Schwerpunkt Juni 2015: Homo- und Transfeindlichkeit. Rechtsextreme und Rechtspopulisten sind völkisch, nationalistisch, rassistisch, antisemitisch - ja, und homophob sind sie meistens auch. Nur dass das oft als "Nebenaspekt" kaum betrachtet wird. Dies ist das Thema des Kongresses "Respekt statt Ressentiment - Strategien gegen die neue Welle von Homo- und Transfeindlichkeit" am 10. Juni 2015 in Berlin. Vorab wollten wir von Referent Andreas Kemper schon einmal wissen: Wie sieht eigentlich Homo- und Transfeindlichkeit rund um AfD und "besorgte Eltern" aus? Was fürchten die eigentlich alle so sehr?
Andreas Kemper ist Publizist und Soziologe mit den Themenschwerpunkten Bildungsbenachteiligung, Klassismus und antifeministische Männerrechtsbewegung. Das Interview führte Johanna Voß.
Was sind typische homo- und transfeindliche Parolen aus dem Spektrum der so genannten „besorgten Eltern“?
Zuerst einmal ist es wichtig zu klären, wer diese „besorgten Eltern“ eigentlich sind. Viele derjenigen, die bei den „Demos für Alle“ mitlaufen, sind in evangelikalen Netzwerken organisiert oder gehören apostolischen Gruppen wie der TFP (Deutsche Gesellschaft für Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum) an, die sich offen für die Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihres Standes aussprichen. Organisiert werden die Demonstrationen in Stuttgart und Hannover vom Kampagnennetzwerk Zivile Koalition e.V. der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch. Alle anderen „Demos für Alle“ werden von evangelikalen „Besorgten Eltern“ organisiert.
Zentrale Vorwürfe dieser Vereinigungen sind die „Frühsexualisierung der Kinder in Kitas, Kindergärten und Schulen“, die „Entmachtung der Eltern“ und die „Ideologisch motivierte Umerziehung der Kinder in Erziehungseinrichtungen“. Diese Parolen basieren auf einer Verschwörungsideologie, die von den „besorgten Eltern“ als Genderismus bezeichnet wird: Sie gehen davon aus, dass die Idee der Gleichstellung aller Geschlechter und sexuellen Orientierungen auf einer Ideologie gründet, die hinter dem Rücken der Öffentlichkeit von der UN in den USA entwickelt wurde. Diese Ideologie sei über staatliche Institutionen bis in die Schulen eingeschleust worden.
Müssen homo- und transphobe Meinungen noch „salonfähig“ verpackt werden – oder sind sie schon anschlussfähig an große Teile der Bevölkerung?
Viele Ressentiments sind anschlussfähig, besonders weil sie aus traditionellen Gesellschaftskonzepten hervorgehen, die noch nicht überwunden sind. Die Gleichstellungsbewegung ist ja noch eine relativ neue Erscheinung.
Besonders verblüffend sind einige Aussagen des AfD-Funktionärs Björn Höcke, die ganz und gar nicht „salonfähig“ sind und eher an NS-Rhetorik erinnern. Er spricht von „Gendermainstreaming als Geisteskrankheit“ oder „Gender-Totalitarismus als Fehlgeburt des Behaviorismus“. Weiterhin behauptet er, dass Homosexuelle nur wegen des Sex´ zusammen sind, „die Synthese von Mann und Frau [hingegen] diene der Höherentwicklung des Menschen“. AfD-Mann Höcke geht also davon aus, dass homo-und heterosexuelle Beziehungen etwas vollkommen anderes und nicht gleichwertig zu behandeln sind.
Ist Homo- und Transphobie ein Thema, mit dem die AfD bei ihren Wähler_innen punkten kann?
Das Thema der „klassischen Familie“, welches in diesen Kreisen homo-und transphobe Elemente beinhaltet, ist seit der Gründung der „Alternative für Deutschland“ durchgehend auf ihrer Agenda. Man könnte sogar sagen, dass es ein verbindendes Element zwischen dem wirtschafts-liberalen und dem national-konservativen Flügel darstellt. Sogar Bernd Lucke äußerte sich kürzlich negativ über das Coming-Out des Ex-Fußballers Thomas Hitzlsperger. Diese Art von Politik richtet sich an eine erzkonservative Wählerschaft, denen die CDU zu „links“ geworden ist. Darüber hinaus gab es auch eine Umfrage unter AfD-Mitgliedern, die gezeigt hat, dass Familien- und Erziehungspolitik zu den wichtigsten Themen gehören.
