So sieht das Wahlprogramm der AfD Baden-Württemberg im Internet aus.
Screenshot 16.02.2016

Simple Aussagen, diskriminierende Wirkung – Das Wahlprogramm der AfD in Baden Württemberg

Am 13. März 2016 wählen drei Bundesländer einen neuen Landtag. Nach den Erfolgen in Sachsen, Thüringen und Bremen will die Alternative für Deutschland auch in die Landtage von Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg und ab Herbst schließlich auch in Mecklenburg-Vorpommern einziehen. Die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung hat die Wahlprogramme auf Inhalte, Aufbau der Themen, Sprachverwendung und Rhetorik untersucht. Die Analysen sollen helfen, die vereinfachenden und unterkomplexen Aussagen der AfD und deren diskriminierenden Inhalte als solche zu erkennen.  

Von Theresa Singer

Stuttgart 21 – mehr direkte Demokratie

Baden-Württemberg gilt als eines der wirtschaftlich stärksten Bundesländer, die Menschen dort müssen keinen sozialen Abstieg fürchten. In der Präambel des Wahlprogramms der baden-württembergischen AfD werden blumig die „fleißigen und erfinderischen Bewohner“ beschrieben, um im nächsten Absatz ein Bedrohungsszenario einer „verfehlten Euro-Rettungspolitik“ und eine „völlig verantwortungslose Asyl- und Flüchtlingspolitik“ zu zeichnen, die den Wohlstand im „Ländle“ und die innere Sicherheit und Freiheit bedrohe. Anders als in den Wahlprogrammen der Partei in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt liegt der Fokus auf einem Mehr an direkter Demokratie à la Stuttgart 21, „damit [die] oftmals nur noch auf dem Papier existierende Demokratie“ belebt und „eine ideologisch motivierte Bevormundungspolitik“ beendet werde. Die Forderungen nach mehr direkter Demokratie gehören originär zum Rechtsaußen-Spektrum – die NPD etwa fordert Ähnliches – weil sich die Rechtsaußen-Parteien damit eine Entmachtung der Parlamente durch Volksentscheide erhoffen – und zugleich wird die Erzählung bedient, „das Volk“ wolle etwas völlig anderes als die Regierung. Menschen werden nach ihrem finanziellen Status bewertet und nach ihrer Nützlichkeit bemessen - hier zeigen sich sozialdarwinistische Argumente mit denen ein Anrecht des Stärkeren angenommen und gefordert wird. Sozial Schwächere sollen weniger demokratische Repräsentation erfahren.

Feindbild: Grün-Roter Bildungsplan

Bereits in der Präambel wettert die AfD gegen den Grün-Roten Bildungsplan, der angeblich zu einer „Frühsexualisierung“ der Kinder führe und sieht darin eine „ideologisch motivierte Bevormundungspolitik“. Auf dem „Weg zur Gesinnungsdiktatur“, würden Kinder ideologisch missbraucht. Alle pädagogischen Methoden und bildungspolitischen Ansätze, die nicht  dem vermeintlich christlich-humanistischen Bildungsideal der AfD entsprechen, werden als „Umerziehung“ diffamiert. Damit greift die AfD ein, in Baden-Württemberg kontrovers und breit diskutiertes Thema auf und bringt eigene Positionen nach vorn.

Bildung versteht die Partei als „zweckfreie Menschenbildung“, die sich auf das „Ideal der deutschen Geistesgeschichte besinnt“. Wenn es nach der AfD geht, soll in deutschen Schulen wieder mehr „Unterrichtsdisziplin“ herrschen. Hierfür soll die Autorität der Lehrer_innen gestärkt werden. Was das praktisch heißen soll, wird offen gelassen.

