Alles "Für die Zukunft unserer Kinder" - "Pegida" hatte schon 2014 Identifikationsangebote für Männer und Frauen parat.
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"Pegida" und Gender: Von der "Homolobby", "Umvolkung" und "Gendertanten"

Welche Themen besetzen rechtspopulistische Bewegungen wie Pegida, und was lässt sich aus Perspektive von Geschlecht hierzu sagen? Welche Strategien finden sich in den Gruppierungen, sowohl von männlichen als auch weiblichen Akteur_innen? Und: Welche Folgen hat dies für eine gesamtgesellschaftliche Debatte und für die Ausgestaltung demokratischer Kultur? 

 

Von der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung

 

Leerstelle Geschlecht

Bisher gibt es kaum eine geschlechterreflektierte Analyse rechtspopulistischer Bewegungen wie Pegida. Zwar wurde zu Beginn der Gida-Bewegungen öffentlich diskutiert, dass scheinbar mehrheitlich ältere, weiße Männer der ostdeutschen Mittelschicht mit Hass und Feindlichkeit auf die Straße gingen. Dass dabei Antifeminismus und Sexismus eine Rolle spielten, wurde ebenso wenig thematisiert wie die Frage nach Positionen und Funktionen von Frauen in der Bewegung.

Woran liegt das? Nach wie vor ist ein hierarchisch und patriarchal geprägtes Geschlechterverhältnis in unserer Gesellschaft wirkmächtig. Das zeigen etwa antifeministische Debattenbeiträge auch in sogenannten Qualitätsmedien, die sich gegen Gleichstellungsinstrumente wie Gender Mainstreaming oder die Etablierung von Studiengängen richten, in denen zu geschlechtlicher Ungleichheit geforscht wird. Auch Studien der Einstellungsforschung zeigen, dass die bei Pegida zum Ausdruck kommenden Abwertungen bei Frauen und Männern im Querschnitt der Befragten durchaus Zustimmungswerte erreichen und Abwertungen von Frauen, Homosexuellen und Trans*Menschen mit rechten Einstellungsmerkmalen korrelieren.Dem entsprechende Aussagen rechtspopulistischer Bewegungen sind anschlussfähig an die Mitte der Gesellschaft und unter den bei Pegida Demonstrierenden mehrheitsfähig. Die Feindbilder »Gender«, »Genderismus«, »Gender Mainstreaming« spielen für den Rechtspopulismus eine durchaus zentrale Rolle: Mit Antifeminismus und Anti-»Genderwahn«-Ideologie gelingt es, eine Klammer für breite Zielgruppen zu bilden und Anschluss an den Mainstream zu finden. Themen von geschlechter- und familienpolitischer Relevanz erfüllen eine Scharnierfunktion und ermöglichen »gefährliche Allianzen«.

In der Berichterstattung und Forschung spiegelt sich eine gesellschaftlich relevante Verschleierung der Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau: Die Auseinandersetzung von Pegida mit sexueller Vielfalt oder den Geschlechterverhältnissen wird zwar thematisiert, aber ohne zur
Kenntnis zu nehmen, wie wichtig das Thema für den Rechtspopulismus ist. Spätestens nach den Silvesterereignissen 2015/16 in Köln ist deutlich geworden, wie wichtig hier die Einnahme einer intersektionalen Perspektive ist – etwa, wenn es um Weiblichkeitskonstruktionen geht. Intersektionale Perspektive bedeutet, dass verschiedene Diskriminierungsformen miteinander verwoben sind und sich in der Praxis z.B. frauenfeindliche Aussagen mit rassistischen, behindertenfeindlichen etc. überschneiden. Forschung, Prävention und Zivilgesellschaft sind herausgefordert, diese Überschneidungen als solche zu erkennen und ihnen je angemessen zu begegnen. Dass dies für verschiedene gesellschaftliche Bereiche eine große Herausforderung darstellt, hat die Debatte nach den Übergriffen in der Silvesternacht 2015/16 in Köln gezeigt.
 