Können Sie uns erklären, warum sich Menschen gegen Homo-und Transsexuelle engagieren? Was sind ihre Beweggründe?
Homophobe Einstellungen und daraus resultierendes Engagement hängen oft mit persönlichen Existenzkrisen zusammen, die beispielweise durch eine Wirtschaftskrise ausgelöst werden können. Wenn so eine Krise ausbricht und die eigene Existenz scheinbar bedroht ist, neigen besonders Menschen aus dem Kleinbürgertum dazu, rückwärtsgewandt zu denken und Halt oder Lösungen in dem Altbewehrten zu suchen. Diese Menschen haben Angst vor Veränderungen, insbesondere davor, Privilegien zu verlieren. Heterosexuelle Männer profitieren ja auch von dem System und wenn ihre Stellung plötzlich ins Wanken gerät, läuten natürlich die Alarmglocken.
Spielt die Institution Kirche da auch eine Rolle?
Eine sehr große Rolle sogar. Die beiden letzten Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben eine Strategie verfolgt, die sich „Neuevangelisierung“ nennt. Sie wendet sich gegen die fortschreitende Säkularisierung und unterstützt apostolische Orden und ultrakatholische Bewegungen in ihrer Arbeit. Vor diesem Hintergrund sind auch die Großdemonstrationen gegen das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare in Paris und gegen das Recht auf Abtreibung in Madrid aus den letzten Jahren einzuordnen.
Was sind Ihrer Meinung nach sinnvolle Maßnahmen, Homo- und Transphobie entgegen zu treten?
Vor allem ist es ganz wichtig aufzuklären, wer hinter den Parolen und Protesten steckt, denn wenn das der „Mitte der Gesellschaft“ klar sein würde, wären solche Ressentiments viel weniger anschlussfähig. Wie schon erwähnt verbergen sich hinter den „besorgten Eltern“ erzkonservative Bibelkreise, welche die Bibel wörtlich nehmen oder apostolische Gruppen wie die TFP (Deutsche Gesellschaft für Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum). Die TFP steht für eine katholische Hierarchie des Mittelalters, sie fordert mehr Ungleichheit zwischen Geschlechtern und sozialen Gruppen und strebt nach einer Rückkehr zur Monarchie. Außerdem muss die Nähe zur faschistischen Ideologie herausgearbeitet werden – hier sollte man sich Björn Höcke sehr genau ansehen.
Der Kongress "Respekt statt Ressentiment - Strategien gegen die neue Welle von Homo- und Transfeindlichkeit"
Veranstalter: Lesben- und Schwulen-Verband Deutschland und die Amadeu Antonio Stiftung
Wann? 10. Juni 2015, 10-18 Uhr
Wo? Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32, 12049 Berlin
Kongressprogramm
09:15 Anmeldung & Ankommen
10:00 Begrüßung
10:10 Einführung & Keynote
1. Für eine gesamtgesellschaftliche Strategie gegen Homo- und Transphobie
Dr. Heike Radvan, Amadeu Antonio Stiftung
Günter Dworek, Lesben- und Schwulenverband (LSVD)
2. Homo- und Transphobie im gegenwärtigen Deutschland: Aktuelle Ergebnisse der Studien zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
Referent: Prof. Dr. Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung IKG, Universität Bielefeld
11:00 Foren I: Grundlagen
F 1 „Gott, Familie, Abendland“
Das Familienbild und der Antifeminismus von Rechtspopulist_innen und religiös-fundamentalistischen Gruppen bieten Anschlüsse für eine Mobilisierung von homo- und transphoben Einstellungen in der “Mitte” der Gesellschaft. Wie überschneiden sich Diskurse und welche unheimlichen Bündnisse formieren sich gegenwärtig?
Andreas Kemper, Publizist, Blogger, Soziologe
Juliane Lang, Geschlechter- und Erziehungswissenschaftlerin, Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus
F 2 Transfeindlichkeit
Während Homophobie in den letzten Jahren endlich mehr und mehr als eine spezifische Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wahrgenommen wird, steckt die Sensibilisierung für Transfeindlichkeit noch in den Anfängen. Welche Erscheinungsformen und Auswirkungen zeigen sich im Alltag? Wie kann und muss ihnen begegnet werden?
