Auch Frauen können rechtsextreme Täterinnen werden. In der öffentlichen Wahrnehmung und selbst vor Gericht werden rechtsextreme Frauen eher im Hintergrund wahrgenommen. Sie selbst inszenieren sich gerne als unpolitisch oder unbeteiligt. Beate Zschäpe ist dafür das beste Beispiel, wenn vor Gericht ihr Sekt-Konsum verhandelt wird, statt ihrer Beteiligung am NSU-Terror. Aktuelle Beispiele zeigen immer wieder, dass dieses Schema weiterhin greift. Ein Auszug aus der Broschüre „Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitismus“ der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus.
Von Rachel Spicker, Enrico Glaser, Alina Jugenheimer
Aus der bisherigen Forschung zu rechtsextremen Frauen ist bekannt, dass sie in der Regel weder als politisch aktiv wahr- und ernst genommen werden noch als Täterinnen. Dieser Gender-Bias wird in der Forschung seit Jahren unter dem »Phänomen der doppelten Unsichtbarkeit« verhandelt. Rechtsextreme Frauen nutzen weibliche Stereotype, um sich als kommunikative Nachbarin, Hausfrau, Mutter und/oder »Freundin von« als unpolitisch und unbeteiligt zu inszenieren: Gewalttaten können so nach außen getarnt und ermöglicht werden oder bei Ermittlungsbehörden und vor Gericht Täter*innen schützen. Die bisherige Forschung von Ulrich Overdieck zu Rechtsterroristinnen in der Geschichte der Bundesrepublik belegt: Frauen waren in rechtsterroristischen Gruppierungen ebenso wie ihre männlichen Gruppenmitglieder an der Organisation und Durchführung von Straftaten beteiligt.
Auch aktuellere Strafverfahren und Gerichtsprozesse zeigen eine Beteiligung von Frauen: Nahezu alle Gruppierungen planten oder verübten rechtsterroristische Taten, die durch Netzwerke oder durch rechtsextrem organisierte Strukturen ermöglicht wurden. Bei der Betrachtung dieser Prozesse spielt neben der verbreiteten Unsichtbarkeit rechtsextremer Frauen die gesellschaftliche Ausblendung rechten Terrors eine Rolle (s. »Was ist rechte Gewalt, was rechter Terror?«). Um eine differenzierte und geschlechterreflektierte Analyse der Prozesse zu ermöglichen, beschäftigen wir uns bei den Beispielen mit folgenden Aspekten:
■ Wie inszenieren sich die Frauen selbst vor Gericht? Welche Strategien nutzt die Verteidigung?
■ Wie bewertet die Polizei und die Staatsanwaltschaft bzw. Bundesanwaltschaft die Rolle von
weiblichen Gruppenmitgliedern bei der Planung und Umsetzung der Tat?
■ Werden sie als gleichberechtigte Mitglieder der Gruppen dargestellt, wahrgenommen und
verurteilt?
■ Wird das politische Tatmotiv – soweit vorliegend, erkenn- und rekonstruierbar – bei angeklagten
Frauen in der Verhandlung und Verurteilung berücksichtigt?
■ Wie wird in der regionalen Presse über die Frauen berichtet?
■ Welche Folgen haben die Prozesse für die Betroffenen und die örtliche Zivilgesellschaft?
Nicht zuletzt die Morde des NSU haben gezeigt: Wenn rechtsterroristische Taten von staatlichen Behörden nicht ernst genommen werden und politische Tatmotive sowie rechtsextreme Netzwerke keine oder nur unzureichende Berücksichtigung finden, fühlen sich Betroffene im Stich gelassen; sie leiden an den physischen und psychischen Folgen der Taten und können das Vertrauen in demokratische Prozesse und rechtsstaatliche Strukturen verlieren. Das betrifft auch Menschen, die sich vor Ort zivilgesellschaftlich engagieren. Darüber hinaus kann die Missachtung eines politischen Tatmotivs vor Gericht dazu führen, dass rechtsextreme Gewalt und Terror entkontextualisiert und entpolitisiert und damit verharmlost werden. Rechtsextreme und rechtsterroristische Gruppierungen und Strukturen werden dadurch in ihren Aktivitäten bestärkt.
