Tweets einer der Bewohner*innen der Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße in Berlin-Kreuzberg.
Screenshot Twitter

Berlin-Kreuzberg: Polizei-Rassismus und -Gewalt gegen Flüchtlinge und Unterstützer*innen - Dokumentation

Seit sieben Tagen ist Berlin-Kreuzberg im Belagerungszustand: Die "Sperrzone" rund um die von Flüchtlingen besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule ist für Presse verboten, Polizisten laufen mit Maschinenpistolen auf und es kommt zu Rassismus und Gewalt seitens der Polizei gegenüber Flüchtlingen und Unterstützer*innen.  Wir dokumentieren die Vorfälle - bitte melden, wenn Sie etwas beobachtet haben. Update: Die Schule wird nicht geräumt, die Forderungen der Flüchtlinge angenommen. Das "Sperrgebiet" wird nach 10 Tagen aufgelöst.

Von Simone Rafael

Seit rund anderthalb Jahren ist die Gerhard-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg von Flüchtlingen besetzt, die damit auf Missstände in der Asylpolitik hinweisen wollten. Die Zustände in dem maroden Gebäude wurden für die Besetzer*innen wie die Anwohner*innen zunehmend schwieriger.

Seit sieben Tagen droht der Schule die Räumung. 208 Menschen haben bisher das Angebot angenommen, in vom Senat gestellte Ersatzunterkünfte in Charlottenburg und Spandau umzuziehen. Etwa 40 Flüchtlinge harren aber immer noch in der Schule aus. Sie fordern Bleiberecht nach § 23 des Aufenthaltsgesetzes und glauben nicht an die Zusicherung von Bezirk und Senat, sie sechs Monate lang zu dulden und ihre Asylanträge hier in Berlin zu prüfen. Sie verweisen darauf, dass bereits zehn Flüchtlingen vom Oranienplatz die Abschiebung droht, obwohl ihnen das gleiche zugesichert wurde. Die andauernde Besetzung sei „der Preis der schlechten Erfahrungen, die sie in den Verhandlungen mit dem Senat und dem Bezirk gemacht haben“, heißt es in einer Mitteilung der Flüchtlinge vom Dach der Schule, berichtet die taz

Viele Anwohner*innen und Aktivist*innen sind solidarisch mit den Flüchtlingen und versuchen, gewaltsame Räumungen zu verhindern. Die Polizei riegelt derweil den ganzen Kiez ab, posiert mit Maschinenpistolen. Rund 3.500 Menschen protestierten am Samstag für das Bleiberecht der Flüchtlinge, berichtet der Tagesspiegel, die Flüchtlinge selbst sprechen von 5.000 Teilnehmer*innen. Presse ist zunächst der Zutritt zur Gerhart-Hauptmann-Schule, dann zum ganzen Sperrgebiet verboten - offizielle Begründung: Sicherheitsrisiko und zu wenige Polizist*innen, um Pressevertreter*innen zu begeleiten. Diese Begründung mutet interessant an, wenn man die Vielzahl an Mannschaftswagen betrachtet, die am Wochenende selbst die umliegenden Bezirke wie Friedrichshain und Neukölln vielfach zustellten.

Polizei-Rassismus und Polizei-Gewalt

Während die Polizei natürlich darauf verweist, nur Weisungen des (grün regierten) Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg umzusetzen, ist die Umsetzung von martialischen Gewaltandrohungen, Rassismus und realer Gewalt geprägt.

Die Flüchtlinge auf dem Dach der Gerhart-Hauptmann-Schule berichteten auf Twitter: "Während des Tages hat uns die Polizei auf rassistische Weise beleidigt. Sie haben uns von einem anderen Dach aus beobachtet und gewunken, nicht nur mit Handschellen, sondern auch mit Bananen." Bei der Fußballweltmeisterschaft wird derartiges rassistisches Verhalten im Stadion angeprangert, für die Berliner Polizei findet man es offenbar passend.

Über die Methoden der Polizei, sie mürbe zu machen, berichten die Flüchtlinge auch: "Während der Nacht vom 27. auf den 28. Juni hat die Polizei an den Türen gerüttelt und Durchsagen gemacht, sodass wir nicht schlafen konnten. Schlafentzug ist nur eine der Methoden, mit denen sie unseren Widerstand brechen wollen. Da der Ramadan angefangen hat, fasten vielen von uns. Der durch die Polizei verursachte Schlafmangel und die Anforderungen des Fastens machen die Lage für uns noch prekärer."

Ein Anwohner berichtet heute von seinen Erfahrungen im Tagesspiegel: "Ich sah, wie behelmte Polizisten auf sitzende Demonstranten losstürmten. Einige wurden umgeschubst, anderen ins Gesicht geschlagen. Ich war schockiert, und das Beste, das mir einfiel, war, die Szene mit dem Telefon zu filmen. Die Menschen, die dort auf der Straße hockten, waren keine gewaltbereiten Demonstranten. Das war eine bunt gemischte Gruppe harmloser Leute, darunter etliche Anwohner, Schüler, junge Frauen in bunten Röcken, Kreuzberger Altlinke. Zwei Passantinnen, vielleicht um die 40, standen bloß mit ihren Fahrrädern in der Nähe, die gehörten überhaupt nicht dazu. Beamte haben sie trotzdem umgestoßen, und ich hab’ mich gefragt: Was ist hier eigentlich los?"

Er schreibt weiter: "Die Aggression geht – meiner Wahrnehmung nach – eindeutig von der Polizei aus. Damit meine ich (...) Beamte in Kampfmontur, die hier regelmäßig friedliche Demonstranten wegschubsen und auch beleidigen, in Menschenmengen reindrängen, mehrfach schon Pfefferspray eingesetzt haben, weinenden Frauen mit den Fingern in Augenhöhlen greifen und sie wegzerren. Ich verstehe nicht, warum Polizisten Berliner Bürgern „Halt’s Maul“ entgegenschreien sollten. In den vergangenen zwei Jahren bin ich fast täglich an der besetzten Schule vorbeigelaufen, habe mich nie unsicher gefühlt. Jetzt sehe ich Greiftrupps, die Demonstranten einkreisen, gegen Häuserwände drängen und dann minutenlang mit Scheinwerfern anstrahlen.

"Wir nehmen Dich jetzt fest, weil Du schwarz bist"

Ein anderer Anwohner berichtet gegenüber "Netz gegen Nazis" von einer Verhaftung, die er am Sonntag erlebt hat: "Polizisten ticken einen Refugee an: "Wir nehmen Dich jetzt fest, weil Du schwarz bist". Danach überwältigen sie ihn, schlagen ihn, brechen ihm den Daumen."

Wenn Sie auch etwas beobachtet haben, melden Sie es uns bitte gern - wir möchten diese Vorfälle dokumentieren
netz@amadeu-antonio-stiftung.de

HipHopper Amewu kommentiert in einer Solidaritätserklärung die Situation: "Es wird immer wieder verbreitet die restlichen Refugees hätten die Schule freiwillig verlassen. Ich frage mich, wie freiwillig das ist, wenn 900 bewaffnete Polizisten vor dem Haus stehen und mit einer Räumung zu rechnen ist. Bevor jetzt wieder jemand sagt, “Ich habe gehört es wurde längst eine neue Unterkunft gefunden. wo liegt das Problem?”… das Problem liegt darin, dass dies nicht das eigentliche Problem ist. Die Leute wollen kein neues Heim und durchgefüttert werden, sondern die Möglichkeit selbst zu arbeiten, eine eigene Wohnung zu mieten und für sich selbst verantwortlich sein." (Ganzes Statement hier).