Familien als Keimzelle der Gesellschaft

Bundesweit sind bei der  AfD Familien- und Zuwanderungspolitik wichtige Themen. In der extremen Rechten werden Zuwanderung und Demographie stets zusammengedacht (vgl. Wahlprogramm AfD Sachsen-Anhalt, analysiert bei Miteinander e.V.). Ebenso  betrachtet auch die AfD die Familie als „Keimzelle und das Fundament unserer Gesellschaft und Kultur“ – der imaginierten Volksgemeinschaft. In Kontrast zu einer  Willkommenskultur für Geflüchtete seit dem Sommer 2015 spricht sich die AfD für eine „Willkommenskultur für Un- und Neugeborene“ aus. In einer Steigerung der Geburtenrate für Deutsche sieht sie die Lösung für den demographischen Wandel. Die AfD erinnert in der Formulierung ihrer Thesen bewusst an die islamfeindliche Schrift   Thilo Sarrazins, wenn sie schreibt, die Verbindung zwischen Mann und Frau, aus der Kinder hervorgehen, sei „überlebenswichtig für jedes Volk, das nicht seine eigene Abschaffung betreiben will“. Zuwanderung wird dagegen als Bedrohung für den Fortbestand der Nation gesehen.

Von der natürlichen Zweigeschlechtlichkeit

Frauen werden in der extremen Rechten zum Großteil patriarchalisch als Freundin, Tochter und Ehefrau annektiert.  Die AfD sieht Frauen vor allem in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Die Rhetorik der „natürlichen“ Geschlechterrollen bietet eine Anschlussfähigkeit an völkisch-rechtsextreme Gesellschaftsideale, in denen das  dichotome, patriarchale Geschlechterverhältnis die Ordnungsinstanz nach innen ist. Auch von der AfD wird Gender Mainstreaming als ein „ideologisch motivierte[r] Eingriff“ dämonisiert, der Ehe und Familie „in volkserzieherischer und damit bevormundender Absicht“ schwächen möchte. Um ein „positives“, heteronormatives Bild von Ehe und Familie zu erzeugen, will die AfD sogar auf die „öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten einwirken“.

Die Partei beklagt außerdem eine strukturelle Ungleichbehandlung der Geschlechter – jedoch zu Ungunsten heterosexueller Männer. „Jungen [seien] schon seit vielen Jahren die großen Verlierer unserer Gesellschaft“. Im Zuge dessen spricht die Partei sich gegen eine „volkserzieherische Überhöhung von nicht heterosexuellen Menschen“ aus. Gleichzeitig betont sie aber, dass sie sich „gegen Diskriminierung, auch die Diskriminierung von LSBTIQ-Menschen und eingetragenen Lebensgemeinschaften wendet“. Wenn man ihre Position zu Gender-Mainstreaming hinzunimmt, zeigt sich hier beispielhaft die offenkundige Diskrepanz zwischen postulierter Programmatik und deutlich radikaleren Forderungen bei öffentlichen Veranstaltungen der Partei, die sich letztlich gegen Gleichstellung von Minderheiten und gegen Chancengleichheit für benachteiligte Bevölkerungsgruppen aussprechen.

„Willkommensdiktatur“ bedroht Deutschland

Die sog. „Flüchtlingskrise“ hat die AfD wohl am Leben erhalten. Das Thema Flüchtlinge zeigt, wie es rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien wie der AfD gelingt, über aktuelle, kontrovers diskutierte Themen anschlussfähig an den gesellschaftlichen Mainstream zu sein und die etablierten Parteien vor sich her zu treiben. Es mutet beinahe humoristisch an, wenn die AfD erklärt, Sporthallen sollten nicht als Notunterkünfte für Geflüchtete genutzt werden dürfen, um mehr gegen Bewegungsmangel und das weit verbreitete Übergewicht bei Kindern zu tun. Die restriktive Flüchtlingspolitik, welche die AfD vertritt, erklärt sie damit, dass „Armutsflüchtlinge […] die deutsche und die europäische Kultur“ mit ihren „archaischen Sitten und Gebräuchen“ bedrohen würden. Die etablierten Parteien und die „gleichgeschalteten Medien“ würden eine Strategie des „Verschweigen[s], Verharmlosen[s] und Manipulieren[s]“ fahren und die angebliche Gefahr, die vor allem von jungen männlichen Flüchtlingen ausgehe, nicht beim Namen nennen. Damit suggeriert die AfD, sie sei die einzige Partei, die sich traue „Klartext“ gegen die „Willkommensdiktatur“ zu sprechen. Dementsprechend wertet die Partei die Willkommenskultur als „gesellschaftliche Fehlentwicklung“, die man „ohne Rücksicht auf Denkverbote der ‚Political Correctness‘“benennen und kritisieren müsse. Mit dem Argument der Meinungsfreiheit wird Political Correctness als Stigmawort diffamiert, das es verunmögliche, die ‚Dinge wieder beim Namen zu nennen‘. So feiert sich die Partei als „mutig“, weil sie sich traue, die  mutmaßliche „Wahrheit“ zu sagen – und legitimiert stattdessen schlicht Rassismus.

