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Studie: Islamisten und Rechtsextremisten Hand in Hand gegen die Demokratie

"Leider ist es viel früher passiert, als ich gehofft habe" sagte der Hamburger AfD-Politiker Jörn Kruse unter Applaus in seiner Reaktion auf die islamistischen Terroranschläge in Paris 2015. "Islamisierung" und islamistischer Terror sind in ganz Europa die größten Verkaufsargumente für Rechtspopulisten und Rechtsextreme. Islamistischer Terrorismus will Reaktionen produzieren. Die ermordeten und verletzten Menschen gehören zu Methode. Das eigentliche Ziel: Angst und Schrecken verbreiten und Gesellschaft und Politik in eine Richtung drängen, die der eigenen Ideologie in die Hände spielt. So profitieren rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure vom Terror. Beide Gruppen haben viel gemeinsam: Antisemitismus und Antipluralismus zum Beispiel, die Suche nach Sündenböcke und oft kein gefestigtes Weltbild. Eine neue Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Kooperation mit dem Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) widmet sich diesem Zusammenhang.  

Von Stefan Lauer

Am 29.06. wurde in den Räumen der Amadeu Antonio Stiftung die neue Studie "Hassliebe: Muslimfeindlichkeit, Islamismus und die Spirale gesellschaftlicher Polarisierung" vorgestellt. Auf Grundlage einer Metaanalyse internationaler Studien sowie neuer empirischer Forschung in sozialen Netzwerken hat das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena in Kooperation mit dem Institute for Strategic Dialogue (ISD) London online und offline übereinstimmende Muster in den Mobilisierungsstrategien sowie Wechselwirkungen zwischen den Milieus identifiziert. Maik Fielitz, wissenschaftlicher Referent am IDZ und verantwortlich für die Studie erklärt: “Man kann die einen nicht verstehen, ohne die anderen zu untersuchen.”

Dazu wurden unter anderem über eine Million Internetbeiträge analysiert. Die Studie führt in Begriffe ein und liefert neue Einblicke in die beiden aufeinander bezogenen Funktionssysteme, welche den gesellschaftlichen Zusammenhalt unter Druck setzen. Julia Ebner vom IDS, Co-Autorin der Studie, geht in diesem Zusammenhang auf eine “Hassrede-Asymmetrie” ein. Mittlerweile werden von den sozialen Netzwerken zwar auch verstärkt rechtsextreme Beiträge gelöscht, schon sehr viel länger gehen die Betreiber aber gegen islamistische vor. Dadurch gab es über einen längeren Zeitraum einen Überhang antimuslimischer Beiträge. Ohnehin betont sie, dass nach der Reaktion von Facebook auf den Cambridge-Analytica-Skandal, dem NetzDG und der neu eingeführten Datenschutzgrundverordnung eine Studie diesen Umfangs heute praktisch nicht mehr möglich wäre. Ebner und ihr Co-Autor Jakob Guhl betonen die Wichtigkeit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, dazu gehört eben auch die Erfassung und Bereitstellung von Daten für die Forschung.

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, betonte die “Virulenz von antismuslimischem Rassismus” und, “dass antimuslimische Vorurteile und Stimmungsmache letztlich jenen islamistischen und rassistischen Fanatikern in die Hände spielen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt spalten wollen. Islamistische Radikalisierung, antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus müssen zusammengedacht und gemeinsam begegnet werden.”

In der öffentlichen Wahrnehmung gelten rechtsextreme Islamfeinde als Gegenpol zum islamistischen Terror. “Das stimmt nicht: Beide Spektren ähneln sich und bedrohen die offene Gesellschaft“, so Reinfrank. Ebner und ihre Co-Autor*innen sehen eine “starke wechselseitige Abhängigkeit zwischen Muslimfeindlichkeit und Dschihadismus”. Folgerichtig fordert Reinfrank, dass auch im “Nationalen Präventionsprogramm gegen islamistischen Extremismus” Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als mitbestimmende Faktoren Beachtung und Bearbeitung finden müssen.

Die Autor*innen der Studie machen übereinstimmende Muster aus, die Rechtsextreme und Islamisten miteinander verbinden. Wichtig ist beiden Gruppen die Dämonisierung eines "Anderen". Immer herrscht eine klare Einteilung in Freund und Feind. Dadurch entsteht ein identitärer Politikstil, "wonach die verwerflichen Handlungen eines stigmatisierten anderen die Richtigkeit des eigenen Handelns aufzeigen." Entweder sind es also die "Ungläubigen" oder die "Fremden", die das eigene Weltbild immer wieder aufs Neue bestätigen. Grauzonen gibt es keine mehr.

Eine andere Gemeinsamkeit ist eine gleichzeitige Stärke- und Schwächepositionen. Auf der einen Seite fühlt sich beide Gruppen den anderen überlegen, sei es weil sie den "richtigen" Glauben oder die "richtige" Hautfarbe haben. Andererseits fühlen sich beide permanent und vor allem zu Unrecht bedroht. Das hat auch mit einem apokalyptischen Weltbild zu tun, das Islamisten und Rechtsextreme teilen. Die eigene traditionelle Lebensform ist permanent bedroht und die Auslöschung der eigenen Gruppe steht immer kurz bevor – entweder durch den "Westen" oder alternativ die "Umvolkung". Das bedeutet aber eben auch, dass die Protagonist*innen sich in einer Verteidigungsposition wiederfinden, die alle Mittel rechtfertigt.

