Auf der Pressekonferenz zur neuen Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung: Matthias Quent (IDZ Jena), Timo Reinfrank (Amadeu Antonio Stiftung), Torsten Hahnel (Miteinander e.V.) (v.l.).
BTN/SR

Umgang mit der AfD: "Sie streben einen Systemwandel an"

Wenn die AfD in den Bundestag einzieht, wird dies die parlamentarische Kultur und das gesellschaftliche Klima verändern. Wie sieht diese Veränderung aus? Darüber sprachen auf einer Pressekonferenz der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Thüringen und Sachsen-Anhalt, die bereits Erfahrungen mit der AfD in den Landesparlamenten machen konnten.

 

Von Simone Rafael

 

Anlass der Pressekonferenz ist die Veröffentlichung der Broschüre „Positionieren. Konfrontieren. Streiten. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“ der Amadeu Antonio Stiftung. Die Broschüre gibt Tipps für den praktischen Umgang mit AfD-Vertreter_innen für Politik, Medien, Pädagogik, Schule und im Internet. Denn vor allem in den Parlamenten ist es offensichtlich: Grenzen setzen ist im Umgang mit Vertreter_innen menschen- und demokratiefeindlicher Weltbilder wichtig – aber  wenn es sich um gewählte Politiker_innen handelt, kann dies nicht der einzige Umgang sein. „Wir brauchen auch eine sachliche Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Strategien und Methoden“, sagt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, „doch es gibt praktisch viele Unsicherheiten in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.“ Letztendlich führe aber kein Weg daran vorbei, Konflikte um Grundwerte unserer Gesellschaft auch zu führen, statt sie zu vermeiden. Doch der Grat zwischen der sinnvollen inhaltlichen Auseinandersetzung und dem Bieten von Bühnen für rechtspopulistische Ideologie ist schmal. Und es wird komplizierter, wenn die demokratischen Akteur_innen es mit einer neuen politischen Kraft zu tun haben, die auch alle geltenden Regeln des Umgangs auszuhebeln versucht.

„Die AfD arbeitet an einer rechtspopulistischen Diskursverschiebung. Menschenfeindliche Positionen wie Rassismus oder Islamfeindlichkeit werden beständig wiederholt, um eine Gewöhnung zu erzielen. Demokratieverachtung ist ein ständiger Grundton, wenn etwa von einer „Merkeldiktatur“ die Rede ist“, sagt Timo Reinfrank, „dazu kommt das Drohpotenzial der Rechtspopulisten: viele Organisationen, aber auch Verwaltungen oder Abgeordnete zeigen keine klare Haltung gegenüber der AfD, weil sie Angst haben, das nächste Opfer eines rechtspopulistischen Shitstorms oder weitergehender Bedrohungen zu werden.“

 

Thüringen: „Streit nicht um Positionen, sondern persönlich“

 

Denn dies ist eine der Veränderungen politischer Kultur, die sich in den Bundesländern bereits zeigt, in denen die AfD in Landesparlamenten sitzt: „Auseinandersetzungen werden von der AfD nicht um Sachen oder Positionen geführt, sondern sehr persönlich – auch mit Beleidigungen und Verleumdungen, die dann die Gerichte beschäftigen“, berichtet Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena aus den Erfahrungen in Thüringen. „Deftiger Sprachgebrauch in Konflikten ist legitim, aber wenn sich AfD-Abgeordnete auf Twitter sexualisierend und herabwürdigend an den Namen von Innenminister Holger Poppenhäger oder Ministerpräsident Bodo Ramelow abarbeiten, ist das eine ständige Missachtung von Menschen und Ämtern, die nicht nur mangelnden Respekt zeigt, sondern auch die demokratische Kultur insgesamt beschädigt“, sagt Quent. Zu dieser Verrohung in der Auseinandersetzung kommt für Quent eine Verrohung im politischen Stil: „Die Zahl der Ordnungsrufe im Erfurter Landtag hat sich seit Einzug der AfD mehr als verdoppelt, und von 71 Ordnungsrufen gehen allein 25 auf das Konto des AfD-Fraktionsvorsitzenden Stephan Brandner, der nun auch für den Bundestag kandidiert. Die Beschimpfung von anderen Abgeordneten als ‚Kinderschänder‘ oder ‚versifft‘ ist geradezu Standard für ihn.“ Auch ein Ablenkung davon, dass die AfD in Thüringen zu Sachthemen wenig beizusteuern hat. Sie nutzt das Parlament lieber als Bühne für rechtspopulistische „Phantomschmerzen“, die im Bundesland keine Relevanz haben, wie vorgebliche „Islamisierung“ oder „linksextreme Gewalt“. Eine weitere Gefahr sieht Quent in der starken Verknüpfung zur rechtsextremen Szene im Bundesland: Einige AfD-Landtagsabgeordnete hätten rechtsextreme Mitarbeiter. Einer habe jüngst etwa auf Twitter ein nationalsozialistisches Gedicht verbreiten: „Das wäre vor einem Jahr noch ein Skandal gewesen. Jetzt findet es kaum noch Beachtung. Das genau ist Normalisierung“, sagt Quent.