Indem Deutschland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen und dem Grundgesetz nachkommt, Schutzsuchenden ihr Recht zu gewähren, um Asyl anzufragen, sieht die AfD darin eine Zertrümmerung der „kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Grundlagen Deutschlands und Europas“. Sollte Angela Merkel weiterhin unzureichend ihren „Verpflichtungen gegenüber der Zukunft des eigenen Volkes“ nachkommen, sieht die AfD darin das „Ende der deutschen und europäischen Kultur besiegelt“. Allein durch die in Anführungszeichen gesetzte Verwendung des Wortes „Flüchtlinge“ wird Geflüchteten pauschal ihre Schutzbedürftigkeit abgesprochen, wodurch sie per se kriminalisiert und ihre Flucht nach Deutschland illegalisiert wird.

Um nicht länger „Zeitzeugen einer Völkerwanderung unter missbräuchlicher Berufung auf das Asylgrundrecht“ zu sein, plädiert die AfD u.a. dafür „Auffangzentren [in Herkunftsregionen] einzurichten“. Diese Form von Outsourcing des Problems ist mittlerweile politischer Mainstream geworden. Das Argument, so könne man Leben retten, ist auch bei der CSU zu hören.

Integration aus sich selbst heraus

Im Zuge von Zuwanderung fordert die AfD, Sozialleistungen nicht länger nach dem Gastland- sondern für die ersten Jahre nach dem Heimatlandprinzip auszuzahlen. Die Begründung wirkt durch und durch selbstlos: „Die unterschiedslose, unbegrenzte Daseinsvorsorge durch den Wohlfahrtsstaat anstelle der Verpflichtung zur Eigenverantwortung hilft den Zuwanderern nicht, sondern degradiert sie zu unmündigen und unselbständigen Almosenempfängern“. Voraussetzung für die Einbürgerung soll die dauerhafte wirtschaftliche und soziale Integration“ sein. Wie das mit erschwertem Arbeitsmarktzugang realisierbar sein soll, bleibt offen. Angela Merkel sei der Zukunft des eigenen Volkes verpflichtet, stattdessen fahre sie (und die Altparteien im Allgemeinen) eine Strategie der „Massensuggestion“. Auch durch die Wiedereinführung der Differenzierung nach Migrationshintergrund in polizeilichen Kriminalstatistiken „sollen Prävention wie auch Integrationsmaßnahmen verbessert werden“. Durch solch eine ethnisierende und segregierende Maßnahme soll belegt werden, dass Kriminalität ethnisch begründet sei.

Im Sinne eines neurechten Ethnopluralismus möchte die AfD auf europäischer Ebene ein „friedliches Zusammenleben der Völker“. National versteht sie Integration als Assimilation, wonach religiöse Freiheit ihrem Verständnis nach nicht für jeden zu gelten scheint. Muslim_innen sollen die „Wertefundamente unserer Gesellschaft, die aus der christlich-abendländischen Kultur, der aufgeklärten Vernunft und unser freiheitlich-demokratischen Grundordnung bestehen“uneingeschränkt akzeptieren. Das Tragen eines Kopftuches soll verboten werden, da es als Integrationshemmnis wahrgenommen wird und für die „Ungleichbehandlung der Frau“ stünde.  Weiß man um das Bild der Geschlechterrollen innerhalb der AfD, wird offenbar, dass die Partei hier feministische Forderungen nach der Emanzipation der Frau instrumentalisiert, um eigene Forderungen zu formulieren, mit denen Mulim_innen ein Anderssein und darin eine Minderwertigkeit zugeschrieben wird. Die Entscheidung für ein Kopftuch ist Teil der Selbstbestimmung und religiöser Freiheit der muslimischen Frau, die es zu respektieren gilt.