Insbesondere Frauen können sich ermutigt fühlen weiterzumachen, da sie als unpolitisch, nicht organisiert oder nicht als Täterinnen wahrgenommen und verhandelt werden. Ein demokratisches Miteinander bedeutet, rassistische und rechtsextreme Vorfälle und Straftaten zu benennen, sich mit den Betroffenen zu solidarisieren und sich mit einer klaren Haltung dagegen zu positionieren.
Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt (Landkreis Gotha)
In der Nacht vom 08. auf den 09. Februar 2014 hat eine Gruppe von bis zu 20 Neonazis mehr als zehn Menschen einer Kirmesgesellschaft in Ballstädt brutal überfallen und teils schwer verletzt. 14 Männer und eine Frau wurden vor dem Landgericht Erfurt wegen schwerem Hausfriedensbruch und gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung angeklagt. Am 24. Mai 2017 wurden zehn Angeklagte zu Haftstrafen verurteilt, vier Angeklagte erhielten Freisprüche.
Ariane S. ist die einzige Frau unter den Angeklagten. Sie ist Anfang 30, nicht vorbestraft und bewegt sich seit mindestens zehn Jahren im Umfeld der Arnstädter Neonazi-Szene rund um die »Kameradschaft Jonastal«. Laut Anklageschrift hat Ariane S. gemeinsam mit einem weiteren Angeklagten vor dem Gebäude, in dem die Feier stattfand, Wache gehalten. Zwei Minuten nach Beginn hat sie deutlich hörbar den Rückzug angeordnet. Nach dem Überfall soll sie einen der Mitangeklagten per Kurznachricht angewiesen haben, mit dem Auto wegzufahren. Auch im Weiteren nahm Ariane S. eine zentrale Rolle ein: Sie richtete ein Spendenkonto ein, um Gelder für Anwaltskosten und einen Neonazi-Treffpunkt zu sammeln.
In der medialen Berichterstattung findet Ariane S. keine nähere Berücksichtigung. Das Gericht verurteilte sie zu zwei Jahren und zwei Monaten ohne Bewährung. Alle Angeklagten haben Revision gegen das Urteil eingelegt. Laut Staatsanwaltschaft trägt S. die volle Mittäter*innenschaft, da sie den Übergriff mitkoordiniert und durchgeführt habe. Aus der Anklageschrift, dem Prozessverlauf und dem Urteil geht hervor: Die Ermittlungsbehörden und das Gericht verhandeln sie als gleichwertiges Mitglied der Gruppe, ihre Funktion für die Umsetzung der Tat und den Tatablauf erachten sie als ebenso wichtig wie bei anderen Angeklagten. Sieben Angeklagte erhalten eine Haftstrafe in vergleichbarer Höhe wie Ariane S.. Ihr Auftreten vor Gericht spricht dafür, sie als gleichwertiges Gruppenmitglied wahrzunehmen. Im Gegensatz zu ihren Mitangeklagten verzichtete sie auf Szenecodes und szenetypische Kleidung vor Gericht. Im Prozess selbst äußerte sie sich nicht, über ihre Verteidigerin entschuldigt sie sich dafür, dass Menschen »zu Schaden« gekommen seien. Eine weitere Frau im Umfeld der Gruppe, Christina H., wurde als Zeugin im Verfahren gehört. Sie soll gemeinsam mit einem Angeklagten den Tatort ausgekundschaftet haben. Bei ihrer Aussage gab Christina H. an, mit einem Angeklagten verlobt zu sein, um nicht aussagen zu müssen.
Die Urteile fielen härter aus, als von der Staatsanwaltschaft gefordert. Das rechtsextreme Tatmotiv wurde nicht berücksichtigt, es sei »keine Nazi-Tat« gewesen, so der Richter. Dabei weisen u.a. die Biografien, das Umfeld und die Vorstrafen der Angeklagten sowie die zur Schau gestellte Neonazi-Symbolik während des Prozesses und die Umstände der Tat und die Wahl des Tatortes darauf hin, dass die Tat politisch motiviert war. Die Tat diente der Einschüchterung und als Versuch, das zivilgesellschaftliche Engagement vor Ort zu erschweren.
