Vorbild sein!

Auf Mallorca trainiert Nationalspieler Thomas Hitzlsperger für die EM. Doch er kennt mehr als nur den Platz. Ein Gespräch über Rassismus, die deutsche Nationalhymne und seine Zeit in England

DIE ZEIT: Herr Hitzlsperger, wie zeigt sich Rassismus im Leben eines Profifußballers?

Thomas Hitzlsperger: Rassismus ist im Fußball sicherlich ein Thema. Es wird meines Erachtens auch sehr viel dagegen unternommen. Sowohl die Landesverbände als auch der DFB, die Uefa und die Fifa gehen aktivdagegen vor. Im Innenleben der Mannschaften herrscht ein lockerer Umgang, aber es kommt auch mal zu Beleidigungen oder Beschimpfungen. Bisher hatte ich jedoch nicht das Gefühl, dass es sich dabei um Rassismus handelt.

ZEIT: Der Einfluss von Stars wie Ihnen auf die Fans ist sehr groß. Sie selbst engagieren sich gegen Rechtsextremismus, unterstützen die Aktion Netz gegen Nazis, die unter anderem von unserer Zeitung und dem DFB initiiert wurde. Warum sind Sie da weitgehend allein auf weiter Flur?
Hitzlsperger: Man darf sich bei dieser Gelegenheit nicht überschätzen. Gesellschaftliche Entwicklungen können Fußballprofis wahrscheinlich nicht beeinflussen, aber jeder einzelne kann eine bestimmte Gruppe von Menschen beeinflussen und sollte es als Chance begreifen. Es lauern aber auch Gefahren bei derartigen Engagements, und das schreckt den einen oder anderen vielleicht ab.

ZEIT: Allerdings.
Hitzlsperger: Die Lage ist nicht so einfach, wie Sie vielleicht unterstellen. Klar, es wird gefordert, dass man sich mal etwas zutraut, sich bekennt, sich engagiert und damit dann etwas bewirkt, aber durch das teilweise große Interesse an Fußballprofis können kleine Fehler eine große Wirkung haben und vom Wesentlichen, dem Fußballspielen, ablenken.

ZEIT: Ist es ungerecht, von Fußballprofis gesellschaftliches Engagement zu fordern?
Hitzlsperger: Es ist nicht ungerecht, aber die Entscheidung sollte jedem selbst überlassen sein. Es gibt viele positive Beispiele in der Bundesliga, und auch in England habe ich viele gute Erfahrungen gemacht. Überhaupt hat die Zeit in England meine Denkweise sehr verändert. Ich begann, mehr und mehr zu lesen, und habe dadurch viele andere Interessen entwickelt. Ich hatte außerdem Mannschaftskollegen, die soziale Projekte betreuten, und auch der Verein war sehr engagiert.

ZEIT: Was empfinden Sie eigentlich, wenn Sie lesen: »Die Reichen werden immer reicher und die Armen
werden immer ärmer in Deutschland«?
Hitzlsperger: Diese Entwicklung ist nicht gut und könnte die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer teilen. Deutschland ist nicht das einzige Land mit diesem Problem, aber das macht es nicht weniger schlimm. Ich weiß, dass ich als Fußballprofi sehr gut verdiene, ein Vorbild für einige Menschen bin und mit diesen Privilegien verantwortungsvoll umgehen möchte. Eine gerechtere Einkommensverteilung ist jedoch in erster Linie Sache der Politik und der Wirtschaft.

ZEIT: Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie für Deutschland spielen?
Hitzlsperger: Es ist ein wirklich einzigartiges Gefühl. Bei der Nationalmannschaft hat man eine viel größere Öffentlichkeit, aber ich bin bei einem Ligaspiel genauso motiviert.

ZEIT: Nicht wirklich.
Hitzlsperger: Okay, sagen wir es so: Ich bin immer hoch motiviert.

ZEIT: Eine Antwort wie vom Berater empfohlen.
Hitzlsperger: Manchmal geben Berater auch die richtigen Tipps. Im Ernst: Gibt es bei Ihnen nicht auch Tage, an denen Sie sich leichter tun, ihre Artikel zu schreiben? Das hat doch nichts mit der Auflage der Zeitung oder der Anzahl der Leser zu tun.

ZEIT: Wenn die Nationalhymne gespielt wird, denken Sie an den Text?
Hitzlsperger: Ich singe mit und genieße die Stimmung.

ZEIT: Es ist ja ein pathetischer Text, in einem altertümlichen Deutsch.
Hitzlsperger: Es ist ein Ritual und ein schönes Gefühl, wenn die Fans im Stadion mitsingen ich will jetzt nicht von Patriotismus sprechen, aber es ist einfach ein schönes Ritual.

ZEIT: Sind Sie als Profi eigentlich auch Fußballfan?
Hitzlsperger: Ja, ich bin sehr wohl Fan, ich schaue mir Spiele an und weiß, dass Fußball für mich ein Fulltime−Job ist. Fußball ist ständig präsent zumal mich die meisten Leute, mit denen ich rede, darauf ansprechen. Ich denke auch, dass es dazugehört, sich aktiv mit Fußball auseinanderzusetzen; das eine ist das Training auf dem Platz und das andere, auch Spiele zu sehen, weil es immer etwas zu verbessern gibt.

ZEIT: Und wenn Sie Fußball gucken, tun Sie das, um zu lernen oder um zu genießen?
Hitzlsperger: Meistens bin ich aufmerksam; überlege mir, was machen andere Mannschaften anders und warum, wohin entwickelt sich der Fußball international, was passiert gerade in Mailand, London oder Barcelona, wo kann ich was lernen. Es gibt aber auch Momente, in denen ich vor dem Fernseher sitze und die Füße hochlege und Fußball einfach nur genieße.

Das Interview führten Moritz Müller−Wirth und Bernd Ulrich.

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