Menschenverachtende Phänomene im Social Web: Falschmeldungen und Gerüchte

Im Jahr 2015 sowie zu Beginn des Jahres 2016 zirkulierten vermehrt Falschmeldungen über Gewalt und Kriminalität von Flüchtlingen sowie über exzessive Sozialleistungen, die diese erhalten würden. Dazu gehören skandalisierende und übertreibende Meldungen nicht seriöser Nachrichtenportale und Blogs, gefälschte Überschriften von seriösen Medien sowie schlichte Falschbehauptungen. Letztere erzeugen in sozialen Netzwerken häufig massive Reichweite. Ziel solcher Meldungen und Gerüchte ist die Aufrechterhaltung einer Drohkulisse, die Flüchtlinge als gefährlich, kriminell und in bevorzugter Position befindlich inszeniert. Als Nachrichtenmeldung verpackt sollen die entsprechenden Behauptungen seriöser und glaubhafter wirken. Gleichzeitig wird das Narrativ von Flüchtlingen als Gefahr für die Bevölkerung in einzelnen Schauergeschichten ausformuliert. Dadurch wirkt die herbeierzählte Gefahr weniger abstrakt und wird emotional konkreter erfahrbar. Die konkrete regionale Verortung der Gerüchte soll zudem eine direkte Bedrohung suggerieren.
 

Regionale Verbreitung

Populäre Beispiele für solche Falschmeldungen sind Vergewaltigungen, ungeahndete Diebstähle in Supermärkten und massive Ausgaben für teure Gebrauchsgegenstände. Einen Überblick zu Falschmeldungen und deren Verbreitung bietet das Projekt hoaxmap.org. Eine Auswertung der von Hoaxmap erhobenen Daten zeigt, dass für die Jahre 2015 und 2016 aktuell 337 Gerüchte über Geflüchtete im Netz verbreitet werden. Nach Bundesländern aufgeteilt finden sich die meisten Gerüchte in Bayern (78), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (66), Baden-Württemberg (47), Sachsen (32) und Thüringen (25). Als mögliche Erklärung für die Vielzahl der Falschmeldungen in Bayern wäre zu nennen, dass eine Vielzahl der Geflüchteten, die über die Balkanroute nach Deutschland kamen, zunächst über die bayerische Grenze einreisten. Nordrhein-Westfalen wie auch Baden-Württemberg und Bayern sind zudem die Bundesländer, die bundesweit die höchste Anzahl an Erstanträgen auf Asyl zu verzeichnen haben. In Sachsen und Thüringen haben sich in den vergangenen Jahren große islam- und asylfeindliche Bewegungen etabliert, die ihrerseits massiv an der digitalen Stimmungsmache beteiligt sind. Unter den Städten führen Dresden (9), Erfurt (8) und Heidelberg (6) die Rangliste an.

Drei Zäsurpunkte sind in der zahlenmäßigen Entwicklung der verbreiteten Gerüchte auszumachen. Im Sommer 2015 wuchs mit der Ankunft zahlreicher Flüchtlinge auch die Zahl der Gerüchte sprunghaft von nur 6 im Juli und August zu 28 Gerüchten im September und 43 im Oktober an. Während für Dezember 58 Gerüchte auf der Karte zu finden sind, waren es im Januar dann 90. Diese massive Steigerung im Januar 2016 ist vermutlich auf die Vorkommnisse während der Silvesternacht in Köln zurückzuführen. Im Anschluss an die Schließung der Balkanroute im März 2016 und die damit verbundene deutliche Verringerung der Zahl neu ankommender Geflüchteter sank die Zahl der Gerüchte von 44 im Februar auf zuletzt 19 im März.
 

Inhalte

Hoaxmap ordnet Falschmeldungen nach ihrem Inhalt unterschiedlichen Kategorien zu. Besonders häufig werden Geschichten über Raubüberfälle und Diebstähle (97) und sexualisierte Gewalt (87) verbreitet, gefolgt von Gerüchten über Körperverletzung sowie Mord und Totschlag (46) und Geld- und Sachleistungen (40). Einige Gerüchte halten sich hartnäckig und werden über Monate hinweg abgewandelt und lokalen Kontexten angepasst. In der Kategorie Raub und Diebstahl sind Gerüchte über Supermärkte, die wegen massiver Diebstähle schließen müssen, besonders populär. Ein erstes solches Gerücht wurde bereits im Februar 2015 im hessischen Neu-Isenburg verbreitet. Bis Mitte Februar 2016 sind bundesweit insgesamt 17 dieser Fälle zu verzeichnen.

Ein besonders bekannter Fall einer erfundenen Vergewaltigung ist die Meldung über eine vergewaltigte 13-Jährige aus Berlin-Marzahn, die mehrere Demonstrationen Russlanddeutscher – zum Teil Hand in Hand mit rechten Akteuren – zur Folge hatte und die deutschrussischen Beziehungen belastete. Besonders hartnäckig ist außerdem das Gerücht, dass Geflüchtete sich zu beliebigen Personen ins Auto setzen und verlangen, zu einem Ort ihrer Wahl, häufig eine Gemeinschaftsunterkunft, gefahren zu werden. Zum Teil soll laut der Schilderungen auch die Polizei eingeschaltet worden sein, die wahlweise zur Zahlung von zehn Euro rät, damit die ungebetenen Gäste aussteigen, oder die vermeintlich Geschädigten mit dem Streifenwagen bis zur Unterkunft begleitet, da sie keinerlei Handhabe hätte. 

Bisweilen enthalten die Gerüchte skurrile Schilderungen. So kolportierte man im thüringischen Hainspitz im November 2015, die Schwäne vom Dorfteich seien im Herbst nicht etwa wegen der üblichen Zugvogelbewegungen verschwunden, sondern wegen skrupelloser Flüchtlinge, die die Schwäne zu einer Mahlzeit verarbeitet hätten. Im bayerischen Prien hieß es, eine schwarze Frau hätte sich aus religiösen Gründen die Haare verlängern und flechten lassen, und das Landratsamt habe die Kosten in Höhe von 700 Euro übernommen.

 

 

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