Das Ausblenden eines politischen Tatmotivs vor Gericht hat fatale Konsequenzen für die Betroffenen und die lokale Zivilgesellschaft. Die Betroffenen fühlen sich nicht ernst genommen: Das Geschehene und ihre Aussagen werden infrage gestellt. Vor der Verhandlung und bis das Urteil rechtskräftig wird, müssen sich die Betroffenen vor möglichen Racheakten und weiteren Einschüchterungen fürchten. Ballstädt ist mittlerweile tief gespalten, zivilgesellschaftliches Engagement kaum noch möglich und existent. Fraglich bleibt auch, warum auf juristischer Ebene kein Verfahren nach §129a angestrebt wurde. Die Planmäßigkeit, die Brutalität und das Ausmaß des Überfalls, das Umfeld der Angeklagten und ihr Netzwerk sind deutliche Hinweise darauf, dass es sich hier um rechtsextremen Terror handelt.
Die Analyse basiert auf den Ergebnissen der Prozessbeobachtung, dem Monitoring des Prozesses durch ezra sowie einem Interview mit ezra, der Mobilen Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Türingen, vgl.:
ballstaedt2014.org.
Rassistische und rechtsextreme Anschlagsserie in Nauen (Landkreis Havelland)
2015 wurde Nauen von einer rassistischen und rechtsextremen Anschlagsserie erschüttert. Höhepunkt war der Brandanschlag auf eine Turnhalle am 25. August, die für die Unterbringung von Geflüchteten vorgesehen war. Zudem gab es einen Brandanschlag auf das Auto eines polnischen Staatsbürgers, die Sprengung eines Unterstandes an einem Supermarkt sowie Sachbeschädigungen am Büro der Partei »Die Linke«. Im November 2016 wurden sechs Neonazis wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB), Sachbeschädigung und schwerer Brandstiftung angeklagt. Der Hauptangeklagte NPD-Kommunalpolitiker Maik Schneider und der Angeklagte Tomas Frank E. sind wegen rechtsextremen Straftaten verurteilt und in
entsprechenden Strukturen organisiert.
Im Verlauf des Prozesses wurde die Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) zurückgenommen. Am 09. Februar 2017 wurde Maik Schneider wegen des Brandanschlages auf die Turnhalle zu acht Jahren Haft verurteilt, die fünf weiteren Angeklagten wurden zu sieben Jahren Freiheitsstrafe und acht Monaten bis zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Dabei sah das Gericht in der Urteilsverkündung eindeutig rassistische und rechtsextreme Motive und wertete den Anschlag als ein Zeichen gegen Geflüchtete und tiefe Missachtung der Rechtsordnung.
In diesem Prozess wurden keine weiblichen Angeklagten verurteilt. Dabei spielten mehrere Frauen im Umfeld von Maik Schneider und den Angeklagten eine Rolle. Carolin D., gegen die zunächst ebenfalls der Vorwurf im Raum gestanden hatte, Mitglied der kriminellen Vereinigung zu sein, belastete in ihrer polizeilichen Vernehmung Maik Schneider; sie wusste von Treffen und Inhalten der Gruppe. Vor Gericht gab sie an, sich nicht mehr genau zu erinnern, womöglich da sie im Vorfeld eingeschüchtert und bedroht wurde. Sie berichtete u.a. von Flyern mit antisemitischen Beleidigungen. Auf den Flyern ist ein Foto von ihr mit einem Davidstern auf der Stirn zu sehen. Die Freundin des Angeklagten Dennis W. wohnt gemeinsam mit ihm in der Wohnung, die als Ausgangs- und Fluchtpunkt bei dem Anschlag auf die Turnhalle diente. In dem Haus wurden die Autoreifen gelagert, die für den Brand benutzt wurden. Sie wurde ebenfalls als Zeugin im Prozess geladen und gab sich unwissend: Sie hätte von dem Verladen der Autoreifen nichts bemerkt, da sie geschlafen habe.
Gegen Frauke K., die zunächst mit dem Angeklagten Maik Schneider festgenommen wurde, wurde später ein gesondertes Verfahren wegen Beihilfe zur Brandstiftung eröffnet. Ihr wurde vorgeworfen, den Spiritus für die Brandstiftung an dem Auto mit polnischem Kennzeichen besorgt zu haben, welches dann von Dennis W. angezündet wurde. Sie gestand und bereute ihre Tat, betonte aber zugleich, dass sie Dennis W. nur flüchtig kenne und er sie überredet habe. Ebenfalls gab sie an, Schneider nicht näher zu kennen und nicht auf rassistischen Demonstrationen gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft betonte, dass es Frauke K. nicht um eine »Tat gegen Ausländer oder Asylbewerber« ging. Frauke K. wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und 200 gemeinnützigen Arbeitsstunden verurteilt.