So geht es weiter

Nach aktuellem Stand hat der Bezirk am Sonntag versprochen, nicht zu räumen. Auch gibt es Pläne, die Gerhart-Hauptmann-Schule in ein Flüchtlingszentrum umzubauen. Während der Umbaumaßnahmen sollen die Flüchtlinge, die jetzt noch in der Ohlauer Straße sind, in dem Gebäude bleiben dürfen. Allerdings nützt das den Flüchtlingen nicht wirklich: Sie wollen ein Recht, zu bleiben und zu arbeiten. Die vom Senat versprochenen Einzelfallprüfungen nutzen vielen von ihnen nicht wirklich - ihre Anträge sind bereits abgeleht worden, sie sind illegal in Deutschland und werden auf alle Fälle abgeschoben. So zeigte es auch die Erfahrung mit den Flüchtlingen, die auf dem Oranienplatz ihr Protestcamp hatten und von denen bereits etlich Personen einen Abschiebebescheid erhalten haben. Eine Lösung steht also weiterhin aus.

Termine für Solidaritätsbekundungen

Montag, 30.6 - 18:30 Uhr - Ohlauer Str. / Reichenberger Str. - Antirassistisches Federballtunier gegen Repression und Asylpraxis (nachdem die Polizei gestern ein Federballspiel zwischen Aktivist*innen untersagt hatte)

Dienstag, 1.7 - 10:00 Uhr - Rotes Rathaus -Refugee Schul- und Universitätsstreik - http://refugeeschulstreik.wordpress.com

Dienstag, 1.7 - 18:00 Uhr - Moritzplatz - Demonstration & Ulimatum: "Kein Kriegsrecht in Kreuzberg - Refugees Welcome"

Dienstag, 1.7. - 19:00 Uhr - Infopoint Ohlauer Str. - Solikonzert mit Kobito, Filou, Yanna Yansn, Refpolk, Amewu, Sookee

Mittwoch, 2.7 - 17:30 - Yorkstr. 4-11, Sitzungssaal - BVV Friedrichshain-Kreuzberg Öffentliche Sitzung

Mehr Informationen:

| ohlauerinfopoint.wordpress.com

Update 01.07.2014, 11.00 Uhr

Das Video, wie Polizisten gewaltsam in eine friedliche Demonstration dringen, ist auf YouTube hier zu sehen.

Die Berliner Polizei hat dem Bezirk gestern ein Ultimatum gestellt, ob denn nun geräumt werden soll oder nicht - andernfalls würden sie die polizeilichen Maßnahmen beenden. Die Friedrichshain-Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Hermann (Die Grünen) hat sich eine Bedenkzeit bis zum heutigen Mittag erbeten. Erste Absperrgitter sind laut einem Live-Ticker im Tagesspiegel auch bereits abgeräumt. Derweil gab es eine große Student*innen- und Schüler*innen-Solidaritäts-Demonstration am heutigen Vormittag mit rund 1.000 Teilnehmer*innen. Bereits gestern fand ein antirassistisches Federball-Turnier statt - Sperrgebiet gegen Nicht-Sperrgebiet, über die Absperrungen hinweg. Außerdem durchbrachen Unterstützer*innen und Flüchtlinge die Sperre und gingen auf die Straße, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen: Fotos hier

Update 01.07.2014, 14.18 Uhr

Die Lage ist unklar. Offenbar gibt es ein Räumungsgesuch des Bezirks - unterschrieben nicht von Bezirksbürgermeisterin Herrmann, sondern von Stadtrat Hans Panhoff (Die Grünen). Die Schule könnte noch am heutigen Dienstag geräumt werden. Laut Tagesspiegel ist die Kita gegenüber der Schule bereits menschenleer. Zwei Flüchtlinge stehen an der Dachkante (Tagesspiegel).

Offenbar gibt es Polizeigewalt auch gegen die Schüler*innen-Demonstration. "Versteckspiel" schreibt: "Vermummte Polizisten knüppeln auf Jugendliche ein und pfeffern massiv. Henkel muss zurücktreten! Was hier rund um die Ohlauer abläuft ist schon lange nicht mehr tragbar!" Nach Augenzeugenberichten wurde Pfefferspray gegen die Jugendlichen eingesetzt, die friedliche Demonstration mit Gittern eingekesselt und offenbar kamen auch Knüppel zum Einsatz. 

Aktuellste, wenn auch nicht gefilterte Informationen gibt es auf Twitter, Hashtag #ohlauer

Die Forderungen der Flüchtlinge finden sich hier: Sie wollen, dass ihre Fälle in Berlin bearbeitet und geprüft werden. Und sie wollen auf dem Dach bleiben, bis alle ein Bleiberecht bekommen.

Update 02.07.2014

Bisher ist die Gerhart-Hauptmann-Schule nicht geräumt, das Sperrgebiet wird aufrecht gehalten. 

Die für Mittwoch angesetzte Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung, in der es um die Situation der Flüchtlinge auf dem Dach der Gerhart-Hauptmann-Schule gehen sollte, ist verschoben worden - auf den 27. August. "Die Entscheidung ist getragen vom Gedanken, die Sicherheit für die Gäste und Teilnehmer*innen an der BVV-Sitzung zu gewährleisten und die Mitarbeiter*innen und Besucher*innen am Standort Rathaus Yorckstraße nicht zu gefährden", hieß es in einer Pressemitteilung. 

Einen Ticker zu den aktuellen Ereignissen macht der Tagesspiegel.

Ein Video einer recht brutalen Räumung einer Blockade findet sich hier bei Youtube.

Update 04.07.2014

Die Schule wird nicht geräumt, die Forderungen der Flüchtlinge weitestgehend angenommen: Sie dürfen in der Schule bleiben, die zu einem Flüchtlingszentrum umgebaut werden soll, bekommen Ausweise, um sich bewegen zu können. Das polizeiliche Sperrgebiet ist entsprechend auch aufgehoben. Die Politiker der Grünen sehen sich in Kreuzberg harscher Kritik ausgesetzt, die sie selbst durch unentschlossenes Handeln hervorgerufen haben (Tagesspiegel). Derweil hat der Bundestag am 03.07.2014 eine Verschärfung des Asylrechtes beschlossen: Künftig gelten Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien als sichere Herkunftsländer, in denen keine politische Verfolgung zu befürchten sei. Asylbewerber aus diesen Staaten können damit schneller zurückgeschickt werden. Die Regelung zielt auf die schnelle Abschiebung von Roma-Familien, die in ihren Heimatländern massivsten rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt sind, aber hier selten als politische Flüchtlinge anerkannt werden (tagesschau.de).

Update 07.07.2014

Hauptmann-Schule: Jetzt sprechen die Flüchtlinge

Boulevard-Journalismus, wie er im guten Falle ist: Menschen mit ihren Geschichten zu Wort kommen lassen. Die B.Z. besucht die Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule, und zeigt: Es sind Menschen, nicht nur Ziffern.

Flüchtlinge in Berlin-Kreuzberg: Ausländerbehörde will Verfahren nicht an sich ziehen

Wesentlich für die Flüchtlinge wird die Frage sein, wie die Berliner Ausländerbehörde mit den Verfahren umgehen wird. Innensenator Frank Henkel (CDU) hat stets angekündigt, dass die Behörde Asylverfahren, die schon in anderen Bundesländern geführt werden, nicht an sich ziehen werde. Schon jetzt sollen nach Auskunft von Anwälten alle entsprechenden Anträge abgelehnt worden seien. In der Folge müssten die Flüchtlinge in die anderen Bundesländer zurückkehren. Ein Rechtsgutachten, das die Integrationsbeauftragte Monika Lüke in Auftrag gegeben hatte, kommt – wie berichtet – zu dem Schluss, dass die Zuständigkeit inzwischen in Berlin liegt, da der Senat die Flüchtlinge über einen längeren Zeitraum geduldet hat. Die Flüchtlinge hatten sich die Bearbeitung in Berlin auch in ihren Forderungen vom Dach gewünscht (Tagesspiegel).

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