Ausblendung von Sexismus bei Pegida – Beispiel Wissenschaft

Auch wenn zu Beginn der Pegida-Bewegung kurz über die mögliche Relevanz von Geschlecht innerhalb rechtspopulistischer Gruppierungen geredet wurde, geriet dies im Weiteren mehrheitlich aus dem Blick. Das betrifft verschiedene gesellschaftliche Bereiche, u.a. auch Wissenschaft: So sind verschiedene Teams von Forschenden, die Pegida-Demonstrationen beobachtet und Teilnehmende befragt haben, damit konfrontiert, dass von Demonstrierenden Hassrede und Gewalt ausgeht. Fast alle forschenden Teams wurden beschimpft, bedroht oder physisch angegriffen. Dies betrifft auf besondere Weise Frauen: sie sind mit sexistischen Ansprachen konfrontiert, ihnen werden etwa Vergewaltigungen angedroht und sie werden auf eine Weise körperlich bedroht, die eine weitere Forschungstätigkeit ausschließt. Ebenfalls wird berichtet, dass weibliche Teilnehmerinnen gegenüber weiblichen Interviewerinnen besonders aggressiv auftraten. Obwohl alle forschenden Teams diese Erfahrung machten, taucht der hier deutlich werdende Sexismus in den veröffentlichten Studien zu Pegida explizit nicht auf, weder in den methodischen Reflektionen noch in den generellen Betrachtungen der Ergebnisse.
 

Rechtspopulistische Inhalte und Themen – aus Geschlechterperspektive 

Welche Themen von rechtspopulistischen Gruppierungen besetzt werden und vor allem, wie sie aus Perspektive von Geschlecht besetzt werden, soll im Folgenden anhand von konkreten Beispielen verhandelt werden. Die Ausführungen basieren auf Ergebnissen der Expert_inneninterviews sowie der Analyse von Redebeiträgen, Videos und veröffentlichten Positionen von Pegida. Zusätzlich werden exemplarisch zwei zentrale Akteurinnen, Tatjana Festerling und Melanie Dittmer,
porträtiert. Beide waren an der Organisation von Pegida und ihren Ablegern maßgeblich beteiligt, traten häufig als Rednerinnen auf und sind auch über Pegida und Co. hinaus in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen aktiv.
 

Völkische Geschlechterbilder

Geschlecht wird bei Pegida und den Ablegern eingebettet in völkische, ahistorische und homogene Gemeinschaftsvorstellungen. Grundlage hierfür ist die Idee eines »homogenen und gesunden Volkskörpers«, der auf der heterosexuellen und reproduktiven Beziehung von Mann und Frau basiert. In den völkisch-rassistischen Protesten gibt es die Erzählung eines vermeintlich bevorstehenden oder bereits laufenden »Bevölkerungsaustauschs«. Hier kommen Verschwörungsideologien und rassistisch motivierte bevölkerungspolitische Sorge zusammen: Muslimische Männer (und Frauen) setzen – so die Vorstellung – die sogenannte »Umvolkung« um, die von der deutschen Regierung angeblich gesteuert oder zumindest zugelassen wird. So bedient etwa die Neonazistin Melanie Dittmer in ihren Reden den völkisch-rassistisch aufgeladenen Diskurs: »Niemanden interessiert das, dass dieses Land vor die Hunde geht. Jeder der vielen Millionen möchte gerne der Einladung der freundlichen Frau Angela Merkel folgen und dann sind das auf einmal eben jene vielen Millionen, die jetzt schon auf
gepackten Koffern sitzen in Afrika, das hat nichts mehr mit Flüchtlingen zu tun, das sind Invasoren, die uns Europa und Deutschland wegnehmen wollen und das lassen wir nicht zu, dafür stehen wir hier auf der Straße.« 

Ausgehend von Vorstellungen einer gemeinsamen Herkunft und homogenen Gemeinschaft wird der Diskurs um Geschlecht auf einer nationalen Ebene geführt; Nation und Geschlecht werden hier sehr stark verbunden. Frauen erscheinen als schützenswerter Teil der Nation, der für die deutschen Männer zu reservieren sei; über »deutsche Frauen« sollen nur »deutsche Männer« Verfügungsmacht haben: »Die Mutter ist unsere Sprache, unser Vater ist das Land, für die Zukunft unsere Kinder stehen wir auf und leisten Widerstand«.