Die Art und das Ausmaß der Anschlagsserie sowie das Vorgehen verdeutlichen, dass es sich hierbei um rechtsextremen Alltagsterror handelt. Eine besondere Rolle spielen lokale NeonaziNetzwerke: Neben den vorbestraften rechtsextremen Angeklagten wurden Tatbeteiligte wie Frauke K. durch rechtsextreme Personen und Strukturen politisiert und zu Anschlägen ermutigt. Das Beispiel Nauen zeigt: Rechtsterroristische Taten werden auch von Personen mitgetragen und verübt, die zuvor nicht politisch in Erscheinung getreten sind. Problematisch bleibt, dass Ermittlungsbehörden und Justiz die Taten der Männer als rassistisch motiviert eingestuft haben, die Tat von Frauke K. jedoch nicht.
Die Analyse basiert auf Interviews mit dem Aktionsbündnis Brandenburg und dem Mobilen Beratungsteam Brandenburg
sowie lokaler Medienberichterstattung.
Die Oldschool Society (OSS) – ein bundesweites rechtsextremes Terrornetzwerk
Zwischen 2014 und 2015 war die Gruppe Oldschool Society (OSS) in Deutschland aktiv. Sie plante u.a. Sprengstoffanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte – den NSU wollten sie dazu im Vergleich als »Kindergarten« dastehen lassen. Doch der Staatsschutz kam ihr zuvor: Vor einem zweiten Treffen der Gruppenmitglieder im Mai 2015 wurden Hausdurchsuchungen in fünf Bundesländern durchgeführt, die Ermittlungsbehörden nahmen vier mutmaßliche Mitglieder fest. Am 15. März 2017 wurden vier Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München wegen Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt: Andreas H. erhielt vier Jahre Haft, Markus W. fünf Jahre, Denise G. drei Jahre und 10 Monate und Olaf O. drei Jahre Haft.
Verschiedene Mitglieder der OSS nahmen 2014 und 2015 an Neonazi- und Hooligan-Aufmärschen in Dortmund und Köln teil, zwei von ihnen sollen der verbotenen Kameradschaft Aachener Land angehört haben. Die einzige Frau unter den vier Angeklagten, Denise G., ist in Freital aufgewachsen und wegen Körperverletzung vorbestraft. Sie fungierte in der Gruppe als Schriftführerin und warb laut Anklage für die Rekrutierung von »Fußsoldaten«. U.a. organisierte Denise G. illegale Sprengkörper aus Tschechien für einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Borna. Nach Informationen aus einem abgehörten Gespräch gab Denise G. zusätzlich Tipps zum Bau des Sprengsatzes. Das Gericht bewertete Denise G. ebenso wie die anderen Angeklagten als Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Es wurde anerkannt, dass sie zum inneren Kreis der Gruppe gehört habe. Dennoch waren während des Prozesses ihr Weltbild und ihre Einstellungen kein Tema. In ihrer eigenen Aussage vor Gericht beschrieb sie ihr Leben geprägt von Alkohol, Gewalt, Drogen und Suizidversuchen. In der medialen Berichterstattung wird Denise G. als Täterin und Mitglied der Gruppe benannt. In einigen Presseberichten gilt sie als die »Freundin von« oder »Lebensgefährtin von« Markus W.
Das Gericht bewertete die Gruppe als Gefahr für potenziell Betroffene und für die Sicherheit Deutschlands und ordnete sie als rechtsterroristische Gruppierung ein. Auch das rassistische Tatmotiv wurde während des Prozesses und bei der Verurteilung thematisiert. Dennoch erscheint der vorliegende bundesweit organisierte Rechtsextremismus als Randphänomen. Problematisch ist, dass dadurch die Gewalttätigkeit, die Brutalität, die Planmäßigkeit und die fest verankerten rassistischen und rechtsextremen Weltbilder der Angeklagten verharmlost werden. Darüber hinaus ist klar: Ein Teil der Gruppe ist weiterhin als »Odins Germanische Familie« gemeinsam aktiv.
