Noch aktiv - wie hier im Internet, aber auf der Straße - ist Pegida München. Breitenwirksam sind die Islamfeinde allerdings nicht.
Screenshot Facebook 03.01.2017

Jahresrückblick 2016, Bayern: Tödliche "Reichsbürger"-Schüsse

Jedes Jahr zum Jahreswechsel ziehen wir mit Expert_innen und Kooperationspartner_innen Bilanz: Was passierte im Bereich Rechtsextremismus im jeweiligen Bundesland? Welche Themen waren wichtig, welche Akteure und Akteurinnen? Heute: Bayern.
 

Von Thomas Witzgall, Endstation rechts Bayern

 

Was war ein beispielhaftes wichtiges Ereignis im Bereich Rechtsextremismus in Bayern?

Wie auch in vielen anderen Bundesländern gab es auch in Bayern kein wirklich einschneidendes Einzelereignis, das einem sofort in den Sinn käme, wie etwa ein Verbot oder ein Großaufmarsch.  Wichtigstes singuläres Ereignis waren vermutlich die tödlichen Schüsse eines „Reichsbürgers“ auf Polizisten im fränkischen Georgensgmünd. Die Motivlage des Münchner Amoklaufes am Jahrestag des Breivik-Massakers ist weiterhin unklar, das Ereignis als solches ist aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Der NSU-Prozess nähert sich dem Ende der Beweisaufnahme, für die größten Schlagzeilen sorgten 2016 die mögliche Verbindung zum Mordfall Peggy Knobloch, deren Leiche 2016 gefunden wurde. Seit diesem Jahr muss sich auch die „Old School Society“ vor Gericht verantworten, das Verbot der Weiße Wölfe Terrorcrew verlief in Bayern eher unspektakulär, weil sich die bayerischen Unterstützer schon seit der Razzia gegen die „Bamberger Gruppe“ im Oktober 2015 zum Teil in Haft befanden. Der Prozess gegen die vier maßgeblichen Akteure wird für 2017 erwartet.

Die rassistische Mobilisierung gegen Geflüchtete und Muslime ging auch 2016 unvermindert weiter, auch wenn die öffentlichen Kundgebungen insgesamt kleiner wurden. Auch die AfD, die im Herbst 2015 noch vierstellige Teilnehmerzahlen vermelden konnte, musste dieses Jahr mit deutlich weniger Zuspruch auskommen, zumindest bei Demonstrationen. Selbst die Anschläge von Würzburg und Ansbach, zu denen sich die Terrormiliz IS bekannt hatte, brachten den Gruppen, die die Ereignisse für ihre Zwecke instrumentalisieren wollten, zumindest öffentlich keinen Schub. Die größten Versammlungen gegen Geflüchtete fanden bereits zu Beginn des Jahres im Fahrwasser der behaupteten Vergewaltigung eines russisch-stämmigen Mädchens in Berlin statt. Sie verliefen sich aber recht schnell nach Bekanntwerden des wirklichen Geschehens. Die extreme Rechte hatte an einigen Orten die Veranstaltungen unterstützt. Am längsten hielten sich die Kundgebungen in Nürnberg, wo die Organisatoren als „BI Sichere Heimat“ versuchten, die Proteste zu verstetigen. Sie gaben erst im Juni endgültig auf. Ein Teil der Akteure trat in die AfD Nürnberg ein, ihre Frontfrau soll 2017 für den Bundestag kandidieren. 

Auch für Pegida lief es nicht besser. Der Ableger in Würzburg gab schon Ende 2015 auf, deren Organisator zog es zum Projekt „Ein Prozent“. In Nürnberg demonstrierten zuletzt selten mehr als 50 Teilnehmer. München suchte auch aufgrund sinkender Teilnehmerzahlen die Kooperation mit organisierten Rechtsextremisten. Im November entzogen die Behörden dem Organisator Heinz Meyer die Versammlungsleitung, der frühere NPD-Landesvorsitzende Karl Richter übernahm diese für die letzte Versammlung 2016. Das Verwaltungsgericht hatte im Laufe des Jahres schon eine Reihe von Beschränkungen bestätigt, wenn auch nicht in dem Umfang, wie von der Stadt München gewünscht. Zu Beginn des Jahres weitete das Landesamt für Verfassungsschutz die Beobachtung auf die Identitäre Bewegung Bayern aus.         

Was sind die Folgen?