Das Feindbild Feminismus als »Genderismus« wird dabei für eine Verweiblichung und damit mangelnde Wehrhaftigkeit der Männer sowie für »Kinderarmut« unter Frauen verantwortlich gemacht. Das wird bei Rechtsextremen zum »drohenden Volkstod« zugespitzt. Um dieser Bedrohung etwas entgegenzusetzen, wird Frauen und Männern in rechtsextremen und rechtspopulistischen Texten nahe gelegt, sich auf ihre »natürlichen« Geschlechterrollen zu besinnen und der »natürlichen Geschlechterordnung« zum Erhalt des Volkes zu folgen. Hier finden sich auch Bezüge zum »Mythos deutsche Mutter«, bei dem die Mutterrolle biopolitisch überhöht wird und mit moralischen Ordnungsansprüchen ausgestattet wird. Um eine »Umvolkung« zu verhindern, werden in der Darstellung von Pegida-Vertreter_innen »männliche Männer« und »weibliche Frauen« benötigt, die wehr- und mannhaft sein sollen und denen ein Kinderwunsch als »natürlich« eigen ist, der nicht mit Blick auf Karriere und beruflichen Erfolg unterdrückt werden darf. In dieser Vorstellung von Gesellschaft dürfen Frauen stark sein und auch beruflich erfolgreich, aber nur dann, wenn sie auch ihre Rolle als Mutter ausfüllen können. Diese Haltung wird etwa bei Tatjana Festerling deutlich, wenn Angela Merkel aufgrund ihrer Kinderlosigkeit sexistisch abgewertet wird: »Wollen wir uns ernsthaft von einem empathielosen Durchschnittsweib führen lassen? (...) Einer Frau, die selber keine Kinder, keine Familie hat, der also diese wesentlichen Erfahrungen von unmittelbarer Verantwortung, Fürsorge und Glück völlig fehlen?« Frauen können – so die These – nur durch die Erfahrung des Mutter-Seins reales Glück erlangen und Verantwortung für die »Gemeinschaft« zeigen. Gleichzeitig – so die Behauptung – würde Angela Merkel ihre Kinderlosigkeit damit kompensieren, dass sie Geflüchteten Zuflucht gewährt. Die Angriffe gegen das Feindbild »Merkel« sind damit erkennbar sexistisch und rassistisch (gegen Geflüchtete) motiviert.

Die Vergeschlechtlichung von Volk und Nation zeigt sich auch in Aussagen, in denen es um eine bedrohliche Einwanderung und »den Islam« geht, für die etablierte Politiker_innen verantwortlich gemacht werden: »Die größte Vergewaltigerin – endlich macht es mal Spaß, ein Wort zu gendern – ist Frau Merkel. Ihre Regierungsbande macht fleißig mit. Sie vergewaltigen ein 80 Millionen Volk.« Festerling fasst die Bedrohung von Volk und Nation als eine spezifische Strategie der »Umvolkung« auf: »Und dann kam die Silvester-Nacht – nicht nur in Köln, in vielen Städten gleichzeitig schlugen die muslimischen Invasoren zu. Ich habe diese Ficki-Ficki-Attacken am 11. Januar in einer Rede in Leipzig als ›flächendeckende Sex-Terror-Anschläge‹ bezeichnet. Rie-sen-auf-re-gung! Aber Ihr habt die kleinen Leute, die Arbeiter, die alleinerziehenden Mütter, die Familien, die Rentner allesamt verraten und verkauft. Und zwar an den Islam und an Euren Wahn von Multikulti und der Umvolkung Deutschlands.«

 

Zwischenfazit

Rassismus, völkische Geschlechterbilder und Nationalismus werden als ideologische Klammer verwendet, um mehrere Funktionen zu erfüllen: Erstens kann dadurch eine Abgrenzung nach innen und außen erfolgen, es wird deutlich, wer zum »gesunden Volkskörper« und »der Nation« dazu gehört und wer nicht. Dabei werden Bilder von »richtigen Männern« und »guten Müttern« als zugehörig gezeichnet, die für das Fortbestehen des (deutschen) Volkes verantwortlich sind. Zweitens legitimieren diese Aussagen den Protest und die Angriffe gegenüber Politiker_innen und gegenüber weiteren konstruierten Feindgruppen. Insbesondere das Bild des »deutschen Volkes« als vergewaltigte Opferfigur soll dabei Protest und »Widerstand« legitimieren. 