Weitere Urteile stehen noch aus, so gegen zwei Männer, die seit Mai 2017 wegen Mitgliedschaft in der OSS angeklagt sind.
Die Analyse basiert auf einem Interview mit der antifaschistischen informations- dokumentations- und archivstelle münchen
e.V. (a.i.d.a e.V.) sowie deren Prozessbeobachtung und lokaler und überregionaler Medienberichterstattung.
Rassistischer Brandanschlag in Salzhemmendorf (Landkreis Hameln-Pyrmont)
Am 28. August 2015 schleuderte Dennis L. einen Molotowcocktail gezielt in eine Geflüchtetenunterkunft in Salzhemmendorf. Der Brandsatz wurde in eine Wohnung geworfen, in der eine Familie aus Simbabwe untergebracht war. Nur durch Zufall überlebte der 11-jährige Sohn. Dennis L. wurde gemeinsam mit Sascha D. und Saskia B. wegen schwerer Brandstiftung und versuchten Mordes vor dem Landgericht Hannover angeklagt. Am 17. März 2016 werden Dennis L. zu acht Jahren, Sascha D. zu sieben Jahren und Saskia B. zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Zeug*innen bestätigten das rechtsextreme Weltbild von Dennis L. und Sascha D., es werden auch Kontakte zu organisierten Neonazi-Strukturen deutlich. Am Tatabend trafen sich die späteren Angeklagten. Dennis L. und Sascha D. bauten den Sprengsatz und tranken Alkohol. Saskia B. blieb nüchtern, um später Auto fahren zu können. Saskia B. wurde hinsichtlich ihres politischen Tatmotivs gegenüber den männlichen Angeklagten
als gleichberechtigte Täterin gesehen. Ihr Urteil fiel etwas härter aus, als von der
Staatsanwaltschaft gefordert. Der Richter begründete das damit, dass Saskia B. Kenntnis von der Wirkung eines Brandsatzes gehabt habe und ebenso ein rechtsextremes und rassistisches Weltbild vertrete, wie u.a. WhatsApp-Chats belegen. Vor Gericht beschrieb Saskia B. sich als unpolitische und ängstliche Person, sie betonte mehrfach ihre Rolle als Mutter. In der Presse wird Saskia B. u.a. als »Mittäterin« beschrieben – die beiden männlichen Täter als »Haupttäter«. Eine Ermittlung und Verurteilung nach §129a wurde jedoch nicht veranlasst. Fraglich bleibt, warum Saskia B. eine geringere Haftstrafe erhalten hat als die männlichen Täter. Die Brutalität, das Wissen um den Umgang mit explosivem Material und die Planmäßigkeit kennzeichnen
die Tat als rechtsextremen Alltagsterror. Teilweise sind die Angeklagten in Neonazi-Strukturen organisiert und konnten sich auf ein unterstützendes Netzwerk berufen.
Die Schwere der gemeinsamen Tat zeigt sich nicht zuletzt auch in den Folgen für die Betroffenen: Die vierköpfige Familie ist seit dem Übergriff schwer traumatisiert. Der Prozess stellt in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit dar. Nur bei wenigen Brandanschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte kommt es zu einer Anklage, noch seltener wird hier wegen versuchten Mordes ermittelt. Auch spielte die politische Einstellung und das Umfeld der Angeklagten im Verfahren eine ungewohnt deutliche Rolle. Der Richter fragte nach dem rechtsextremen Umfeld und Hintergründen der Angeklagten und räumte der Nebenklage Zeit für diese Fragstellungen ein. Darüber hinaus wurden vor Gericht die psychischen Folgen für die Betroffenen ausführlich thematisiert. Das alles ist es ein deutliches Signal an Politik und Gesellschaft: Rassistisch und rechtsextrem motivierte Taten sind mit einem demokratischen System nicht vereinbar.
