Aktuell wird Deutschland von einer Welle überrollt – einer Welle von Solidarität für Tausende Asylsuchende, die hier ankommen. Auch und gerade im Fußball heißt es seit Monaten ganz praktisch: "Refugees welcome". Profispieler übernachten in Flüchtlingszelten oder verteilen Sachspenden und die Champions-League Vereine sagen Hilfen in Millionenhöhe zu. Andernorts demonstrieren Nazis und zünden Flüchtlingsheime an.
Von Laura Piotrowski
"Es ist unmöglich, die Augen vor dem Drama der Migranten und Flüchtlinge zu verschließen, die versuchen, europäischen Boden zu betreten", erklärte Jorge Nuno Pinto da Costa, Präsident des FC Porto, vergangene Woche in einem offenen Brief an Michel Platini, den Präsidenten der UEFA. Der Vorschlag, von jedem verkauften Ticket des ersten Champions-League-Heimspiels jeweils einen Euro an die Flüchtlingshilfe zu spenden, stieß europaweit auf offene Ohren. Inzwischen haben sich 80 Vereine dazu bereit erklärt, eine Spendensumme von zwei bis drei Millionen Euro ist zu erwarten.
Spenden in Millionenhöhe und öffentlichkeitswirksame Willkommens-Aktionen
Auch in Deutschland hat sich der organisierte Fußball schon vor Monaten eine neue Aufgabe gesetzt und mit der "Integrationsoffensive des deutschen Fußballs" ein erstes 1,2 Millionen Euro schweres Maßnahmenpaket geschnürt. Mit diesem werden Fußballvereine vor Ort finanziell und organisatorisch unterstützt, um Flüchtlinge als neue Mitspieler aufnehmen zu können. Am Mittwoch besuchte DFB Präsident Wolfgang Niersbach eine Flüchtlingsunterkunft bei Frankfurt a.M. und den ansässigen Fußballvereine SG Egelsbach. Niersbach wollte sich hier stellvertretend bei den vielen Vereinen in Deutschland zu bedanken, die Flüchtlingen Fußballangebote machen und um aufzurufen, bei "1:0 für ein Willkommen" der DFB-Stiftung Egidius Braun mitzumachen. Das Programm ist Teil der "Integrationsoffensive" und fördert schon 600 Vereine in Deutschland. Finanziell will Niersbach das Programm nun nachrüsten. "Wir haben uns schon immer sehr offensiv zu einer sinnvollen Integration bekannt. Wir haben es hier mit einem Dauerthema für das Land, und damit auch für den Fußball zu tun", sagte Niersbach: "Wir haben die absolute Verpflichtung, klare Signale von der Spitze an die Basis zu senden. Flüchtlinge sind willkommen. Wir wollen den Neuankömmlingen ein Stück Heimat bieten."
München ist derzeit eine der Städte, in denen täglich hunderte asylsuchende Menschen ankommen. Auch der FC Bayern München wird sich engagieren und in enger Partnerschaft mit der Stadt München und dem Land Bayern finanzielle, materielle und praktische Hilfe leisten. Der Verein plant durch seine Jugendabteilung, in den kommenden Wochen ein "Trainingscamp" für Flüchtlinge einzurichten. Die Stadt München soll dabei wesentliche organisatorische Aufgaben übernehmen. Die Kinder und Jugendlichen sollen beim FC Bayern in einem noch festzulegenden Rhythmus trainieren, sie sollen Deutschunterricht erhalten, mit Mahlzeiten und einer Fußballausrüstung versorgt werden. Für Karl-Heinz Rummenigge ist das eine Selbstverständlichkeit, für ihn übernimmt der FC Bayern "seine gesellschaftspolitische Verantwortung". Viele Vereine ziehen nach, auch Real Madrid spendet eine Million Euro an Flüchtlingsprojekte in Spanien. In Deutschland engagieren sich Holstein Kiel, Borussia Dortmund oder Schalke 04.
"Jede Hilfe ist eigentlich zu wenig" – wirkt aber in kleinen Schritten trotzdem
Neben den Profivereinen sind ebenso Spieler persönlich aktiv geworden. So besuchte Bayernspieler Javi Martínez öffentlichkeitswirksam den Münchner Hauptbahnhof und verschenkte Fußballtrikots und Bälle an Flüchtlingskinder. Auf Twitter schrieb er (oder sein Manager) "Jede Hilfe ist eigentlich zu wenig. Welcome Refugees!"