Wenn solche einfachen Welterklärungen auf die komplexe Realität treffen, braucht auch das eine Erklärung: dunkle Machenschaften halten die Welt zusammen. Damit kann man sich schließlich auch leicht die Widersprüche im eigenen Spektrum erklären, etwa warum die Mehrheit der nationalen Bevölkerung oder der muslimischen Community das eigene Weltbild dann eben doch nicht teilt: "Die angebliche systematische Verblendung durch das Judentum oder die Lügenpresse werden benötigt, um die Dissonanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auszugleichen und zur Dämonisierung anderer Gruppen beizutragen."

Ähnlichkeiten zwischen beiden Spektren gibt es auch auf ganz praktischer Ebene: "Beide Bewegungen lernen voneinander in Sachen Kommunikationsstrategien, Sicherheitsbedürfnisse und Abwehr von Strafverfolgung. Rechtsextreme und Islamisten schauen voneinander ab, wie die Kommunikation des Gegenübers auf die Gesellschaft wirkt und orientieren sich an erfolgreichen Modellen." Dabei kann es zum Beispiel um die Benutzung verschlüsselter Kommunikationskanäle gehen oder Aktionsformen, die übernommen werden. Das geht schließlich sogar zu bis zur Wahl des Mordwerkzeuges: Sowohl in islamistischen als auch in neonazistischen Chats wurde Fahrzeuge als effektive Waffen bei Terrorangriffen angepriesen. In Charlottesville wurde eine Aktivistin von einem Neonazi mit einem Auto ermordet, wenige Tage später fuhr ein IS-inspirierter Terrorist mit einem Auto in eine Menschenmenge in Barcelona und ermordete 14 Menschen. Die Fotos davon wurden sowohl in islamistischen als auch rechtsextremen Gruppen mit dem Aufruf zu weiteren Anschlägen geteilt.  

Die Forscher*innen haben mit unterschiedlichen Instrumenten und Werkzeugen über 10.000 islamistische und rechtsextreme Facebook-Inhalte und mehr als eine Million deutschsprachige muslimfeindliche Twitter-Beiträge  aus der Zeit zwischen 2013 und 2017 analysiert. Dabei zeigen sich immer wieder dieselben Muster, aber auch eine wechselseitige Dämonisierung: "Rechtsextreme Aktivist*innen [unterstellten] der gesamten muslimischen Gemeinschaft Gewaltintentionen und beschrieben den Dschihadismus als ein dem Islam inhärentes Element. Auf Seiten der islamistischen User*innen wurde hingegen die Muslimfeindlichkeit auf den gesamten Westen projiziert."

Ohne den jeweils anderen wären die beiden Gruppen nichts. Der jeweilige Feind wird für Propagandazwecke instrumentalisiert, um den eigenen Narrativen Glaubwürdigkeit zu geben und die eigenen Aktivitäten zu legitimieren. So überrascht es nicht, dass die Anzahl muslimfeindlicher Postings nach islamistischen Terroranschlägen massiv zunimmt. Genauso wird von islamistischer Seite nach rassistischen Übergriffen oder dem Erfolg von rechtspopulistischen Parteien verstärkt gepostet. Mathias Quent, Leiter des IDZ, zur Rolle sozialer Medien: “Soziale Netzwerke verstärken die Wirkung des Dschihadismus. Sie machen erlebbar, was an anderen Orten der Welt passiert.”

Studienleiter Fielitz betont die “symbiotische Beziehung” zwischen Rechtextremismus und Islamismus, dabei funktioniert “antimuslimischer Rassismus als Katalysator auf beiden Seiten”. Die enge Symbiose zwischen Islamismus und Rechtsextremismus mag skurril erscheinen, aber sie bietet auch Perspektiven für Gegenstrategien aus Politik und Zivilgesellschaft. Die Autor*innen der Studie empfehlen die Entwicklung von Gegennarrativen und –kampagnen, um die Zivilgesellschaft zu stärken: "Hier geht es vor allem um den Aufbau von Ressourcen und Netzwerken, die schnelle Reaktionen auf rechtsextreme und islamistische Aktivitäten erlauben, um den Diskurs und das Framing im Nachgang von Terroranschlägen, Demonstrationen, Wahlergebnissen und anderen einflussreichen Ereignissen nicht den Rechtsextremen und Islamisten zu überlassen."

Jakob Guhl sieht eine komplexe Situation, in der Islamismus praktisch aus dem Bundestag und den Parlamenten heraus gestärkt wird: “Durch die Anwesenheit einer muslimfeindlichen Partei im deutschen Parlament wird ein Resonanzraum für islamistische Rekrutierer geschaffen”. Laut Guhl kann nur eine “soziale, kulturelle und ökonomische Integration” von Migrant*innen dem wirklich etwas entgegensetzen. Im Umkehrschluss bedeutet es auch, dass Polizei und Behörden in Sachen antimuslimischen Rassismus sensibilisiert werden. Guhl und die anderen Autor*innen fordern “Rassismus- und Antisemitismuskritische Weiterbildungen” auch für die Polizei und die Sicherheitsbehörden.

Die Studie zum Download und weitere Informationen finden Sie hier und hier.

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