Bürgerpflicht und Bürgerarbeit

Die AfD spricht davon, die Bürgerpflichten müssten wieder stärker wahrgenommen werden. „[D]urch sinkende Geburtenzahlen [sei im] Falle eines Notstands oder im Katastrophenfall […] die Sicherheit der Baden-Württemberger nicht mehr flächendeckend gewährleistet.“ Aus diesem gezeichneten Bedrohungsszenario zieht die AfD die u.a. die Forderung nach der „Wiedereinsetzung der allgemeinen Wehrpflicht für männliche Deutsche“ und regen die Einführung eines „Tag des Heimatschutzes [an], an dem Bundeswehr, Feuerwehren, Polizei und THW über ihre Arbeit informieren.“

Möglicherweise das undurchsichtigste Projekt, das die AfD anstoßen möchte ist „Bürgerarbeit statt Hartz IV“. Damit ist eine Beschäftigung im gemeinnützigen Bereich für Langzeitarbeitslose gemeint, die unter Mindestlohn bezahlt wird. Unter welchen Konditionen solche eine „Bürgerarbeit“ eingeführt werden soll, nennt die AfD nicht. Ebenso wenig geht sie darauf ein, ob es sich dabei um eine Zwangsmaßnahme handelt oder Beschäftigungsmöglichkeit die den Ein-Euro-Jobs ähneln.

Fazit

Die AfD bietet keine politischen Lösungsansätze, stattdessen spielt sie mit den Ängsten der Menschen. Die Partei tritt nach eigenem Verständnis an, die Ideologie der etablierten Parteien und der „gleichgeschalteten Medien“ zu enttarnen und den Menschen „echte Wahlfreiheit“ zu eröffnen. Dabei ist es gerade der ideologische Rückgriff, der es ermöglicht die Komplexität der politischen Themen zu reduzieren und simple Lösungen zu liefern.

Die AfD zu wählen bedeutet, eine rückwärtsgewandte, antifeministische, rechtspopulistische und antidemokratische Partei zu wählen. Die Wähler_innen geben ihre  Stimme heute einer völkisch-nationalistischen Partei, die nichts mehr mit der anfänglichen konservativen eurokritischen Partei zu tun hat (wobei auch diese bereits mit Björn Höcke und Beatrix von Storch einen starken rechtspopulistischen Flügel hatte). In etlichen Positionen will die AfD das Grundgesetz und die demokratischen Freiheiten, die ein Leben in Vielfalt in Deutschland ermöglichen, aussetzen.  Wenn der Einzug in vier weitere Landesparlamente gelingt, ist der Einzug in den Bundestag 2017 wahrscheinlich. Es bleibt abzuwarten, ob es der AfD gelingen wird, Wähler_innen-Stimmen durch ihre rassistischen und vielfaltfeindlichen Hetzparolen zu generieren und damit ihre Erzählung vom „Sprachrohr“ der „schweigenden Mehrheit“ zu belegen. Eine fortwährende kritisch-argumentative Auseinandersetzung mit den Positionen der Partei ist wichtig, um den potenziellen Wähler_innen klar zu machen, dass sie eben nicht nur eine „demokratiekritische“, sondern teilweise sogar demokratiefeindliche Partei wählen wollen.

 

Fachstelle Gender und Rechtsextremismus:

www.gender-und-rechtsextremismus.de

 

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Volk – Nation – Identität - Das Wahlprogramm der AfD Sachsen-Anhalt

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