Nicht nur beim Bild des »deutschen Volkes« als »Vergewaltigungsopfer« der »Fremden« fallen Ähnlichkeiten und Parallelen zu rassifizierten Mythen und Bildern aus der Propaganda des Nationalsozialismus auf.

 

Äußere Feinde: Frauenrechte und der Mythos vom »übergriffigen Fremden«

Die Proteste von Pegida und ähnlichen Gruppierungen transportieren insbesondere antimuslimischen Rassismus. Dabei können sie an eine Geschichte des Rassismus anknüpfen, der »nichtwestliche« Eigenschaften »anderen Kulturen« zuschreibt. Neben dem »edlen Wilden« und dem
»sportlichen Schwarzen« ist die Geschichte durchzogen von Bildern von extrem potenten, sexuell ungezügelten, sich nicht kontrollierenden Schwarzen oder »orientalischen« Männern, die angeblich eine Gefahr für weiße Frauen darstellen. Die bürgerlich-aufklärerischen und christlichen Sexualitätsdiskurse der Enthaltsamkeit und Zurückhaltung, die Tabuisierung fanden hier ihr »wildes« und vor allem »nicht-zivilisiertes« und damit »gefährliches« Gegenüber. Diese Bilder finden sich auch in der Gegenwart unreflektiert als kulturelles Gedächtnis und werden von weiten Teilen der Bevölkerung – wenn auch zum Teil unbewusst – geteilt und »gewusst«. Sie werden heute aktualisiert und ergänzt durch Stereotype, denen zufolge vor allem »die anderen«, nichtwestlichen Kulturen frauenunterdrückend und sexistisch seien.

Der Mythos vom übergriffigen Fremden taucht bei nahezu allen flüchtlingsfeindlichen Protesten auf. Schon vor den zahlreichen sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015/16 in Köln ist er präsent. Danach wird er zu dem zentralen Feindbild und beeinflusst die Migrationsdebatte in den Medien. So spricht Tatjana Festerling nach Köln von einem »flächendeckenden Terroranschlag auf blonde, weiße, deutsche Frauen« durch »afro-arabische Sexterroristen«. Auch Melanie Dittmer äußert sich in Bezug auf die Ereignisse in Köln: »denn das, was die islamischen Flüchtlinge anrichten, das hat man ja in Köln gesehen, da waren tausend Männer auf der Domplatte und es passierten über tausend Straftaten, da sieht man doch was diese Menschen für ein Frauenbild haben, darum sag ich auch nie wieder Köln« und bezeichnet die mutmaßlichen Täter in diesem Zusammenhang als »Ficklinge«.

Grundsätzlich werden – bei Festerling und anderen Rednerinnen – Frauenrechte nur im Kontext rassistischer Argumentationen thematisiert. Geflüchtete Männer werden als sexuell übergriffig, unzivilisiert und triebgesteuert dargestellt, vor denen »weiße«, »deutsche« Frauen zu schützen seien – Festerling: »Täglich müssen wir in den Nachrichten von Vergewaltigungen durch muslimische Asylforderer lesen. Dabei ist das nichts Neues, schon immer haben Siegermächte durch Massen-Vergewaltigungen versucht, das unterlegene Volk zu brechen. (...) Vergewaltigungen demütigen die Frauen, doch man demütigt und entwürdigt auch die Männer, die ihre Frauen nicht schützen können.« Sexualisierte Gewalt wird hierbei sowohl mit dem Status als Geflüchteter als auch mit »dem Islam« in einen Kontext gestellt. Zusätzlich werden muslimische Männer als Siegermacht dargestellt, weil sie mit dem Ziel, den Islam in die Gesellschaft zu tragen, nach Deutschland gekommen seien. Die eigene Gruppe (»Wir Deutschen«) wird durch die rassistischen Fremdzuschreibungen nach innen gestärkt, der eigene Sexismus innerhalb der Gruppe verschleiert und externalisiert, indem er auf männliche Geflüchtete projiziert wird. Margarete Jäger nennt diese Strategie »Ethnisierung von Sexismus«.

