Die gegenwärtigen flüchtlingsfeindlichen Proteste sind Teil der gestärkten extrem rechten Straßenpolitik im Land Brandenburg. Neonazis sind auf der Straße stärker als zuvor und „bürgerliche Asylkritiker“ radikalisieren sich. Hinzu kommt Mobilisierung und Hetze auf zahlreichen Facebookseiten. Eine Auswertung des Demonstrationsgeschehens im Jahr 2015 vom Aktionsbündnis Brandenburg.
Vom Aktionsbündnis Brandenburg
Ein Befund: Es fanden in Brandenburg insgesamt 105 extrem rechte und rassistische Aktionen statt, die eine Mindestteilnehmerzahl von 50 Personen hatten. Das ist eine Verzehnfachung gegenüber dem Vorjahr, als es noch überschaubare 10 Aktionen in dieser Größenordnung gab. Zählt man alle Aktionen des Jahrs 2015 zusammen, auch diejenigen mit geringerer Größe, dann kommt man auf eine Summe von 210 Aktionen im gesamten Bundesland. Insgesamt ergibt sich eine Teilnehmerzahl von 23.300 Menschen. Das Äquivalent im virtuellen Raum: Auf 72 Facebookseiten mit Brandenburgbezug, die insgesamt 78.000 „Likes“ aufweisen, wurde gegen Flüchtlinge gehetzt.
Viele der Gruppierungen, die Demonstrationen organisieren, geben sich überparteilich und bürgerlich, sind aber tatsächlich getragen von Neonazis. „Wo 'besorgte Bürger' drauf steht, steckt in Brandenburg sehr häufig organisierter Rechtsextremismus drin“, warnt Thomas Wisch,
Vorstandsvorsitzender des Aktionsbündnisses Brandenburg. Andere Gruppierungen sind indes dabei, sich zu radikalisieren. „Der Ton bei den flüchtlingsfeindlichen Protesten verschärft sich zusehends. Das schadet der demokratischen Kultur im Land“, so Wisch.
Die hier genannten Zahlen korrespondieren größtenteils mit der Antwort der Brandenburger Landesregierung auf eine Anfrage der Abgeordneten Andrea Johlige. Dort sind die Facebookseiten sowie einige Straßenaktionen nicht berücksichtigt, stellenweise werden leicht abweichende Teilnehmerzahlen angesetzt und Saalveranstaltungen mitgezählt.
Die ausführliche Auswertung als 5-seitiges PDF-Dokument:
Ein Auszug zur
Hetze auf Facebook-Seiten
Entscheidender Mobilisierungskanal für die flüchtlingsfeindlichen Straßenaktionen sind soziale Medien, in den allermeisten Fällen Facebook. Seit Ende 2014 haben sich zahlreiche Facebook-Seiten und -Diskussionsgruppen etabliert, die die Flüchtlingspolitik aufgreifen und entweder auf das ganze Bundesland oder auf Regionen oder Orte zugeschnitten sind. Polemische, auf rassistische Deutungsmuster zugespitzte Äußerungen zum Thema werden dort veröffentlicht und zeichnen ein Bild von einer durch Flüchtlinge ausgelösten und von der Politik zugelassenen oder gar gewollten Bedrohung für Deutschland. Innerhalb dieser Rahmung erfolgt der Aufruf an das Publikum, durch „Likes“, virtuelle Sympathiebekundungen, durch Weiterverbreitung („teilen“) und durch die Teilnahme an Straßenaktionen selbst aktiv zu werden. Oft werden in den Kommentaren die Grenzen des Strafrechts erreicht oder überschritten.
Insgesamt existierten am Jahresende 72 Facebook-Seiten solcher Couleur, die einen Brandenburg-Bezug aufwiesen. 12 davon waren auf das gesamte Bundesland ausgerichtet (beispielsweise „Brandenburg wehrt sich“), die Mehrzahl waren Spezialangebote für einzelne Regionen („Bürgerbündnis Havelland“) oder Orte („Nein zum Heim Zehdenick“). Zusammengenommen verzeichneten die Seiten Ende 2015 78.000 „Likes“. Diese Zahl ist im Jahresverlauf kontinuierlich angestiegen. Im Januar 2015 lag der Wert bei 36.500, im Juni bei 51.500. 3 Angesichts von zweieinhalb Millionen EinwohnerInnen in Brandenburg zeigen sowohl die 23.100 Demoteilnahmen als auch die 78.000 Facebook-„Likes“, dass in Brandenburg keineswegs „das Volk“ entsprechende Positionen vertritt, wie die OrganisatorInnen vielfach behaupten. Vielmehr artikuliert sich eine kleine, aber lautstarke Minderheit, die sich sowohl aus Rechtsextremen zusammensetzt als auch aus dafür offenen Menschen, die sich durch Politik und Medien nicht mehr repräsentiert und informiert fühlen. Allerdings wächst der gesellschaftliche Resonanzraum für die dort artikulierten Positionen. In den Facebook-Präsenzen spiegelt sich die Verteilung der Demonstrationen im ganzen Bundesland: Spezialisierte Angebote finden sich für fast alle Regionen. Dennoch gibt es Schwerpunkte, oft in Verbindung stehend mit einem besonders ausgeprägten Demonstrationsgeschehen. Im Havelland, wo 2015 die meisten Straßenaktionen stattfanden, sind auch die meisten „Likes“ bei entsprechenden Facebook-Präsenzen zu finden. Und umgekehrt – in Potsdam und im Barnim wurde kaum demonstriert und dort gab es 2015 auch keine relevanten einschlägigen Facebook-Seiten.
Mehr im Internet:
Für das Land Berlin hat indes das „Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum“ (Apabiz) eine ähnliche Auswertung erstellt. Die Brandenburger und die Berliner Daten sind auf dem Onlineatlas
abgelegt und visualisiert.