Dr. Julia Ehrt, Geschäftsführerin Transgender Europe, Berlin
Arn Sauer, TransInterQueer TrIQ, Berlin
F 3 Mehrfachdiskriminierung
Lesben, Schwule und Transgender können neben Homo-und Transfeindlichkeit auch von anderen Diskriminierungen, wie z.B. Rassismus, Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit betroffen sein. Welche Anforderungen ergeben sich aus Mehrfachdiskriminierungen für den nationalen Aktionsplan und für queere communities? Aktuell stellt sich hier auch die Frage, wie die Situation queerer Geflüchteter ist.
Dr. Jennifer Petzen, Geschäftsführerin, Lesbenberatung e.V.
Dr. med. Lieselotte Mahler, Psychiatrische Universitätsklinik der Charité
12:30 Mittagspause
13:30 Blitzlicht I
Kurzberichte aus F 1 – 3: Zentrale Thesen und Themen
14:00 Strategie – Podium:
Freiheitsgefährdungen für LGBTI durch Rechtspopulismus und Rechtsextremismus
Um Diskriminierung gezielt zu bekämpfen, ist eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung notwendig. Wie kann eine offene Gesellschaft verteidigt und ausgebaut werden? Welche Allianzen und Strategien braucht es gegen die Politik mit dem Ressentiment?
Elke Ferner, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Barbara Loth, Staatssekretärin, Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen
Carolin Hesidenz, Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-DOK der Stadt Köln
Dr. Bertold Höcker, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Stadtmitte
Aleksej Urev, Landeskoordination Anti-Gewalt Arbeit für Lesben und Schwule NRW, Rubicon e.V.
Dr. Zülfukar Çetin, Stiftung Wissenschaft und Politik
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Berlin
Günter Dworek, Bundesvorstand Lesben- und Schwulenverband (LSVD)
15:15 Kaffeepause
15:45 Foren II: Handlungsfelder
F 4 Offenes Panel: Ein „nationaler Aktionsplan“ gegen Homo- und Transphobie?
Der „Nationale Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogener Intoleranz“ soll laut Koalitionsvertrag um die Themen Homo- und Transphobie erweitert werden. Welche Schwerpunkte müssen gesetzt werden, welche Forderungen gestellt und welche Akteur_innen einbezogen?
Thomas Heppener, Leiter des Referats „Demokratie und Vielfalt“ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Katharina Debus, Dissens - Institut für Bildung und Forschung e.V.
Daria Majewski, Akademie Waldschlösschen
Petra Zwaka, Jugend Museum Schöneberg
Moderation: Prof. Dr. Anne-Christin Schondelmayer, Technische Universität Chemnitz
F 5 Vielfalt und Respekt vermitteln
Die Auseinandersetzungen um Bildungspläne in Baden-Württemberg und anderswo verdeutlichen es – die Bildungsarbeit zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und verschiedenen Geschlechtsidentitäten in Schule, Kita und Sozialer Arbeit ist gegenwärtig eines der Hauptangriffsziele homo- und transphober Polemiken. Wie können Diffamierungen zurückgewiesen und Initiativen für eine Pädagogik der Vielfalt gestärkt werden?
Prof. Dr. Harald Stumpe, Dekan des FB Soziale Arbeit.Medien.Kultur an der HS Merseburg
Katja Krolzik-Matthei, Wiss. Mitarbeiterin, HS Merseburg
Dr. Ulrich Klocke, Sozialpsychologe, Humboldt-Universität zu Berlin
F 6 Unterhaltungswert Homophobie?
Die Medien sollen und müssen Meinungsvielfalt und gesellschaftliche Debatten abbilden, aber sie stehen auch in einer ethischen Verantwortung, nicht jedem homophoben Marktschreier einen Talkshow-Sessel anzubieten. Welche homo- und transphoben Kommunikationsstrategien sind in den Medien zu beobachten? Was kann dagegen gesetzt werden?
Katrin Gottschalk, Chefredaktion Missy Magazine
Dr. Jobst Paul, Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung
17:15 Blitzlicht II
Kurzberichte aus F 4 – 6: Zentrale Thesen und Themen
Kurze Schlussrede und Verabschiedung (Veranstalter_innen)
17:45 Künstlerischer Ausklang
Poetry Slam: Musa Okwonga
18:00 Get together
Aufgrund des sehr großen Interesses an unserem Kongress sind die vorhandenen Kapazitäten erschöpft. Bei Interesse können Sie sich unter kongress@lsvd.de melden. Sie werden dann im Falle frei werdender Plätze benachrichtigt.
Schwerpunkt Juni 2015: