Screenshot streetboys.de

Vor allem lieben sie Fußball

In der Münchner Kreisliga spielt das einzige im regulären Ligabetrieb angemeldete schwule Fußballteam Deutschlands. Die Männer kämpfen um Punkte – und gegen Vorurteile. "Tunten" und "Schwuchteln" sind noch die harmlosesten Beleidigungen.

Von Florian Kinast

Es war eine gute Woche für Spielertrainer Michael Weinzierl und seine Männer, eine sehr gute und auch eine historische. Gut, weil es nach drei Niederlagen am Stück in der Liga endlich wieder zwei Siege gab. Am Sonntag 2:0 gegen die zweite Mannschaft des ESV Ost, am Mittwoch dann 2:1 gegen den NK Hajduk II. Sehr gut, weil es keine Beschimpfungen gab, keine Pöbeleien – Tunten, Schwuchtel, Schwestern, solche Sachen, dass sie sich vor Spielbeginn gar nicht warm machen müssten, weil sie es ja eh schon seien. Michael Weinzierl sagt: "Das sind noch die harmloseren Sprüche, es geht auch noch heftiger."

Und historisch war die Woche, weil sich weit weg in Amerika in Jason Collins erstmals ein aktiver schwuler Profi der National Basketball Association (NBA) outete. Weil er sich in der weltbesten Basketballliga das getraut hat, was die Münchner Streetboys schon längst geschafft haben: sich offen zur Homosexualität zu bekennen. Als schwuler Verein, ganz unten in der C-Klasse München. Auch wenn sie dort immer noch kämpfen müssen um Akzeptanz und gegen Vorurteile. Alex Dolderer, der Torhüter, sagt: "Manche glauben, wir laufen noch mit Stöckelschuhen und Handtäschchen auf dem Rasen herum."

Aus Eigenschutz nicht geoutet

Alex Dolderer ist 24, vor acht Jahren war ihm klar, dass ihn Männer ansprechen und Frauen nicht. Er wuchs auf in der Provinz, tiefstes Allgäu, ein 400-Seelen-Kaff, erzkatholisch. Dolderer sagt, ein Problem sei das Outing dort nicht gewesen für sie beide. Für ihn und seinen Zwillingsbruder. Der sei auch schwul.

Bei Michael Weinzierl, 39, aus Weiden in der Oberpfalz war das schon anders. Weinzierl war ein guter Kicker, beliebt im Verein, aber er fand nie den Mut, von seiner Neigung zu erzählen. Weinzierl sagt: "Aus Eigenschutz."

Nach dem Training oder den Spielen, wenn sie in der Vereinskneipe beim Bier saßen, dann ging es um die üblichen Themen. Erst um Fußball, dann um Frauen, meist auch in dieser Reihenfolge, wie bei Tausenden anderen Stammtischen im ganzen Land auch, und Michael Weinzierl sagt, er habe sich immer herausgewunden und falsche Geschichten von fiktiven Freundinnen erzählt.

Er sagt: "Ich musste mir immer irgendetwas einfallen lassen. Dass ich schwul bin, das hätte sich doch gleich herumgesprochen, und dann spielen wir gegen das nächste Dorf, und plötzlich brüllt die Horde los. Auf dem Land ist das noch wesentlich schwieriger als in der Großstadt München."

Männer aus allen Berufsgruppen kicken mit

In München gab es eine große schwule Szene und auch einen schwulen Fußballklub: die Streetboys, gegründet 1994, genau in dem Jahr, in dem sich die Bundesrepublik Deutschland endlich dann doch dazu durchrang, den 175er abzuschaffen, den Paragrafen im Strafgesetzbuch, der Homosexualität verbot.

Kleine Gruppen gab es auch in anderen Sportarten. Im Schwimmen die Isarhechte, beim Laufen die Frontrunners, 1999 schlossen sie sich dann alle zum schwul-lesbischen Verein Team München zusammen. Ein eingetragener Verein mit heute 500 Mitgliedern, unter dessen Namen die Streetboys nun auch im Ligabetrieb der bayrischen Landeshauptstadt kicken.

Sie haben einen Sponsor, ihre Stammkneipe im Gärtnerplatzviertel, der Wirt zahlt die Trikotsätze, einen kleinen Betrag in die Vereinskasse. Und nach einem Sieg gibt es natürlich eine Runde Schnaps aufs Haus, für die Anwälte, Banker, Lehrer, Studenten, Männer aus allen Berufsgruppen, Manager bei Computerfirmen wie Vorstand Rainer Schweyer oder Angestellte bei Krankenkassen wie Torhüter Alex Dolderer.

Einen Flugbegleiter, sagt Dolderer, hätten sie auch in der Mannschaft. "Die 'Saftschubse' ist der Einzige, der das klassische Klischee bedient. Sonst haben wir nicht einmal einen Friseur dabei." Aber dafür einen Hetero.