Javi Martínez fuhr wie viele andere Münchner*innen zum Bahnhof - um den ankommenden Flüchtlingen Willkommen zu sagen. (Quelle: Screenshot Twitter)
Hamburger Profis übernachten im Flüchtlingszelt
HSV Torwart René Adler findet, dass auch Hilfe in kleinen Schritten wirken kann. Gemeinsam mit dem St. Pauli-Verteidiger Lasse Sobiech (Ex-HSV) verbrachte er eine Nacht in einem Zelt mit Flüchtlingen. Im Hamburger Stadtteil St. Georg hat das Sozialunternehmen "More than Shelters" auf der Dachterrasse eines Hotels eins der Flüchtlingszelte aufgebaut, die sonst in Jordanien oder auch im Hamburger Erstaufnahmelager in der Messehalle stehen. Das "Domo" Zelt ist ein Raumsystem, dass sich für die humanitäre Sofort- und Nothilfe flexibel anpassen lässt: an die jeweiligen individuellen und kulturellen Bedürfnisse der Bewohner*innen sowie an geographische oder klimatische Bedingungen vor Ort. Um mehr "Domos" in der Hamburger Messehalle aufzustellen und den dort untergebrachten Flüchtlingen ein Stück Privatsphäre und Schutzräume zurückzugeben, sammelt das Unternehmen derzeit Spenden. Man kann sich für eine Nacht im komfortabel gelegenen "Domo" in St. Georg einmieten, der Betrag wird komplett gespendet. Den öffentlichkeitswirksamen Anfang machten die Hamburger Profifußballer. Mit 20 Flüchtlingskindern und den Musikern Niko Suave und Matteo Capreoli verbrachten sie eine Nacht im "Domo" Hotel. René Adler rief schon im Vorfeld dazu auf, Verantwortung in der aktuellen Flüchtlingsfrage zu übernehmen: "Unterstützt diese Thematik, wenn ihr könnt, geht zur Messe, sortiert Spenden! Egal ob Fußballprofi oder Student, wir können alle was machen."
Auch wenn diese und andere Aktionen "wenig" sind, sie erzeugen große Aufmerksamkeit und wirken auf die Fans. Abgesehen von den hohen finanziellen Mitteln, die in konkrete Flüchtlingsarbeit investiert werden kann, haben sie Vorbildcharakter und motivieren die zahlreichen Ehrenamtlichen weiter zu machen. Sie erhöhen auch den Druck auf die Politik, akzeptable Lösungen für die hier lebenden Flüchtlinge zu schaffen. Schon bevor die Vereine anfingen, Millionenbeträge zu spenden, waren allerdings zahlreiche Faninitiativen aktiv, luden Flüchtlinge ins Stadion ein, sammelten und übergaben Spenden wie mit der "Kumpelkiste" auf Schalke oder entrollten während der Spiele "Refugees welcome" Banner wie in Fürth.
"Wir leben in ambivalenten Zeiten"
Im Schatten dieser großartigen Entwicklungen brennen trotzdem immer wieder Flüchtlingsheime und die Große Koalition hat die neuesten Asylrechtsverschärfungen beschlossen. "Wir leben in ambivalenten Zeiten", sagte dazu Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. "Auf der einen Seite pöbelt der Mob Tag für Tag gegen Flüchtlinge und die Nachbarn klatschen Beifall. Und auf der anderen Seite zeigen die Menschen eine nie dagewesene Hilfsbereitschaft und Offenheit und helfen, wo sie nur können." Sie besuchte das Willkommensfest im sächsischen Heidenau, in dem vor kurzem ein neues Erstaufnahmelager im ehemaligen Baumarkt eingerichtet wurde. Bei den Protesten für und gegen Flüchtlinge standen sich auch Fußballfans der örtlichen SG Dynamo Dresden gegenüber. "Ich durfte auch die Unterkunft von innen sehen. Niedrige Pritschen direkt nebeneinander auf der riesigen Fläche des Baumarkts. Dort wo die Abteilung für Bauzubehör war, schliefen jetzt 650 Menschen und in der ehemaligen Gartenabteilung standen die Sanitärcontainer. 36 Einheiten mit jeweils mehreren Duschen und Toiletten. Mehr seien nicht aufzutreiben gewesen, meinte der Einsatzleiter des Roten Kreuzes", berichtet Anetta Kahane. Auch in Heidenau würden sich Hamburger "Domos" gut machen. Immerhin engagiert sich der Dresdner Fußballverein auf Druck der antirassistischen Faninitiative "1953international" und der Fanbeauftragten mit einigen Aktionen für Flüchtlinge und setzt so den Pegida-Fans unter dem Dynamo Anhang ein klares Signal entgegen. Dixie Dörner, Fanidol und Ehrenspielführer bei Dynamo Dresden erklärte: "Bei Dynamo Dresden hat in den letzten Jahren eine sehr positive Entwicklung stattgefunden. Aber das darf nicht dazu führen, dass das Engagement nachlässt, sondern es muss Ansporn sein, den Weg gegenseitigen Respekts mit Konsequenz weiterzugehen. Rassismus und Diskriminierung haben weder bei uns noch anderswo etwas zu suchen."