 

Innere Feinde: Sexualaufklärung und Gender Mainstreaming

Neben Rassismus und dem Feindbild »Islam« sind Gender Mainstreaming und Aufklärung über sexuelle Vielfalt als weitere Feindbilder von großer Relevanz – weil sie die Teilnehmer_innen trotz anderer Differenzen zusammen halten, gut für die Außenwirkung nutzbar sind und neue
Menschen für Proteste und Ideologie gewinnen. Politische Strategien zur Gleichstellung der Geschlechter wie Gender Mainstreaming werden als »Genderismus« diffamiert. Es wird behauptet, hiermit werde die plurale, bunte Gesellschaft »verweiblicht« bzw. »entmännlicht«: So spricht
sich Pegida in ihrem Positionspapier unter Punkt 17 gegen dieses »wahnwitzige Gender Mainstreaming« und »Genderisierung« aus. Ähnliche Positionen lassen sich bei der NPD und dem Ring Nationaler Frauen sowie der AfD und der Identitären Bewegung finden. In den sogenannten
»Dresdner Thesen« werden »Stopp (...) der Islamisierung, Genderisierung und Frühsexualisierung« mit dem »Erhalt der sexuellen Selbstbestimmung« in einem Atemzug genannt. Gleichzeitig wird »dem Islam« bzw. ausgemachten männlichen Vertretern besonders stark vorgeworfen, per se frauenfeindlich zu sein, rückwärtsgewandt, unbelehrbar, homofeindlich, sexistisch und schließlich autoritär und undemokratisch.

Wie wird letztlich der Widerspruch aufgelöst, dass Pegida auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nach den Übergriffen in Köln verweist und sich damit feministischer Begriffe, Forderungen und Erfolge bedient und gleichzeitig antifeministische, reaktionäre Hassrede betreibt? Grundsätzlich gilt: In populistischen Bewegungen werden Widersprüche als solche oft nicht aufgelöst, Behauptungen stehen ohne inhaltliche Füllung und übergreifende Analyse im Raum. In diesem Falle wird davon ausgegangen, dass sich in der Gesellschaft in Deutschland die Gleichstellung und Emanzipation von Frauen bereits so weit erfolgreich vollzogen habe, dass es keiner weiteren Schritte bedarf. Dies wird zudem für ein Bedrohungsszenario genutzt: Es wird behauptet, dass weitere Gleichstellungs-Maßnahmen in ihr Gegenteil umschlagen würden. Hier lässt sich erkennen, dass Bezüge auf »Selbstbestimmung« eher eine Instrumentalisierung von feministischen Forderungen sind, mit denen äußere Feinde konstruiert und diskreditiert werden. Nach innen wird das von rechtspopulistischen Bewegungen präferierte Gesellschaftsmodell mit diesen Argumenten bestärkt, das mit einer rückschrittlichen bis völkisch-reaktionären Geschlechterpolitik einhergeht.

Diese Positionen werden bei verschiedenen Rednerinnen deutlich: Tatjana Festerling bezeichnet Konzepte wie Gender Mainstreaming und Antidiskriminierungspolitik, die Aufklärung über sexuelle Vielfalt und alternative Lebensentwürfe als »Umerziehung« und diffamiert Befürworter_innen der Gleichstellungspolitik als »verkorkste Gendertanten«, die mit ihrem »überzogenen Sexualscheiß unsere Kinder traumatisieren und frühsexualisieren« wollen. Außerdem sieht sie traditionelle Geschlechterrollen und die Entwicklung von Kindern in Gefahr.
Diese Bedrohungsszenarien beinhalten immer vergeschlechtlichte und rassistische Bilder: »Wo waren eigentlich die deutschen Männer, auf der Domplatte und all den anderen Plätzen, in der Silvesternacht, als die Ficki-Ficki-Refugees die deutschen Frauen wie Freiwild angriffen? Ganz einfach: Sie waren nicht da. Eins unserer Hauptprobleme hier im Land sind nämlich die Frauen, die unsere Männer entmannt haben, sind diese speziellen Frauen von der Leyen, Merkel, Schwesig, Roth, Göring-Eckardt, Nahles, Künast. [»Ekel!«-Ruf aus dem Publikum] Sie sind es, die den völlig überzogenen und ideologisierten Feminismus und die Umerziehung durch Gender Mainstreaming vorantreiben und alles immer unter dem Deckmäntelchen der Gleichberechtigung und Gerechtigkeit.«