Beim Spiel am vergangenen Sonntag sagte einer der Reservisten: "Das ist der mit der Nummer Neun. Unseren Heten erkennst du daran, dass er am schwulsten von uns allen läuft." Warum sollten sie ihn auch nicht mitspielen lassen. Bloß weil er ein Mann ist, der anders gepolt ist und Frauen mag? Hetero? Na und!

Homophobie ist ein weit verbreitetes Phänomen

Als Hetero bei Schwulen zu kicken, das ist leichter als umgekehrt. Die Homophobie, die Ausgrenzung und Abwertung des Schwulseins, die Berührungsangst, im Fußball ist sie immer schon ein weit verbreitetes Phänomen mit hoher Stammtisch-Kompatibilität. Schon in den Siebzigern, wenn Ewald Lienen in der Bundesliga spielte, sangen die gegnerischen Fans, warum auch immer: "Ewald, der Schnelle, der Homosexuelle."

Zur Melodie von "Sierra Madre" intonieren sie bis heute "Schwuler, schwuler FCB" - wahlweise ersetzbar durch BVB, VfB, TSV und andere Vereinskürzel. Und der Song "Yellow Submarine" der Beatles wird umgetextet in "Spieler X ist homosexuell, homosexuell." Schwulenhass, auf der Tribüne ist er salonfähig.

Es gibt Zitate wie das vom früheren Stuttgart-Trainer Otto Baric, er erkenne einen Schwulen innerhalb von zehn Minuten und würde so einen nicht in seiner Mannschaft spielen lassen. Der frühere Bundesligatorwart Frank Rost (u.a. FC Schalke 04, Hamburger SV) antwortete auf die Frage nach etwaigen homosexuellen Mannschaftskollegen, er dusche sicherheitshalber lieber mit dem Rücken zur Wand. Und Paul Steiner, der ehemalige Verteidiger des 1. FC Köln, erzählte einmal, Schwule könnten sicher gar nicht Fußball spielen.

Solche Aussagen kommen an, auch in den tiefsten Amateurebenen, das spüren die Streetboys regelmäßig. "Viele schwule Fußballspieler kommen aus Angst nicht zu uns", weiß Trainer Michael Weinzierl: "Aus Angst vor den Beschimpfungen des Gegners." Angst vor Situationen wie vor zwei Jahren, als es bei einem Spiel eskalierte, die Beleidigungen arg wurden und der Schiedsrichter die Partie abbrach, weil es Tumulte gab und am Ende sogar Jagdszenen auf die Streetboys mit Beteiligung der Zuschauer. Nur weil sie schwul sind.

Der Vorfall wurde dem Bayerischen Fußballverband (BFV) gemeldet, richtig ernst genommen werde das Thema dort aber nicht, sagt Vorstand Rainer Schweyer. "Man hat das Gefühl, der Kampf gegen Homophobie wird von Verbandsseite hintangestellt." Zwar sei schon ein Arbeitskreis gegründet worden, aber Gesprächstermine wurden immer wieder verschoben. "Es dauert, bis sich da wirklich etwas tut."

"Solange es keine offizielle Unterstützung gibt, bezweifle ich, dass sich ein aktiver Fußballprofi outet"

Beim BFV verweisen sie auf den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Dort sagt Sprecher Stephan Brause, der Verband befasse sich natürlich sehr wohl mit dem Thema. "Aktuell entwerfen wir einen Handlungsleitfaden, den wir allen Vereinen und Verbänden in Deutschland zur Verfügung stellen wollen, mit Informationen, was getan werden kann, wenn sich ein Spieler outen möchte." Wann der Handlungsleitfaden erscheint, ist noch unklar.

Dass nun nach dem Bekenntnis des US-amerikanischen Basketballspielers Jason Collins dem deutschen Profisport und speziell der Fußball-Bundesliga eine Welle von Outings bevorsteht, daran glaubt Streetboys-Vorstand Schweyer nicht. "Solange es keine offizielle Unterstützung der Verbände und Vereine gibt, bezweifle ich, dass sich ein aktiver Fußballprofi in Europa outet und danach aktiv bleibt."

Ähnlich sieht es Trainer Weinzierl. "Hierzulande wird das Outing wenig bewirken. Wir müssen erst die Entwicklung bei Collins abwarten, wie die NBA reagieren wird, die gegnerischen Fans. Vielleicht wäre es am leichtesten, wenn sich alle schwulen Bundesligaprofis zusammen auf einmal outen, das würde die Last von einem einzelnen nehmen. Aber das liegt wohl in weiter Zukunft."

In naher Zukunft liegt da schon das nächste Punktspiel, heute, Sonntagnachmittag. Es geht gegen die zweite Mannschaft des FC Alemannia. Vielleicht wird es wieder ein gutes Wochenende, hoffentlich ein sehr gutes. Und vielleicht, das wäre noch besser, ist es irgendwann ganz egal, dass sie schwul sind. Vielleicht sind sie eines Tages einfach eine ganz normale Fußballmannschaft von vielen, ganz unten in der C-Klasse.

Textübernahme mit freundlicher Genehmigung von

www.welt.de

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