Gute Stimmung auf der Anklagebank im Prozess gegen acht Neonazis in Hoyerswerda: Sie bekommen Bewährungsstrafen dafür, dass sie ein junges Paar traumatisiert und aus der Stadt vertrieben haben.
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Hoyerswerda: Bewährungsstrafen für Todesängste

Am zweiten Prozesstag verurteilte das Amtsgericht Hoyerswerda acht Angeklagte aus der rechten Szene zu Bewährungsstrafen. Sie hatten in der Nacht vom 17. Oktober 2012 ein junges Paar in ihrer Wohnung angegriffen und dabei so stark bedroht, dass diese bis heute versteckt und in einer anderen Stadt leben. Dem Prozess wohnten Ronny und Monique als Nebenkläger bei. Die rechte Einstellung der Täter und die politische Dimension der Tat spielten in der mündlichen Urteilsbegründung von Richter Michael Goebel keine Rolle. Sogar das Internationale Auschwitz-Komitee bezeichnete die verhängten Bewährungsstrafen als skandalös.

Von Redaktion netz-gegen-nazis.de

Am Abend des Holocaust-Gedenktags ging im Amtsgericht Hoyerswerda der Prozess gegen acht Rechtsextreme zu Ende, die im Oktober 2012 ein junges Paar in ihrer Wohnung mit Rufen wie "Komm raus, du Antifa-Sau" bedroht haben. Alle wurden schuldig gesprochen und zu Bewährungsstrafen zwischen fünf und zehn Monaten verurteilt, zwei der acht Angeklagten nach Jugendstrafrecht. Trotz mangelhafter Zeugenaussagen stellte der Richter klar, dass er die Schilderung der Betroffenen Ronny und Monique glaubhaft finde und folgte der hohen Strafmaßforderung der Anklage.

Nicht Betroffene, Täter wurden geschützt

Ermittelt hatte der Staatsanwalt Christopher Gerhardi seit 2012 gegen elf mutmaßliche Täter wegen Land- und Hausfriedensbruch, Bedrohung und Beleidigung, angeklagt wurden nur acht Männer und nur wegen letzterer beider Vergehen. Die politische Dimension der Tat und die rechte Gesinnung der Täter brachte erst der Anwalt der Nebenklage, Klaus Bartl, auf den Tisch. Er äußerte sich auch im Vorfeld beider Prozesstage dezidiert kritisch gegen das Handeln der Polizei, die während dem mehrere Stunden dauernden Angriff vor Ort war, sich aber außer Stande zeigte, die Personalien der Täter am Tatort aufzunehmen, Platzverweise auszusprechen oder gar den Angriff zu beenden. Vielmehr wurden am nächsten Tag die Betroffenen aus der Stadt gebracht, auch, weil sie sich von der Polizei nicht geschützt gefühlt haben. Hier wiederholte sich das Muster vom rassistischen Pogrom 1991, als nicht die Betroffenen, sondern die Täter von der Stadt geschützt wurden.

Nachdem schon der erste Prozesstag zeigte, welche hegemoniale Stellung Nazis in Hoyerswerda einnehmen können, brachte auch der zweite Prozesstag wenig. Erneut waren füllten rechte Gesinnungsgenoss*innen den Raum. Bei Prozessbeginn musste ein mutmaßlicher Mittäter der Angeklagten das Auditorium verlassen, da er als möglicher Zeuge nicht am Prozess teilnehmen durfte. Angeklagt wurde er im Amtsgericht nicht, obwohl ihn zwei Zeug*innen am Tatort gesehen hatten, unter ihnen die Geschädigte, Monique. Ebenso ungeniert wie am ersten Prozesstag zeigten sich die Angeklagten, die während den Pausen und vor dem Prozess guten Mutes und fröhlich auf der Anklagebank herum lümmelten, plauderten oder mit ihren Angehörigen scherzten. "Obwohl die Nazis den Betroffenen gegenüber saßen, zeigten sie kein Bekenntnis, kein Bewusstsein für das Ausmaß ihrer Tat. Die finden ok, was sie getan haben, vor Gericht wollten sie trotzdem nicht dazu stehen", meint Mathias Buchner von der antifaschistischen Initiative Pogrom´91.