Frauen aus dem Politikbetrieb seien durch die Befürwortung und Umsetzung von Gleichstellungspolitik für die »Entmännlichung« und »Verweiblichung« der Männer verantwortlich. Festerling bezeichnet diese Frauen als »spezielle Frauen« und verdeutlicht mit ihrer Wortwahl, dass sie nicht die von ihr favorisierte Frauenrolle erfüllen und somit der von ihr propagierten Gesellschaft schaden. Und deshalb seien sie mit schuld an den Ereignissen in der Silvesternacht 2015/16.  Auch Melanie Dittmer spricht in ihren Redebeiträgen von »Frühsexualisierung« und hetzt gegen »krank[e] Gender- und Sexualisierungsinhalte«. Darüber hinaus sieht sie traditionelle Familienbilder bedroht und redet von einer drohenden Repression »ganz normale[r] Familien«. Bedroht sei das traditionelle, heterosexistische Familienbild insbesondere durch die Aufklärung über sexuelle Vielfalt und geschlechtliche Identitäten an Schulen. Festerling spricht in diesem Zusammenhang vom »Terror der schwulen, lesbischen, queeren, intersexuellen Minderheit«63 und bringt damit ihre homo- und interfeindlichen Positionen zum Ausdruck. Alternative Lebensformen und gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden nicht als Familie und als gleichwertig anerkannt und akzeptiert. Sie ist der Überzeugung, dass durch Sexualaufklärung und Antidiskriminierungspolitik die vermeintlich natürlichen Geschlechterrollen von Mann und Frau eingeebnet werden, um einen »neutralen Menschen« zu erschaffen. Als »neutral« bezeichnet sie diejenigen Personen, die sich als Trans* beschreiben oder sich keiner Geschlechtsidentität zuordnen möchten – neben Homo- und Interfeindlichkeit werden hier trans*feindliche Einstellungen deutlich. Das frühere rechtsextreme Angst-Szenario »Geschlechterkampf« wird in aktuellen Debatten abgelöst vom Angst-Szenario »Umerziehung & Sexualisierung«, wie Sebastian Scheele beobachtet, womit sich eine Verschiebung vom männerzentrierten Antifeminismus hin zum familienzentrierten Antifeminismus vollzieht.65 Während ersterer biologistische, essentialistische Vorstellungen insbesondere von Männlichkeit vertritt, ermöglicht der zweite Verknüpfungsmöglichkeiten mit solchen Vorstellungen von Weiblichkeit und enthält zusätzlich eine bevölkerungspolitische Ebene wie aus rechtsextremen Kontexten bekannt: Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kind, wird an die Stärke der Nation oder der »Volksgemeinschaft« gebunden. Damit ermöglicht der familienzentrierte Antifeminismus Verbindungen zu rassistischen und völkischen Vorstellungen vom vermeintlich »drohenden Volkstod«, aber auch zu Sarrazins »Deutschland schafft sich ab«, zur christlich-fundamentalistischen Rede von der »Kultur des Todes« bis hin zur AfD-Programmatik von der Familie als »Keimzelle der Nation«.

 

Geschlechtliche Attraktivitätsmomente und Inszenierungen

Warum und wie ist Pegida nun für Männer und Frauen unterschiedlich attraktiv? Pegida Dresden wird zu 75% von Männern dominiert, die eher älter sind. Zwar handelt es sich um ein Auftreten im öffentlichen Raum und damit in einer männlich konnotierten Sphäre, doch bei anderen Demonstrationsbefragungen ist die Geschlechterverteilung wesentlich ausgeglichener. Was macht Pegida für Männer so attraktiv? Robert Claus beschreibt für das Spektrum der rechtsextremen HoGeSa, dass Männer sich hier als Beschützer fühlen können – als Beschützer angeblicher deutscher Unschuld. Die Konstruktion wird mit vermeintlich bedrohten blonden Frauen und Kindern bebildert. In der stilisierten Rolle als Beschützer kann Männlichkeit inszeniert und die eigene Gewalt als Notwehr legitimiert werden. Robert Claus bezeichnet HoGeSa deshalb auch als patriarchale und rassistische Mobilisierung. Attraktiv wird diese Politik auch durch die versprochene Rückgewinnung von Männlichkeit (vgl. btn).

