Screenshot der Website der so genannten "Reichsbewegung"
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Berlin: Die "Neue Gemeinschaft von Philosophen" und die Reichsbewegung

Seit einigen Monaten erhalten Menschen mit migrantischem Hintergrund, Moscheen, muslimische Vereine und die Jüdische Gemeinde in Berlin und bundesweit Briefe, die ihre Ausreise aus Deutschland fordern. Die Verfasser*innen der Briefe bezeichnen sich selbst als „Neue Gemeinschaft von Philosophen“ und Initiatoren einer „Reichsbewegung“, die die Wiederherstellung des Deutschen Reiches anstrebe. Um den rassistischen Briefen etwas entgegen zu setzen und über den Umgang mit ihnen zu informieren, ruft die Opferberatungsstelle reach out für den 14. Juni um 17:30 Uhr zu einer Solidaritätskundgebung am Berliner Leopoldplatz auf.

Von Zoé Sona

Die Briefe richten sich an Türken, Muslime und afrikanischstämmige Menschen. „Nachdem Thilo Sarrazin trotz seiner diskriminierenden Aussagen nicht von der SPD ausgeschlossen wurde und seine Meinung in vielen Talkshow vertreiben konnte, trauen sich in den letzten Jahren immer mehr Leute, ihre rassistischen Vorurteile offen auszusprechen", erklärt Safter Çinar, der Integrationsbeauftragte des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin. Die Verfasser*innen fordern ihre Adressat*innen darin auf, bis zum ersten August oder spätestens einem Tag X, an dem der dritte Weltkrieg ausbrechen werde, Deutschland zu verlassen. Sie bedienen sich dabei der rassistischen Argumentation, eine von Politiker*innen der BRD ins Werk gesetzte „Rassenvermischung“ würde zur „Völkervernichtung“ führen. Um der Ausweisung der Adressat*innen Nachdruck zu verleihen, drohen die Initiator*innen der Reichsbewegung damit, alle Zuwiderhandelnden nach Ablauf der Frist standrechtlich zu erschießen. Die so genannte "Reichsbewegung" warnt zugleich vor der „blinden Rache“ eines deutschen Mobs, der seit „Jahren eine unbändige Wut“ gegen „Ausländer“ hege, weil diese gewalttätig und kriminell seien und den Deutschen gegenüber bevorzugt würden. Helga Seyb, Mitarbeiterin von ReachOut, der Berliner Opferberatungsstelle gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus warnt: „Die Reichsbewegung ist mit ihrer Kampagne für die politische Mitte anschlussfähig, weil sie an den weit verbreiteten antimuslimischen Rassismus anknüpft“.

Die "Reichsbewegung" stellt sich als patriotische Befreiungsbewegung dar, die das deutsche Reich in den Grenzen von 1871 wiederherstellen will. Sie sei die einzig legitime Vertretung des deutschen Volkes. Die BRD und die deutsche Regierung seit 1990 bezeichnet sie verschwörungstheoretisch als „Marionettenregierung“ und „Organ der alliierten Fremdherrschaft“. Diese Ansichten verknüpft die Reichsbewegung mit antisemitischen Ressentiments: ihrer Meinung nach ist das deutsche „Volk“ das Opfer einer jüdisch-freimaurerischen Verschwörung, die dieses seit über einem Jahrhundert unterwandern und steuern würde, um es zu überfremden und „umzuvolken“.

Laut einer Pressemitteilung der Berliner Polizei wurden Briefe in den Bezirken Gesundbrunnen, Moabit und Reinickendorf entdeckt. Die Täter*innen sind bisher unbekannt. „Wir befürchten, dass sich Einzeltäter durch die Schreiben der Reichsbewegung dazu aufgerufen fühlen könnten, aktiv zu werden“, erklärt eine Pressesprecherin des Berliner Verfassungsschutzes. Den positiven Bezug auf das Deutsche Reich und seine unveränderte Geltung hat die "Reichsbewegung" mit rechtsextremen Gruppen gemeinsam, wie der Brandenburger Verfassungsschutz erklärt, der zunehmend mit Aktivitäten der Reichdeutschen und so genannten Reichsbürgern beschäftigt ist. Sie erkennen weder Steuern, noch Strafzettel oder Verwaltungsbescheide an und sind somit auch für die politische Mitte anschlußfähig. Die in den Briefen genannte Internetseite Reichsbewegung.org weist auf eine Verbindung zu den so genannten „Unsterblichen“ hin, einer neuen Aktionsform der rechtsextremen Szene, die seit ungefähr einem Jahr mit flashmobartigen Fackelzügen bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen.

Um den rassistischen Briefen etwas entgegen zu setzen und über den Umgang mit ihnen zu informieren, ruft die Opferberatungsstelle reach out für den 14. Juni um 17:30 Uhr zu einer Solidaritätskundgebung am Berliner Leopoldplatz auf.

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