Prozess zeigt, wie No-go-Areas funktionieren

Als Motiv der Tat kam immer wieder das Engagement der Geschädigten gegen die Naziumtriebe in ihrer Stadt zur Sprache. Die Angeklagten unterstellten dem Geschädigten Ronny, er hätte sie im Internet mit Namen, Adressen und Fotografien geoutet. Weit gefehlt, wie später das LKA beweisen konnte, nachdem Ronny seinen Computer und Festplatten extra zum Beweis seiner Unschuld für eine genaue Analyse zur Verfügung gestellt hatte. Trotzdem griff Staatsanwalt Christopher Gerhardi dies zu Beginn seines Plädoyers auf. Er finde es "ironisch", dass die mittels Internet-Outing geschädigten Männer in Folge ihrer Selbstjustiz nun auf der Anklagebank sitzen. Weil Selbstjustiz eben nach rechtsstaatlichem Prinzip nicht in Ordnung sei. Schwer fällt es ihm, in dieser Kausalkette noch zu betonen, dass die eigentlich Geschädigten, Ronny und Monique, erwiesenermaßen mit dem Outing gar nichts zu tun hatten.

"Der Prozess in Hoyerswerda zeigte fast lehrbuchmäßig, wie No-Go-Areas funktionieren", entrüstete sich Miro Jennerjahn, Landtagsabgeordneter der Grünen, Mitglied des sächsischen NSU Untersuchungsausschuss und einer der Prozessbeobachter. "Im Gerichtssaal zeigte sich eine sehr unschöne Gemengelage, die für mich die Situation in Hoyerswerda nachzeichnet. Der Richter ließ die Nazis mit Zwischenrufen, Lachen und ähnlichem wiederholt gewähren, als am zweiten Prozesstag der Geschädigte Ronny einen Kommentar abgab, wurde das gleich mit Hinweis auf die Strafprozessordnung gerügt."

Den Behörden mangelt es an Fehlerkultur

In den Aussagen der Polizeibeamt*innen an diesem zweiten Prozesstag bestätigt sich nur wieder die Analyse des ersten Tages, dass die Gesetzeshüter in dieser Nacht in Hoyerswerda versagt haben. "Was sich hier zeigt, ist eine mangelnde Fehlerkultur in den deutschen Behörden! Es ist den Beamtinnen und Beamten nicht einmal vor Gericht, wo man die Wahrheit sagen muss, möglich, ihre Unzulänglichkeiten einzugestehen", kritisiert Andrea Hübler von der Opferberatung der RAA Dresden, die den Prozess ebenso beobachtet hat. An beiden Tagen wirkten die befragten Beamt*innen wiederholt so, als ob sie mit ihren Aussagen ihre Untätigkeit verdecken wöllten. Sie verstrickten sich dabei in Widersprüche, die das Publikum sprachlos zurückließen. Sämtliche am Tatabend eingesetzten Polizist*innen bestätigten zwar, dass sie keine Personalien der Täter am Tatort aufnehmen konnten und sogar ausgelacht wurden, als sie es versuchten. Aber eine aggressive Grundstimmung oder Bedrohungssituation will keine*r gespürt haben. Nur der Bericht der Staatsregierung zu diesem Vorfall, den Nebenklageanwalt Bartl wiederholt zitiert, stellt das anders dar.

So schätzt Jennerjahn: "Von dem Prozess ist heute leider auch das fatale Signal in Richtung der Opfer ausgegangen, dass der Rechtsstaat sie nur ungenügend schützen kann."