Demonstration und Rückgewinnung von hegemonialen Praxen von Männlichkeit stellen wahrscheinlich auch für andere männliche Teile der Bewegung eine zentrale Motivation dar. Die Demonstrationen sind der Ort, wo sich diese Ideen ausleben lassen: Das »Deutsch-Sein«, aber auch Männlichkeitsvorstellungen wie Durchsetzungskraft, (Laut-)Stärke, Mächtigkeit und Wehrhaftigkeit in Gruppen. Durch die Erzählung, im »Widerstand« zu sein, wird potentielle Gewalttätigkeit legitimiert. Das legen Bezüge zu Forschungen aus dem angelsächsischen Raum, zu den »angry white men«, nahe.78 Diese haben angesichts prekärer Arbeitsverhältnisse und vielfältigerer Familienmodelle Angst, auch ihre traditionellen männlichen Privilegien zu verlieren, fühlen sich gekränkt und enteignet. Die Antwort ist, deshalb umso mehr Herrschaftsansprüche einzufordern. 

Gerade Pegida ist ein geeigneter Rahmen, um Teilnehmende mit männlicher Deutungsmacht und Vorherrschafts-Ideen auszustatten.79 Gewalt wird in diesem Umfeld als männlich definiert. Doch auch die Frauen haben klare und wichtige Aufgabenbereiche. Sie leisten weitgehend unsichtbare Struktur- und Unterstützungsarbeit etwa in Sozialen Medien, organisieren Netzwerke, unterstützen die Veranstaltungsorganisation und sind bisweilen Anmelderinnen der Demonstrationen. Sie gehen selbst zu den Demonstrationen, mit Partner oder ohne, und geben ihnen damit ein scheinbar bürgerlicheres, friedlicheres Gesicht. Einige organisieren sich in Frauen-Gruppen, die mitunter eigenständige Aktionen durchführten.

Frauen treten aber auch als Rednerinnen auf und erfahren dabei vielfach Anerkennung. Sie stellen sich – gemäß dem Frauenbild der Bewegung – vor allem als um die »Zukunft ihrer Kinder« »besorgte Mütter« dar, eine Inszenierung, die sie als glaubwürdig und nicht vordergründig politisch motiviert erscheinen lassen soll. Die positive Besetzung der Mutterrolle erlaubt darüber hinaus eine Abgrenzung »wahrer« Mütterlichkeit von der »falschen« Mütterlichkeit Merkels, zum Beispiel wenn »Alicja von Pegida in Polen« ausführt: »ich sage absichtlich nicht Mutti Merkel, das wäre eine Beleidigung für alle Frauen, die ein Kind auf die Welt gebracht haben«. Auch jüngere Frauen setzen auf die altbekannte rechtsextreme Normalisierungsstrategie und inszenieren sich als »normale« und damit »unpolitische« »Mädels« oder Frauen. Dementsprechend stellt sich Julia S., die öffentlich auch als »Sachsen-Mädel« auftritt, so vor: »Ich bin die Julia, komme aus Meerane, 24 Jahre alt, ich gehöre keiner Gesinnung, Organisation oder Partei an. Ich bin eine normale Bürgerin wie ihr, die einfach nur die Schnauze voll hat, weiterhin zu schweigen«. Auch Conny A. setzt auf diese Karte: »ich bin weder Mitglied einer bestimmten Partei noch gehöre ich irgendeiner Organisation an. Ich bin eine normale arbeitende, steuerzahlende Bürgerin«. Entgegen dieser Darstellung weisen Recherchen beide als dem Neonazi-Spektrum zugehörig aus.

Frauen setzen in ihren Reden häufig auf eine alltagstaugliche und lebensweltliche Ausmalung der Feindbilder, z.B. in Erzählungen über Gehörtes. Beispielsweise erzählen sie Märchen, wie »Bobina aus Tschechien« über »Peggy, die deutsche Schäferhündin« und »Angie von der Rasse
Schaffen wir« usw. Sie wollen als entpolitisiert wahrgenommen werden, um zugleich Hetze von großer Aggressivität verbreiten zu können. So führt »Helene aus Chemnitz« aus, dass ihre Kinder ungesund ernährt, manipuliert sowie von Ausländern bedroht würden, um dann die Teilnehmenden vor der »sunnitischen Fertilitätsrate« zu warnen und schließlich mit faschistischer Rhetorik zu enden: »Ich kämpfe für mein kleines Kind und für mein Land. Und ich werde kämpfen bis zum letzten Atemzug!«

