen den Hass im Internet tun?
- Immer mehr saftige Strafen für Hate Speech im Internet
Und wir haben zahlreiche Interviews dazu gegeben, etwa in der Wirtschaftswoche, im ZDF Morgenmagazin, in der "Aktuellen Stunde" des WDR, bei Heute plus und eine ganze Radiosendung bei "Breitband" auf Deutschlandradio Kultur.
Schließlich meint sogar der Sächsische Verfassungsschutz in Form seines Sprechers Martin Döring: „Da wird immer mehr gehetzt und gepöbelt. Ich spreche schon gar nicht mehr von sozialen, sondern von unsozialen Medien“, sagt der Sprecher des sächsischen Verfassungsschutzes (FAZ).
Übergriffe
Der Hass bleibt leider nicht im Netz. Die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte steigt rapide an – dies bestätigt inzwischen sogar der Verfassungsschutz: 2013 waren es 55 Straftaten, 2014 waren es 175 - und 2015 bereits im ersten Halbjahr 150. (vgl. Deutsche Welle, netz-gegen-nazis.de). Nur zur Verbildlichung auch hier einfach mal die Übergriffe, gesammelt von unserem Partnerprojekt aus der Amadeu Antonio Stiftung, „Aktion Schutzschild“:
- 01.07.2015, Berlin-Pankow, Tätlicher Übergriff/Körperverletzung, 3 Verletzte
- 01.07.2015, Mengerskirchen (Hessen), Schweineköpfe auf Gelände von Flüchtlingsunterkunft verteilt
- 04.07.2015, Friedland (MV), Tätlicher Übergriff/Körperverletzung, 1 Verletzer
- 11.07. 2015, Böhlen (Sachsen), Schüsse auf Unterkunft
- 11.07.2015, Zschopau (Sachsen), Demonstration
- 13.07.2015, Greifswald (MV), rassistische Sprüche und versuchter Türaufbruch
- 14.07.2015, Prien (Bayern), Brandanschlag
- 16.07.2015, Reichertshofen (Bayern), Brandanschlag
- 17.07.2015, Berlin-Marzahn, Demonstration
- 18.07.2015, Berlin-Marzahn, Tätlicher Übergriff
- 18.07.2015, Sukow-Marienhof (MV), Tätlicher Übergriff, 1 Verletzter
- 18.07.2015, Waldaschaff (Bayern), Brandanschlag
- 19.07.2015, Remchingen (Baden-Württemberg), Brandanschlag
- 19.07.2015, Halberstadt (Sachsen-Anhalt), Steine auf Versorgungszelte
- 20.07.2015, Halberstadt (Sachsen-Anhalt), zweiter Stein-Angriff durch Polizei verhindert
- 20.07.2015, Greven-Reckenfeld (NRW), Flaschen durch das Fenster
- 21.07.2015, Schwabach (Bayern), rassistisches, bedrohendes Graffiti
- 21.07.2015, Freital (Sachsen), Bedrohung mit Campingbeil im Heim
- 22.07.2015, Berlin-Marzahn, Demonstration
- 22.07.2015, Berlin-Köpenick, Mahnwache
- 22.07.2015, Freital (Sachsen), Bewohner angepöbelt
- 22.07.2015, Sangerhausen (Sachsen-Anhalt), Steine auf Flüchtlingsheim
- 23.07.2015, Dresden-Friedrichtsstadt (Sachsen), Bedrohung von Helfer_innen
- 24.07.2015, Dresden-Friedrichtsstadt (Sachsen), Demonstration und tätlicher Übergriff, 3 Verletzte
- 25.07.2015, Berlin-Marzahn, Tätlicher Übergriff, 1 Verletzer
- 25.07.2015, Frankfurt (Oder) (Brandenburg), Demonstration
- 25.07.2015, Gelsenkirchen (NRW), Hakenkreuz-Graffiti
- 25.07.2015, Brandenburg (Brandenburg), Brandanschlag
- 25.07.2015, Mecklenburg (MV), rassistische Graffiti
- 26.07.2015, Freital (Sachsen), Sprengstoffanschlag auf Auto von Flüchtlingsunterstützer
- 26.07.2015, Mainstockheim (Bayern), gewalttätige Bedrohung der Bewohner_innen
- 25.07.2015, Dresden-Stetzsch, übelriechende Flüssigkeit verschüttet
- 26.07.2015, Dresden-Stetzsch, Steine durch Fenster
- 27.07.2015, Dresden-Friedrichtsstadt (Sachsen), Tätlicher Übergriff
- 27.07.2015, Berlin-Marzahn, schwarze Holzkreuze von Neonazis vor Flüchtlingsheim aufgestellt
- 28.07.2015, Dresden-Friedrichtsstadt (Sachsen), Tätlicher Übergriff, 1 Verletzter
- 28.07.2015, Büttelborn (Hessen), Brandanschlag
- 29.07.2015, Erding + Puchheim (Bayern), rassistische Graffiti
- 29.07.2015, Dresden-Stetzsch, erneut übelriechende Flüssigkeit verschüttet
- 29.07.2015, Dresden-Friedrichtsstadt (Sachsen), Demonstration, Böller
- 29.07.2015, Lunzenau (Sachsen), Gebäude geflutet
- 30.07.2015, Lunzenau (Sachsen), Brandanschlag
- 30.07.2015, Balingen (Baden-Württemberg), versuchter Brandanschlag
Alle Geschichten dazu hier: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de oder in der Chronik der Gewalt bei uns. Der Bund hat derweil Probleme, die Taten zu zählen (vgl. Süddeutsche Zeitung).