Immerhin: für die Anklage, harte Strafen

Man sollte dem Gericht zu Gute halten, dass es wie vom Staatsanwalt Gerhardi gefordert, in die "obere Schublade" des Strafmaßes für Bedrohung und Beleidigung gegriffen hat. Eine Verurteilung wegen Landfriedensbruch kam trotzdem nicht zu Stande. Und wirklich verschreckt wirkten die Täter durch die Strafe kaum. Die Hoyerswerdaer Naziszene konnte jahrelang vom Staat ungehindert agieren, bedrohen, angreifen und zerstören. "Die Angeklagten sind doch mit dem sicheren Gefühl, dass ihnen wieder nichts passieren kann, in den Prozess gegangen. Wiederholt wurde zum Beispiel das Büro von Linken Abgeordneten Caren Lay oder ihre Veranstaltungen angegriffen, aber wirkliche Konsequenzen sind daraus nicht erwachsen", stellt Hübler fest. Das klingt nach Freifahrtschein. Noch im November 2012 kündigte Sachsens Landespolizeipräsident Rainer Kann in Hoyerswerda markig an, man werde den Rechten nun auf den Füßen stehen. Viel passiert ist seitdem nicht. "Das Nazi- Problem kann nicht nur durch repressive Strafen gelöst werden. Es muss ein gesamtgesellschaftliches Umdenken geben, eine Anerkennung des rechten Problems, Betroffene rechter Gewalt sollten uneingeschränkte Unterstützung erhalten und antifaschistische Initiativen gestärkt werden", meint auch Buchner.

Auch der Nebenklage war es vor allem wichtig, mit dem Prozess auf den gesellschaftlichen Missstand und die gezielte Bedrohung nicht-rechter Menschen in Hoyerswerda aufmerksam zu machen. Im MDR1 Radio Sachsen sagte Nebenklageanwalt Bartl am Morgen des zweiten Prozesstags: "Wir wollen, dass klar gestellt wird, dass es sich hier eine Gesinnungsstraftat handelt, dass es hier um die Handlung einer neonazistischen Gruppierung ging und dass eine solche Gruppierung in einer Stadt gewissermaßen über Stunden in dieser Art und Weise vorgehen kann, ohne dass hinreichende Polizeipräsenz das eben im frühen Stadium unterbinden konnte." Die Angeklagten sollen der Gruppierung "Autonome Nationalisten Hoyerswerda" angehören. Dies konnte im Prozess aber nicht bewiesen werden, da eine Zeugin ihre diesbezügliche Aussage bei der Polizei vor dem Richter nicht bestätigen wollte. Beobachter vermuten, dass sie im Vorfeld bedroht wurde. Bei ihrer Aussage wirkte sie verschreckt, ähnlich wie eine Nachbarin der Geschädigten, die entgegen ihren Aussagen bei der Polizei auch nicht mehr viel gesehen haben wollte. Angesichts der Untätigkeit der Polizei im Schutz von bedrohten Menschen in Hoyerswerda ist das verständlich.

Breite Kritik am Urteil

Prozessbeobachter*innen kritisieren unterdessen die Bewährungsstrafen. "Insbesondere die Feststellung des Richters, für die Angeklagten gebe es eine positive Sozialprognose, wirft Fragen auf. Die Angeklagten sind zweifelsfrei Angehörige der rechtsextremen Szene in Hoyerswerda, einige von ihnen sind einschlägig vorbestraft wegen schwerer Körperverletzung, Bedrohung und weiterer Straftaten. Dass von den verhängten Bewährungsstrafen eine abschreckende Wirkung eintritt und die Angeklagten - wie vom Richter unterstellt - künftig keine Straftaten mehr begehen werden, erscheint fragwürdig", erklärt dazu Jennerjahn auf seiner Homepage.

"Auch für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechts hat dieses Urteil nur ein Signal: man kann sich in Hoyerswerda nicht sicher fühlen", stellt Buchner fest. Er und viele andere sind schon lange aus der Stadt weggezogen, auch weil sie immer wieder von Nazis bedroht wurden. Das Internationale Auschwitz Komitee hält das Urteil für skandalös: "Neonazis, die Menschen jagen und in Todesangst versetzen, werden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Ein fatales Signal für all jene Bürger, die sich in ihren Gemeinden Neonazis entgegenstellen und auf die wehrhafte Demokratie hoffen. Dieses Urteil ist auch eine Beleidigung für die Opfer des Holocaust, derer man gestern so wohltönend gedacht hat", erklärte das Komitee in einer Pressemitteilung einen Tag nach dem Urteil.

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