Pegida macht also ganz klar geschlechtliche Angebote für Männer und Frauen: Für Männer bietet die Bewegung eine Rückversicherung und Aufwertung als »wehrhafter« »deutscher Mann«, der sich an traditionellen Werten orientiert; für Frauen ist es die Aufwertung als »deutsche Mutter«, die für die Absicherung »unseres Volkes« und die Familie zuständig sei. Diese Inszenierung ist nicht neu, sondern bereits seit Jahrzehnten in der Rechtsaußen-Szene beliebt – und sie ist vor allem eine Inszenierung. Birgit Rommelsbacher stellte bereits vor 25 Jahren fest: Das Herausstellen von Mütterlichkeit, Beziehungsorientierung und Empathie »schütz[t] Frauen nicht per se vor dominantem Verhalten. Je nach Situation können diese ›weiblichen‹ Kompetenzen im Dienst von Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt stehen.« Frauen sind eher geneigt, aus »weiblichen« Motiven Gewalt auszuüben. So etwa wenn sie »um ihrer Familie willen Flüchtlinge aus dem Wohngebiet jagen.« Das heißt: Wenn Frauen, entgegen der ihnen in der Szene zugeschriebenen Rolle, verbal oder körperlich Gewalt ausüben, können sie diese immer mit dem »Schutz der Familie« begründen. Andererseits müssen sie damit leben, dass sie zwar vor der Frauenfeindlichkeit der als »anderen« Markierten geschützt werden, nicht aber vor dem Sexismus der eigenen Bewegung – den sie allerdings oft selbst stützen.

Gemeinschaft stiften – nationalistisch und frauenfeindlich

Bei Pegida und ähnlichen rechtspopulistischen Bewegungen wird eine »völkisch-deutsche« Gemeinschaft gestiftet, die sich von einem feindlichen Außen, aber auch gegen innere Feinde abgrenzt. Basis dieser Gemeinschaft sind zuallererst Nationalismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit sowie Homo-, Inter- und Trans*feindlichkeit. Frauen beteiligen sich aktiv an sexistischen Agitationen und bringen diese zusammen mit rassistischen Positionen ein. Das schließt einen instrumentellen Umgang mit Frauenrechten ausdrücklich ein. Im Vordergrund steht die Absicht, für das hier bevorzugte Gesellschaftsbild zu agitieren, was eben auch Hassrede, Abwertung, Gewaltszenarien, Verschwörungsideologien, Behauptungen etc. einschließt. 

Nicht zu unterschätzen ist außerdem das Gruppenerlebnis, das Pegida bietet. Auffällig ist etwa, wie Redner_innen minutenlang begrüßt werden und diese Form der Zuwendung und Aufmerksamkeit auf der Bühne einsetzen. Männer wie Frauen auf der Bühne freuen sich auffällig lang am Applaus. Dafür inszenieren die Redner_innen stets Hass-Sprechchöre zum Mitmachen für alle, oft minutenlang (»Merkel muss weg«, »abtreten«, »Volksverräter«, »Wir sind das Volk«, »abschieben«). Die Publikumsreaktionen sind ein Hinweis darauf, dass der aktive Teil die Inhalte der Reden aufmerksam zur Kenntnis nimmt und durchaus wegen deren menschenfeindlichen Gehalts zu Pegida und ihren Ablegern kommt. Genutzt werden frauenfeindliche und rassistische Bilder, aber auch schlichte Destruktivität (Meckerei, Unsachlichkeit, Spaß an drastischen, Gewalt nahelegenden Formulierungen), Verrohung der Sprache (sexualisierend-abwertende Bilder, Fäkalien-Sprache, Beschimpfungen, Bedrohungen, Behauptungen, Verlassen des Dialogischen). Zum Gemeinschaftserlebnis gehören ebenso das kollektive Singen der Hymne oder die leuchtenden Handys, die allen Teilnehmenden eine Rolle geben und eine Motivation, weiter dabei zu sein.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Peggy war da! Gender und Social Media als Kitt rechtspopulistischer Bewegungen" der Amadeu Antonio Stiftung. 

 

 

Für ein Print-Exemplar wenden Sie sich bitte an info@amadeu-antonio-stiftung.de

 

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