Wie deutlich zu sehen ist: Dieser Rassismus gegen Flüchtlinge, der nicht bei Worten bleibt, sondern es auch völlig legitim findet, „Protest“ durch feindliche Handlungen auszudrücken, ist ein bundesweites Problem.
Ein Schwerpunkt bleibt trotzdem Sachsen, das Heimatland der rassistischen und islamfeindlichen Pegida-Bewegung und der Politiker_innen, die den Rassismus der Flüchtlingsfeinde als „Ängste“ ernst nehmen (vgl. Tagesspiegel, mdr), statt sich solidarisch mit Demokrat_innen und Flüchtlingen zu zeigen. Kristallisationsorte - nicht ohne Grund auch benachbart – sind dort Freital und Dresden. Hier steht der Hass-Mob – lange Zeit sogar zumindest von offizieller Seite unwidersprochen – beständig auf der Straße, brüllt und pöbelt. Zugleich werden Gerüchte in die Welt gesetzt über angebliche Verbrechen durch oder Bevorzugungen von Flüchtlingen, um auch den Rest der Bevölkerung mitzunehmen. Wer Flüchtlingen hilft oder den Rassismus sichtbar macht, wird auch sofort bedroht. Die staatlichen Stellen reagieren gar nicht oder hilflos. In Sachsen fanden von Januar bis Juni 2015 ganze 109 rassistische, flüchtlingsfeindliche Versammlungen statt - davon 30 allein in Freital (vgl. Leipziger Internet-Zeitung).
Was sagen Expert_innen zu dieser Situation?
"Und weshalb gibt es dann noch immer einen so großen Hass auf Flüchtlinge? Weil einige im Westen und leider viele im Osten noch immer denken, wenn sie nur laut genug schreien, trampeln und randalieren, könnte ihre Welt weiter weiß und national im alten Sinne bleiben. Im Osten zeigt sich jetzt, dass die Abschreckung von Migranten nicht mehr funktioniert. Denn Flüchtlinge suchen sich nicht aus, wo sie untergebracht werden. Jetzt muss die Lokalpolitik gegen Rassismus vorgehen und die Unterkünfte schützen. Früher hieß es oft, die Nazis – das seien „unsere Jungs“, vereinzelt und verwirrt. Die Zeiten sind jetzt auch vorbei. Jetzt aber kommt’s drauf an. Jetzt sind Rassismus und Rechtsextremismus nicht mehr eine zu negierende Größe, die von irgendwo kommt und wieder verschwindet. Nun muss sich zeigen, ob Deutschland wirklich zusammenwächst als eine moderne offene Gesellschaft – als ein Ort in der Welt des neuen Jahrtausends. Oder ob es festklebt am provinziellen Nationalismus aus düsteren Zeiten."
Anetta Kahane (Mut-gegen-rechte-gewalt.de)
Gewalt- und KonfliktforscherAndreas Zick warnt vor einer neuen Terrorgefahr. "Das sind nicht nur lokale, einzelne Verirrte die da zuschlagen, sondern das ist eine Bewegung, und im Namen der Bewegung wird auch angegriffen. (WDR)
"Natürlich kann die Polizei mehr, als sie im Augenblick tut. Das ist auch eine Frage des institutionellen politischen Willens: Achtsam zu sein und das Nötige zu tun. Es gibt Polizei und sie kann in jedem Fall – wir können alle Fälle durchgehen – mehr tun." Professor Hajo Funke (Deutschlandradio Kultur).
Gute Zitate:
„Alle, die wir diesen demokratischen, freiheitlichen Staat für verteidigenswert halten, müssen den Zusammenhalt unserer Bürger in eben diesem Geist fördern. Es setzen sich fremdenfeindliche Haltungen festsetzen, manche Menschen schrecken nicht einmal mehr vor Übergriffen zurück. Ich denke an diesem Punkt an das, was wir kürzlich wieder erlebt haben mit diesen widerwärtigen Angriffen auf Flüchtlingsheime. Das ist unerträglich." Bundespräsiden Joachim Gauck, ZEIT online
„Die Verharmlosung von gewalttätigen Rassisten zu "Asylgegnern" begünstigt den nächsten Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft, weil so blanker, handgreiflicher Hass das Tarnmäntelchen einer "Meinung" umgehängt bekommt.“ Sascha Lobo, Spiegel Online
Nennt die Leute, die Flüchtlingsheime anzünden, endlich Terroristen! Denn wer eindeutig terroristischen Akte wie Brandanschläge per verharmlosender Bezeichnung herunterspielt, ist Teil des Problems und nicht der Lösung. Wenn nur ein Zehntel der Energie, der Härte und der Entschlossenheit gegenüber Islamistenterror in den Kampf gegen den völkischen Terrorismus und seine Sympathisanten gesteckt würde - es wäre viel gewonnen. Sascha Lobo, Spiegel Online
"Oh Mann- ich habs befuerchtet!! Ihr seid zum Kotzen! Wirklich! Verpisst Euch von meiner Seite, empathieloses Pack! Mir wird schlecht!!!"
Til Schweiger, stern.de
Rassismus schüren
Die Politik tut sich unangemessen schwer im Umgang mit „besorgten Bürger_innen“, die keine offen organisieren Nazis sind. Dabei ist eindeutig, dass bundesweit die Drahtzieher hinter flüchtlingsfeindlicher Propaganda eben doch die bekannten Neonazis und ihre Organisationen sind. Perfide nur: An diesem Thema sind aktuell alle dran und versuchen, ihren Hass an Mann und Frau zu bringen – und deshalb findet die flüchtlingsfeindliche Hetze auch bundesweit überall ihre Ventile. Beliebige Beispiele aus dem Juli 2015: In Bremen hetzt die Kameradschaft „Nordic 12“ gegen Flüchtlinge (taz), in Greifswald ist es die NPD (Nordkurier, Webmoritz), in Düsseldorf dann die Republikaner (Express) und „Der III. Weg“ erreicht viel Aufmerksamkeit mit einer Google-Maps-Karte, die Standorte von Flüchtlingsheimen markiert, steht in Bayern aber auch bei flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen auf der Straße (Idowa.de).
Unterstützt wird diese professionelle und zielgerichtete Hasspropaganda durch das ungeschickte Agieren von lokalen Eliten, wie etwa dem Schuldirektor in Pocking (Bayern), der der Eltern seiner Schüler_innen einen Brief schrieb, die Mädchen sollten sich doch nicht so sexy kleiden, um „Diskrepanzen“ mit Flüchtlingen zu vermeiden (Süddeutsche Zeitung). Gut dagegen in Rosenheim: Da klärt die Lokalpresse Gerüchte über angebliche Vergewaltigungen durch Flüchtlinge auf.
Leider ebenfalls keine Hilfe ist die Bundespolitik, die als Reaktion das Asylrecht verschärft, um mehr Flüchtlinge zu kriminalisieren. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will die drei Länder Kosovo, Albanien und Montenegro zu "sicheren Herkunftsstaaten" erklären, wie es im vergangenen Jahr bei Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien geschehen ist (FAZ, Spiegel). Dort sind allerdings gerade Roma massiven Diskriminierungen unterworfen (n-tv.de, Die ZEIT). Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel auf das Flüchtlingsmädchen Reem stößt, will sie es nur streicheln (Queer.de, Süddeutsche Zeitung I, Süddeutsche Zeitung, Video der Diskussion). Immerhin: ab nächsten Monat (01.08.) müssen rassistische Straftäter_innen dank einer Gesetzesänderung von Bundesjustizminister Heiko Maas mit höheren Strafen rechnen (Handelsblatt).
Auch die Landespolitik deprimiert: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer spricht von „massenhaften Asylmissbrauch“ und richtet gleich Abschiebelager für Flüchtlinge aus dem Balkan ein, damit sie besonders schnell „zurückgeführt“ werden können - das hat nicht nur Pegida-, sondern sogar NS-Beigeschmack, wenn man bedenkt, dass die Insassen hauptsächlich Roma sind ( Süddeutsche Zeitung, Zeit). Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schlägt vor, die Flüchtlinge alle in den dünn besiedelten Osten der Republik zu verteilen – nur werden sie da nicht gerade begeistert erwartet (Spiegel).
Diskutiert wird ein Demonstrationsverbot vor Flüchtlingsheimen – das fordert die Gewerkschaft der Polizei. Andere sehen Freiheitsrechte in Gefahr und verweisen darauf, dass lokale Behörden schon jetzt entsprechende Verbote durchsetzen können – auch wenn sie es oft nicht tun. Der Freitag, RBB Online, DerWesten.
Ende Juli wird endlich mancherorts eine schon lange fällige Debatte geführt: Ist es angemessen, Rassist_innen als "Asylkritiker_innen" zu verniedlichen? Die Antwort ist natürlich: Nein (vgl. Sächsische Zeitung).
Doch immerhin sorgen sich mehr Deutsche über die Zunahme der Brandanschläge auf Flüchtlingsheime (67 Prozent) als über die steigende Zahl von Flüchtlingen (47 Prozent). Unter AfD-Anhänger_innen sieht das anders aus: Da sorgen sich 73 Prozent wegen der steigenden Zahl von Flüchtlingen.
stern.de
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