Die tödlichen Schüsse von Georgensgmünd führten zu einer völlig neuen Einschätzung der „Reichsbürger-Szene“, die die Sicherheitsbehörden bis dahin eher stiefmütterlich und verharmlosend behandelt hatten. Im Zuge einer intensiveren Beschäftigung wurden besorgniserregende Zahlen publik. Im Freistaat sollen etwa 1.700 Anhänger leben, überdurchschnittlich viele, 340, sollen auch legal über Waffen verfügen. Sie werden nun einer Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen. Zwei Polizisten wurden vom Dienst suspendiert, weil sie Kontakt zum Todesschützen hatten und möglicherweise Hinweise verrieten, weitere Beamte werden überprüft, ob sie das Gedankengut teilen.

Die erfolgte Beobachtung der Identitären Bewegung durch den Verfassungsschutz verhindert natürlich eine offizielle Kooperation mit der AfD, obwohl es deutliche inhaltliche Schnittmengen gibt. AfD-Landeschef Bystron begrüßte die IB ausdrücklich bei der Kundgebung im oberbayerischen  Geretsried. Öffentlichkeitswirksame Aktionen, wie etwa die Besteigung des Brandenburger Tores, waren auch ganz nach dem Geschmack von einigen bayerischen AfD-Funktionären.

Auch wenn die Kundgebungen immer kleiner wurden – in Nürnberg demonstrierte die Partei Die Rechte manchmal nur mit 10 Personen - wurden an vielen Orten und mit einer bemerkenswerten Ausdauer Gegenkundgebungen organisiert. In Zirndorf stellten sich mehrere hundert Menschen im strömenden Regen vor die Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung. In Nürnberg mussten Demokrat_innen teilweise mehrmals die Woche auf die Straßen, um gegen die wechselnden Kundgebungen von Pegida, AfD, BI Sichere Heimat, Die Rechte Flagge zu zeigen.
Ende des Jahres wurden auch einige Gewalttaten gegen Flüchtlinge von Anfang 2016 juristisch geahndet. Ein junger Kelheimer, der mit einer Machete in eine Flüchtlingsunterkunft eingedrungen war, muss für drei Jahre und vier Monate ins Gefängnis. Der Vorwurf des versuchten Mordes wurde vom Gericht nicht geteilt wie schon im Fall eines Brandanschlags auf eine Unterkunft in Hirschau in der Oberpfalz. Ein geworfener Molotowcocktail zerbrach zum Glück für alle Beteiligten nicht. Das Urteil: vier Jahre und sechs Monate. Nicht ermittelt wurden bisher die Brandstifter, die Anfang 2016 die leere Containerunterkunft in Soyen bei Rosenheim und eine fast fertige Unterkunft in Kaufbeuren zerstörten. In einigen Fällen von Volksverhetzung sprachen Gerichte auch Haftstrafen ohne Bewährung aus. Die Beschuldigten hatten aber schon einiges auf dem Kerbholz.          

Was war in Bayern die wichtigste Gruppierung im Bereich Rechtsextremismus?

Die neonazistische Partei „Der III. Weg“, die einen Teil der Kameradschaftsszene bindet, ist weiterhin die mobilisierungsstärkste und damit wichtigste Gruppierung im Bereich des harten Rechtsextremismus. Die Behörden schätzen sie zwar nur auf etwa 80 Förder- bzw. Vollmitglieder, womit die Partei um einiges kleiner wäre als der Landesverband der NPD Bayern, dem noch 700 Personen angehören sollen. Der „III. Weg“ versteht es weitaus besser als die vom Verbot bedrohten Nationaldemokraten, sich als „Weltanschauung- und Kampfgemeinschaft“ zu verkaufen.
Am 1.Mai konnte die Organisation etwa 1.000 Anhänger aus dem gesamten Bundesgebiet sowie dem nahen Ausland ins sächsische Plauen mobilisieren. Wie schon im Vorjahr kam es erneut zu Gewalttätigkeiten, als die Organisatoren die Versammlung wegen einer Blockade spontan auflösten und die Teilnehmer, darunter ein großer Block „autonomer Nationalisten“ versuchten, die Polizeiabsperrungen Richtung vermuteter Gegendemonstrant_innen zu durchbrechen.

Besonders aktiv auf der Straße war 2016 der „Stützpunkt Ostbayern“ um den vorbestraften Schläger Walter Strohmeier. Der hat es geschafft, um sich einen festen Stamm aus 30 Personen zu scharen, die keine Scheu haben, sich an mehreren Wochenende auch in kleineren Orten vor möglichen Nachbarn, ArbeitskollegInnen oder MitschülerInnen zur neonazistischen Partei zu bekennen. Mehrere Orte im Bayerischen Wald wurden im Laufe des Jahres mit Veranstaltungen überzogen. Die anderen „Stützpunkte“ gingen nur sporadisch auf die Straße. 

 

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