Der vorliegende Text bezieht sich insbesondere auf Schönes, K.; Sperling, M. (2016): Rassistische Brandstifter*innen vor Gericht. Prozessbeobachtungsgruppe »Rassismus und Justiz«, https://bit.ly/2GarYXJ; Rafael, S. (2016): Salzhemmendorf:
Harte Strafen für den Brandanschlag menschenverachtender Rassist*innen, BTN
Rechtsextreme Anschlagsserie der »Gruppe Freital«
Am 7. März 2017 begann der Prozess gegen die rechtsextreme »Gruppe Freital« vor dem Oberlandesgericht in Dresden. Acht Personen, darunter eine Frau, sind u.a. wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchten Mordes in vier Fällen und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Die Gruppe wird beschuldigt, für mehrere Anschläge im Jahr 2015 verantwortlich zu sein, darunter Anschläge auf das Auto und das Büro eines Lokalpolitikers der Partei »Die Linke«, ein Angriff auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden sowie mehrere Anschläge auf Wohnungen von Geflüchteten. Für die Anschläge sollen die Angeklagten eine Vielzahl an pyrotechnischen Sprengkörpern aus Tschechien organisiert haben. Ab September 2015 sollen sie sich mit dem Bau von Rohrbomben beschäftigt haben. Die »Gruppe Freital« war mit der aktuell vor Gericht stehenden Gruppe »Freie Kräfte Dresden« vernetzt und agierte teilweise gemeinsam mit dieser.
Anlass zur Gründung der Gruppe im April 2015 als sogenannte »Bürgerwehr FTL/360« waren mutmaßliche sexuelle Belästigungen Minderjähriger durch Asylsuchende in einer Buslinie. Die Debatte in den sozialen Medien wurde zu diesem Zeitpunkt bereits durch rassistische Äußerungen und menschenverachtenden Hass bis hin zu Mord- und Vernichtungsfantasien bestimmt. Die selbst ernannte Bürgerwehr rief ab Mai 2015 dazu auf, mittels »Kontrollfahrten« in den Bussen »für Ordnung und Sicherheit zu sorgen«.
Im Prozess wurde deutlich, dass es in der »Gruppe Freital« eine klare Aufgabenverteilung bei Planung, Vorbereitung und Tatbegehung gab. Bei den Planungen der Gruppe sollen alle Mitglieder beteiligt gewesen sein. Zentrale Führungspositionen sollen Timo S. und Patrick F. eingenommen haben. Maria K., die einzige Frau auf der Anklagebank, ist bisher nicht vorbestraft. Seit dem 19. April 2016 sitzt sie in Untersuchungshaft. Maria K. nahm von Beginn an regelmäßig an den Planungstreffen der Gruppe teil, bei mehreren Anschlägen war sie involviert. Bei dem Überfall auf ein Dresdner Wohnprojekt brachte sie einen Baseballschläger mit und stellte ein Fluchtfahrzeug. Bei dem Anschlag auf das Auto des Politikers der DIE LINKE soll sie die Polizeiwache beobachtet haben, um die Flucht zu ermöglichen.
Vor Gericht wurde sie als gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe angesehen. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung wurde Pyrotechnik sichergestellt. Bei Verabredungen der Gruppe zu Demonstrationen koordinierte Maria K. Im Prozess schwieg Maria K. und machte nur Angaben zu ihrem Werdegang. Während der Verhandlung gab sie sich amüsiert und zeigte keine Reue. Ihr Anwalt versuchte sie als »geläuterte Person« darzustellen, er bestritt ihre rechtsextreme Tatmotivation: Der türkische Name ihres Hundes sowie ihre Homosexualität zeige, dass keine rechtsextreme Einstellung vorliegen könne.
Auch weitere Frauen waren in der Gruppe sowie in deren Umfeld aktiv: Gegen Mirjam K. und Stefanie F. wird in einem Folgeverfahren wegen Verdachts auf Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung ermittelt. Mit Katja K. nimmt eine rechtsextreme Aktivistin regelmäßig als Zuschauerin an den Prozessen teil. Sie gibt Ratschläge in der Kommunikation mit Anwälten und zu Post und Besuchen. Wenn lediglich Maria K. vor Gericht steht, ist das ein Hinweis darauf, dass koordinierende, unterstützende wie Kontakt haltende Aufgaben von Frauen und somit das geschlechtlich arbeitsteilige Vorgehen immer noch zu wenig beachtet werden. Eine rechtsextreme Tatmotivation wird bei allen Angeklagten – auch bei Maria K. – nicht infrage gestellt. Diese wird durch eigene Aussagen, Beweismittel bei Hausdurchsuchungen sowie Chatprotokolle deutlich. Auch gab es Kontakte zur NPD. Alle acht Angeklagten wurden im März 2018 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt, sechs wegen versuchten Mordes und zwei, darunter Maria K. wegen Beihilfe zum versuchten Mord. Die Angeklagten müssen zwischen 4 und 10 Jahren ins Gefängnis, Maria K. für fünf Jahre und sechs Monate. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten Angst und Schrecken sowie den Tod von Flüchtlingen und politisch Andersdenkenden in Kauf nahmen.
Die Auswirkungen der Taten auf die Betroffenen und ihr Umfeld waren und sind massiv. Die Zeug*innen berichten von einem Rückzug aus der Öffentlichkeit. Die betroffenen Geflüchteten schilderten im Prozess eindrücklich das rassistische Klima und berichteten, bereits vor den Anschlägen Angriffen und Beschimpfungen ausgesetzt gewesen zu sein. Sobald es möglich war, sind sie aus Freital weggezogen. Der Lokalpolitiker Michael Richter ist aus Freital weggezogen, da die Bedrohungen anhielten.
Am Beispiel der »Gruppe Freital« zeigt sich, wie sich unterschiedliche Spektren der Proteste gegen die Erstaufnahmeeinrichtung und eine aggressive mediale Debatte wechselseitig bestärken und zu einer Radikalisierung führen. Mitglieder der Gruppe engagierten sich in unterschiedlichen asylfeindlichen, rassistischen Initiativen und beteiligten sich an den Protesten, die immer wieder in Angriffen gipfelten. Währenddessen war das politische Klima in Freital von verweigerter Auseinandersetzung mit und Verdrängung der Taten gekennzeichnet.
Das äußert sich bspw. darin, dass der Freitaler Oberbürgermeister Rumberg keine Probleme mit Neonazi-Strukturen in seiner Stadt erkennen will oder Zeug*innen vor Gericht durch Aussagen auffallen, die den Angeklagten Verständnis entgegenbringen. Eine breite zivilgesellschaftliche solidarische Unterstützung mit den Betroffenen der unterschiedlichen Anschläge fehlt bis heute.
Der vorliegende Text bezieht sich auf die ausführliche Prozessbeobachtung der Opferberatung der RAA Sachsen e.V. sowie regionaler und überregionaler Berichterstattung, vgl. https://bit.ly/2uhKM1P
Frauen in rechtsterroristischen Prozessen – von 1980 bis heute
Die Fälle zeigen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zu Overdiecks Recherchen zu Rechtsterroristinnen in Deutschland nach 1945. Deutlich wird, dass sowohl Frauen aus damaligen rechtsterroristischen Gruppierungen, etwa den »Deutschen Aktionsgruppen« (DA) oder der »Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands« (VSBD), als auch aus heutigen Gruppierungen an Planung und Durchführung der Taten beteiligt waren und sind und dafür vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Haftstrafen werden verhängt, aber damals wie heute erhalten Frauen häufig geringere Haftstrafen als die beteiligten Männer. Dabei sind ihre Aufgaben genauso relevant für die Planung und Durchführung rechtsterroristischer Taten
wie die der männlichen Beteiligten. In einigen Fällen werden Frauen nur wegen Beihilfe angeklagt. Damals wie heute wird selten ein Verfahren nach §129a geführt und noch seltener werden Frauen deswegen verurteilt.
Unterschiede lassen sich anhand der medialen Darstellungen erkennen. Sexualisierende Beschreibungen und Pathologisierungen zählten zum gewohnten Repertoire der damaligen Berichterstattenden. Bagatellisierende und dämonisierende Darstellungen, die sich auf Äußerlichkeiten und private Lebensumstände beziehen, gab es bspw. über Zschäpe zu Beginn des NSU-Prozesses zur Genüge. In der Behandlung anderer aktueller Prozesse unterbleiben solche Darstellungen meist. Eine Ausnahme bildet der Prozess um die OSS, wo Medien ausführlich über die privaten Lebensumstände und Drogenprobleme der Angeklagten berichteten und ihre politisch motivierte Beteiligung an den Plänen dadurch in den Hintergrund rückte.
EIN AUSZUG AUS DER BROSCHÜRE:
Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der
„Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitismus“.
Hrsg.: Amadeu Antonio Stiftung
Berlin 2018
Als PDF zum Download hier:
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