 

Sachsen-Anhalt: „Ziel: Demokraten diskreditieren“

 

In Sachsen-Anhalt ist die AfD mit 24 Prozent der Stimmen sogar die zweitstärkste Fraktion im Landtag. „Ausgrenzen ist allein aufgrund der hohen Anzahl von Mandaten gar keine Option mehr“, sagt Torsten Hahnel von der Mobilen Beratungsstelle „Miteinander e.V.“. Die AfD habe sich im Landtag „in Rekordgeschwindigkeit“ zum Sprachrohr rechter „Wutbürger“ gemacht. Ziel ihrer parlamentarischen Arbeit sei vor allem, Demokrat_innen zu diskreditieren, durch parlamentarische Anfragen zu bedrängen und zu bedrohen und ihre Arbeit für Demokratie wenn möglich zu verhindern. „Hier braucht es Aufmerksamkeit in Politik und Verwaltung, um Menschen bestmöglich zu schützen und etwa die Herausgabe von Privatadressen, die die AfD zu wissen wünscht, zu verhindern.“ In Sachsen-Anhalt ist die AfD offen mit den Rechtsextremen des Landes vernetzt. „Wenn es eine Demonstration gegen das Haus der rechtsextremen ‚Kontrakultur‘-Gruppe gibt, stehen Mitglieder der Identitären Bewegung, rechtsextreme „JN“-Kader und Rechtsrocker und AfD-Landtagsabgeordnete gemeinsam davor, um es zu verteidigen.“ Auch zum rechtsextremen „Institut für Staatspolitik“ von Götz Kubitschek und zum „Compact Magazin“ von Jürgen Elsässer gibt es rege Vernetzung. „In diesem Netzwerk hat die AfD eine entscheidende Funktion“, sagt Hahnel, „und es ist Teil des angestrebten ‚Kulturkampfes von rechts‘ um Begriffe und Sagbarkeiten, wenn André Poggenburg im Parlament Linke als ‚Wucherung am deutschen Volkskörper‘ bezeichnet oder beim AfD-Russlandkongress Neonazi und Holocaustleugner Horst Mahler als ‚politscher Gefangener‘ bezeichnet wird.“ Dies müssten sich Menschen klar machen, die mit AfD-Abgeordneten in Dialog treten oder sie zu Veranstaltungen einladen wollten. „Die AfD strebt einen Systemwandel an. Sie wollen eine Gesellschaft, in der es kein Recht auf Differenz mehr gibt, die von autoritärer Haltung in Politik und Leitkultur geprägt wird. Das ist ein Frontalangriff auf die offene Gesellschaft, den wir an jedem Einzelbeispiel immer wieder benennen müssen.“

 

Wie funktioniert ein kluger Umgang mit der AfD?

 

Wenn dem Rechtspopulismus allerdings Grenzen gesetzt werden, geriert sich die AfD gern als Opfer undemokratischer Demokraten, die sie unterdrücken, ihre Wahlergebnisse manipulieren oder ähnliches. „Das stellt nicht nur schon wieder das Verfahren der parlamentarischen Demokratie in Frage“, sagt Matthias Quent, „die Opferhaltung ist dem Rechtspopulismus auch so inne wohnend, dass sie sowieso inszeniert wird, egal, ob es eine Ausgrenzung gibt oder nicht. Auf diese Inszenierung sollten wir also keine Rücksicht nehmen.“

Was aber sind Empfehlungen im Umgang? „Offensive Positionierung für Grundrechte und Minderheitenschutz gegen menschenfeindliche Positionen“, meint Timo Reinfrank, „und mit der AfD über Inhalte streiten.“ „Professionelles politisches Handwerk“, sagt Thorsten Hähnel, „sich Fallstricken und Gefahren bewusst sein und adäquat vorbereitet und überlegt reagieren.“ Matthias Quent rät zu Gelassenheit und Grenzen: „Die wehrhafte Demokratie in Deutschland ist als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus entstanden und muss nicht alles zulassen und nicht Rassismus und Hass auf alle Podien setzen. Vor allem aber sollten die anderen Parteien jetzt nicht versuchen, die AfD nachzuahmen, um deren Wähler_innen zu gewinnen. Die AfD wird vor allem von Nicht-Wähler_innen gewählt, weil sie ‚Nicht-die-anderen‘ sind. Die können die etablierten Parteien nicht gewinnen – und müssen so der Menschenfeindlichkeit und Politikverdrossenheit der AfD nicht nacheifern.“

 

Mehr Erfahrungen und Tipps zum Umgang mit der AfD bietet die Broschüre „Positionieren. Konfrontieren. Streiten – Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“ der Amadeu Antonio Stiftung. Hier geht es um:

  • Auseinandersetzung in Parlamenten und Kommunalvertretungen
  • Wie Medien mit rechtspopulistischen Positionen umgehen können
  • In der pädagogischen Arbeit gegen Rechtspopulismus handeln
  • Spezifika im Umgang mit der AfD an Schulen
  • Umgang mit familien- und geschlechterpolitischen Positionen der AfD
  • Zum Umgang mit Rechtspopulismus im Internet
  • „Die AfD ist der Garant für die freie Rede“ – eine Auswahl an Zitaten und warum sie problematisch sind.

 

Sie können die Broschüre auf der Website  der Amadeu Antonio Stiftung als pdf herunterladen oder unter info@amadeu-antonio-stiftung.de gedruckt bestellen.

Auszüge aus der Broschüre veröffentlichen wir in den nächsten Tagen in loser Folge bei Belltower.News.

 

Mehr zum Thema auf Belltower.News

 

drucken